Verwaltungsrecht

Erstverfahren, Verwaltungsgerichte, Befähigung zum Richteramt, Günstige Entscheidung, Innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Gefahrerhöhende Umstände, Änderung der Sachlage, Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt, Prozeßkostenhilfeverfahren, Neues Vorbringen, Bundesamt für Migration, Bundsverwaltungsgericht, Entscheidungsgründe, Asylverfahren, mündlich Verhandlung, Gefahrendichte, Konkrete Gefahr, Abschiebungshindernis, Aufhebung, Vertretungszwang

Aktenzeichen  W 8 K 20.30195

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2883
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 51
AsylG § 3
AsylG § 4
AsylG § 28
AsylG § 71
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – BVerwGE 157, 18) auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Januar 2020 ist unbegründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylG nicht vorliegen, und den Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt.
Das Gericht folgt dem streitgegenständlichen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass für den Kläger Wiederaufgreifensgründe vorliegen.
Ergänzend ist über die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid hinaus noch anzumerken, dass ein Folgeantrag kein außerordentliches Rechtsmittel ist, mit dem jederzeit eine vermeintliche unrichtige Sachentscheidung im Erstverfahren korrigiert werden könnte. Vielmehr ist stets ein Vergleich anzustellen zwischen dem neuen Vorbringen und den im Asylerstverfahren festgestellten und die Entscheidung tragenden Tatsachen. Die geltend gemachte Veränderung muss aus der Perspektive des Erstverfahrens erheblich sein, sich mithin auf den der Entscheidung im Erstverfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegten Sachverhalt beziehen. Eine Änderung der Sachlage ist anzunehmen, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände so verändern, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint. Bei den im Asylrecht typischen Dauersachverhalten ist eine Änderung erst dann eingetreten, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt ist und möglich erscheint. Subjektiv empfundene Ängste genügen genauso wenig wie ein allgemein gehaltener Vortrag, die Sicherheits- und Versorgungslage habe sich erheblich verschlechtert, vielmehr bedarf es einer substanziierten Darlegung einer Änderung der Sachlage (vgl. siehe Dickten in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 26. Edition, Stand: 1.10.2020, § 71 AsylG Rn. 17 ff.). Nicht jede Veränderung der Verhältnisse kann zur Begründung des Folgeantrags herangezogen werden. Vielmehr müssten die vorgebrachten nachträglichen Umstände individuelle Auswirkungen auf den Betreffenden haben. Die frühere Feststellung zur allgemeinen politischen Lage im Heimatland – soweit der negative Abschluss des Asylerstverfahrens hierauf beruht – muss in einer Weise angegriffen werden, dass wenigstens ernstliche Zweifel an der weiteren Gültigkeit jener Feststellungen möglich sind. Es reicht nicht aus, wenn in der Vergangenheit eine Verfolgungslage wegen nicht hinreichend festzustellender Verfolgungsdichte verneint worden ist und nunmehr lediglich weitere Verfolgungsfälle vorgetragen werden, ohne aber zugleich einen schlüssigen Ansatz dafür darzulegen, dass die frühere Bewertung der Verfolgungsdichte nun keinen Bestand mehr haben kann. Die im vorangegangen Verfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegte Sachlage muss sich tatsächlich zu Gunsten des Folgeantragstellers verändert haben und sich hieraus eine (praktische und nicht nur entfernt theoretische) Möglichkeit bzw. Perspektive für eine positive Entscheidung ergeben (vgl. Marx, AsylG 10. Aufl. 2019 § 71 AsylG Rn. 54 und 60; Funke-Kaiser/Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Lfg. 113, 1.10.2017, § 71 AsylG Rn. 194 ff., 203 ff.).
