Verwaltungsrecht

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids

Aktenzeichen  AN 4 S 17.31056

Datum:
29.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 114 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 30a, § 36 Abs. 3 S. 1, S. 5, S. 6, S. 7, Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Angesichts der gesetzlichen Verpflichtung des Gerichts zu einer besonders beschleunigten Entscheidung über den Eilantrag nach § 36 Abs. 3 S. 5 bis 7 AsylG, der völlig fehlenden Begründung des Bundesamts zur Feststellung des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots iSd § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bezüglich Armenien und angesichts immerhin vergleichsweiser konkreter und substantiierter Ausführungen des Antragstellers zu seinen Fluchtgründen und solcher seiner Familie bestehen ernstliche Zweifel“ iSd § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der unter dem Az.: AN 4 K 17.31057 anhängigen Klagen gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2017 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässigen Anträge der Antragsteller zu 1), 2) und 3), Ehegatten mit einem 2015 geborenen Kind, nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG haben Erfolg, weil „ernstliche Zweifel“ im Sinne von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG jedenfalls insoweit gegen die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 17. Februar 2017 bestehen, als darin ausgeführt wird: Es drohe den Antragstellern auch keine individuelle Gefahr für Leib und Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Dabei komme es nicht darauf an, von wem die Gefahr ausgehe und wodurch sie hervorgerufen werde, es müsse jedoch über die Gefahren hinaus, denen die Bevölkerung (des Herkunftslandes der Antragsteller) allgemein ausgesetzt sei, eine besondere Fallkonstellation gegeben sein, die als gravierende Beeinträchtigung die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutlich übersteige (Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, die den Antragstellern bei Rückkehr nach Armenien drohen könnten, seien jedoch „nicht vorgetragen“ und lägen auch nach Erkenntnissen des Bundesamtes nicht vor. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liege daher nicht vor.
Der Antragsteller zu 1) hat jedoch immerhin vergleichsweise sehr detaillierte Ausführungen dazu gemacht, dass und weshalb sein ehemaliger Chef ihm gedroht habe, er werde seine Frau (Antragstellerin zu 2)) und sein Kind (Antragstellerin zu 3)) „holen“ (vgl. Vorprüfungsniederschrift des Antragstellers zu 1), S. 4 unten) bzw. jedenfalls seiner Frau (Antragstellerin zu 2) „etwas antun“ (vgl. Vorprüfungsniederschrift des Antragstellers zu 1), S. 5 oben), wenn er das Geld für die verloren gegangenen Weidetiere (insgesamt ca. 27.000 US-Dollar, vgl. auch Vorprüfungsniederschrift des Antragstellers zu 1), S. 6 unten) nicht fristgerecht bis Mitte März 2016 aufbringe bzw. seinem ehemaligen Chef bezahlen würde (was nicht geschehen sei), sein ehemaliger Chef sei so einflussreich, dass er den Antragsteller zu 1) und damit mittelbar auch die Antragstellerinnen zu 2) und zu 3) „überall finden“ könne.
Die Verneinung von Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hätte hier einer detaillierten Begründung bedurft, an der es jedoch völlig fehlt. Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass es sich bei der Entscheidung über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG um eine gebundene Rechtsentscheidung, nicht etwa um eine Ermessensentscheidung handelt. Demgemäß führt aus der Sicht des erkennenden Gerichts eine defizitiäre oder, wie hier, sogar völlig fehlende Begründung für die Verneinung der Tatbestandsvoraussetzungen der maßgeblichen Norm, hier § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bzw. nicht ohne weiteres dazu, dass die angefochtene Verwaltungsentscheidung insoweit rechtswidrig wäre, nachdem das Gericht grundsätzlich verpflichtet ist, über die Rechtsfrage, ob die Voraussetzungen der entscheidungserheblichen Norm, hier § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, erfüllt sind oder nicht, selbst vollumfänglich zu entscheiden hat, und zwar ohne die Grenzen des § 114 Atz 1 VwGO.
Im vorliegenden Fall sieht das erkennende Gericht jedoch die Besonderheit darin, dass die gerichtliche Entscheidung in einem kraft Gesetzes (vgl. § 36 Abs. 3 Sätze 5 bis 7 AsylG) besonders beschleunigten, unter Fristvorgaben gestellten Eilverfahren zu treffen ist, wohingegen eine vergleichbare gesetzliche Fristbestimmung für eine besonders beschleunigte Entscheidungsfindung für das Bundesamt nicht gilt. Auch die Vorschrift über das beschleunigte Verfahren nach § 30 a AsylG stellt lediglich eine Ermächtigung für das Bundesamt dar, das Asylverfahren im Rahmen seines Ermessens auf beschleunigte Weise durchzuführen. Angesichts dieser geschilderten gesetzlichen Verpflichtung des Gerichts zu einer besonders beschleunigten Entscheidung über den Eilantrag einerseits, der völlig fehlenden Begründung des Bundesamts zur Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits und ferner angesichts des Umstandes, dass der Antragstellers zu 1) immerhin vergleichsweise konkrete und substantiierte Ausführungen zu seinen und seiner Familie (Antragstellerinnen zu 2) und 3)) Fluchtgründen gemacht hat, die auch bei der gebotenen vertieften summarischen Überprüfung nicht von vorne herein eindeutig unbehelflich sind (mag auch nicht völlig ausgeschlossen sein, dass sie sich letztlich als unbehelflich erweisen werden), d.h. nach der erforderlichen genauen Abklärung und Würdigung, bestehen aus Sicht des erkennenden Gerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren „ernstliche Zweifel“ im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Entscheidung, jedenfalls hinsichtlich der Feststellung des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG bezüglich Armenien.
Auf die zusätzlich vom Antragsteller zu 1) geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Depressionen) braucht daher nicht eigens näher eingegangen zu werden.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskostenfreiheit: § 83 b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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