Verwaltungsrecht

Ersatzorganisation einer verbotenen islamischen Vereinigung

Aktenzeichen  4 A 13.2447

Datum:
27.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VereinsG VereinsG § 3, § 8 Abs. 1, § 10, § 14 Abs. 1
GG GG Art. 4, Art. 9 Abs. 2, Art. 79 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1
EMRK EMRK Art. 6 Abs. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1
BVerfSchG BVerfSchG § 4 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Unter die Vermögensbeschlagnahme nach § 10 VereinsG fallen auch Gegenstände, die der Verein durch Übergabe in die treuen Händen eines Dritten ggf. beiseite schaffen und tarnen wollte oder die ein Dritter als Treuhänder für den Verein erworben hat. (redaktioneller Leitsatz)
2 Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 EMRK sind auf das Verwaltungsverfahren nicht anwendbar. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ist Gegenstand der Feststellung und des ihr vorangehenden Ermittlungsverfahrens allein die Natur als Ersatzorganisation, ist das Vorliegen von eigenständigen Verbotsgründen weder zu prüfen noch festzustellen. (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine als Ersatzorganisation festgestellte Vereinigung kann sich im Rechtsschutzverfahren ausschließlich mit der Begründung wehren, dass sie nicht die verfassungswidrigen Bestrebungen eines nach § 3 VereinsG verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolge. (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Aktenzeichen: 4 A 13.2447
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 27. Januar 2016
4. Senat
Sachgebietsschlüssel: 523
Hauptpunkte:
Feststellungsverfügung
Ersatzorganisation
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache

gegen
Freistaat Bayern, vertreten durch: Landesanwaltschaft Bayern, Ludwigstr. 23, 80539 München,
– Beklagter –
wegen Vereinsgesetz;
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Wagner, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Greve-Decker aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. Januar 2016 am 27. Januar 2016 folgendes Urteil:
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Das Bayerische Staatsministerium des Innern stellte mit Verfügung vom 17. September 2013 fest, dass der Kläger „Kultur- und Bildungszentrum Ingolstadt e.V.“ (gegründet am 31. Mai 2009) kraft Gesetzes verboten sei, weil er eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung „Islamisches Zentrum Ingolstadt e.V.“, einer verbotenen Teilorganisation der mit Verfügung vom 8. Dezember 2001 durch das Bundesministerium des Innern gemäß § 3 Abs. 1 VereinsG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 GG und § 14 VereinsG verbotenen Vereinigung „Kalifatsstaat“ („Hilafet Devleti“) sei. Der Verein „Kultur- und Bildungszentrum Ingolstadt e.V.“ (Merkez Moschee) werde aufgelöst. Wegen der weiteren Verfügungen in den Nummern 3 bis 8 der angefochtenen Verfügung wird auf diesen Bescheid verwiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger verfolge die verfassungsfeindlichen Bestrebungen des rechtskräftig verbotenen „Kalifatsstaats“ weiter und fördere die Verbreitung der von dieser Vereinigung verfolgten Ideologie, indem an die Arbeit des als Teilorganisation des „Kalifatsstaats“ verbotenen Vereins „Islamisches Zentrum Ingolstadt e.V.“ in örtlicher, sachlicher und personeller Hinsicht angeknüpft werde. Diese Verfügung wurde am 22. Oktober 2013 anlässlich des Vollzugs des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 18. Oktober 2013 (M 7 E 13.4275) ausgehändigt.
Der Kläger hat am 22. November 2013 Klage erhoben. Den zugleich gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat der Senat mit Beschluss vom 21. Mai 2014 (Az. 4 AS 13.2448) abgelehnt.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 17. September 2013 aufzuheben.
Die Feststellung der Beklagten, der Kläger sei eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung „Islamisches Zentrum Ingolstadt e.V.“, sei unrichtig.
Die Verfügung sei bereits deshalb aufzuheben, weil der Beklagte rechtswidrig auf die Anhörung des Vereins verzichtet habe. Die dafür gegebene Begründung sei abwegig. Sollte der Beklagte an die Möglichkeit weiterer Maßnahmen gedacht haben, so liege der allergrößte Ankündigungseffekt hinsichtlich weiterer Beschlagnahme- und Sicherstellungsaktivitäten gerade in den am 22. Oktober 2013 durchgeführten Maßnahmen. Grund für die Verweigerung des rechtlichen Gehörs sei die Absicht, eine angemessene Rechtsverteidigung zu unterbinden, die die Wiederaufnahme der Vereinstätigkeit selbst dann vereiteln oder unzumutbar erschweren würde – z. B. in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Mietvertrags über die Vereinsräumlichkeiten -, wenn der Kläger bei Gericht obsiege. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagte über V-Leute des Verfassungsschutzes jedes Vereinsmitglied kenne, während den Kläger die Verbotsverfügung unvorbereitet treffe, sei es rechtswidrig, die geschuldete Anhörung zu unterlassen. Damit würden der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip, der Anspruch auf rechtliches Gehör und Art. 6 EMRK verletzt. Die Verbotsverfügung könne nur rechtmäßig sein, wenn gleichzeitig Tatbestandsmerkmale der §§ 84 bis 92 StGB verwirklicht seien, wie auch umgekehrt die Verwirklichung der dortigen Tatbestandsmerkmale die Verbotsverfügung zeitige und begründe. Gegen kein einziges Mitglied laufe ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, was aber der Fall sein müsste, wenn an eine greifbare Gefahr zu denken wäre. Darüber hinaus sei das Fehlen solcher Umstände ein zuverlässiges Indiz dafür, dass der Kläger sowieso keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolge. Was unter Zugrundelegung der §§ 84 ff. StGB erlaubt und nicht einmal eines Ermittlungsverfahrens wert sei, könne nicht nach dem Vereinsgesetz verboten sein.
