Verwaltungsrecht

Erlöschen der Niederlassungserlaubnis, Ausweisung, Reiseausweis für Staatenlose

Aktenzeichen  AN 5 K 18.01576

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43059
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6
AufenthG § 51 Abs. 2
AufenthG § 53
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1
StÜbK Art. 28

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers erloschen ist, die Ausweisung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 S. 1 AufenthG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Feststellung des Erlöschens der dem Kläger am 17. Februar 2000 unbefristet erteilten und später als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden (§ 101 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Aufenthaltserlaubnis ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Niederlassungserlaubnis ist mit der Übersiedelung des Klägers in die Schweiz spätestens im Juni 2009 jedenfalls gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausreist. Unter den Begriff der Ausreise fällt die freiwillige Ausreise, nicht aber eine staatlich veranlasste oder erzwungene Ausreise (BVerwG, U.v. 17.1.2012 – 1 C 1/11 – juris Rn. 6; Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 22). Zweck der Erlöschenstatbestände in § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG ist es, die Aufenthaltstitel in den Fällen zum Erlöschen zu bringen, in denen das Verhalten des Ausländers typischerweise den Schluss rechtfertigt, dass er von seinem Aufenthaltsrecht keinen Gebrauch mehr machen will; es soll Rechtsklarheit geschaffen werden, ob ein Ausländer, der für längere Zeit ausreist, seinen Aufenthaltstitel weiter besitzt, und im Sinne einer effektiven Steuerung der Migration einer zeitlich unbegrenzten Möglichkeit der Abwesenheit und Wiedereinreise entgegen gewirkt werden (BVerwG, U.v. 17.1.2012 – 1 C 1/11 – juris Rn. 9).
Ob ein Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausreist, bestimmt sich nicht nach dem inneren Willen des Ausländers, sondern nach den Gesamtumständen des Einzelfalles, zu denen u.a. auch die Dauer der Abwesenheit gehört (Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 23). Der Aufenthaltstitel erlischt, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Auslandsaufenthalt auf unbestimmte Zeit angelegt ist bzw. der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat (Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 23 m.N.). Unschädlich im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG sind lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen (BVerwG, U.v. 11.12.2012 – 1 C 15/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 17.1 .2017 – 10 ZB 15.1706 – juris Rn. 6).
Der Kläger begann nach eigenen – insbesondere in Bezug auf die Erwerbstätigkeit unbelegten – Angaben im Juni 2009 damit, in der Schweiz als Krankenpfleger zu arbeiten. Damit hat er seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlagert, ohne dass eine zeitliche Begrenzung dieser Verlagerung nach den objektiven Umständen des Einzelfalles erkennbar gewesen wäre. Für die Verlagerung des Lebensmittelpunktes spricht nicht nur die Aufnahme der Erwerbstätigkeit an einem mehrere hundert Kilometer entfernten Ort. Sie ergibt sich im vorliegenden Fall insbesondere auch daraus, dass der Kläger zwischen Januar 2009 und April 2009 fast alle Bezüge zur Bundesrepublik aufgab. So wohnte er ab Januar 2009 nicht mehr bei seiner Ehefrau, verlor auch seine Nebenwohnung und hatte bis April 2009 nur noch telefonisch und danach gar keinen Kontakt mehr mit seiner Bewährungshelferin (vgl. Führungsaufsichtsbericht der Bewährungshelferin vom 17. April 2009). Der Abbruch des Kontaktes zur Bewährungshelferin spricht auch deswegen für eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes, da der Kläger aufgrund der Missachtung der strafrechtlichen Weisungen bei einer von den Behörden bemerkten Rückkehr in die Bundesrepublik negative Konsequenzen zu erwarten gehabt hätte (was sich rückblickend aufgrund der baldigen Verhaftung nach Rückkehr und der Verurteilung vom 19.05.2011 u.a. wegen Verstoß gegen Weisungen als zutreffend erweist). Im Übrigen sprich auch der – nicht belegte – Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 27. Juli 2021, er habe vierzehntägig einen Sohn, seine Ehefrau oder einen Bekannten im Bundesgebiet besucht, nicht gegen die Annahme einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes. Denn