Ausgehend davon kann das Gericht zunächst keine entscheidenden wesentlichen Änderungen betreffend die individuell vorgebrachten Gründe des Klägers erkennen, die eine für den Kläger günstigere Entscheidung möglich erscheinen lässt. Der Kläger verwies nur allgemein auf den Krieg in Libyen und auf die Milizen und erklärte, es drohe ihm bei einer Rückkehr von Milizen festgenommen und ermordet zu werden. Individuelle neue Gründe zu seiner persönlichen Situation, die eine abweichende Beurteilung dessen, was das Gericht schon im Erstverfahren festgestellt hat (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.9.2018 – W 8 K 17.30770 – juris Rn. 20 ff., UA S. 7 ff.), rechtfertigen könnten, hat der Kläger nicht vorgebracht. Insbesondere die Bedrohung durch Milizen war schon Gegenstand des früheren Verfahrens. Das vorgebrachte Fortbestehen dieser Bedrohung nach Informationen seiner Familie rechtfertigt nicht die Annahme einer Sachlagenänderung mit der Möglichkeit einer nun für den Kläger günstigeren Entscheidung. Aus dem allgemeinen Vorbringen des Klägers ist nicht ersichtlich, dass sich an der Sachlage insoweit etwas im Vergleich zu früher grundsätzlich geändert hätte. Der Kläger wiederholt im Prinzip die gleichen Befürchtungen wie schon im Erstverfahren, ohne individuell grundsätzlich Neues vorzubringen. Auch in der mündlichen Verhandlung verwies der Kläger auf die konkrete Frage des Gerichts, was sich seit dem Erstverfahren geändert hat, auf die allgemeine Sicherheitslage infolge der kriegerischen Auseinandersetzung unter Beteiligung anderer Staaten. Soweit der Kläger seinen Namen und damit einhergehende Probleme thematisiert, ist dies kein neues Vorbringen, das nicht schon im Erstverfahren hätte vorgebracht werden können. Zudem sind betreffende Diskriminierungen ein allgemeines Problem in Libyen. Dass sich aus dem Namen ein besonderer gefahrenerhöhender Umstand mit Bezug auf Leib und Leben gerade des Klägers ergeben würde, ist dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen.
Gesamtbetrachtet kann das Gericht keine Anhaltspunkte für mögliche Änderungen in der individuellen Situation des Klägers erkennen, die im Vergleich zum Erstverfahren eine andere Beurteilung als möglich erscheinen lassen.
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht aus einer möglichen Verschlechterung der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Libyen. Denn ein allgemein gehaltenes Vorbringen genügt auch insoweit grundsätzlich nicht zur substanziierten Darlegung einer Änderung der Sachlage. Das Vorbringen der Klägerseite zur Sicherheitslage, insbesondere auch in den Klagebegründungsschreiben, deckt sich weitgehend mit den Aussagen und Feststellungen in den Erkenntnismitteln, die schon Gegenstand des Asylerstverfahrens waren und die das Gericht im Urteil vom 3. September 2018 (siehe VG Würzburg, U.v. 3.9.2018 – W 8 K 17.30770 – juris Rn. 32 ff., UA S. 11 ff.) zitiert hat. Denn dort ist schon ausgeführt und zugrunde gelegt, dass große Teile des Landes und der Gesellschaft von Milizen kontrolliert werden und andere Teile praktisch unregiert seien und eine der größten Gefahren für die Bevölkerung sei, als Unbeteiligte in die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Milizen zu geraten bzw. Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Menschenrechtsverletzungen in Libyen seien an der Tagesordnung. Auch Libyer würden Menschenrechtsverletzungen durch staatliche bzw. nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, ohne sich dagegen wirksam schützen zu können. Milizen verfolgten ihre eigenen Interessen und begingen Menschenrechtsverletzungen. Alle Konfliktparteien verübten wahllose sowie gezielte Angriffe auf dicht besiedelte Gebiete, die zum Tod von Zivilpersonen und rechtswidrigen Tötungen führten. Tausende Menschen seien von bewaffneten Gruppen verschleppt, willkürlich festgenommen und zeitlich unbegrenzt inhaftiert worden. Folter und andere Misshandlungen seien an der Tagesordnung. Menschen würden aufgrund ihrer Überzeugung, ihrer Herkunft, ihrer vermuteten politischen Zugehörigkeit und ihres mutmaßlichen Reichtums von bewaffneten Gruppen und Milizen verschleppt und rechtswidrig inhaftiert. Rivalisierende Milizen und militärische Streitkräfte entführten Personen und ließen diese verschwinden, foltern, willkürlich inhaftieren und führten ungesetzliche Tötungen durch. Das Gericht hat aufgrund dieser Quellenlage im Erstverfahren gleichwohl weiter ausgeführt, die Gefahrendichte sei nicht so hoch, dass hier für jedermann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben bestehe. Ein Gefährdungsgrad, wie er in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genannt und erforderlich sei, sei bei weitem nicht ersichtlich (siehe VG Würzburg, U.v. 3.9.2018 – W 8 K 17.30770 – juris Rn. 36 ff., UA S. 13 f.).
Dass sich an diesen Feststellungen, insbesondere an der darauf beruhenden Beurteilung der Gefahrendichte im Vergleich zum Erstverfahren möglicherweise etwas geändert haben könnte, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylG) nicht ersichtlich.