Wäre der Kläger angehört worden, hätte er u. a. auf den Aspekt aufmerksam machen können und wollen, dass neben der allgemein lückenlosen Telefonüberwachung V-Leute des Beklagten und anderer Dienste den Beklagten durchgängig begleiteten und überwachten. Der Beklagte hätte dies intern auf kurzem Dienstweg für sich selbst aufklären müssen und ein Problem mit der Verfügung gehabt, das er durch die Verweigerung der Anhörung habe umgehen können. Im zentralen Hauptanliegen des Vereins – der Ausübung des Freitagsgebets im Wohngebiet Ingolstadt-Innenstadt (Merkez) – gebe es auch seitens des Beklagten nichts zu beanstanden. Aus der Verbotsverfügung wisse der Kläger die Namen eines Teils der möglichen V-Leute. Darunter befänden sich fremde Personen, die in dem Verein aus dem Nichts aufgetaucht und zwischenzeitlich dorthin wieder verschwunden seien. Insoweit werde der Beklagte aufgefordert, von allen Personen, die er in der angefochtenen Verfügung in Verbindung mit Umständen benenne, die den Kläger belasten (sollten), die vollständigen Anschriften bekannt zu geben. Diese Zeugen seien ohnehin das originäre Beweismittel. Es gehe nicht an, dass etwa ein Ö… Ö… (S. 28 der Verfügung) für das Verfahren nicht greifbar sei, weil der Beklagte die ihm bekannte bzw. von ihm mit Leichtigkeit zu ermittelnde Anschrift verheimliche.
Des Weiteren habe der Beklagte das Problem, dass sein Verfassungsschutz, worauf dieser selbst hinweise, nur ein Nachrichtendienst sei. Er sammle Nachrichten, was noch lange nicht in sich trage, dass er diese auch mit einer Zuverlässigkeit deuten könne, die den Ansprüchen des Rechtsstaats genüge. Die auf der Beklagtenseite für die Ausarbeitungen zuständigen Sachverständigen und deren akademische Qualifikation in den hier maßgeblichen Bereichen sollten genannt werden. Es sei nicht zu übersehen, dass auf 49 Seiten kein einziger Zeuge oder Sachverständiger als Beweis benannt sei, aber pauschal auf Bücher hingewiesen werde; so als ob ein solcher Hinweis samt unbewiesener Behauptungslage ausreichend wäre, um dem Kläger verfassungsfeindliche Zielsetzungen anzulasten. Wie vordergründig und unverständig der Beklagte argumentiere, zeige sich daran, dass alles, was mit dem Begriff Djihad einhergehe, als Hinweis auf eine militärische Auseinandersetzung und diesbezügliche Aufrufe gewürdigt werde. Dabei habe es sich auch in Deutschland längst herumgesprochen, dass es sich dabei um eine Fehlinterpretation westlicher Kreise handle. „Jihad“ bedeute Anstrengung auf dem Weg zu Gott.
Der Kläger verfolge keine verfassungsfeindlichen Ziele. Schon deshalb könne es sich um keine Nachfolgeorganisation der im Jahr 2001 verbotenen Vereinigung handeln. Das geistige Werk des Cemaleddin Kaplan (gestorben 1995) sei nicht verboten worden. § 8 Abs. 1 VereinsG billige jede Ersatzorganisation, außer einer solchen, die die verfassungswidrigen Bestrebungen der Vorgängerorganisation weiterverfolge. Da aus objektiver Sicht eine Ersatzorganisation nicht nur aufgelöst gehöre, wenn sie die verfassungsfeindlichen Ziele der Vorgängerorganisation verfolge, sondern wenn sie überhaupt irgendwie geartete verfassungsfeindliche Ziele verfolge, setze sich die Klageschrift damit auseinander. Bei dem Kläger könne es sich um keine Ersatzorganisation des Kalifatsstaats handeln. Im Verein gebe es eine Frauenabteilung, wo sich gläubige Frauen selbstständig und unabhängig träfen und Reisen z. B. nach München und Nürnberg unternähmen. Sie gingen auswärts shoppen, ins Kino und feierten unter sich mit Musik und DJ´s. All dies sei mit den Vorstellungen des Cemaleddin Kaplan unvereinbar und zeige, dass sich die Mitglieder nicht mehr in die extremen Schranken eines Metin Kaplan verweisen ließen. Die Tochter des in der Verfügung „angefeindeten“ S… A… (S. 33-35) studiere an der katholischen Universität Eichstätt. Daran könne man beurteilen, wie die Jugendarbeit aussehe, die man ihm anlaste. Auch bezüglich des bei ihm sichergestellten Materials aus der Zeit vor dem Verbot des Kalifatsstaats sei der Hinweis „Vorsicht Täuschung“ veranlasst, denn das Kalifat des Cemaleddin Kaplan habe mit dessen Tod geendet und noch im Verfassungsschutzbericht des Jahres 1996 sei davon ausgegangen worden, dass sich der Kalifatsstaat in der derzeitigen ersten Phase der friedlichen Verkündigung befinde. Ob damals hinreichend differenziert worden sei und versehentlich mehr Bücher beanstandet worden seien als erlaubt, sei nicht bekannt.
