Verwaltungsrecht

Ernstliche Zweifel an der Ablehnung eines Asylantrags als “offensichtlich unbegründet” im Fall drohender Genitalverstümmelung

Aktenzeichen  AN 9 S 18.31173

Datum:
4.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24390
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 6, § 30 Abs. 3 Nr. 7, § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

Die geltend gemachte Befürchtung der Genitalverstümmelung ist bei Bestehen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit geeignet, die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz als “geschlechtsbezogene Handlung” zu rechtfertigen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den in Ziffer 5 des Bescheids vom 25. September 2018 ausgesprochene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Die am … 2016 geborene Antragstellerin ist äthiopische Staatsangehörige, das Asylverfahren ihrer Mutter blieb erfolglos und wurde laut Begründung des angefochtenen Bescheids seit 17. Januar 2017 rechtskräftig abgelehnt.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2018 zeigte das Landratsamt … die Geburt der Klägerin dem Bundesamt gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG an. Die Mutter der Antragstellerin wurde am 19. Juni 2018 in … zu den Asylgründen der Antragstellerin befragt und verwies dabei insbesondere auf die dieser in Äthiopien drohende Gefahr der Genitalverstümmelung, der Zwangsverheiratung bzw. der Vergewaltigung. Am 5. Juli 2018 ging beim Bundesamt ein ärztliches Attest des Dr. …vom 26. Juni 2018 ein, nach dem die Antragstellerin nicht beschnitten ist.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25. September 2018, den Antragstellervertretern zugestellt am 26. September 2018, wurden der Antrag auf Asylanerkennung wie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffern 1 und 2), ebenso wie der Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3). In Ziffer 4 wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, in Ziffer 5 wurde die Antragstellerin aufgefordert, die Bundesrepublik binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und ihr die Abschiebung nach Äthiopien angedroht. Auf den Inhalt des Bescheids wird verwiesen.
Mit am 1. Oktober 2018 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 25. September 2018 erheben und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin übermittelte dem Gericht die Asylakte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte, insbesondere der dort enthaltenen Schreiben und Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antrag hat Erfolg, da ernstliche Zweifel an der Offensichtlichkeitsentscheidung bestehen, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Demnach darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil oder der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung – insbesondere das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Derartige Zweifel bestehen vorliegend. Die Ablehnung der Anträge in den Ziffern 1 bis 3 des angefochtenen Bescheids als offensichtlich unbegründet findet ihre Grundlage weder in der von der Antragsgegnerin der Entscheidung zugrunde gelegten Norm des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG noch in anderen Offensichtlichkeitstatbeständen des § 30 AsylG.
Nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a AsylG als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Diese Vorschrift soll eine als missbräuchlich anzusehende Asylbeantragung verhindern. Davon kann ausgegangen werden, wenn nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags der Eltern oder eines sorgeberechtigten Elternteils für das Kind keine eigenen Asylgründe geltend gemacht werden (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand November 2017, § 30 AsylG Rn. 99, VG Ansbach, B.v. 28.6.2018 – AN 3 S 18.30783 – juris). Die Vorschrift dient dann auch der Verfahrensbeschleunigung.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Das Asylverfahren der Mutter der Antragstellerin ist seit Januar 2017 rechtskräftig abgeschlossen, Anhaltspunkte für ein anhängiges Folgeverfahren bestehen derzeit nicht. Da das Asylverfahren für die Antragstellerin auf Grund des § 14a Abs. 2 AsylG als gestellt erachtet wurde, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass dies in missbräuchlicher Absicht geschah. Im Übrigen war nach den Angaben des Landratsamtes … im Vorlageschreiben der Aufenthalt der Mutter der Antragstellerin bis 15. August 2018 erlaubt, so dass für eine missbräuchliche Asylantragstellung damals unter dem Gesichtspunkt einer Verzögerung der Abschiebung bisher kein Anlass bestand.
Die Mutter hat im Asylverfahren dargelegt, dass nach ihrer Auffassung für die Antragstellerin eigene Asylgründe vorliegen, welche sie auch ausführlich dargestellt hat. Die geltend gemachte Befürchtung der Genitalverstümmelung ist bei Bestehen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit geeignet, die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz als „geschlechtsbezogene Handlung“ zu rechtfertigen, § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG (vgl. z.B. VG Ansbach, U.v. 27.9.2016 – AN 3 K 16.30877 – juris Rn. 19 m.w.N.). Die Mutter der Antragstellerin hat die Befürchtung, sie könne die Beschneidung ihrer Tochter nicht verhindern, vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Lebensverhältnisse in der Anhörung ausführlich vorgetragen, auch daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Asylantragstellung. Im Hinblick auf die Asylantragsbegründung erscheint auch die geltend gemachte Befürchtung, die Beschneidung der Antragstellerin für den Fall einer Rückkehr nach Äthiopien nicht verhindern zu können, nicht als von vorneherein ausgeschlossen, so dass der geltend gemachte Asylgrund nicht von vorneherein als völlig aussichtslos einzuschätzen ist.
Nachdem auch andere Gründe für die Offensichtlichkeitsentscheidung nicht vorliegen, bestehen an der ausgesprochenen Abschiebungsandrohung die oben dargestellten ernstlichen Zweifel, weshalb dem Antrag stattzugeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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