Verwaltungsrecht

Familiäre Streitigkeiten nicht asylrechtlich relevant – Algerien

Aktenzeichen  W 8 K 20.30845

Datum:
21.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39833
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. I. Die Klage wird abgewiesen.
2. II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen infolge der Corona-Pandemie in Algerien in einer Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrenden davon ausgegangen werden müsste, dass keine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative nach § 3e AsylG vorliegt und dass den Klägern bei einer Rückkehr eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Algerien keine politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Den Klägern ist es nicht gelungen, die für ihre Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben der Kläger ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass die angebliche Verfolgung des Onkels nicht an asylrechtlich relevante Gründe anknüpfe. Vielmehr handele es sich um eine familiäre Streitigkeit um Geld. Aus dem Sachvorbringen gehe nicht hervor, dass die Kläger Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Organen gehabt hätten. Hinsichtlich der Bitte an die Polizei um Unterstützung hätten die Kläger widersprüchliche Angaben gemacht. Es sei nicht erwiesen, dass die algerischen Sicherheitsbehörden nicht willens oder in der Lage gewesen seien, den Klägern Schutz zu gewähren. Das angebliche Beweisstück sei nie von den Klägern überprüft worden. Auch die Annahme, dass der Onkel hinter ihnen her sei, wüssten sie nur vom Hörensagen. Letztlich müssten sich die Kläger darauf verweisen lassen, dass sie sich bei einer Rückkehr jederzeit auch anderswo im Land niederlassen könnten. Der Onkel habe sie auch in der Vergangenheit vier Monate lang im selben Stadtteil nicht gefunden. Eine Verfolgung der Kläger im ganzen Land sei bei einer Rückkehr nach Algerien nicht beachtlich wahrscheinlich. Eine Unterschreitung des wirtschaftlichen Existenzminimums sei nicht zu befürchten. Den Klägern sei die Sicherung des Lebensunterhaltes bereits vor der Ausreise gelungen. Hinsichtlich der COVID-19-Pandemie habe die algerische Regierung Maßnahmen ergriffen. An der Glaubhaftigkeit des Vortrags ergäben sich erhebliche Zweifel. Insbesondere der Umstand, dass die Eheleute nicht in der Lage gewesen seien, übereinstimmend den Namen des „Verfolgers“ in Person des Onkels anzugeben, erhärte diesen Verdacht. Bereits im Jahr 2018 hätte die Familie Visa beantragt, um eine Ausreise zu erwirken, die eine bessere medizinische Behandlung der Kinder bzw. schlicht die Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zweck haben sollte. Gesundheitliche Einschränkungen seien geltend gemacht worden. Die Klägerin zu 3) leide unter Asthma und nehme entsprechende Medikamente. Es sei nicht ersichtlich, dass in Algerien die erforderliche medizinische Behandlung nicht gewährleistet oder finanzierbar wäre. Zu den behaupteten Krankheiten der Kinder seien keine Atteste vorgelegt worden. Die allgemeinen gesundheitlichen Gefahren aufgrund der Pandemie durch das SARS-CoV-2-Virus rechtfertigten nicht generell das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten, zumal es sich um ein vorübergehendes Phänomen handele, das weltweit vorherrsche.
Die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 26.6.2020; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 11, Algerien, Marokko, Tunesien, Menschenrechtslage, im Focus: vulnerable Personen, Stand: 6/2019; Länderreport 3, Algerien, November 2018) und mit der Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa VG Würzburg, Be.v. 28.9.2020 – W 8 K 20.30307 und W 8 K 20.30690 – jeweils juris; B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.31066 – juris; U.v. 24.8.2020 – W 8 K 20.30714 – juris; B.v. 13.8.2020 – W 8 S 20.30940; B.v. 6.8.2020 – W 8 S 20.30912 – juris; jeweils m.w.N.).
Ergänzend ist anzumerken, dass es den Klägern auch in der mündlichen Verhandlung nicht gelungen ist, die schon im streitgegenständlichen Bescheid angesprochenen Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten zweifelsfrei und überzeugend aufzulösen. Teilweise sind in der mündlichen Verhandlung neue Fragezeichen aufgetaucht.