Zahlungen leiste man in Ingolstadt nur an den eigenen Verein, um den Betrieb der Moschee zu gewährleisten. Ein Gotteshaus für Muslime in südbayerischen Stadtzentren anzumieten und zu betreiben, sei mit extremen Schwierigkeiten verbunden. Deshalb habe es sich selbstverständlich aufgedrängt, an den früheren Vermieter der „Merkez“ heranzutreten, um die verfahrensgegenständliche Gebetsstätte anzumieten. Eine Dachorganisation über dem Kläger existiere nicht. Wenn eine oder mehrere Personen sich unqualifiziert und insoweit gegen die Verfassung äußerten, liege darin noch lange keine Verfassungsfeindlichkeit, solange sich da niemand unterordnen müsse.
Die angefochtene Verfügung müsse gegenüber dem Kläger die Hürden des Art. 4 GG und des Art. 9 EMRK nehmen. Der Islam sei nicht unmoralisch. Solange niemand in „Strukturen“ hineingezwungen werde und jeder dem Kläger, wenn er zudem friedlich sei, fern bleiben dürfe, habe sich der Staat daran nicht zu stören. Die angefochtene Verfügung gebe dafür, dass sich der Kläger gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik stelle, nichts her. Jede Glaubensregel des Islam gelte nur mit der einschränkenden Vorgabe des Koran: „In der Religion gibt es keinen Zwang.“ Man müsse nur die unerträglichen Passagen der alten Schriften der anderen Religionen zitieren und das Gute – die gute Absicht – zurückhalten, dann könne man (bei Unwissenden) alles beweisen. Die von dem Beklagten behaupteten Tatsachen, die sich auf den im Jahr 2009 gegründeten Verein bezögen und zunächst noch eines Beweises bedürften, da sie bestritten seien, soweit sie in diesem Verfahren nicht ausdrücklich zugestanden würden, seien nicht hinreichend, um daraus ein aggressivkämpferisches Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik abzuleiten. Die Vorstände des Vereins und seine wahren Mitglieder stünden auf dem Boden des Grundgesetzes und seien gewaltfrei.
Die Besuche der in der Verfügung genannten Veranstaltungen seien nicht zu beanstanden.
In Herne sei der 1. Vorsitzende S… genau einmal zum Besuch einer vom Beklagten genannten Veranstaltung gewesen. Er habe in seinem Auto noch einen Mitfahrer gehabt. Wer ansonsten noch aus Ingolstadt dort gewesen sei, habe sich nicht einmal mit S… abgesprochen. Dieser sei vorzeitig wieder nach Hause gefahren, weil es ihm dort nicht gefallen habe. Was solle daran zu beanstanden sein? Die Fahne des Djihad sei ebenso wenig zu beanstanden wie das „Eiserne Kreuz“, welches ein christlichkriegerisches Symbol der Deutschen sei – Deutscher Ritterorden/Freiheitskriege/Weltkriege – und das Dienstflugzeug der Bundeskanzlerin ziere. Der Besuch sei keine Vereinsveranstaltung gewesen und dem Verein nicht zuzurechnen. Strukturen unguter Art behaupte der Beklagte selbst nicht.
In Bezug auf Blumberg habe der Vorstand den Verdacht, dass es sich bei der Fahrt um eine Veranstaltung des Geheimdienstes handele. Verdächtig seien die jungen Männer O… und Ö…. Nur den A… S… rechne sich der Verein selbst zu, den anderen Herrn S… aber nicht. Das angebliche Ermittlungsverfahren, bei dem sich offenbar nichts Verdächtiges ergeben habe, möge beigezogen werden.
Das Vorbringen zum 16. März 2013 in Ingolstadt belege, dass die Geheimdienste bei allen Veranstaltungen anwesend seien und dass es nichts zu beanstanden gebe. Es sei dem Beklagten vollkommen gleichgültig, dass keine verfassungsfeindlichen Ziele gepredigt worden seien. Einer von 50 Anständigen, der sich anständig benommen habe, solle früher unanständig gewesen sein. Das sei oft so, wenn 50 Leute zusammenträfen.
In Solingen solle von Dritten gegen die öffentliche Präsentation von Mohammed-Karikaturen demonstriert worden sein. Dass jemand aus Ingolstadt dabei gewesen sei, sei aus freiheitlichdemokratischer Sicht zu begrüßen. Sofern ein Demonstrant dabei nur in vorübergehenden Polizeigewahrsam geraten sei und der Geheimdienst ansonsten nichts zu berichten wisse, heiße das nichts anderes, als dass der Betreffende gewaltfrei gewesen sei, wo im Übrigen selbst eine geringfügige Straftat noch lange nicht den Schluss auf eine Verfassungsfeindlichkeit gerechtfertigt hätte. Da trotz allem nichts vorgefallen sei, sei Solingen positiv zu bewerten. Der Auftritt in Solingen sei keine Vereinsveranstaltung gewesen. Die Vorsitzenden hätten davon nichts gewusst. Anscheinend seien unter den Leuten aus Ingolstadt die V-Leute des Geheimdienstes gewesen, die sich mehr erwartet haben könnten. Dass der Verfassungsschutz dort auch mit den Ingolstädtern dabei gewesen sei, sei ohnehin unstreitig.
In Bezug auf den Kalender und die Bücher sei dem Bevollmächtigten des Klägers, aber auch verschiedenen Stellen der Justiz bekannt, dass der Beklagte im Bereich der verfassungsrelevanten Bewertung von Büchern, die sich in Händen von gläubigen Muslimen befänden, nicht über die erforderliche Sachkunde verfügten. Der angesprochene Kalender sei für gläubige Muslime erforderlich, weil darin die – ständig wechselnden – Gebetszeiten aufgelistet seien. Die darin enthaltenen Worte des verstorbenen Cemaleddin Kaplan seien oft besonders klug und sogar für Andersdenkende wertvoll und weiterbildend. Die zwei Bücher auf zwei Fensterbänken gehörten nicht dem Kläger. Dem Vereinsvorstand seien sie nicht bekannt. Es sehe so aus, als ob sie jemand bewusst so ausgelegt habe, damit sie bei der vorausgeplanten Nachsuche ja nicht übersehen würden. Die sonstigen Bücher (Seite 43), die beanstandet würden, seien Geschichtsbücher, die die Zeit des Propheten beträfen.
