Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Untätigkeitsklage im Asylverfahren

Aktenzeichen  RN 8 K 17.30104

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 75
GG GG Art. 16a Abs. 1, Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Trotz bekannter Überbelastung des Bundesamtes durch die stark erhöhten Asylbewerberzahlen stellt dies keinen zureichenden Grund für eine Nichtbescheidung dar. Die erhöhte Geschäftsbelastung ist nicht kurzfristig, sondern permanent, sodass in der Behörde Abhilfe geschaffen werden muss (ebenso VG Düsseldorf BeckRS 2014, 58235). (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Beschränkung des Durchentscheidens auf Fälle, in denen ein Asylbewerber erstmals einen Asylantrags gestellt hat und bereits eine behördliche Entscheidung über das Asylbegehren ergangen ist, ist nicht schlüssig. Gerade wenn noch keine behördliche Entscheidung ergangen ist, kommt dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung besondere Bedeutung zu, welchem durch ein Durchentscheiden Rechnung getragen werden könnte (entgegen BVerwG BeckRS 2016, 111567). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, das Verfahren fortzuführen und über den Asylantrag der Kläger innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft zu entscheiden.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.
1. Die Klage ist als Untätigkeitsklage zulässig.
Die in § 75 Satz 2 VwGO genannte Frist von drei Monaten war (bereits) im Zeitpunkt der Klageerhebung abgelaufen. Ein zureichender Grund für die Nichtentscheidung über den Asylantrag der Kläger im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO liegt nicht vor. Die Kläger haben am 28.02.2013, also vor etwa vier Jahren einen Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens beim Bundesamt gestellt, über den bis heute nicht entschieden ist. Jedenfalls seit Vervollständigung der Anhörungen (30.08.2016) ist die Sache entscheidungsreif. Eine Unterrichtung der Kläger nach Art. 31 Abs. 6 der (noch nicht umgesetzten) EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU ist nicht erfolgt. Umso mehr befremdet, wenn – entgegen anderslautenden Bekundungen von Bundesamtsvertretern – selbst auf gerichtliche Aufforderung (Schreiben vom 25.01.2017) im gerichtlichen Verfahren nicht abgeholfen wird. Eine dauernde hohe Geschäftsbelastung ist kein zureichender Grund im Sinne von § 75 Satz 3 VwGO (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 30.10.2014 – 24 K 992/14.A – juris Rn. 17). Die Beklagtenseite kann sich auch nicht damit entlasten, dass angeblich auf neue Leitsätze des Bundesamts gewartet werde. Vielmehr wäre es im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruch auf Entscheidung gerade geboten, die erforderlichen Verwaltungsabläufe und die nähere Sachbehandlung umgehend zu regeln. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Beklagte als Bundesgesetzgeber gesetzliche Ansprüche vermittelt, sich dann aber bei deren fehlender Umsetzung auf Unzulänglichkeiten der Verwaltung beruft.
2. Die Klage ist auch begründet.
Die Kläger haben einen Anspruch auf Entscheidung über ihren Asylantrag. Dementsprechend ist das Bundesamt für … zur Fortführung des Verfahrens und zur Entscheidung über den Asylantrag verpflichtet (§ 75 Satz 1 und 2 sowie § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Eine materielle Pflicht der Beklagten zu einer Entscheidung über Asylanträge ergibt sich einerseits aus Art. 16a Abs. 1 GG als einem subjektiv-öffentlichen Recht, dem eine Pflicht des Staates zur Bescheidung von Asylanträgen korrespondiert, andererseits aus der Gewährleistung einfachgesetzlicher Rechtspositionen durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Dem Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG wird durch aktives staatliches Handeln Geltung verschafft. Eine Verletzung dieses Grundrechts kann durch Nichtbescheidung von Asylanträgen eintreten (vgl. VG Düsseldorf, Gb.v. 7.3.2012 – 21 K 7676/11.A – juris Rn. 31; VG Freiburg, U.v. 20.3.1997 – A 2 K 13182/95 – juris Rn. 13). Zur effektiven Durchsetzung dieses Grundrechts hat ein Asylbewerber auch ein subjektives Recht auf eine persönliche Anhörung. Die Wirksamkeit des Asylrechts hängt nämlich entscheidend davon ab, dass der Behauptung des Asylbewerbers, er werde in seiner Heimat politisch verfolgt, nachgegangen wird. Hierzu muss der vorgetragene Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gewürdigt werden. Wenn der Inhalt eines Asylbegehrens dagegen unbeachtet bleibt, wird dem Asylsuchenden in verfassungswidriger Weise von vornherein die Möglichkeit genommen, sich auf sein subjektives Recht auf Asyl zu berufen (vgl. BVerfG, B.v. 25. 2.1981 – 1 BvR 413/80 – juris Rn. 71). Ist das Verwaltungsverfahren aber im Hinblick auf das Asylgrundrecht in besonderer Weise ausgestaltet, so hat der Asylbewerber auch einen Anspruch darauf, dass diese Mindeststandards, die von Verfassungs wegen zwingend geboten sind, in seiner Person eingehalten werden (vgl. VG Darmstadt, U.v. 28.5.2003 – 8 E 752/03A.(2) – juris Rn. 20).