Ein fraglicher Aspekt ist schon das angeblich von der Klägerin zu 2) unterschriebene Dokument, das keiner von den Klägern gelesen hat. Die Klägerin zu 2) hat beim Bundesamt angegeben, sie habe das Dokument nicht gelesen; sie könne Französisch nicht sehr gut lesen. Auch der Kläger zu 1) gab an, dass sie nicht sehr gut Französisch könne. In der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin zu 2) hingegen, der Onkel habe sie einen Zettel auf Französisch unterschreiben lassen. Sie könne kein Französisch. Das Gericht beschleicht durch diese Aussage, (überhaupt) kein Französisch zu können, der Eindruck, dass die Klägerin zu 2) ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung gesteigert hat, um daraus Vorteile zu ziehen.
Auch in weiteren Aspekten drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Geschichte aufgebauscht bzw. dramatisiert worden ist, um Vorteile im Asylverfahren zu haben. Auffällig ist so der Umstand, dass die Klägerin zu 2) den Namen des Großvaters, der sie sexuell bedrängt habe, in der Anhörung beim Bundesamt nicht habe nennen wollen oder können, obwohl ihr beim Bundesamts ausdrücklich vorgehalten worden ist, dass sie sich ohne Namensnennung entgegenhalten lassen müsse, dass ihre Geschichte eventuell nur ausgedacht sei, worauf im Anhörungsprotokoll vermerkt ist, dass die Klägerin zu 2) auf Nachfrage diesen Vorhalt verstanden habe und trotzdem dabeibleibe, den Vornamen des Onkels nicht zu nennen. Kurze Zeit später nannte sie einen Vornamen, aber einen anderen Vornamen. Grund sei, dass sie aufgrund der Scham über das schreckliche Verhalten des Onkels dessen Namen nicht habe nennen wollen bzw. sich nicht habe überwinden können, dessen Namen auszusprechen. Das dieser Grund zutreffen mag, ist nicht völlig auszuschließen, jedoch ist es nicht die einzige mögliche Erklärung, zumal sie auf die Folgen ausdrücklich hingewiesen wurde und sie ohnehin gehalten ist, von sich aus alle verfolgungsrelevanten Tatsachen vorzubringen.
Auffällig ist des Weiteren, dass die Klägerin zu 2) im Widerspruch zum Kläger zu 1) angegeben hatte, ihr Ehemann sei in Algerien nicht bei der Polizei gewesen, weil es nichts bringe. Demgegenüber hatte er selbst angegeben, er sei bei der Polizei gewesen. Diese habe zu ihm gesagt, sie sollten aber die Privatangelegenheit selbst klären. Dazu gab der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung weiter an, dass er bei der Polizei gewesen sei, sogar beim Polizeichef, und, dass er später nochmals von der Polizei aufgesucht und mitgenommen worden sei. Er solle die Sache klären. Auch dies wirkt gesteigert. Hinzu kommt, dass die Klägerin zu 2) nunmehr angab, sie habe zum Zeitpunkt ihrer Anhörung noch nicht gewusst, dass ihr Mann tatsächlich bei der Polizei gewesen sei. Die Erklärung dafür klingt nicht plausibel. Die Kläger brachten vor, sie hätten bis zur Ausreise in verschiedenen Wohnungen gewohnt. Die Klägerin zu 2) sei immer für vier Tage während der Arbeitszeit des Klägers zu 1) anderweitig untergebracht gewesen. Dies erklärt aber nicht, dass sie nicht mitbekommen haben sollte, dass der Kläger zu 1) von der Polizei abgeholt worden sei. Denn es ist naheliegend, dass er sich in der Freizeit und nicht während der Arbeitszeit an die Polizei gewandt hat. Hinzu kommt, dass die Anhörung der Klägerin zu 2) beim Bundesamt im Juni 2020 gewesen ist, also zu einem Zeitpunkt, als die Kläger schon längst in Deutschland gewesen sind, und zwar schon seit Anfang März 2020.