Die behördliche Forderung nach pauschaler Distanzierung von der Scharia und die dahinter stehende Vorstellungswelt politischer Stellen sei verfassungswidrig. Sie griffen die Religionsfreiheit in ihrem Kernbereich an. Den Bedenken dürfte zugrunde liegen, dass einerseits in der in Deutschland veröffentlichten Meinung die Scharia als etwas dargestellt werde, wo es um Händeabhacken und Steinigen gehe, aber anderseits verkannt werde, dass selbst das Bundesverfassungsgericht Scharia-Vorschriften Verfassungsrang zuerkannt habe (Schächten von Schlachttieren).
Wenn die angefochtene Verfügung auf Seite 32/33 auf eingestellte Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I abhebe, verkenne sie die Unschuldsvermutung. Die Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO erfolge, ohne dass eine rechtswidrige Tat nachgewiesen sei, unter der Voraussetzung, dass kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe. Amtsanzeigen sei indes seitens der Staatsanwaltschaft stets Folge zu leisten. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte und die Anzeigenerstatter aus seinem Bereich den Argumenten der Staatsanwaltschaft nichts hätten entgegensetzen können. Das Ermittlungsverfahren nach § 85 StGB, welches sich über die Jahre 2004 bis 2006 erstreckt habe, und dessen Ausgang bewiesen indiziell hinsichtlich jedes einzelnen „Vereinsverdächtigen“, dass an den Vorwürfen des Beklagten nichts dran sei.
Das Video sei dem Verein nicht zuzurechnen. Es sei von vereinsfremden Leuten, deren Namen und Anschriften sicher dem Beklagten, aber nicht dem Kläger bekannt seien, inszeniert worden. Zwei junge „Vereinsmitglieder“, von denen jedenfalls einer der V-Mann-Szene zugerechnet werde, seien auch dabei gewesen. Sofern es sich nicht um einen der üblen Facebook-Streiche von dummen Jungen handele, die sich wichtig machen wollten, komme als näherliegende Alternative nur eine von außen gesteuerte Aktion zur Diskreditierung des Klägers in Betracht. Der 1. Vorsitzende S… habe nicht einmal Zugang zu Facebook, was bereits zeige, dass es sich dabei nicht um die Präsentationsebene des Vereins handeln könne.
Der Kläger hat seinen Parteivortrag im Eilverfahren mit Schriftsatz vom 5. Februar 2014 sowie im Klageverfahren mit Schriftsätzen vom 18. Juli 2014 und 12. Januar 2016 vertieft.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte habe vor Bekanntgabe der Verbotsverfügung zu Recht auf eine Anhörung des Klägers verzichtet (Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG). Auch eine Verletzung des Fairtrial-Grundsatzes (Art. 6 Abs. 2 EMRK) liege nicht vor. Mit der feststellenden Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 VereinsG sei noch kein strafrechtlicher Vorwurf verbunden. Zwischen den Straftatbeständen des § 85 Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG sowie § 8 VereinsG bestehe ein Alternativverhältnis.
Der Nachweis einer Ersatzorganisation sei hinreichend geführt worden. Die in der Verbotsverfügung genannten Übersetzungen aus dem Türkischen sowie die Auslegung der vom Kläger verwendeten islamischen Begriffe und der aufgefundenen islamistischen Literatur seien von sachverständigen Mitarbeitern des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz vorgenommen worden. Insbesondere bei der Auslegung des Begriffs „Jihad“ werde von Seiten des Beklagten nicht in Abrede gestellt, dass dieser u. a. „Anstrengung“ bzw. das friedliche „Erstreben eines gottgefälligen Lebens“ bedeuten könne. Der Kläger bzw. die aufgefundenen Schriften, die sich der Kläger zurechnen lassen müsse, bezögen sich jedoch gerade u. a. auf den Einsatz „des Schwertes“; zudem sei von „Bewaffnung“ und dem „Aufstellen einer Armee“ die Rede. Der Kläger verwende den Begriff „Jihad“ also mehrfach in einer gewaltbefürwortenden Auslegung. Zudem könnten auch nicht physisch gewalttätige, dem „Jihad“ zurechenbare Taten ein Bekämpfen der verfassungsmäßigen Ordnung begründen, beispielsweise das Sammeln von Geldspenden oder das Werben für den bewaffneten Kampf sowie die Unterstützung und Billigung von Gewalttaten und -tätern.
Entgegen der Klagebegründung komme es auch nicht primär darauf an, ob eine Ersatzorganisation eigene Verbotsgründe nach Art. 9 Abs. 2 GG erfülle. Vielmehr genüge der Nachweis, dass der Verein eine Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins sei, denn die Feststellungsverfügung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 VereinsG beschränke sich auf diesen Tatbestand. Maßgebliche Kriterien seien dabei, ob eine neu gebildete Organisation in der Art ihrer Betätigung, in der Verfolgung ihrer Ziele, nach den in ihr wirksamen Kräften, nach dem Kreis der Angesprochenen, nach der Haltung ihrer Anhänger und nach dem aus der zeitlichen Abfolge des Geschehens erkennbaren Zusammenhang dazu bestimmt sei, eine verbotene Vereinigung zu ersetzen. Im Fall des Klägers sei dies aus den in der Verbotsverfügung näher dargelegten Gründen offensichtlich. Die Verbotsverfügung richte sich von vornherein nicht gegen die islamische Religionsausübung, sondern gegen die Fortführung der verfassungswidrigen Bestrebungen einer bestandskräftig verbotenen Vereinigung („Kalifatsstaat“), die in aggressivkämpferischer Weise die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel habe bzw. gehabt habe. Der Kläger werde wohl nicht ernsthaft vertreten, dass aggressivkämpferische Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung nach seinem Verständnis vom Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasst seien.
