Verwaltungsrecht

Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25b AufenthG, Grunderteilungsvoraussetzung: Duldung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, Kein Duldungsanspruch während Überstellungsverfahren und während eines Petitionsverfahrens, Kompensation fehlender Voraufenthaltszeiten, Streitwert bei Klage einer Familie auf Aufenthaltserlaubnisse

Aktenzeichen  B 6 K 20.1169

Datum:
26.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49552
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1 und 2
AufenthG § 25b Abs. 1 S. 1 und 2
AufenthG § 25b Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Die Klage, die zulässig, aber unbegründet ist, wird abgewiesen.
A) Die Klage ist zulässig.
I. Der Rechtsbehelf genügt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts den Anforderungen, die gem. § 108 Abs. 1 VwGO an die Erhebung einer Klage zu stellen sind. Insbesondere sind die Kläger ordnungsgemäß bezeichnet, seit die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 11.05.2021 ihre aktuelle ladungsfähige Anschrift in der Ukraine mitgeteilt hat (vgl. dazu BVerwG, U. v. 11.04.1999 – 1 C 24/97 – NJW 1999, 2608/2609f.).
II. Die Kläger haben auch mit Erfolg ein Rechtsschutzbedürfnis geltend gemacht. Ihre Prozessbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts versichert, die Kläger hätten ihr noch vor wenigen Tagen ausdrücklich erklärt, auch nachdem sie am 18.12.2020 in die Ukraine abgeschoben worden seien, hielten sie an ihrer Klage fest.
B) Die Klage ist aber unbegründet.
Gem. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, soweit die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.
Die Ablehnung der Erteilung der am 22.09.2020 beantragten Aufenthaltstitel ist nicht rechtswidrig, weil die Kläger zu 1 bis 4 keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gem. § 25b AufenthG haben.
I) Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG an den Kläger zu 1 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG ausgeschlossen, weil zu seinen Lasten das Titelerteilungsverbot eingreift.
1. Gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen, infolgedessen ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf. Knüpft das Einreise- und Aufenthaltsverbot an die Abschiebung an, soll es zusammen mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung erlassen werden und ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG).
Gegenüber dem Kläger zu 1 besteht ein wirksames Einreise- und Aufenthaltsverbot. Das Bundesamt befristete in Ziff. 6 des Bescheides vom 19.09.2017 das gegenüber dem Kläger zu 1 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG a. F auf 30 Monate ab der Abschiebung. In dieser vor der Abschiebung erlassenen Befristungsentscheidung ist der konstitutive Erlass eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots zu sehen (BVerwG, U. v. 21.08.2018 – 1 C 21.17 – BVerwGE 162, 382 = InfAuslR 2019, 3 jew. Rn. 25).
2. Die Sperrwirkung der Abschiebung greift allerdings nicht bereits dann ein, wenn der Ausländer abgeschoben wurde, sondern setzt voraus, dass die Abschiebung rechtmäßig war, weil der Ausländer keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte und deshalb ausreisepflichtig war (BVerwG, U. v. 16.07.2002 – 1 C 8.02 – BVerwGE 116, 378/384 = InfAuslR 2003, 50/ 51 zum insoweit vergleichbaren § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG).
Die Abschiebung des Klägers zu 1 am 18.12.2020 hat gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein Titelerteilungsverbot von 30 Monaten ab dem Tag der Abschiebung bewirkt. Der Kläger zu 1 hatte zum Zeitpunkt der Abschiebung am 18.12.2020 keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und war deshalb gem. § 50 Abs. 1 Alt. 1 AufenthG ausreisepflichtig.
a) Gem.§ 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat.
Ob ein Kläger ein geduldeter Ausländer i.S. d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist, richtet sich danach, ob ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder ob er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat, weil die Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist bzw. nur die Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ermessensgerecht ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzung ist die Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Deshalb braucht der Duldungsstatus nicht bereits bei der Antragstellung vorzuliegen (BVerwG, U. v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – BVerwGE 167, 211 = InfAuslR 2020, 189 Rn. 23f.). Umgekehrt reicht es aber nicht aus, wenn der Ausländer zwar bei Antragstellung geduldet war, aber nicht mehr, wenn das Gericht entscheidet (OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 04.03.2020 – OVG 6 S 10/20 – juris Rn. 8f. zum insoweit vergleichbaren § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
aa) Der Kläger zu 1 verfügte zwar noch über eine (Ermessens-) Duldung, als am 22.09.2020 der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gestellt wurde, seit 16.10.2020 besaß er aber keine wirksame Duldung mehr.
bb) Auch einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung hatte der Kläger zu 1 zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht.
aaa) Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist.
