Verwaltungsrecht

Erschließungsbeitragsrecht, Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, Anforderung von öffentlichen Abgaben, kein vorheriger Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei Behörde, mangelnde Nachholbarkeit, keine drohende Vollstreckung

Aktenzeichen  6 CS 21.2257

Datum:
22.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28481
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 6
BayVwZVG Art. 23 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 4 S 21.833 2021-08-11 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. August 2021 – B 4 S 21.833 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. In Abänderung von Nr. 3 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 324,15 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage Vordere Warmeleite in Höhe von 1.296,58 € für sein Grundstück FlNr. 1547/6. Er hat gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 22. März 2021 am 22. April 2021 Klage beim Verwaltungsgericht erhoben (B 4 K 21.471).
Am 26. Juli 2021 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. August 2021 als unzulässig abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Antragsgegnerin gestellt. Konkrete Vollstreckungsmaßnahmen durch die Antragsgegnerin hätten im Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht nicht gedroht.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, auf deren Begründung Bezug genommen wird.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Beschwerdegründe‚ auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO)‚ führen nicht zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Erschließungsbeitragsbescheid vom 22. März 2021 nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, zu Recht als unzulässig abgelehnt. Denn die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO sind nicht erfüllt.
§ 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO bestimmt, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – also bei der hier in Streit stehenden Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten – nur zulässig ist‚ wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO nur dann nicht, wenn die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (Nr. 1) oder eine Vollstreckung droht (Nr. 2).
Die Sonderregelung des § 80 Abs. 6 VwGO normiert nicht nur eine bloße Sachentscheidungsvoraussetzung‚ die noch im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens verwirklicht werden könnte‚ sondern eine Zugangsvoraussetzung‚ die nicht nachgeholt werden kann (BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 6 CS 15.369 – juris Rn. 11; B.v. 18.2.2010 – 10 CS 09.3204 – juris Rn. 13; B.v. 16.5.2000 – 6 ZS 00.1065 – juris Rn. 3; SächsOVG‚ B.v. 15.11.2010 – 5 B 258/10 – juris Rn. 4; B.v. 9.8.2002 – 5 BS 191/02 – juris Rn. 4; VGH BW‚ B.v. 28.2.2011 – 2 S 107/11 – juris Rn. 3). Die vom Gesetzgeber verfolgte Zielrichtung – einerseits Vorrang der verwaltungsinternen Kontrolle und andererseits Entlastung der Gerichte – ist nur zu verwirklichen‚ wenn § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht lediglich als im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachholbare Sachentscheidungsvoraussetzung interpretiert wird. Dagegen spricht auch nicht‚ dass ein gerichtlicher Eilantrag wegen Nichtvorliegens der behördlichen Entscheidung als unzulässig abgelehnt wird und es danach im Fall einer Ablehnung des Aussetzungsantrags durch die Behörde noch zu einem zweiten gerichtlichen Aussetzungsverfahren kommen kann. Denn nur eine konsequente Handhabung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO bewirkt, dass die Vorschrift ernst genommen wird und zu der beabsichtigten Entlastung der Gerichte führt (BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 6 CS 15.369 – juris Rn. 11; VGH BW‚ B.v. 28.2.2011 – 2 S 107/11 – juris Rn. 3).
Der Antragsteller hat unstreitig bei der Antragsgegnerin nicht die Aussetzung der Vollziehung des Erschließungsbeitragsbescheids vom 22. März 2021 beantragt, bevor er am 26. Juli 2021 beim Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gestellt hat. Die Antragstellung unmittelbar beim Verwaltungsgericht wäre nur unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO zulässig gewesen. Diese lagen indes, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, im Zeitpunkt der Antragstellung nicht vor. Insbesondere entfiel das Antragserfordernis bei der Behörde entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht deshalb, weil dem Antragsteller eine Vollstreckung aus dem Erschließungsbeitragsbescheid gedroht (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO) und seit Erlass des Bescheides die Vollstreckung des Erschließungsbeitrags „wie ein Damoklesschwert über diesem geschwebt“ habe. Eine „drohende Vollstreckung“ im Sinn des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO würde nämlich voraussetzen, dass die Vollstreckung aus dem Bescheid entweder schon begonnen hat, der Beginn der Vollstreckung von der Behörde für einen unmittelbar bevorstehenden Termin angekündigt worden ist oder konkrete Vorbereitungen der Behörde für eine alsbaldige Vollstreckung vorliegen (BayVGH, B.v. 23.3.2004 – 6 CS 03.3376 – juris Rn. 24; Saarl OVG, B.v. 22.6.1992 – 1 W 29.92 – NVwZ 1993, 491). Dies ist etwa der Fall, wenn eine erneute Zahlungsaufforderung mit Androhung der Zwangsvollstreckung ergeht oder eine „letzte Zahlungserinnerung“ mit Zahlungsfrist und dem Hinweis, dass sodann zwangsweise eingezogen wird (BayVGH, B.v. 23.3.2004 – 6 CS 03.3376 – juris Rn. 24; B.v. 3.1.1995 – 6 CS 94.3728). Erst aufgrund einer solchen Mahnung kann eine Geldforderung vollstreckt werden (vgl. Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 BayVwZVG). In dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 22. März 2021 weist die Antragsgegnerin zwar darauf hin, dass der geforderte Beitrag einen Monat nach Zustellung des Bescheides zur Zahlung fällig wird und bittet um Überweisung innerhalb eines Monats auf eines der genannten Konten der Stadtkasse. Der Bescheid enthält aber (noch) keinen Hinweis auf eine unmittelbar bevorstehende Vollstreckung oder konkrete Vorbereitungshandlungen für eine solche.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2‚ § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Der Senat setzt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in ständiger Rechtsprechung – in Übereinstimmung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren (hier: 1.296,58 €/4) anzunehmenden Streitwerts an (z.B. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 6 CS 15.369 – juris Rn. 13; B.v. 31.7.2014 – 6 CS 14.660 – juris Rn. 14).


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