Das am 14. November 2006 nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellte Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I (Az. 111 Js 1224/04) wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot gemäß § 85 StGB stehe dem Vereinsverbot durch das StMI nicht entgegen. Hinzu komme, dass sich die Verfahrensgegenstände maßgeblich unterschieden: Anlass des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sei der Verdacht gewesen, der „Kultur- und Bildungszentrum Ingolstadt e.V.“ sei eine Nachfolgeorganisation des verbotenen Teilvereins, was bereits als solches strafbar wäre (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. StGB bzw. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1., 1. Alt. VereinsG). Demgegenüber beschränke sich das vereinsrechtliche Verbot auf die Feststellung, dass der Verein eine Ersatzorganisation des verbotenen Teilvereins sei. Die Strafbewehrung greife in diesen Fällen erst mit Unanfechtbarkeit bzw. Vollziehbarkeit der Feststellung nach § 8 VereinsG (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. StGB bzw. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt. VereinsG). Schließlich sei auch zu beachten, dass das vereinsrechtliche Verbot auf weitere Erkenntnisse gestützt sei, als sie im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorgelegen hätten. Die Verbotsverfügung habe schlüssig und umfassend dargelegt, dass der Kläger in geradezu unverhohlener und offensichtlicher Weise die Aktivitäten des verbotenen „Islamischen Zentrums Ingolstadt e.V.“ an dessen Stelle fortgeführt habe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die angefochtene Verfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Bescheid leidet nicht an formellen Mängeln.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers bedurfte es seiner Anhörung vor Erlass der Verfügung nicht. Insoweit sind im Hauptsacheverfahren keine neuen Gesichtspunkte zutage getreten, so dass der Senat uneingeschränkt an seiner im Beschluss vom 21. Mai 2014 (Az. 4 AS 13.2448) dargestellten Rechtauffassung zur formellen Rechtmäßigkeit der Verfügung festhält:
Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG kann von einer Anhörung abgesehen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Vereinsrecht (U. v. 13.4.1999 – BVerwG 1 A 3.94 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 30 S. 3, B. v. 10.1.2003 – BVerwG 6 VR 13.02 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 38 S. 61, U. v. 3.12.2004 – BVerwG 6 A 10.02 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 S. 78 und vom 5.8.2009 – BVerwG 6 A 3.08 – BVerwGE 134, 275 = Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 50 Rn. 13) genügt es, dass die Verbotsbehörde unter diesen Gesichtspunkten aufgrund der ihr bekannt gewordenen Tatsachen eine sofortige Entscheidung für notwendig halten durfte. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat nach der Begründung der angefochtenen Verfügung von einer Anhörung des Klägers deshalb abgesehen, weil die mit der Anhörung verbundene Unterrichtung und Warnung des Vereins und seiner Mitglieder von der beabsichtigten Verbotsfeststellung des Klägers es diesem erlauben würde, Vermögensgegenstände sowie weitere verbotsrelevante Unterlagen beiseite zu schaffen und auf diese Weise der Beschlagnahme und Einziehung zu entziehen. Dieses Bestreben, der Verbotsverfügung eine möglichst große Wirksamkeit zu verleihen, ist nicht zu beanstanden. Mit dem Einwand, der mögliche „Ankündigungseffekt“ könne sich nur auf Beschlagnahme- und Sicherstellungshandlungen beziehen, die ohne Ankündigung aufgrund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 18. Oktober 2013 (M 7 E 13.4275) am 22. Oktober 2013 durchgeführt worden seien, kann der Kläger nicht durchdringen, weil zum gleichen Zeitpunkt bereits die Verbotsverfügung zugestellt wurde. Gegen diese Verfahrensgestaltung der Verbotsbehörde ist nichts zu erinnern. Die Vermögensbeschlagnahme nach § 10 VereinsG geht in ihren Wirkungen über diejenige von Beschlagnahmen im Ermittlungsverfahren weit hinaus. Da jede Art von Vermögenstarnung ausgeschlossen werden soll, um den effektiven Verbotsvollzug sicherzustellen, fallen auch Gegenstände, die der Verein durch Übergabe in die treuen Händen eines Dritten ggf. beiseite schaffen und tarnen wollte oder die ein Dritter als Treuhänder für den Verein erworben hat, unter die Beschlagnahme (Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 10 Rn. 4). Soweit der Kläger wegen der unterbliebenen Anhörung durch die Verbotsbehörde einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügt, verkennt er dass diese Vorschrift auf das Verwaltungsverfahren nicht anwendbar ist (BVerfG, B. v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96 – BVerfGE 101, 397/404 m. w. N.); in Bezug auf Art. 6 EMRK gilt entsprechendes (Peukert in Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, Art. 6 Rn. 5).
b) Da sich Organisation und Tätigkeit der Klägerin im Wesentlichen auf den Freistaat Bayern beschränken, ist das Bayerische Staatsministerium des Innern für die erlassene Verfügung zuständig. Insoweit wird auf S. 45 f. der angefochtenen Verfügung verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Der Einwand des Klägers, die von einem Kalifatsstaatsverlag stammende Publikation vom 15. Mai 2010, die ihm aus Köln unaufgefordert zugesandt worden sei, hätte gegebenenfalls dort zu Ermittlungen und Maßnahmen gegen den Verlag oder die Druckerei führen müssen, sei jedoch von der dortigen Landesregierung unbeanstandet geblieben, ist spekulativ und vermag die Zuständigkeit des Beklagten nicht in Frage zu stellen.