Anders als noch Mitte des Jahres 2020, als (Sammel-) Abschiebungen in die Ukraine wegen der Corona-Pandemie nicht durchgeführt werden konnten und der Kläger zu 1 deshalb vom 16.04.2020 bis 15.07.2020 eine Duldung erhalten hatte, konnte für den 18.12.2020 eine Sammelrückführung per Charterflug organisiert werden. Außerdem besaß der Kläger den für die Einreise in die Ukraine nötigen gültigen Reisepass (Auswärtiges Amt, Lagebericht Ukraine, Stand Januar 2020, S. 20). Schließlich durfte die Behörde als ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit i. S. d. § 82 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AufenthG anordnen, dass er sich einem PCR-Test unterzieht (OVG Lüneburg, B.v.28.01. 2021 – 10 LA 12/21 – juris Rn.19).
bbb) Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, wenn die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.
Aus rechtlichen Gründen kann für die Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine für den Status eines geduldeten Ausländers i.S. v. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG ausreichende (Verfahrens-) Duldung erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. Eine Verfahrensduldung kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG beantragt hat, die nach § 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Voraufenthaltszeiten noch nicht erfüllt, ohne dass dies erheblichen Klärungsbedarf aufwirft (BVerwG, U. v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – BVerwGE 167, 21 = InfAuslR 2020, 189 jew. Rn. 28 – 30).
Nach diesen rechtlichen Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung, weil er die Voraufenthaltszeiten nicht in vollem Umfang zurückgelegt hat.
Gem. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG voraus, dass der Ausländer, wenn er mit einem minderjährigen ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, sich seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift reicht es deshalb nicht aus, wenn der Ausländer sich zwar physisch im Bundesgebiet aufhält, aber nur über Grenzübertrittsbescheinigungen verfügt (OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 04.03.2020 – OVG 6 S 10/20 – juris Rn. 5).
Der Kläger zu 1, der zunächst mit einem und seit 29.10.2015 mit zwei minderjährigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebte, hielt sich vom 19.09.2014 bis 18.12.2020 und damit mehr sechs Jahre tatsächlich im Bundesgebiet auf. Sein Aufenthalt war jedoch in dieser Zeitspanne nicht mindestens sechs Jahre bis zu dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt gestattet oder geduldet. Denn der Kläger zu 1 war vom 29.04.2015 bis 15.09.2015 (ca. vier Monate und zwei Wochen), vom 22.10.2019 bis 15.05.2020 (ca. fünf Monate und drei Wochen) sowie vom 16.10.2020 bis 18.12.2020 (ca. zwei Monate) d.h. insgesamt über 12 Monate, weder gestattet noch geduldet, sein geduldeter oder gestatteter Aufenthalt war unterbrochen und währte nicht bis zur Abschiebung bzw. bis zur Entscheidung des Gerichts.
Zum einen besaß der Kläger zu 1 im Zeitraum vom 29.04.2015 bis 12.11.2015 weder eine Aufenthaltsgestattung noch eine Duldung, sondern nur für die Zeit ab 24.06.2015 Grenzübertrittsbescheinigungen. Auch ein Rechtsanspruch auf Duldung stand ihm nicht durchgehend, sondern erst ab 15.09.2015 zu.
Nachdem die Aufenthaltsgestattung des Klägers zu 1 gem. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG wegen der Vollziehbarkeit der in Ziff.2 des Bescheides des Bundesamtes verfügten Abschiebungsanordnung erloschen und seine Abschiebung nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29.04.2015 nicht länger gem. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG unzulässig war, war die Überstellung des Klägers zu 1 nach Polen, die der Beklagte betrieb, anfangs weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich. Der geplanten kontrollierten Überstellung auf dem Landweg auch des Klägers zu 1 stand jedoch ab 15.09.2015 entgegen, dass die Klägerin zu 2, die von ihm ein Kind erwartete, ab diesem Zeitpunkt Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 Satz1 Alt. 2 AufenthG i.V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genoss. Die gesetzgeberische Wertung, die § 3 Abs. 1 Satz 1 MuSchG zugrunde liegt, dass werdende Mütter wegen der psychischen und physischen Belastungen in dieser Zeit sechs Wochen vor der Entbindung nicht mehr beschäftigt werden dürfen, setzt auch zwangsweisen Rückführungen eine zeitliche Grenze (OVG Bautzen, B. v. 07.05.2019 – 3 B 102/19 – InfAuslR 2019, 325 Rn. 14). Da zu erwarten war, dass der Kläger als ihr Ehemann, der mit ihr in häuslicher Gemeinschaft lebte, sie in der Zeit im erforderlichen Umfang unterstützen würde, stand auch ihm aus Art. 6 GG ein Duldungsanspruch zu. Für die Zeit zuvor ergab sich hingegen kein Anspruch auf eine Duldung wegen der Schwangerschaft der Klägerin zu 2, weil für diesen Zeitraum keine Gefahrenlage für die Mutter und das ungeborene Kind (Risikoschwangerschaft) bestand und die Klägerin zu 2 auch nicht aus sonstigen Gründen auf die Hilfe des Klägers zu 1 angewiesen war, sondern nach dem Arztbrief des Klinikums … vom 13.09.2015 eine „intakte“ Schwangerschaft vorgelegen hatte (OVG Bautzen, a. a. O. Rn. 13). Dagegen umfasste der Duldungsanspruch in Anlehnung an das achtwöchige Beschäftigungsverbot nach der Geburt (§ 3 Abs. 2 Satz 1 MuSchG) auch den Zeitraum bis zur ersten Erteilung einer Aufenthaltsgestattung für das (nationale) Asylverfahren am 12.11.2015.