anders als ein Wochenpendler, der nur zur Arbeit in ein anderes Land fährt und dort u.U. eine Zweitwohnung unterhält, hat der Kläger jedenfalls auch nach diesem Vortrag nicht etwa eine Wohnung im Bundesgebiet beibehalten, sondern sich wechselnd an unterschiedlichen Orten höchstens besuchsweise im Bundesgebiet aufgehalten. Auch in zeitlicher Hinsicht kann bei einem Besuch aller 14 Tage bei ansonsten gegebener Erwerbstätigkeit in der Schweiz nicht von der Beibehaltung des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet die Rede sein. Darüber hinaus spricht bei der Aufnahme einer Berufstätigkeit als Krankenpfleger nichts dafür, dass der Zweck des Aufenthaltes in der Schweiz nur vorübergehender Natur war. Im Gegenteil spricht einiges dafür, dass der Kläger die Schweiz nur deswegen nach ca. einem halben Jahr wieder verlassen hat, weil er sich einer im Laufe des Aufenthaltes in der Schweiz entstandenen Gefahr strafrechtlicher Verfolgung entziehen wollte, und den Entschluss zur Rückkehr damit nachträglich gefasst hat. Dies lässt sich jedenfalls aus der Tatsache schließen, dass der Kläger sehr bald nach seiner Rückkehr nach Deutschland von hier in die Schweiz ausgeliefert wurde, wo er sofort inhaftiert und wegen gewerbsmäßigen Betruges verurteilt wurde.
Der Kläger kann sich auch nicht auf § 51 Abs. 2 AufenthG berufen.
Nach § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 oder nach § 54 Abs. 2 Nr. 5 bis 7 AufenthG besteht. Die Vorschrift bezweckt, Ausländern, die durch einen langen rechtmäßigen Aufenthalt sozial und wirtschaftlich integriert sind, das Daueraufenthaltsrecht trotz eines längeren Auslandsaufenthalts zu erhalten, weil ihre Rückkehr im Regelfall keine Reintegrationsprobleme aufwirft (HessVGH, B.v. 2.3.2016 – 9 B 1756/15 – juris Rn. 7). Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar hielt sich der Kläger bis zur Ausreise im Jahr 2009 mehr als 15 Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch vor der Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Jahr 2000, mindestens nach der Hochzeit mit einer deutschen Staatsangehörigen im Jahr 1993, befristete Aufenthaltserlaubnisse innegehabt hat. Allerdings war sein Lebensunterhalt nicht gesichert. Maßgeblich für die Prognoseentscheidung, ob der Lebensunterhalt eines Ausländers im Fall seiner Wiedereinreise gesichert ist, ist der Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen, hier also der Ausreise i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, und nicht der der Wiedereinreise; Zweifel gehen dabei zu Lasten des Ausländers (BayVGH, B.v. 25.7.2019 – 19 ZB 17.1149 – juris Rn. 13; Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 47). Schon der Rentenversicherungsverlauf des Klägers zeigt, dass eine Lebensunterhaltssicherung bei Ausreise im Jahr 2009 nicht gegeben war. Denn seit 31. August 2008 ist der Kläger keiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Aber auch der – unbelegte – Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers, er sei über weite Strecken seines Aufenthaltes in Deutschland selbständig tätig gewesen und habe hierzu ein Unternehmen mit seiner damaligen Ehefrau unterhalten, ist nicht geeignet, die Annahme der Sicherung des Lebensunterhaltes für den Fall der Wiedereinreise zu stützen. Unabhängig davon, ob die Ehefrau des Klägers überhaupt bereit gewesen wäre, die Unternehmensführung mit ihm gemeinsam fortzusetzen, nachdem er im Januar 2009 bei ihr ausgezogen war und das Ehepaar am 8. Februar 2011 geschieden wurde, stand jedenfalls die Tatsache, dass der Wegzug in die Schweiz einen Verstoß gegen die Führungsaufsicht darstellte und für den Fall der Rückkehr in die Bundesrepublik eine erneute Inhaftierung drohte (die im Februar 2011 bald nach der Rückkehr auch erfolgte) und dass damit der Wegfall der Möglichkeit der Aufnahme irgendeiner Erwerbstätigkeit schon bei der Ausreise absehbar war, der Prognose einer Lebensunterhaltssicherung entgegen. Der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, der Kläger sei durchgängig krankenversichert gewesen und habe keine Sozialleistungen in Anspruch genommen, greift ebenfalls nicht durch, da allein das Bestehens eines Sozialleistungsanspruchs den Lebensunterhalt als nicht gesichert erscheinen lässt und es unerheblich ist, ob Sozialleistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden (BVerwG, U.v. 26.8.2008 – 1 C 32/07 – juris Rn. 21).
