Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag im Asylfolgeverfahren wegen nachgewiesener psychischer Erkrankung

Aktenzeichen  M 15 S 17.35001

Datum:
9.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 3
AsylG AsylG § 36 Abs. 4 S. 1, § 71 Abs. 1, § 80, § 83b
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 154 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Wird im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes die Aussetzung der Abschiebung in einem Asylfolgeverfahren begehrt, bildet Prüfungsgegenstand die Entscheidung, den früheren Bescheid nicht abzuändern, weil die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG iVm § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG nicht gegeben sind. Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG vorliegen, ist nach § 77 Abs. 1 AsylG auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Anhaltspunkte dafür, dass sich iSv § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG die Sachlage zugunsten des Antragstellers verändert hat, liegen dann vor, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Herkunftsstaat oder aber die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände verändert haben. Insoweit ist es ausreichend aber zugleich auch erforderlich, dass der Asylbewerber eine Änderung der Sachlage im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde liegenden Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt (vgl. BVerfG LSK 1993, 330166). (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Eine schwere rezidivierende depressive Störung ist in Afghanistan wohl nicht ausreichend behandelbar (vgl. BayVGH BeckRS 2012, 54740). (Rn. 8) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 15 K 17.34999) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Beklagten vom … März 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Der Antrag hat Erfolg. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids der Beklagten vom … März 2017, soweit mit diesem die Abänderung des Bescheids vom 26. November 2012 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt wurde.
Die Antragsgegnerin hat den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens mit Bescheid vom … März 2017 abgelehnt und eine weitere Abschiebungsandrohung erlassen (vgl. § 71 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Statthaft ist in dieser Konstellation ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Gemäß § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausgesetzt werden.
Ernstliche Zweifel im Sinne des auch im vorliegenden Fall entsprechend anwendbaren § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 91 ff.). Prüfungsgegenstand ist dabei die Entscheidung, den früheren Bescheid nicht abzuändern, weil die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht gegeben seien. Gemäß § 77 Abs. 1 AsylG ist für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen gem. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Nach diesem Maßstab bestehen hier ernstliche Zweifel an der angegriffenen Entscheidung der Antragsgegnerin, weil der Antragsteller nunmehr geltend gemacht hat, er leide an einer schweren psychischen Erkrankung.
Damit bestehen entgegen den Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Sachlage zu Gunsten des Antragstellers verändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Voraussetzung hierfür ist, dass sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Herkunftsstaat oder aber die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände verändert haben. Insoweit ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Asylbewerber eine Änderung der Sachlage im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde liegenden Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt (vgl. BVerfG, B.v. 13.3.1993 – 2 BvR 1988/92 – juris Rn. 23). Er muss darüber hinaus schlüssig darlegen, dass die veränderten tatsächlichen Umstände geeignet sind, eine ihm günstigere Entscheidung herbeizuführen.
Der Antragsteller erfüllt vorliegend bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung aufgrund seines Gesundheitszustandes zumindest im Hinblick auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
Der Antragsteller hat im Rahmen des Verfahrens über seinen Folgeantrag seinen psychischen Gesundheitszustand geltend gemacht und hierfür mehrere nervenärztliche Atteste vorgelegt. Nachdem ihm die Regierung von Oberbayern mit Schreiben vom 15. März 2017 die baldige Abschiebung nach Afghanistan angekündigt hatte, wurde er von seiner behandelnden Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde in das …-Klinikum für Psychiatrie, Psychotherapie, psychosomatische Medizin, Neurologie und Geriatrie eingewiesen. Mit ärztlichem Attest vom … April 2017 wurde dem Antragsteller von der Oberärztin eine schwere rezidivierende depressive Störung mit noch weiterhin vorhandener akuter Selbstgefährdung bei persistierenden Suizidgedanken attestiert. Aufgrund der vorhandenen Suizidgedanken befinde er sich auf der beschützenden Station.
Sollte beim Antragsteller tatsächlich eine schwere rezidivierende depressive Störung gegeben sein, ist eine solche in Afghanistan wohl nicht ausreichend behandelbar (so BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris zu einer rezidivierenden depressiven Störung mittelgradiger Ausbildung). Es könnte somit durchaus die Gefahr bestehen, dass sich die Erkrankung alsbald wesentlich verschlechtern würde.
Bei der im Entscheidungszeitpunkt nur summarisch beurteilungsfähigen Sachlage hat das Gericht somit ernstliche Zweifel daran, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin – die keine vertieften Ausführungen zur Situation des Antragstellers enthält und die auch auf jegliche Ausführungen zur Frage der Verfügbarkeit von therapeutischen und/oder medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten verzichtet – im Hauptsacheverfahren Bestand haben kann, da zumindest nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers im Falle einer Rückführung akut und gravierend verschlechtern könnte.
Daher war dem Antrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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