2. Die angefochtene Feststellungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig.
a) Gemäß § 8 Abs. 1 VereinsG ist es verboten, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen (Art. 9 Abs. 2 GG) eines nach § 3 VereinsG verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen (Ersatzorganisationen) oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen. § 8 Abs. 2 Satz 1 VereinsG bestimmt, dass gegen eine Ersatzorganisation, die Verein im Sinne des Vereinsgesetzes ist, zur verwaltungsmäßigen Durchführung dieses Verbotes nur aufgrund einer besonderen Verfügung vorgegangen werden kann, in der festgestellt wird, dass sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist. Für die Ersatzorganisationen gelten die §§ 3 bis 7 und §§ 10 bis 13 VereinsG entsprechend (§ 8 Abs. 2 Satz 2 VereinsG). Diese Bestimmungen gelten auch für Ersatzorganisationen verbotener Ausländervereine, wenn sie deren politische Betätigung, die nach § 14 Abs. 1 VereinsG gesetzwidrig ist, weiterverfolgen (vgl. im einzelnen BVerwG, B. v. 6.9.1995 – BVerwG 1 VR 2.95 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 23 = NVwZ 1997, 68). Zur Feststellung der Eigenschaft eines Vereins als Ersatzorganisation genügt, dass er die gesetzwidrigen Bestrebungen des verbotenen Vereins weiterverfolgt. Eine Ersatzorganisation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie “funktionell” dasselbe will wie die zuvor verbotene Organisation. Ob eine solche vorliegt, ist u. a. anhand der in der Organisation wirksamen Kräfte, ihrer Betätigung, ihrer Ziele, den von ihr Angesprochenen und der Geschehensabläufe zwischen Verbot der Vereinigung und Bildung der neuen Organisation zu beurteilen. Dabei kommt es nicht entscheidend auf einzelne Kriterien an, vielmehr sind die Umstände in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BVerwG, Gerichtsbescheid vom 28.10.1999 – 1 A 4/98 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 31 m. w. N.).
b) Gegenstand der Feststellung und des ihr vorangehenden Ermittlungsverfahrens ist allein die Natur als Ersatzorganisation, so dass das Vorliegen von eigenständigen Verbotsgründen weder zu prüfen noch festzustellen ist (Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 8 VereinsG Rn. 25). Dementsprechend kann sich eine als Ersatzorganisation festgestellte Vereinigung im Rechtsschutzverfahren ausschließlich mit der Begründung wehren, dass sie nicht die verfassungswidrigen Bestrebungen eines nach § 3 VereinsG verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolge (vgl. Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 8 Rn. 9). Der gegenteiligen Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers, auf die Frage der Ersatzorganisation komme es allenfalls am Rande an, entscheidend sei allein, ob die vermeintliche Ersatzorganisation selbst als verfassungsfeindlich zu bewertende Ziele verfolge, kann nicht gefolgt werden. Im Feststellungsverfahren nach § 8 VereinsG ist Prüfungsmaßstab der Verbotsbehörde lediglich der Ersatzcharakter der Organisation (Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 8 Rn. 7). Es braucht somit nicht geprüft zu werden, ob die Ersatzorganisation schon für sich betrachtet den Verbotstatbestand nach § 14 VereinsG bzw. Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt (Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 7. Aufl. 1999, Rn. 3061).
Aus diesem Grund war der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag abzulehnen. Denn er richtet sich auf die Feststellung, es lägen keine neuerlichen Verbotsgründe vor, weil die benannten Zeugen keine Bestrebungen des Klägers gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (§ 4 Abs. 2 BVerfSchG) im Einzelnen darlegen könnten. Die Frage, ob der Verein verfassungsfeindliche Aktivitäten im Sinne des im Beweisantrag enthaltenen Fragenkatalogs entfaltet, ist indes nicht ergebnisrelevant, weil es für die Feststellung einer Ersatzorganisation, um die es vorliegend geht, nur darauf ankommt, ob der Kläger die – aufgrund des bestandskräftigen Verbots als verfassungsfeindlich anzusehenden – Aktivitäten des früheren Kalifatsstaats fortgeführt hat. Dabei ist das der Verfügung zugrunde liegende Tatsachenmaterial zu würdigen. Die in der Feststellungsverfügung vorgenommene ausführliche Gesamtwürdigung, wonach der Kläger die verfassungsfeindlichen Bestrebungen des „Islamischen Zentrum Ingolstadt e.V.“ als Teilorganisation des „Kalifatsstaats“ fortführt, kann nicht mit der pauschalen Behauptung in Zweifel gezogen werden, ein aktives finales Bekämpfen der freiheitlich demokratischen Grundordnung sei nicht ersichtlich und die vom Beklagten dargelegte Tatsachengrundlage nicht hinreichend, um daraus ein aggressivkämpferisches Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung abzuleiten. Damit wird nur offenbar, dass der Kläger das Verbot des „Kalifatsstaats“ und seiner Teilorganisationen nicht akzeptiert und sich mit der dieses bestätigenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 27.11.2002 – 6 A 4/02 – NVwZ 2003, 986), insbesondere mit den dortigen Ausführungen, dass sich der „Kalifatsstaat“ und seine Teilorganisationen gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland richten (a. a. O. Rn. 41 ff.), nicht auseinandergesetzt hat. Die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, der „Kalifatsstaat“ verfolge in kämpferischaggressiver Weise das Ziel, die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes insbesondere dadurch zu untergraben, dass er die durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze der Demokratie und des Rechtsstaats notfalls gewaltsam auch in Deutschland durch eine mit diesen Grundsätzen unvereinbare staatliche Herrschaftsordnung zu ersetzen suche, hat auch das Bundesverfassungsgericht jedenfalls im Ergebnis für unbedenklich gehalten (BVerfG, B. v. 2.10.2003 – 1 BvR 536/03 – NJW 2004, 47). Die Beschwerde des Kalifatsstaats vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist für unzulässig erklärt worden (E. v. 11.12.2006 – Nr. 13828/04 – EuGRZ 2007, 543).