Eine Ausnahme nach § 51 Abs. 2 S. 2 AufenthG ist nicht gegeben, da die eheliche Lebensgemeinschaft mit Auszug aus der gemeinsamen Wohnung im Januar 2009 aufgehoben wurde. Die eheliche Lebensgemeinschaft wurde auch nicht wiederhergestellt, da der Kläger nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik zunächst in zwei verschiedenen Hotels wohnte und dann inhaftiert wurde. Die Ehe wurde am 8. Februar 2011 auch geschieden.
Auch die in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2018 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 37). Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Die Beklagte ist im Fall des Klägers aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 19. Mai 2015 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrugs in 3 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zutreffend von einem vertypten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausgegangen. Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers kommt es schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht auf das Mindestmaß der angewandten Strafvorschriften, sondern auf das tatsächlich verhängte Strafmaß an. Auch ist die Art des Delikts im Rahmen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kein im Gesetz vorzufindendes Differenzierungskriterium (anders als bei Nr. 1a, 1b), sondern die Vorschrift erfasst auch reine Vermögensstraftaten. Die vom Bevollmächtigten des Klägers angesprochene Zeitspanne zwischen der Verurteilung und dem Erlass des Ausweisungsbescheides von knapp drei Jahren ist unschädlich. Ein Ausweisungsinteresse kann grundsätzlich nur als verbraucht angesehen werden, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 39). Allein ein Zeitablauf, wie vorliegend, begründet kein entsprechendes berechtigtes Vertrauen.
Die Kammer geht mit der Beklagten davon aus, dass der weitere Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG gefährdet. Die Beklagte hat die Ausweisung zutreffend spezialpräventiv und generalpräventiv begründet.
Die spezialpräventiven Überlegungen der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 16. März 2016 – 10 ZB 15.2109 -, juris Rn. 18). Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Es gibt daher auch die vom Bevollmächtigten des Klägers behauptete Einschätzungsprärogative der Bewährungshilfe nicht. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer mit der Beklagten davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen. Anlass für die Ausweisung ist die Verurteilung des Klägers wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrugs in drei Fällen vom 2. Dezember 2015 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Dem Urteil lag zu Grunde, dass der Kläger entgegen einer Weisung im Beschluss des Landgerichts … vom 31. August 2006, sich monatlich bei der Bewährungshelferin zu melden und Wohnsitzwechsel anzuzeigen, von Oktober 2014 bis Dezember 2014 Termine bei seiner Bewährungshelferin nicht wahrnahm und seinen Wohnsitz ohne Meldung aufgab. Außerdem gab der Kläger zwischen dem 26. Januar und 16. April 2015 darlehensweise überlassenes Bargeld in Höhe von 700 € und einen leihweise überlassenen Pkw im Wert von 3.500 € nicht zurück. Den Pkw bot er am 12. Februar 2015 einer weiteren Geschädigten an, die 900 € zahlte, aber den Pkw nicht erhielt. Ein weiterer Geschädigter überließ dem Kläger darlehensweise insgesamt 720 € Bargeld und leihweise ein Mobiltelefon mit der Vereinbarung, dass der Kläger die Telefongebühren zahlen sollte. Der Kläger verursachte Kosten in Höhe von 500 €, die er ebensowenig beglich wie er das Bargeld zurückzahlte. Das Strafgericht wertete insbesondere die Vorstrafen des Klägers und die Tatsache, dass er „das Vertrauen der Geschädigten schamlos ausgenutzt hat“, zu seinen