Zum zweiten verfügte der Kläger zu 1 vom 22.10.2019 bis 15.04.2020 über keine wirksame Duldung, bevor den Klägern aus tatsächlichen Gründen wegen der Corona-Pandemie Duldungen erteilt wurden. Er hatte für diesen Zeitabschnitt auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung, nachdem er nach Eintritt der Rechtskraft des ablehnenden Asylurteils am 21.09.2019 vollziehbar ausreisepflichtig geworden war, und durfte nach fruchtlosem Ablauf der vom Bundesamt gesetzten Ausreisefrist abgeschoben werden, weil die Abschiebung nicht gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG aus rechtlichen Gründen auszusetzen war.
Zwar war zu seinen Gunsten am 30.10.2019 eine Petition beim Bayerischen Landtag eingelegt worden. Daraus ergab sich jedoch kein Duldungsgrund.
Das Petitionsrecht gem. Art. 17 GG, Art. 115 BV gibt dem Petenten nur das Recht, dass das Parlament die Eingabe entgegennimmt und darüber entscheidet, aber keinen gebundenen Anspruch gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darauf, dass der ausländische Petent während des laufenden Eingabeverfahrens geduldet wird (allg. Ansicht; statt aller OVG Lüneburg, B. v. 24.06.2003 – juris Rn. 3; Gordzielik/Huber, in: Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 60a AufenthG Rn. 31). Auch einen Anspruch auf die Erteilung einer Ermessensduldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG für die Zeit des Petitionsverfahrens als einzig ermessensgerechter Entscheidung hatte der Kläger zu 1 nicht. Es entspricht zwar bayerischer Verwaltungspraxis, wie dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt ist, dass einem ausländischen Petenten, letztlich aus Respekt vor dem Verfassungsorgan Landtag, eine Duldung erteilt wird, wenn der Petitionsausschuss nach Eingang der Eingabe sein Veto gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen während des anhängigen Verfahrens einlegt. Von ihrem Veto machte die Ausschussvorsitzende, was die Petition des Klägers zu 1 angeht, aber keinen Gebrauch.
Zum dritten hatte der Kläger zu 1 ab 16.10.2020 bis zu seiner Abschiebung am 18.12.2020 keine wirksame Duldung mehr und hatte auch keinen Anspruch auf Erteilung.
Zwar war die Erteilung einer Duldung nicht wegen des Antrages auf Aufenthaltserlaubnis vom 22.09.2020 ausgeschlossen, weil die Fiktionswirkung gem. § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht eingetreten ist. Der Kläger zu 1 hielt sich vom zum Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Erlasses des Bescheides am 20.10.2020 und damit auch ab 16.10.2020 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Er hatte aber einerseits keinen gebundenen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Nachdem der Beklagte am 13.10.2020 einen Antrag auf Luftabschiebung gestellt hatte, dem das Landesamt für Asyl und Rückführungen am 26.11.2020 entsprach, war die Abschiebung, die sich lediglich aus organisatorischen Gründen auf den 18.12.2020 verzögerte, weil die Kläger nicht mehr auf den Sammelcharter, der am 24.11.2020 in die Ukraine startete, gebucht werden konnten, nicht tatsächlich unmöglich i.S. v. § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG (Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60a AufenthG Rn. 22). Auch die Erteilung weiterer Ermessensduldungen kam nicht in Betracht. Die Duldungen im Wege des Ermessens nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG waren zuvor entsprechend dem Beschluss des Petitionsausschusses vom 01.07.2020 nur erteilt worden, um dem Kläger zu 1 die freiwillige Ausreise zu ermöglichen. Beim Ausreisegespräch am 13.10.2020 hatte der Kläger zu 1 jedoch deutlich gemacht, nicht mehr länger freiwillig ausreisen zu wollen.