Vielmehr verbleibt es an der bisherigen Einschätzung, wonach in Libyen mangels hinreichender Gefahrendichte ohne Hinzukommen weiterer individuelle gefahrerhöhender Umstände kein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (ebenso im Ergebnis OVG NRW, B.v. 27.4.2020 – 2 A 1352/19.A – juris; VG Köln, U.v. 18.2.2020 – 6 K 7872/17.A – juris; VG Aachen, U.v. 8.3.2019 – 3 K 1069/16.A – juris; SächsOVG, Ue.v. 25.10.2018 – 5 A 51/16.A, 5 A 1150/17.A, 5 A 806/17.A – jeweils juris; VG Göttingen, U.v. 6.9.2018 – 3 A 503/16 – juris; ferner BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 15 ZB 18.30518 – juris), sodass auch insofern keine Änderung der Sachlage möglich erscheint. Das Auswärtige Amt hat in seinem letzten Lagebericht ausdrücklich vermerkt, dass die Menschenrechtslage in Libyen „gleichbleibend“ schlecht gewesen ist (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen, Stand: Dezember 2019, vom 15.1.2020, S. 4). Auch die anderen im Erstverfahren zitierten Quellen wiederholen in ihren aktualisierten Versionen im Wesentlichen die oben zitierten Aussagen.
Die gegenläufige Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte, insbesondere des VG Berlin (VG Berlin, U.v. 15.9.2020 – 19 K 63/20 A – juris; U.v. 18.8.2020 – 19 K 69.19 A – juris; U.v. 27.5.2020 – 19 K 93.19 A – juris; B.v. 27.3.2020 – 19 L 135/20 A – juris; siehe auch – gegebenenfalls aber unter Einbezug hier nicht gegebener, individueller gefahrerhöhender Umstände – VG Dresden, U.v. 23.4.2019 – 12 K 2990/16.A – juris; VG Halle, U.v. 12.3.2019 – 2 A 138/17 HAL – juris; VG Köln, U.v. 13.12.2018 – 6 K 13735/17.A – juris; VG Chemnitz, U.v. 1.11.2018 – 7 K 3509/16.A – juris), begründet für sich zum einen keine geänderte Rechtslage und rechtfertigt zum anderen keine andere Beurteilung hinsichtlich der Sachlage, zumal dieser Rechtsprechung die verschlechterte Sicherheitslage und die gestiegene Zahl an Tötungen gerade im Jahr 2019 und bis September 2020 (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Libyen: Allgemeine Sicherheitslage vom 18.8.2020) durch die verschärften kriegerischen Auseinandersetzungen in Folge der militärischen Aktivitäten des Generals Haftar und der daraus resultierenden Kämpfe tragend zugrunde lagen, welche spätestens nach der Waffenruhe im Oktober 2020 mittlerweile abgeflaut und eingeschlafen sind.
Zur Sicherheitslage ist nach den vorliegenden Erkenntnisquellen im Einzelnen anzumerken, dass sich seit dem Rückzug der libyschen Nationalarmee unter General Haftar aus der Hauptstadtregion im Juni 2020 die Sicherheitslage dort beruhigt hat, wenn auch die Lage fragil ist und eine Militäreskalation jederzeit möglich erscheint. Militärvertreter der jeweiligen Seiten haben sich am 23. Oktober 2020 bei Verhandlungen in Genf auf einen Waffenstillstand geeinigt. Nachdem die rivalisierenden Auseinandersetzungen zuvor eskaliert und immer mehr ausländische Akteure in Libyen involviert waren, insbesondere mit der Türkei auf der einen Seite und Russland sowie auch Ägypten auf der anderen Seite – jeweils mit weiteren Verbündeten. Zuvor war zwischen den beiden Seiten mit wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung operiert worden. Willkürlich wurden auch Wohngebiete beschossen. Gezielt sind Tötungen und Bombenanschläge auch gegen Zivilisten verübt worden. Es gab viele Berichte über Opfer unter der Zivilbevölkerung als Folge der anhaltenden Feindseligkeiten. Durch Beschuss, Feuergefechte, Luftangriffe und nicht explodierte Sprengkörper kamen im Lauf des Jahres 2019 mehr als tausend Menschen, darunter auch Zivilisten, ums Leben. Die weit verbreiteten Kampfhandlungen waren ein sehr gefährlicher zusätzlicher Umstand. Die Unterstützungskommission der Vereinten Nationen hat ab Anfang April bis Ende Juni 2020 100 getötete und 252 verletzte Zivilisten dokumentiert, dies bedeutet ein Anstieg ziviler Todesopfer von 65% gegenüber dem ersten Quartal des Jahres 2020 sowie ein Anstieg von 276% hinsichtlich der Anzahl der Verletzten (vgl. zum Ganzen, Auswärtiges Amt, Libyen: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 7.1.2021; Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 26.10.2020, S. 7; BfA, Bundesamt für Fremdenwegen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Libyen vom 25.9.2020; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Libyen: Allgemeine Sicherheitslage vom 18.8.2020; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen, Stand: Dezember 2019, vom 15.1.2020; Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 19, Libyen, Stand: 10/2019).