Lasten. Zwar handelt es sich bei den vom Kläger bisher begangenen Delikten überwiegend um reine Vermögensdelikte. Allerdings spricht insbesondere die wiederholte Straffälligkeit über einen langen Zeitraum ab 1989, trotz zwischenzeitlicher mehrjähriger Pausen zwischen den strafgerichtlichen Verurteilungen, für eine hohe Wiederholungsgefahr auch in Zukunft. Selbst eine Verurteilung des Klägers am 19.05.2011 wegen sehr ähnlicher Taten, seine vielfache Hafterfahrung und sogar die Führungsaufsicht haben den Kläger nicht davon abhalten können, die Straftaten zu begehen. Hinzu kommt im Übrigen, dass der Kläger versucht, seine Straftaten herunterzuspielen, indem er im Schriftsatz vom 27. Juli 2021 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2021 durch seinen Bevollmächtigten vortragen ließ, er sei lediglich wirtschaftlich tätig gewesen, in gewissen Konstellationen sei jedoch der erwünschte Erfolg ausgeblieben und er habe daher die nachher Geschädigten nicht ausbezahlen können, was ihm strafrechtlich als Betrug ausgelegt worden sei. Diese Äußerungen sprechen gegen eine Schuldeinsicht und sind ein weiterer Anhaltspunkt für die Prognose einer Wiederholungsgefahr. Auch wenn der Kläger nach der Verurteilung im Jahr 2015, soweit ersichtlich, keine Straftaten mehr begangen hat, ist bei der Prognose ist bei der Prognose insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger die Zeit bis Juli 2017 in Haft verbracht hat. Zudem steht der Kläger bis heute unter Führungsaufsicht und damit unter einem gewissen Legalbewährungsdruck. Zu diesem trägt zusätzlich bei, dass dem Kläger mit der Anhörung zur streitgegenständlichen Ausweisung mit Schreiben vom 13. Dezember 2017 vor Augen geführt wurde, dass strafrechtlich relevantes Verhalten weitere, ausländerrechtliche Konsequenzen haben kann (vgl. zum Legalbewährungsdruck durch ein laufendes Ausweisungsverfahren BayVGH, B.v. 18.5.2021 – 19 ZB 20.65 – Rn. 37). Die Straffreiheit nach der Verurteilung im Jahr 2015 hat daher nur geringe Aussagekraft und ist angesichts der übrigen Umstände nicht geeignet, die Prognose der Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen. Ebensowenig hat die Einschätzung der Bewährungshelferin in ihrem Bericht vom 9. Juni 2020 (Anlage K3 zum klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021) angesichts der vorstehenden Ausführungen ausschlaggebendes Gewicht, zumal sie über ein Jahr alt ist und keine aktuelle Gefährdungseinschätzung darstellt. Auch der Bericht vom 26. Juli 2021 (Anlage K4 zum klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021) enthält lediglich die Aussage, dass keine Straftaten bekannt wurden und dass die Führungsaufsicht regulär (d.h. durch Zeitablauf) beendet werde.
Darüber hinaus hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise auch eine generalpräventive Funktion der Ausweisung des Klägers bejaht. Der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, generalpräventive Erwägungen seien dem deutschen Strafrecht aus gutem Grund fremd, trägt schon allein aufgrund der grundlegenden Unterschiede zwischen ausländerrechtlichem Verwaltungsverfahren und Strafverfahren nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat zuletzt in den Urteilen vom 12. Juli 2018 und 9. Mai 2019 entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 17). Zudem gehört der Kläger nicht zu den durch § 53 Abs. 3, Abs. 3a oder Abs. 3b AufenthG privilegierten Personengruppen, so dass auch insoweit das Abstellen auf generalpräventive Gründe nicht ausgeschlossen ist. Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass – über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus – ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegende Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24).