Weiter konnten die Kläger nicht überzeugend begründen, wieso vom Onkel eine landesweite Gefahr für sie ausgehen sollte. Seine Tätigkeit bzw. Funktion konnten sie nicht näher erläutern. Sie brachte lediglich vor, er sei geschäftlich in anderen Städten unterwegs und er betreibe ein Einrichtungsgeschäft, bei dem auch die Klägerin zu 2) angestellt gewesen sei.
Zweifel resultieren schließlich weiter aus der erstmals in der mündlichen Verhandlung gemachten Angabe, dass die Kläger in Hinan Driss immer für vier Tage – während der Freizeit des Klägers zu 1) – zusammengelebt hätten und dass die Klägerin zu 2) mit den Kindern während weiterer vier Tage – während der Kläger zu 1) arbeitete – je für zwei Tage bei Freunden des Klägers zu 1) gewesen sei, die nicht in Hinan Driss gewohnt hätten. Die Klägerin zu 2) sei zwei Monate bei den Freunden gewesen und zwei Monate nicht. Auffällig ist, dass die Kläger beim Bundesamt mit keinem Wort diese Besonderheit des abwechselnden 4-tägigen gemeinsamen Aufenthalts in der Wohnung durch die Kläger während der Freizeit des Klägers zu 1) und ansonsten während seiner Arbeitszeit die anderweitige Unterbringung der Klägerin zu 2) mit den Kindern erwähnten. Zwar ist den Klägern zuzugestehen, dass sie schon gegenüber dem Bundesamt gesagt hätten, sie hätten öfters die Wohnung gewechselt und die Adresse geändert; gleichwohl hatten sie gegenüber dem Bundesamt einstimmig angegeben, die letzten vier Monate in Hinan Driss gewohnt zu haben, obwohl dies für die Kläger zu 2) bis 4) nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht zutrifft. Die zeitlichen Angaben sind zudem auch sonst nicht plausibel. Denn die Kläger gaben an, dass sie am 26. Dezember 2019 ausgereist seien und dass der Vorfall mit dem Onkel im September 2019 erfolgt sei bzw. der Kläger zu 1) im September 2019 von den Geschehnissen erfahren haben wolle. Die Klägerin zu 2) hat selbst angegeben, im September 2019 habe der Onkel sie das Dokument unterschreiben lassen und danach sei es dreimal zum Geschlechtsverkehr gekommen. Allerdings hat die Klägerin zu 2) ein anderes Mal angegeben, dass sie im August 2019 das Dokument unterschrieben habe. Die Klägerin zu 2) habe nicht mehr bei dem Onkel gearbeitet und sie seien dann umgezogen. Ausgehend davon, bleiben allenfalls knapp vier Monate, wenn nicht nur drei Monate, zwischen Vorfall bzw. Umzug und Ausreise. Wann dann die angeblichen weiteren Umzüge erfolgt sein sollten, bleibt offen.
Jedenfalls droht den Klägern bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien schon deshalb keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens Dritter – konkret ihrer Familien bzw. seitens des Onkels der Klägerin zu 2) -, weil sie insoweit zum einen gehalten sind, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um um Schutz nachzusuchen, und weil zum anderen für sie eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Für die Kläger besteht in Algerien eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn sie sich in einen anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlassen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 18). Die Kläger müssen sich auf interne Schutzmöglichkeiten in ihrem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Algeriens ein wirksames (wenngleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Familien der Kläger bzw. des Onkels der Klägerin zu 2) die Kläger ohne weiteres auffinden können sollten, wenn sie ihren ursprünglichen Heimatort meiden und in andere Großstädte gehen. Angesichts der Größe Algeriens und der Größe der dortigen Städte hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass die Kläger fürchten müssten, von ihren Verwandten entdeckt und gefährdet zu werden. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzwillig und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (vgl. VG Minden, B.v. 30.8.2019 – 10 L 370/19.A – juris; U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; SaarlOVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 48/15 – juris).
