Verwaltungsrecht

Ermittlung der Ausbildungskapazität – Einbeziehung von beurlaubten Studenten in den Bestand an Studierenden

Aktenzeichen  7 CE 16.10171 u. a.

Datum:
26.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
BayHSchG BayHSchG Art. 48 Abs. 2

 

Leitsatz

Bei der Beurteilung der kapazitätsdeckenden Vergabe von Studienplätzen kommt es grundsätzlich auf den Bestand der im betreffenden Studiengang eingeschriebenen Studierenden an, zu dem auch Studierende gehören, die nach Art. 48 Abs. 2 S. 1 BayHSchG beurlaubt sind. Dazu zählt auch ein Studienanfänger, der sich nach seiner Immatrikulation bereits im ersten Fachsemester beurlauben lässt (ebenso VGH München BeckRS 2013, 51449). (redaktioneller Leitsatz)
Dies gilt nicht für Studierende, die sich bereits im Vorsemester im ersten Fachsemester immatrikuliert haben, seitdem beurlaubt sind und von der Universität lediglich aus verwaltungstechnischen Gründen erneut zum Bestand des ersten Fachsemesters gerechnet werden (ebenso VGH München BeckRS 2013, 58939). (redaktioneller Leitsatz)
Aus kapazitätsrechtlicher Sicht ist für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Semesterkohorte nicht der individuelle Leistungs- oder Ausbildungsstand, sondern nur der formelle immatrikulationsrechtliche Status entsprechend dem jeweiligen Fachsemester maßgebend (ebenso VGH München BeckRS 2010, 54264). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 E L 15.10080 2016-03-14 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II.
Die Antragsteller und Antragstellerinnen tragen jeweils die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III.
Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird jeweils auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller und Antragstellerinnen (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (Vorklinik) im ersten Fachsemester an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2015/2016. Sie machen geltend, die LMU habe ihre tatsächliche Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft.
Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat die Anträge mit Beschlüssen vom 14. März 2016, den Antragstellern zugestellt am 11. April 2016, abgelehnt.
Mit den Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie tragen vor, Beurlaubungen von Studierenden im ersten Fachsemester seien generell nicht anzuerkennen und die Studienplätze insoweit als nicht „besetzt“ anzusehen. Außerdem seien aus der Zahl der eingeschriebenen Studierenden im ersten Fachsemester diejenigen Studierenden herauszurechnen, die aufgrund anrechenbarer anderer (Studien-)Leistungen „höherzustufen“ seien. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten der Antragsteller vom 25. April 2016 verwiesen. Mit weiterem Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 12. Mai 2016, beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag eingegangen, tragen die Antragsteller vor, dass bei einzelnen Lehrpersonen Minderungen der Lehrverpflichtungen nicht anzuerkennen seien.
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragsteller nicht.
1. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die LMU ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) ausgeschöpft hat. Der Senat folgt den Gründen der angefochtenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist zu bemerken:
a) Entgegen der Ansicht der Antragsteller gibt es keinen Grund, Beurlaubungen von Studierenden im ersten Fachsemester generell nicht anzuerkennen und deren Studienplätze deshalb insoweit als nicht „besetzt“ anzusehen.
Bei der Beurteilung der kapazitätsdeckenden Vergabe von Studienplätzen kommt es grundsätzlich auf den Bestand der im betreffenden Studiengang eingeschriebenen Studierenden an, zu dem – wie der Senat bereits entschieden hat – auch Studierende gehören, die beurlaubt sind (= auf Antrag aus wichtigem Grund von der Verpflichtung zu einem ordnungsgemäßen Studium befreit; Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG). Ein Studienplatz ist dementsprechend auch dann kapazitätsdeckend vergeben (und nicht mehr „frei“), wenn sich ein Studienanfänger nach seiner Immatrikulation bereits im ersten Fachsemester beurlauben lässt (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 21.5.2013 – 7 CE 13.10024 – juris Rn. 12). Die Berücksichtigung der beurlaubten Studierenden im Bestand der eingeschriebenen Studierenden ist sachlich gerechtfertigt, weil beurlaubte Studierende nach Ende ihrer regelmäßig zwei Semester nicht überschreitenden Beurlaubung (vgl. Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayHSchG) das Lehrangebot im Studiengang weiterhin nachfragen und dieses deshalb nicht dauerhaft entlasten.
Etwas anderes gilt – wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 21.10.2013 – 7 CE 13.10252 u. a. – juris Rn. 14 f.) – ausnahmsweise dann, wenn sich Studierende bereits im Vorsemester (im ersten Fachsemester) immatrikuliert haben und seitdem beurlaubt sind. Denn diese Studierenden werden von der LMU lediglich aus verwaltungstechnischen Gründen (erneut) zum Bestand des (streitgegenständlichen) ersten Fachsemesters gerechnet. Eine solche „Mehrfachzählung“ von Studierenden als Studienanfänger im ersten Fachsemester ist mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der erschöpfenden Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten jedoch unvereinbar, da sie zur Folge hätte, dass diese Studierenden ohne sachlichen Grund wiederholt die für Studienanfänger vorgesehenen und neu zu vergebenden Studienplätze im ersten Fachsemester „blockieren“. Das Verwaltungsgericht hat deshalb zu Recht in seiner angefochtenen Entscheidung die fünf Studierenden, die bereits im Vorsemester als Studienanfänger eingeschrieben waren und seitdem beurlaubt sind, aus den Bestandszahlen der eingeschriebenen Studierenden für das streitgegenständliche erste Fachsemester (Wintersemester 2015/2016) herausgerechnet. Gleichwohl ist die Zulassungszahl von 880 Studienplätzen erschöpft. Noch zu besetzende („freie“) Studienplätze sind nicht vorhanden.
b) Entgegen der Ansicht der Antragsteller gibt es ferner keinen Grund, aus der Zahl der eingeschriebenen Studierenden im ersten Fachsemester diejenigen Studierenden herauszurechnen, die möglicherweise aufgrund anrechenbarer anderer (Studien-)Leistungen Anspruch auf Zulassung zu einem höheren Fachsemester hätten. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass aus kapazitätsrechtlicher Sicht für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Semesterkohorte nicht der individuelle Leistungs- oder Ausbildungsstand, sondern nur der formelle immatrikulationsrechtliche Status entsprechend dem jeweiligen Fachsemester maßgebend ist. Demnach ist die LMU auch nicht verpflichtet, bei der Immatrikulation nach etwaigen anrechenbaren Leistungen aus einem vorhergehenden Studium zu fragen. Sie darf vielmehr davon ausgehen, dass jeder für das erste Fachsemester antragsgemäß zugelassene Studienanfänger Anspruch auf Ausbildung in diesem Semester hat und damit auch den entsprechenden Studienplatz besetzt (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 22.7.2008 – 7 CE 08.10488 – juris Rn. 8)
c) Die von der Bevollmächtigten der Antragsteller mit Schriftsatz vom 12. Mai 2016 nach Ablauf der Begründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und damit verspätet neu erhobenen Einwände (bezüglich der Minderungen der Lehrverpflichtungen bei einzelnen Lehrpersonen) sind für die gerichtliche Entscheidung nicht erheblich (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 146 Rn. 19).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung in den erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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