Auch die konkreten generalpräventiven Erwägungen der Beklagten sind vorliegend nicht zu beanstanden. Es ist zu erwarten, dass es nicht ohne Wirkung auf andere Ausländer bliebe, wenn eine Person, die wie der Kläger immer wieder eine Vielzahl von Straftaten begangen hat, seit August 2006 sogar wiederholt unter laufender Führungsaufsicht, und dafür vielfach Haftstrafen verbüßt hat, nicht auch mit ausländerrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätte. Es muss auch anderen Ausländern deutlich vor Augen geführt werden, dass ein Verhalten, wie vom Kläger gezeigt, nicht hingenommen werden kann und auch ausländerrechtliche Konsequenzen hat. Daran ändert entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers weder die Art der Taten noch der Charakter ihrer Begehungsweise etwas. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob einzelne Tathandlungen für einen unbeteiligten Dritten möglicherweise nicht unmittelbar als strafbare Handlungen erkennbar sind. Entscheidend ist, dass der Aufenthalt eines mehrfach verurteilten Straftäters auch aus generalpräventiven Gründen i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Es besteht ein besonderes Bedürfnis, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art abzuhalten.
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG, des Art. 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegt. Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht im vorliegenden Fall ein vertyptes (besonders) schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG nicht entgegen. Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers besitzt dieser weder einen Aufenthaltstitel (die Niederlassungserlaubnis ist erloschen, s.o.), noch kann er sich – entgegen dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten – wegen eines vermeintlichen Anspruches auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auf eine der Nummern des § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG berufen. Es kann dahinstehen, ob ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis oder die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege nach § 25 Abs. 5 AufenthG überhaupt geeignet ist, ein Bleibeinteresse i.S.d. § 55 AufenthG zu begründen. Einer Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht jedenfalls das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG entgegen. Der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht gesichert, es liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (s.o.) und der Kläger erfüllt auch die Passpflicht nach § 3 AufenthG nicht.
Die Beklagte hat in die Abwägung zudem nach § 53 Abs. 2 AufenthG zutreffend eingestellt, dass sich der Kläger seit 1983 überwiegend im Bundesgebiet aufhält und dass erwachsene Kinder des Klägers im Bundesgebiet leben. Auch dass die Lebensgefährtin des Klägers in Deutschland lebt, ist grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn auch am Gewicht der Bindung einige Zweifel bestehen, da der Kläger in … in einer Obdachlosenunterkunft und die Lebensgefährtin, wie u.a. vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, in … lebt. Die Beklagte hat aber auch zu Recht gewürdigt, dass der Kläger in einer Obdachlosenunterkunft lebt und eine wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik offensichtlich nicht erkennbar ist. Daran ändert auch das Engagement des Klägers in Form von Fahr- und Übersetzerdiensten nichts, das im Übrigen laut des Berichts der Bewährungshelferin vom 9. Juni 2020 zwischenzeitlich aufgrund gesundheitlicher Probleme aufgegeben wurde (Anlage K3 zum klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021). Hinzu kommt, dass die Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund des autonomen Entschlusses des Klägers im Jahre 2009, seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz zu verlagern, abgeschwächt erscheinen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten führt auch die Unmöglichkeit der Abschiebung des Klägers aufgrund seiner Staaten- und Passlosigkeit nicht zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Kläger zwar nicht im Besitz eines Reisedokuments ist; insbesondere nachdem der Kläger sich freiwillig aus der rumänischen Staatsbürgerschaft entlassen lassen hat, kommt diesem Aspekt jedenfalls kein überwiegendes Gewicht zu. Im Rahmen einer Gesamtabwägung kommt die Kammer damit unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Im Übrigen ist die Ausweisung auch nicht, wie durch den Bevollmächtigten bereits im Klageschriftsatz vom 10. August 2018 geltend gemacht, in sich widersprüchlich oder durch den Kläger nicht umsetzbar. Eine Ausweisung hat insbesondere zu Folge, dass eventuell vorhandene Aufenthaltstitel erlöschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und der Ausländer ggf. ausreisepflichtig wird (§ 50 Abs. 1 AufenthG) und ist mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot zu verbinden (§ 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AufenthG), was zusätzlich insbesondere eine Titelerteilungssperre nach sich zieht (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG). Eine Duldung (die von Amts wegen zu erteilen ist, BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 1 C 23/99 – juris Rn. 17; U.v. 18.12.2019 – 1 C 34/18 – juris Rn. 24) bzw. das Vorliegen von Duldungsgründen hindert lediglich die Abschiebung als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, lässt aber die Ausreisepflicht und deren Vollziehbarkeit unberührt (§ 60a Abs. 3 AufenthG). Daher ist die Erteilung einer Duldung kein Widerspruch zu einer Ausweisung (vgl. zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen BayVGH, B.v. 16.4.2020 – 10 ZB 20.536 – juris Rn. 11). Ebenso steht ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht im Widerspruch zu einer Duldung, da das Einreise- und Aufenthaltsverbot seine Wirkungen grundsätzlich erst ab einer Ausreise oder Abschiebung entfaltet.