Für den Einwand, der Kläger verfolge im Jahr 2013 keine verfassungsfeindlichen Ziele, das geistige Werk des 1995 verstorbenen Cemaleddin Kaplan sei am 8. Dezember 2001 nicht verboten worden und sei nicht zu verbieten, gilt das vorstehend Ausgeführte entsprechend.
c) Die Gesamtwürdigung der Feststellungsverfügung, der Kläger führe die verfassungsfeindlichen Bestrebungen des „Islamischen Zentrum Ingolstadt e.V.“ als Teilorganisation des „Kalifatsstaats“ fort, ist nicht zu beanstanden.
Unbestritten nutzt der Kläger die wiederum angemieteten Räumlichkeiten der verbotenen Teilorganisation weiter und verwendet weiterhin die identische Bezeichnung Merkez Moschee. Damit wird nach außen deutlich, dass der Kläger an die Tätigkeit seiner verbotenen Vorgängerorganisation anknüpft und den gleichen Personenkreis ansprechen will. Der Beklagte hat weiter dargelegt, dass von 41 Mitgliedern der Vorgängerorganisation erneut 13 beim Kläger Mitglied sind. Die Teilidentität bezieht sich insbesondere auf den Vorstand und herausgehobene Funktionsträger des Klägers. Auf S. 32 bis 37 der angefochtenen Verfügung wird Bezug genommen.
Dass sich dabei die Ausrichtung des klägerischen Vereins gegenüber der Vorgängerorganisation nicht verändert hat, ergibt sich zum einen aus der Anhörung des Einbürgerungsbewerbers I… vom 18. Januar 2012, einem Mitglied des Klägers. Dieser besuchte die Merkez Moschee seit 1998 ununterbrochen und konnte personell, bei Schulungen und Predigten keine Unterschiede feststellen. Er führte aus, die Moschee werde weiterhin als Kaplan Moschee bezeichnet (Bl. 106 der Behördenakte). Zum anderen belegen die bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufgefundenen Asservate, dass die Ausrichtung des Klägers im Wesentlichen unverändert geblieben ist. So wurden am 15. Mai 2012 die Bücher „39 Möglichkeiten den Jihad zu unterstützen“ sowie „Die wahren und die falschen Muslime“ mit islamistischen Aussagen von Metin Kaplan aufgefunden. Des Weiteren fanden sich Publikationen und Hinweise auf den Kauf von Kalendern, die dem Kalifatsstaat zugerechnet werden können. Bei den Durchsuchungen anlässlich der Zustellung der Feststellungsverfügung wurden weitere Bücher und Kalender aufgefunden, die dem „Kalifatsstaat“ zuzuordnen sind und den Aufdruck Hilafet Devleti auf der jeweiligen Titelseite zeigen (Bl. 110 VGH-Akt). Dabei handelte es sich nicht nur um undatierte Auflagen, sondern auch um eine Publikation vom 15. Mai 2010 („Die Bedeutung der Erfüllung des Militärdienstes für ungläubige Regime und die Aufklärung von Zweifeln“, vgl. Bl. 69 d. A.), die beim 1. Vorsitzenden S… sichergestellt wurde (Foto Bl. 111 oben VGH-Akte i. V. m. Bl. 752 d. A.).
Die angefochtene Verfügung sowie die Erkenntnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (Stand 7. März 2013, Bl. 60 ff. d. A.) über Aktivitäten des „Kultur- und Bildungszentrums Ingolstadt e.V.“ (Merkez Moschee) in Verbindung mit der verbotenen Vereinigung „Kalifatsstaat“ zeigen auf, dass die verfassungsfeindlichen Aktivitäten fortgeführt werden und die Ideologie des „Kalifatsstaats“ in Deutschland weiterverbreitet wird. Über dort genannte Internetseiten und Facebook-Profile wurde u. a. auf Versammlungen in Herne und Blumberg hingewiesen, wo sich auch schon zum Zeitpunkt der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 8. Dezember 2001 mitverbotene Untergliederungen des Kalifatsstaats befanden. Die Teilnahme von Vorstands- und Vereinsmitgliedern an den Versammlungen in Herne und Blumberg stellt sich damit zur Überzeugung des Senats als Weiterverfolgung der verfassungswidrigen Bestrebungen des Kalifatsstaats und nicht als zufällige Teilnahme dar, die dem Kläger nicht zugerechnet werden könnte. Die Veranstaltung in Herne im Dezember 2012 (Laila Halle) wurde auf dem niederländischen Facebook-Profil I… G… O… mit einem Foto eines Gebetsraums mit Kalifatsstaatsflagge beworben (Bl. 73 d. A.). Wenn der Bevollmächtigte des Klägers ausführt, dem 1. Vorsitzenden habe es dort nicht gefallen und er sei bald zurückgefahren, ist darauf zu verweisen, dass er kurz vor dem Veranstaltungstermin bekannt gegeben hat, dass dort nur Funktionäre teilnehmen dürfen und allen anderen Personen abgesagt werden müsse (Bl. 102 d. A.).