Mittlerweile hat sich die Sicherheits- und Gefährdungslage jedoch wieder geändert. Kampfhandlungen bewegen sich insgesamt auf einem niedrigen Niveau, wenn auch die jeweiligen Seiten ihre militärischen Kapazitäten stärken. Die Sicherheitslage hat sich in der Hauptstadtregion in Westlibyen seit Anfang 2020 verbessert und in Ostlibyen sorgen die Milizen von General Haftar für Sicherheit und für einen geordneten Alltag (Konrad-Adenauer-Stiftung Länderbericht Libyen, Entwicklungen im Schatten von Corona, von Michael Bauer und Thomas Volk, vom 1.8.2020). Zwar ist nicht zu verkennen, dass auch externe Akteure die Probleme in Libyen verschärfen und auch langjährige lokale Konflikte und Fehden eine dauerhafte politische Lösung erschweren. Jedoch hat der Waffenstillstand vom 23. Oktober 2020 die Waffen zum Schweigen gebracht, wenn auch die Sorge besteht, dass der Waffenstillstand nicht von Dauer sein könnte. Insgesamt deuten das Versäumnis, das Waffenstillstandsabkommen umzusetzen, der militärische Aufbau und auch Äußerungen sowohl auf türkischer als auch auf russischer Seite darauf hin, dass der Konflikt wiederaufgenommen werden könnte, anstatt ihn über einen politischen Prozess abzuwickeln. Trotzdem verringern drei Elemente das unmittelbare Risiko eines Aufflammens. So haben ausländische Akteure bisher nicht den Wunsch signalisiert, eine neue Runde von Feindseligkeiten auszulösen. Des Weiteren gibt es keine Unterstützung der Bevölkerung für einen neuen Krieg. Schließlich laufen Schritte, um einen langjährigen Streit zwischen Katar und seinen Golfnachbarn beizulegen. Fortschritte an dieser Front könnten den Stellvertreterkrieg in Libyen beruhigen (siehe etwa reliefweb.int/report, Die aktuelle Situation in Libyen – ein USIP Fact Sheet, vom 31.12.2020; reliefweb.int/report, ICG, Crisis Group Libya Update # 2, vom 24.12.2020). Des Weiteren haben die Vereinten Nationen ein Interesse, die im Oktober 2020 vereinbarte Waffenruhe mit einer gemeinsamen Beobachtungsmission zu überwachen und einen friedlichen Mechanismus in ganz Libyen zu installieren. Einstweilen hält der Waffenstillstand einigermaßen und eine gewisse Normalität ist teilweise eingekehrt, wenn auch das Dialogforum über die Friedensbedingungen bisher noch wenig erreicht und die Kämpfer vor Ort wenig beeindruckt hat (vgl. NZZ vom 31.12.2020, Bürgerkrieg in Libyen: Neue Beobachtermission soll Weg zum Frieden ebnen; NZZ vom 18.12.2020, Libysche Friedensbeschwörungen in Tunis; taz e-paper vom 17.11.2020, Kein Krieg mehr, aber noch kein neues Libyen, sowie „Die Libyer wollen Veränderung“; sueddeutsche.de vom 11.11.2020, Krüger, Durchbruch in Tunis [entspricht e-paper vom 12.11.2020 Krüger, Treffpunkt Tunis]).
Gesamtbetrachtet bestehen nach Überzeugung des Gerichts zurzeit keine durchgreifenden Anhaltspunkte, die ausgehend vom maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eine grundlegende Änderung der Sicherheitslage in Libyen im Vergleich zur Lage zum Zeitpunkt des Erstverfahrens und eine Änderung der Einschätzung der dortigen Gefahrendichte als möglich erscheinen lassen.
Gleichermaßen liegen nach den vorstehenden Ausführungen, keine neuen Beweismittel vor, die eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Des Weiteren war der Hilfsantrag abzulehnen, weil nach Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen für die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ebenfalls nicht gegeben sind.