Das von der Beklagten in Ziffer III auf die Dauer von 5 Jahren ab Verlassen des Bundesgebiets befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnet auch unter allen sonstigen denkbaren Gesichtspunkten keinen Bedenken. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Gemessen an diesen Vorgaben sind Ermessensfehler insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet und ist beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Befristung von 5 Jahren angemessen ist. Dass nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG das Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 6. Juli 2018 nicht fehlerhaft, jedenfalls da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage in der behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verlängerung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer enthalten war (BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn. 23).
Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose i.S.d. § 1 Abs. 4, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthV.
Ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose ergibt sich nicht aus Art. 28 S. 1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (StlÜbk). Nach dieser Vorschrift stellen die Vertragsstaaten Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebiets gestatten, es sei denn, daß zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.
Zu Recht hat die Beklagte die Ausstellung des Reiseausweises mit der Begründung versagt, dass der Aufenthalt des Klägers nicht rechtmäßig ist. Seine Niederlassungserlaubnis ist erloschen (s.o.). Eine Duldung begründet keinen rechtmäßigen Aufenthalt, da sie die Ausreisepflicht nicht entfallen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 16.10.1990 – 1 C 15/88 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 2.4.2007 – 19 ZB 06.2317 – juris Rn. 10 f.). Unerheblich ist auch, ob ein anderer Staat bereit wäre, den Ausländer aufzunehmen (BVerwG, U.v. 16.10.1990 – 1 C 15/88 – juris Rn. 24). Die bloße faktische Anwesenheit eines Ausländers genügt auch dann nicht, wenn sie vom Vertragsstaat hingenommen wird, sondern ein rechtmäßiger Aufenthalt liegt nur dann vor, wenn eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde oder eine solche aufgrund von Ausnahmevorschriften entbehrlich ist (BVerwG, U.v. 17.3.2004 – 1 C 1/03 – juris Rn. 19 f.). Eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes ergibt sich auch nicht, wie vom Bevollmächtigten des Klägers vorgetragen, aus einem vermeintlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Ein solcher Anspruch besteht, wie oben ausgeführt, nicht. Darüber hinaus begründet zumindest ein bloßer Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung keinen rechtmäßigen Aufenthalt i.S.d. Art. 28 S. 1 StlÜbk (BVerwG, U.v. 16.10.1990 – 1 C 15/88 – juris Rn. 26).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 S. 2 StlÜbk aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null. Nach Art. 28 S. 2 StlÜbk können die Vertragsstaaten auch jedem anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen Reiseausweis für Ausländer ausstellen; sie werden insbesondere wohlwollend die Möglichkeit prüfen, solche Reiseausweise denjenigen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen auszustellen, die von dem Land, in dem sie ihren rechtmäßigen Aufenthalt haben, keinen Reiseausweis erhalten können.