Für das Vorjahr 2011 bestätigen die Erkenntnisse aus Maßnahmen der Überwachung der Telekommunikation, dass sechs Personen mit O… nach Herne anreisten, dass „sehr viele Personen teilnahmen, die Hocas aber bald gegangen waren“ (Bl. 126 d. A.). S… übte die Funktion des Hoca (Vorbeter) aus und wurde von O… auch so bezeichnet (Bl. 120 d. A.). In diesem Jahr war zwischen Mitgliedern des Klägers von einer Busfahrt dorthin zum Preis von 30 Euro pro Person die Rede gewesen (vgl. Bl. 124 d. A.).
Die Auswertung der Telekommunikationsüberwachungsprotokolle ergibt auch im Übrigen, dass sich die Mitglieder des Klägers weiterhin selbst als Kaplananhänger bezeichnen (Bl. 120 der Behördenakte) und O… von dritter Seite den Anhängern Kaplans und damit der Vereinigung „Kalifatsstaat“ zugerechnet wurde (Bl. 122 der Behördenakte). Die Veranstaltung in Blumberg im März 2012 diente danach der Kontaktaufnahme und Absprache eines künftigen gemeinsamen Vorgehens von Kaplananhängern und Salafisten (Bl. 127 f. d. A.). Darüber hinaus ist ein Telefonkontakt von Ö… mit Denis Cuspert dokumentiert, in dem ersterer über einen Kontakt „beim Bruder von Kaplan“ spricht, letzterer u. a. davon, dass demnächst die abgeschlachtet würden, die nicht parierten (Bl. 122 d. A.).
Die Erkenntnisse, die die Gesamtwürdigung der angefochtenen Verfügung tragen, beruhen auf der Überwachung des Internets und Erkenntnissen, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren angefallen und dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz überlassen worden sind. Sie lassen sich nicht dadurch in Zweifel ziehen, dass der Kläger behauptet, seine Veranstaltungen würden durch Geheimdienste überwacht, und dazu die Vermutung äußert, unter den namentlich in der Verfügung Genannten könnten sich V-Leute des Beklagten befunden haben. Diese Vermutung bezieht sich bezeichnenderweise auf die in der Verfügung benannten Mitglieder, die in Solingen bei gewalttätigen Ausschreitungen am 1. Mai 2012 festgenommen wurden. Bei diesen handelte es sich jedoch nicht um Funktionäre des Klägers. Nur in Bezug auf V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder des Vorstands fungieren und unmittelbar vor und während der Durchführung eines Verfahrens nach dem Vereinsgesetz tätig werden, kann die Annahme eines Verfahrenshindernisses in Betracht kommen (vgl. BVerfG, B. v. 18.3.2003 – 2 BvB 1 bis 3/01 – BVerfGE 107, 339 ). Hier ist jedoch ein Einfluss auf die Willensbildung des Vorstands selbst dann nicht ansatzweise ersichtlich, wenn man die völlig unsubstantiierte Behauptung des Klägers als wahr unterstellte. In Anbetracht der personellen Kontinuität des Führungspersonals des Klägers erscheint es ausgeschlossen, dass die in den Räumen des Klägers ausliegende Literatur, die nach der Feststellungsverfügung zum Teil mit Rechnung belegbar vom damaligen zweiten Vorsitzenden angeschafft worden ist, nicht bemerkt worden wäre. Die in der Feststellungsverfügung verwerteten sächlichen Beweismittel wurden im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren sichergestellt, die Telekommunikationsüberwachung wurde im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durchgeführt (Bl. 107 d. A.). Die Vermutung des Klägers, ihm sei nachrichtendienstlich veranlasst belastendes Material untergeschoben worden, hat daher keine tatsächliche Grundlage.
Der in der Feststellungsverfügung vorgenommenen Gesamtwürdigung, dass der Kläger die verfassungsfeindlichen Bestrebungen des „Islamischen Zentrums Ingolstadt e.V.“ als Teilorganisation des „Kalifatsstaat“ fortführt, setzt der Kläger schließlich entgegen, dass es im Verein eine Frauenabteilung gebe, wo sich gläubige Frauen selbstständig und unabhängig träfen und Reisen z. B. nach München und Nürnberg unternähmen. Sie gingen auswärts shoppen, ins Kino und feierten unter sich mit Musik und DJ`s. All dies sei mit den Vorstellungen des Cemaleddin Kaplan unvereinbar und zeige, dass sich die Mitglieder nicht mehr in die extremen Schranken eines Metin Kaplan verweisen ließen. Die Tochter eines in der Verfügung „angefeindeten“ Mitglieds studiere an der katholischen Universität Eichstätt. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die in der Feststellungsverfügung dargelegten Umstände in Zweifel zu ziehen, weil es bereits genügt, dass ein Teil der verfassungswidrigen Ziele des verbotenen Vereins weiterverfolgt wird, ohne dass es der Feststellung bedürfte, dass die sonstigen eigenen Bestrebungen verfassungs- oder gesetzwidrig sind (Reichert, a. a. O., Rn. 3059 unter Verweis auf BGH, U. v. 25.7.1963 – 3 StR 64/62 – NJW 1963, 2132/2134; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 8 VereinsG Rn. 12 m. w. N.).
3. Die vom Beklagten in Ziff. 3 ff. der Verfügung getroffenen Nebenentscheidungen sind ebenfalls rechtmäßig. Sie werden durch die in der Verfügung im Einzelnen genannten Bestimmungen des Vereinsgesetzes getragen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG; vgl. Nr. 45.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).


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