Auch insoweit hat sich nichts Grundlegendes im Vergleich zum Erstverfahren geändert, auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass sich die wirtschaftliche Lage in Libyen in den letzten Jahren mit Auswirkungen auf die Strom- und Wasserversorgung und insbesondere auch auf das Gesundheitswesen weiter verschlechtert hat (vgl. reports.unocha.org, Libyen, Lagebericht, vom 20.12.2020; bpb [Bundeszentrale für politische Bildung] vom 16.12.2020, Wolfram Lacher, Libyen; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation – Libyen, COVID-19-Pandemie, November 2020). Das Gericht hat schon im Erstverfahren mit Urteil vom 3. September 2018 (VG Würzburg, U.v. 3.9.2018 – W 8 K 17.30770 – juris Rn. 41 f., UA S. 15 f.) festgestellt, dass für den Kläger keine Leib- und Lebensgefahr besteht und dass ihm eine Sicherung des Existenzminimums bei einer Rückkehr in seinem Heimatort trotz aller Widrigkeiten möglich ist. Denn trotz des klägerischen Vorbringens, dass es nach Aussage der Familie immer wieder zu längeren Stromausfällen und Unterbrechung der Wasserversorgung sowie zu Geldknappheit kommt, hat das Gericht weiterhin keine Zweifel, dass dem Kläger bei einer eventuellen Rückkehr gerade mit Unterstützung durch die noch in seiner Heimat lebenden Großfamilie eine Sicherung des Existenzminimums möglich ist. Denn gerade in Libyen ist der soziale und wirtschaftliche Schutz durch die eigene Familie bzw. dem eigenen Stamm von erheblicher Bedeutung. Nach Libyen zurückkehrende Libyer können grundsätzlich auf die Unterstützung der Kernfamilie oder ihrem Stamm zählen (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Libyen, vom 25.9.2020, S. 18; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen, Stand: September 2019, vom 15.1.2020, S. 12 und 14). Des Weiteren unterstützt UNHCR – auch in Bengasi – Rückkehrer durch verschiedene Projekte (vgl. reliefweb.int/report, UNHCR-Update Libyen (31. Dezember 2020) [EN / AR] vom 31.12.2020). Zudem gibt es Berichte über Fortschritte und positive wirtschaftliche Entwicklungen (vgl. reliefweb.int/report, ICG, Crisis Group Libya Update # 2, vom 24.12.2020).
An der vorstehenden Beurteilung ändert sich auch nichts durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Denn nach den aktuellen Fallzahlen in Libyen – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe Sitzungsprotokoll, S. 2), besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder gar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs, so dass nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Libyen krankheitsbedingt einen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt gerade, wenn der Kläger die in Libyen getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (wie die Schließung von Grenzübergängen sowie von See- und Flughäfen, nächtliche Ausgangssperren, Schließung von Schulen, Restaurants, Märkten und Geschäfte usw.) sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachtet und die bestehende Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt (vgl. Auswärtiges Amt, Libyen: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 7.1.2021; reports.unocha.org, Libyen, Lagebericht, vom 20.12.2020; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation – Libyen, COVID-19-Pandemie, November 2020; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Libyen: Humanitäre Lage und medizinische Versorgung vom 18.8.2020).
Abgesehen davon hat der Kläger keinerlei Angaben gemacht, wie sich die aktuelle Lage zur Ausbreitung von COVID-19 in Libyen – insbesondere in seiner Heimatregion – darstellt, insbesondere, wie viele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger Sars-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wie vielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität in Libyen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen wurden, um beurteilen zu können, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Ansteckung mit COVID-19 sowie eines schweren Verlaufs im Falle einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, zu der auch eine eventuell – beim Kläger nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris Rn. 8 ff.).
Zur gegebenen jedenfalls freiwilligen Einreise- und Rückehrmöglichkeit kann ebenfalls auf die weiterhin fortgeltenden Ausführungen im Erstverfahren verwiesen werden (VG Würzburg, U.v. 3.9.2018 – W 8 K 17.30770 – juris Rn. 39 f., UA S. 14 f.). Eine Einreise nach Libyen ist nach der Auskunftslage (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Chemnitz vom 20.4.2020) abgesehen von Flugverbindungen über andere Staaten, zudem auch auf dem Landweg denkbar, etwa über Tunesien und Ägypten (so ausdrücklich SächsOVG, Ue.v. 25.10.2018 – 5 A 51/16.A – juris Rn. 52 oder 5 A 1150/17.A – juris Rn 65 oder 5 A 806/17.A – juris Rn. 71).
Im Übrigen wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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