Verwaltungsrecht

Erlass einer Abschiebungsandrohung – Kein weiters Asylverfahren bei Zweitantragssituation

Aktenzeichen  M 21 S 17.43702

Datum:
26.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 722
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 34 Abs. 1, § 71a

 

Leitsatz

1. Bei der Prüfung nach § 71a Abs. 1 AsylG, ob ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vorliegt, darf sich das Bundesamt nicht allein auf die Angaben der Antragsteller zum Verlauf von Asylverfahren in anderen Mitgliedstaaten stützen(vgl. nur BayVGH BeckRS 2016, 41335 u.a.). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit dem vom Bundesamt grundsätzlich zu nutzenden sog. Info-Request nach Art. 34 Dublin III-VO ist unter den Mitgliedstaaten ein beschleunigtes Informationsaustauschsystem eingeführt worden, dessen Möglichkeiten zur Informationsgewinnung den Verwaltungsgerichten nicht offen stehen (vgl. nur BayVGH BeckRS 2016, 56089). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Bundesamt kann das Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen nur beurteilen, wenn es Kenntnis des Vorverfahrens, der dort angeführten Gründe und des dortigen Verfahrensablaufs einschließlich der jeweiligen Entscheidungen besitzt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Bundesamt darf aber ausnahmsweise nach den besonderen Umständen des Einzelfalls tragfähig auf das Vorliegen einer „Zweitantragssituation“ schließen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnachweise seines Herkunftslands vorlegte, ist nach eigenen Angaben ein lediger, in Abuga geborener Staatsangehöriger der Bundesrepublik Nigeria.
Er stellte am 23. August 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in Regensburg einen Asylantrag.
Zur Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags gab der Antragsteller am 23. August 2016 gegenüber dem Bundesamt insbesondere an, er habe ein am 7. September 2014 ausgestelltes und insgesamt neun Monate gültiges Aufenthaltsdokument für Italien gehabt. Am 26. Juni 2016 habe er Italien verlassen sollen. Er habe am 7. September 2014 internationalen Schutz in Italien beantragt. Neue Gründe und Beweismittel, die nicht in dem früheren Verfahren geltend gemacht worden seien und die ein neues Asylverfahren rechtfertigten, habe er nicht.
In der Bundesamtsakte (Bl. 40 und 71) befindet sich ein Schreiben der Präfektur Ancona vom 25. Mai 2016 in italienischer Sprache (Übersetzung: Bl. 63 ff. der Bundesamtsakte). Darin wurde insbesondere ausgeführt, der Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung internationalen Schutzes sei am 16. November 2015 abgelehnt worden. Das Zivilgericht in Ancona habe seine diesbezügliche Beschwerde am 15. April 2016 abgewiesen und die streitige Maßnahme bestätigt. Daher sei der Aufenthalt des Antragstellers im Aufnahmezentrum zu beenden und seine Unterbringung im Hotel Lori di Marzocca die Senigallia werde widerrufen.
Zur Niederschrift über seine Anhörung bei der Außenstelle des Bundesamts in Regensburg am 7. September 2016 äußerte sich der Antragsteller zu seinem Verfolgungsschicksal und gab insbesondere an, auf seinen Antrag vom 30. Januar 2015 hin in Italien kein Asyl bekommen zu haben.
In einem Aktenvermerk vom 8. Mai 2017 hielt das Bundesamt insbesondere fest, aufgrund der aktuellen Problematik hinsichtlich des Nichtantwortens seitens Italiens, sowie des derzeitigen Verfahrensstandes werde kein Informationsersuchen an Italien gestellt. Nach dem Schreiben der italienischen Behörden vom 25. Mai 2016 liege ein Zweitantrag vor.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2017 teilte das Bundesamt dem Antragsteller mit, nach den vorliegenden Erkenntnissen habe er bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Das weitere Vorgehen richte sich nach dem Ergebnis dieses Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat. Daher werde binnen zwei Wochen um Mitteilung des Sachstands dieses Verfahrens und um Vorlage aller vorhandenen Dokumente zu diesem Verfahren unter Verwendung des beigefügten Fragebogens gebeten. Dieser Fragebogen enthielt insbesondere die Frage, welche neuen Umstände der Antragsteller vorbringen könne oder welche neuen Erkenntnisse er habe, die eine günstigere Entscheidung für ihn ermöglichten.
In diesem Fragebogen kreuzte der Antragsteller insbesondere an, sein Antrag auf Schutz sei abgelehnt worden und fügte ihm weitere, handschriftliche Ausführungen in englischer Sprache bei.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1.), verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 2.) und drohte ihm mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Nigeria an (Ziffer 3.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, durch Bescheid vom 25. Mai 2016 habe Italien dem Antragsteller mitgeteilt, dass dort das Verfahren zur Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz erfolglos abgeschlossen worden sei. Daher handle es sich bei dem erneuten Asylantrag um einen Zweitantrag. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn wie hier im Falle eines Antrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Wiederaufgreifensgründe lägen nicht vor. Der Antragsteller habe Asylgründe vorgetragen, die zeitlich vor der Ausreise aus seinem Heimatland lägen und an denen sich seit seinem Verfahren in Italien nichts geändert habe. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG.