Der Maßstab für die Frist, innerhalb der die Entscheidung zu treffen ist, ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 75 Satz 1 und 2 VwGO. Danach ist die Entscheidung grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab Stellung eines Asylantrags zu treffen. An dieser Entscheidung des Gesetzgebers hat sich das Gericht auch im vorliegenden Fall orientiert. Das Gericht hat der Beklagten aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls deshalb keine längere Frist gesetzt, weil hier zu berücksichtigen ist, dass die Kläger ihren Asylantrag bereits vor vier Jahren gestellt haben und der inzwischen verstrichene Zeitraum bei der Bestimmung einer angemessenen Frist zu berücksichtigen ist (vgl. hierzu: VG Freiburg, U.v. 20.3.1997 – A 2 K 13182/95 – juris Rn. 20).
Nach dem ausdrücklichen Klageantrag kommt hier ein Durchentscheiden nicht in Betracht. Allerdings begegnet die insoweit einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 14.12.16 – 1 C 4/16 – juris) durchaus Bedenken. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum in den Fällen, in denen ein Asylbewerber erstmals einen Asylantrag gestellt hat, nur dann durchzuentscheiden sein soll, wenn bereits eine behördliche Entscheidung über das Asylbegehren ergangen ist. Gerade wenn – wie hier – noch keine behördliche Entscheidung ergangen ist, kommt dem vom Gesetzgeber gewollten Bemühen um Verfahrensbeschleunigung besondere Bedeutung zu. Der bei offensichtlicher Unbegründetheit (§§ 29a und 30 AsylG) gewollten starken Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle kann das Gericht dadurch Rechnung tragen, dass es die Klage als offensichtlich unbegründet abweist. Bei einem gerichtlichen Durchentscheiden müsste das Bundesamt für …, wenn die Klage erfolglos bleibt, außerdem nur noch eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung erlassen. Deren gerichtliche Kontrolle ist viel weniger zeitaufwendig als die gerichtliche Kontrolle einer vollständigen Bundesamtsentscheidung über Asyl, Flüchtlingseigenschaft, subsidiären Schutz und Abschiebungsandrohung. Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, es widerspreche dem Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG, wenn das Gericht an Stelle des Bundesamts entscheidet. Vielmehr ist es gerade Aufgabe des Gerichts, Anspruchsinhabern zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn dieses durch die Verwaltung zu Unrecht verweigert wird (§ 113 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Einwand findet sich daher außerhalb des Asylrechts nicht einmal ansatzweise, man blicke etwa auf Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch oder nach Baurecht. Dies gilt auch mit Blick auf die in Kapitel II der bisher nicht umgesetzten EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU eingeräumten umfassenden Garantien im behördlichen Verfahren. Die sich im Asylrecht herausbildende Einschränkung gerichtlichen Rechtsschutzes scheint demnach eher dadurch motiviert zu sein, dass die Verwaltungsgerichte „nicht die Arbeit des Bundesamts machen“ wollen. Unzulänglichkeiten des Bundesamts kann aber damit begegnet werden, dass der Untersuchungsgrundsatz im gerichtlichen Verfahren gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO dadurch eingeschränkt ist, dass die Beteiligten mit der Folge heranzuziehen sind, dass dem Klagebegehren durch das Bundesamt für … substantiiert entgegen getreten werden müsste.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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