Diese Duldungslücken sind nicht wegen ihres Bagatellcharakters als unschädlich zu bewerten (zu diesem Argument vgl. BVerwG, U. v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – BVerwGE 167, 211 = InfAuslR 2020, 190 Rn. 49 – 51). Denn sie klafften nicht nur einige Tage, sondern summierten sich auf mehr als ein Jahr.
Darüber hinaus wird der Mangel bei der Erfüllung des Integrationskriteriums „sechsjähriger ununterbrochener geduldeter oder gestatteter Aufenthalt“ nicht dadurch kompensiert, dass der Kläger zu 1 andere benannte Integrationskriterien „übererfüllt“ oder dass andere im Gesetz nicht genannte Integrationsindizien vorliegen (zu diesen Maßstäben BVerwG, a.a.O., Rn. 49).
Der Kläger zu 1 erfüllte zwar die weiteren gesetzlichen Regelvoraussetzungen zum Nachweis seiner nachhaltigen Integration gem. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – 5 AufenthG : Er sicherte den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft mit den übrigen Klägern überwiegend durch Erwerbstätigkeit und es ist aufgrund seiner bisherigen Erwerbsbiographie im Bundesgebiet und der Beschäftigungszusage seines bisherigen Arbeitgebers zu erwarten, dass ihm er ihn auch künftig würde bestreiten können. Anhaltspunkte dafür, dass er sich nicht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekannte und ihm hiesige Rechts- und Gesellschaftsordnung und die Lebensverhältnisse nicht in ihren Grundzügen geläufig war, liegen nicht vor. Deutschkenntnisse auf dem Niveau B 2 hat er durch ein entsprechendes Zertifikat vom 18.07.2015 nachgewiesen; sein älterer Sohn, der Kläger zu 3, kam seiner Schulpflicht tatsächlich nach. Damit hat der Kläger die übrigen Regelvoraussetzungen zwar ausreichend, aber nicht in einem das Übliche übersteigenden Ausmaß erfüllt.
Auch andere Indizien für eine Integration, die nicht in § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG genannt sind, liegen nicht vor. Insbesondere ergibt sich aus den Anlagen zur Petition lediglich, dass der Kläger zu 1 dem Hausverwalter engagiert dabei geholfen hat, die Gemeinschaftsunterkunftsanlage sauber zu halten. Dadurch wird der Mangel bei der Erfüllung des gesetzlichen Kriteriums des gestatteten, geduldeten oder erlaubten Aufenthalts nicht ausgeglichen.
II) Für die Klägerin zu 2 gilt ebenfalls das Titelerteilungsverbot gem. § 11 Abs., 1 Satz 1 AufenthG. Auch ihre Abschiebung war rechtmäßig, weil sie keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte und deshalb ausreisepflichtig war. Ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25b AufenthG scheitert auch bei ihr an der fehlenden Voraufenthaltszeit gem. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Ein abgeleiteter Anspruch gem. § 25b Abs. 4 Satz 1 AufenthG kommt nicht in Betracht, weil ihr Ehemann kein Begünstigter i. S. der. Norm ist. Die im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, um eine Ausbildung zur Pflegefachfrau zu beginnen, kommt nicht in Betracht, weil unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis vor der Ausreise nur nach Maßgabe der §§ 23 bis 26 AufenthG oder im Falle eines Anspruchs erteilt werden darf. Schließlich stand der Abschiebung auch nicht eine Ausbildungsduldung entgegen, weil sich die Pläne der Klägerin zu 2, eine Ausbildung zur Pflegefachfrau zu absolvieren, noch nicht konkretisiert hatten.
III) Auch zu Lasten des Klägers zu 3 wirkt das Titelerteilungsverbot gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG. Nichts Anderes gilt für den Kläger zu 4. Anders als die Kläger zu 1 und 2 vorgebracht haben, war seine Abschiebung auch nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Denn die ukrainischen Behörden sahen seinen am 27.12.2019 ausgestellten Reisepass trotz des Schreibfehlers bei der Wiedergabe des Namens gegenüber den deutschen Behörden als gültig an, so dass der Kläger zu 4 einen gültigen Pass besaß.
C) Als unterliegender Teil tragen die Kläger gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO § 711 ZPO.


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