Am 31. Mai 2017 erhob der Antragsteller zur Niederschrift der Rechtsantragsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts München Klage und beantragte, den Bundesamtsbescheid vom 22. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
Über die Klage (M 21 K 17.43379) ist noch nicht entschieden.
Am 31. Mai 2017 beantragte der Antragsteller zugleich zur Niederschrift der Rechtsantragsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts München,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Zur Klage- und Antragsbegründung nahm er am 31. Mai 2017 Bezug auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt.
Zur weiteren Klage- und Antragsbegründung ließ der Antragsteller durch Schriftsätze vom 9. August und 5. Oktober 2017 weitere Ausführungen machen und jeweils undatierte Schreiben zu seinen Fluchtgründen vorlegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Eilantrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Wird in einer „Zweitantragssituation“ ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt, so darf die Aussetzung der Abschiebung im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts, hier der Abschiebungsandrohung, bestehen. Solche „ernstlichen Zweifel“ liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Eine solche Einschätzung ist hier nicht gerechtfertigt.
§ 34 AsylG, der den Erlass einer Abschiebungsandrohung regelt, ist über § 71a Abs. 4 AsylG nur dann entsprechend anzuwenden, wenn eine „Zweitantragssituation“ im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG vorliegt und ein weiteres Asylverfahren rechtmäßiger Weise nicht durchgeführt wird. Nur dann ist der Asylantrag auch nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen. Nach hinreichender Sachverhaltsermittlung hat das Bundesamt hier eine „Zweitantragssituation“ im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG annehmen dürfen. Ein weiteres Asylverfahren ist nicht durchzuführen. Im Einzelnen:
Ein asylrechtlicher Zweitantrag, der bei Fehlen neuen Vorbringens ohne Sachprüfung als unzulässig abgelehnt werden kann, setzt gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Leitsatz 2). Es obliegt dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu belegen. Bei der Prüfung nach § 71a Abs. 1 AsylG, ob ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vorliegt, darf sich das Bundesamt nicht allein auf die Angaben der Antragsteller zum Verlauf von Asylverfahren in anderen Mitgliedstaaten stützen. Denn diese haben in aller Regel den Verfahrensablauf nicht durchschaut und können dazu deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen (vgl. nur BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 22 m.w.N.). Mit dem vom Bundesamt grundsätzlich zu nutzenden, sogenannten Info-Request nach Art. 21 Dublin-II-VO bzw. Art. 34 Dublin-III-VO ist unter den Mitgliedstaaten ein beschleunigtes Informationsaustauschsystem eingeführt worden, dessen Möglichkeiten zur Informationsgewinnung den Verwaltungsgerichten nicht offen stehen (vgl. nur BayVGH, U.v. 20.10.2016 – 20 B 14.30320 – juris Rn. 29, 41 m.w.N.).
Zudem kann das Bundesamt das Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen nur beurteilen, wenn es Kenntnis des Vorverfahrens, der dort angeführten Gründe und des dortigen Verfahrensablaufs einschließlich der jeweiligen Entscheidungen besitzt (vgl. nur Schönenbroicher/Dickten in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1. November 2017, § 71a AsylG Rn. 2 m.w.N.).
Demnach beruht die Annahme des Bundesamts, es liege der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vor, auf zureichender Tatsachenbasis.
Das Bundesamt hat zwar kein Info-Request an die zuständige Behörde der Republik Italien gerichtet. Das Bundesamt hat aber ausnahmsweise nach den besonderen Umständen des Einzelfalls tragfähig auf das Vorliegen einer „Zweitantragssituation“ schließen dürfen.
Das Schreiben der Präfektur Ancona vom 25. Mai 2016 belegt, dass das Asylverfahren des Antragstellers in Italien erfolglos abgeschlossen worden ist. Die entsprechenden inhaltlichen Aussagen dieses Schreibens werden insbesondere durch die allgemeinkundige Erkenntnis bestätigt, dass (endgültig) abgelehnte Asylbewerber in Italien insbesondere keine Unterbringung mehr nach den sonst dort für Asylbewerber geltenden Regelungen beanspruchen können (http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Asyl/leitfaden-italien.pdf? blob=publicationFile, dort S. 22).
Zudem liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG nicht vor.
Der Antragsteller kann insbesondere keinen Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 VwVfG für sich in Anspruch nehmen. In der Tat bezieht sich sein Vorbringen gegenüber dem Bundesamt auf Umstände, die sich bereits im Herkunftsland ereignet haben sollen. Damit können diese Umstände mit Blick auf das in Italien erfolglos abgeschlossene Asylverfahren insbesondere keine nachträgliche Änderung der Sachlage zugunsten des Antragstellers begründen. Er selbst hat zudem zur Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 23. August 2016 gegenüber dem Bundesamt angegeben, neue Gründe und Beweismittel, die nicht in dem früheren Verfahren von ihm geltend gemacht worden seien und die ein neues Asylverfahren rechtfertigten, habe er nicht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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