Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Anfechtungsklage gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung

Aktenzeichen  M 30 K 17.40760

Datum:
8.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43029
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71a

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Mai 2017 – Gesch.Z: … aufgehoben.
II. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage bezüglich des Verpflichtungsbegehrens auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzstatus fallengelassen und damit i.S.v. § 92 Abs. 2 VwGO teilweise zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist mit der Anfechtungsklage anzugreifen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – BVerwG 1 C 4.16 – beck-online).
In Bezug auf das damit (nur) noch streitgegenständliche Anfechtungsbegehren hinsichtlich des Bescheids des Bundesamtes vom 11. Mai 2017 ist die Klage zulässig und begründet. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 VwGO.
Vor dem Hintergrund des zu prüfenden Maßstabs für das Vorliegen eines Zweitantrags i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG hat das Bundesamt den Asylantrag des Klägers vom 9. Februar 2016 zu Unrecht als unzulässigen Zweitantrag eingestuft.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland dar-über einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig abzulehnen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann. Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris). Die diesbezügliche Aufklärung des Sachverhalts obliegt dem Bundesamt. Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung endgültig abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen (vgl. Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 9; Schönenbroicher/Dickten in BeckOK AuslR, § 71a AsylG Rn. 2, Stand: 1.2.2018).
Das Asylverfahren des Klägers in Griechenland wurde jedoch ausweislich der Auskunft der Hellenischen Republik vom 13. Februar 2017 auf die klägerische Beschwerde vom 16. Januar 2015 gegen eine erstinstanzliche Entscheidung vom 3. September 2014 erst am 9. September 2016 abgeschlossen.
Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 9. Februar 2016 und auch zum Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik Deutschland am 9. Mai 201 mit Ablauf der allenfalls dreimonatigen Frist zur Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO – der Behördenakte lässt sich keine Kenntnis von einem griechischen Eurodac-Treffer i.S.v. Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO entnehmen – war das griechische Asylverfahren somit noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Erfolglos abgeschlossen war das Asylverfahren in Griechenland hingegen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes über den klägerischen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland am 11. Mai 2017.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren i.S.d. § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist, in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2016 offen gelassen. In erster Linie kämen der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris).
Für ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung in der Bundesrepublik Deutschland spricht vor allem der Wortlaut des § 71a Abs. 1 AsylG (vgl. u.a. VG Regensburg, U.v. 8.8.2018 – RN 12 K 18.31824 – juris Rn. 21 ff.; VG Augsburg, B.v. 9.7.2018 – Au 4 S 18.31170 – juris Rn. 10; VG Frankfurt (Oder), B.v. 13.7.2017 – 6 L 665/17.A – juris; VG Hamburg, 20.7.2018 – 8 AE 3383/18 – juris Rn. 10; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn 5).
Demgegenüber wird von einer anderen Ansicht vertreten, dass (frühestens) auf den Zuständigkeitsübergang als maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen sei, wobei hierfür in erster Linie systematische Gründe angeführt werden (vgl. VG Schleswig, B.v. 27.11.2017 – 1 B 190/17 – juris Rn 35 ff.). Die Anwendung der auf Folgegründe beschränkten Prüfung des § 71a Abs. 1 AsylG würde bereits tatbestandsmäßig voraussetzen, dass ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen sei, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei (VG Schleswig, B.v. 27.11.2017 – 1 B 190/17 – juris).
Welcher dieser beiden möglichen Zeitpunkte maßgeblich ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da beide vor dem rechtskräftigen Abschluss in Griechenland liegen.
Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung über den Asylantrag kommt nach Auffassung des Gerichts hingegen nicht in Betracht (vgl. a. VG Hannover, U.v. 5.2.2018 – 11 A 11248/17 – juris). Dem stehen Wortlaut und Systematik deutlich entgegen (vgl. zuvor). Ansonsten hätte es das Bundesamt zudem in der Hand, mit einem Zuwarten den Prüfungsumfang des Asylantrags zu reduzieren bzw. zu verändern.
Die Einstufung des klägerischen Asylantrags als Zweitantrag nach § 71a AsylG und damit dessen Ablehnung als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG mangels Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen ist somit rechtswidrig und die Klage mit ihrem Aufhebungsbegehren insoweit erfolgreich.
Über den (nur hilfsweise) gestellten Verpflichtungsantrag in Bezug auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG musste daher vorliegend nicht mehr entschieden, sondern der Bescheid in Gänze aufgehoben werden. Die im Bescheid erfolgte Entscheidung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nebst Abschiebungsandrohung sind jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21).
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO abzuweisen. Das (bloße) Aufhebungsbegehren des Bescheids im Rahmen der Anfechtungsklage steht dem zunächst erhobenen Verpflichtungsbegehren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und hilfsweise subsidiären Schutzes ungefähr gleichwertig gegenüber. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).


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