Zwar ist der Vortrag des Klägers, dass er sich ohne ein Identitätsdokument erheblichen Problemen bei seiner Lebensführung ausgesetzt sieht (Abschluss von Miet- und Arbeitsverträgen, Bankgeschäfte, Beantragung von Sozialleistungen, Polizeikontrollen etc.), plausibel. Die Vermeidung solcher Schwierigkeiten für Staatenlose ist auch gerade der Sinn und Zweck des Art. 28 StlÜbk. Auf der anderen Seite steht jedoch schon allein die Tatsache, dass der Kläger aufgrund von Straftaten ausgewiesen wurde, einer Ermessensreduzierung auf Null entgegen (BayVGH, B.v. 2.4.2007 – 19 ZB 06.2317 – juris Rn. 14). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Staatsbürgerschaft freiwillig aufgegeben, also die Ursache für seine Staatenlosigkeit selbst gesetzt hat (zur Vorwerfbarkeit der Aufgabe einer Staatsbürgerschaft vor Erwerb einer anderen vgl. BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 1 C 8/98 – juris Rn. 20; HessVGH, U.v. 28.5.2001 – 12 UE 363/01 – juris Rn. 22). Außerdem hat die Beklagte im Rahmen der Ablehnung der Ausstellung eines Reiseausweises zutreffend in ihre Überlegungen eingestellt, dass die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose eine den Aufenthalt legalisierende Wirkung hat (BayVGH, B.v. 11.5.2006 – 24 C 06.489 – juris Rn. 14; B.v. 2.4.2007 – 19 ZB 06.2317 – juris Rn. 14) und die Wiedereinreise des Ausländers in die Bundesrepublik ermöglicht. Daher liefe die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose der verfügten, rechtmäßigen (s.o.) Ausweisung mit Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie den darin zum Ausdruck kommenden Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwider. Das in Art. 28 S. 1 StlÜbk als Tatbestandsvoraussetzung normierte Entgegenstehen zwingender Gründe der öffentlichen Ordnung ist im Rahmen des Art. 28 S. 2 StlÜbk zumindest im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2006 – 24 C 06.489 – juris Rn. 14 a.E.), wodurch auch die oben dargelegte Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger gegen die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose spricht. Aufgrund der dargelegten Gesichtspunkte, insbesondere der Legalisierung des Aufenthaltes durch einen Reiseausweis für Staatenlose, kann demnach eine Ermessensreduzierung auf Null entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers auch nicht aus der Wohlwollensklausel des Art. 28 S. 2 Hs. 2 StlÜbk abgeleitet werden (BayVGH, B.v. 11.5.2006 – 24 C 06.489 – juris Rn. 14), selbst wenn man diese in Fällen wie dem vorliegenden für anwendbar hält (skeptisch insofern aufgrund des Fehlens eines rechtmäßigen Aufenthaltes in einem anderen Staat VGH BW, U.v. 31.3.1993 – 11 S 2146/92 – juris Rn. 22).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 S. 2 StlÜbk. Die Ermessenserwägungen der Beklagten, die nach § 114 Satz 1 VwGO nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegen, sind nicht zu beanstanden. Insbesondere liegt ein vom Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung geltend gemachter Ermessensausfall nicht vor, nachdem die Beklagte die Ausstellung des Reiseausweises unter Ziffer II. 4. ihrer Verfügung gemäß Art. 28 StlÜbk auch im Ermessenswege abgelehnt hat. Dabei hat sie über den Aspekt der (fehlenden) Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes hinaus, der Tatbestandsvoraussetzung der Anspruchsnorm des Art. 28 S. 1 StlÜbk ist und aufgrund dessen dieser Anspruch bereits eindeutig zu verneinen ist (s.o.), zutreffend in die Entscheidung eingestellt, dass jedenfalls zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung der Erteilung nicht entgegenstehen dürfen. Bei einem Antrag eines Staatenlosen, der keinen rechtmäßigen Aufenthalt i.S.d. Art. 28 S. 1 StlÜbk hat, kann dieser Aspekt im Rahmen einer Entscheidung nach Art. 28 S. 2 StlÜbk einen wesentlichen ermessensleitenden Gesichtspunkt darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2006 – 24 C 06.489 – juris Rn. 14 a.E.). Darüber hinaus hat die Beklagte dargelegt, dass es diesen öffentlichen Interessen zuwiderlaufen würde, wenn ein ausgewiesener Ausländer durch einen Reiseausweis für Staatenlose die Möglichkeit bekäme, wieder in das Bundesgebiet einreisen zu dürfen. Dabei kann der Aspekt, dass eine Ausweisung der Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose entgegenstehen würde, bereits für sich gesehen die entscheidende, tragende Ermessenserwägung gegen die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2007 – 19 ZB 06.2317 – juris Rn. 14). Ermessensfehler i.S.d. § 114 S. 1 VwGO sind daher nicht ersichtlich und (über einen Ermessensausfall hinausgehend) durch den Kläger auch nicht vorgetragen.
Im Übrigen folgt die Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.


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