Ergänzend wird noch angemerkt, dass aufgrund des jedenfalls mangelhaften Meldewesens in Algerien ein Verstecken in der Anonymität einer Großstadt möglich ist. Des Weiteren haben die Kläger nicht konkretisiert, inwiefern ihre Familien bzw. der Onkel der Klägerin zu 2) überhaupt von ihrer Rückkehr erfahren und sie ausfindig machen könnten. Die Vermutung bzw. die theoretische Möglichkeit, dass die Kläger gleichwohl entdeckt werden könnten, reicht nicht aus, zumal sich die Kläger schon ca. ein Jahr außerhalb des Landes aufhalten. Außerdem war es den Klägern möglich, auch in Algerien in den letzten vier Monate vor der Ausreise sogar in derselben Stadt, womöglich auch im selben Viertel, eine Wohnung oder sogar mehrere Wohnungen zu mieten, ohne dass die Anderen sie auffinden oder behelligen konnten. Erst recht sieht das Gericht keine beachtliche wahrscheinliche Gefahr, wenn die Kläger sich andernorts in Algerien niederlassen würden. Im Grundsatz besteht in Algerien Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, welche durch die Regierung lediglich in südlichen Bezirken eingeschränkt ist. Auch die möglicherweise bestehenden Beschränkungen infolge der COVID-19-Pandemie stellen keine Hinderungsgründe dar. Das Gericht ist vielmehr überzeugt, dass die Kläger sicher und legal in einem anderen Landesteil oder eine andere algerische Großstadt erreichen und sich dort niederlassen können (vgl. VG Würzburg, U.v. 28.9.2020 – W 8 K20.30307 – juris; U,v, 24.7.2020 – W 8 K 20.30188).
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass den Klägern im Anschluss an ihre Rückkehr die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Den Klägern, insbesondere dem Kläger zu 1), ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern – z.B. der Mutter und der Schwester der Klägerin zu 2), mit denen sie nach eigener Aussage in der mündlichen Verhandlung keine Probleme gehabt habe -, so dass die Kläger sich jedenfalls ihr Existenzminimum sichern können. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 6, 8 f. und 21; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 26.6.2020, S. 27 ff.). Die Kläger zu 1) und 2) sind noch jung, gesund genug und erwerbsfähig, wobei die möglichen gesundheitlichen Beschwerden des Klägers zu 1) als Asthmatiker, die er durch keinerlei ärztlichen Belege plausibilisiert hat, ihn nicht so einschränken, dass ihm eine Arbeitsaufnahme – wie auch schon in der Vergangenheit – nicht möglich wäre. Den Klägern ist zuzumuten, zur Sicherung ihres Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familien zurückzugreifen oder auf sonstige Hilfemöglichkeiten zurückzugreifen. Letztlich ist den Klägern eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse ihres Heimatstaates möglich und zumutbar (ebenso VG München, B.v. 2.7.2020 – M 26 S 20.31428 – juris; VG Frankfurt, U.v. 5.3.2020 – 3 K 2341/19.F.A – juris; SaarlOVG, B.v. 25.9.2019 – 2 A 284/18 – juris; VG Minden, B.v. 30.8.2019 – 10 L 370/19.A – juris; U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 46/18 – InfAuslR 2019, 309; U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – Buchholz 402.242, § 58a AufenthG Nr. 12; VG Stade, U.v. 1.4.019 – 3 A 32/18 – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Jedenfalls ist die Annahme einer extremen Gefährdungslage für eine Familie mit Kindern nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegeben, zumal es bei einer (freiwilligen) Rückkehr auch die Möglichkeit finanzieller und anderer Hilfen gibt (so ausdrücklich auch VG Stade, U.v. 1.4.2019 – 3 A 32/18 – juris sowie schon VG Würzburg, U.v. 24.7.2020 – W 8 K 20.30188; B.v. 14.1.2020 – W 8 S 20.30008 – juris). Das Auswärtige Amt hat in seinem Lagebericht darauf hingewiesen, dass IOM im letzten Jahr ein Programm zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach und die Integration in Algerien ins Leben gerufen habe. Das Programm werde aus EU-Mitteln und auch bilateral von deutscher Seite unterstützt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 22).
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf etwaige negative wirtschaftliche Auswirkungen aufgrund der weltweiten COVID-19-Pandemie. Das Gericht hat keine triftigen Anhaltspunkte geschweige denn konkrete Belege, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen infolge der Corona-Pandemie in Algerien in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrenden davon ausgegangen werden müsste, dass keine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative nach § 3e AsylG vorliegt und dass den Klägern bei einer Rückkehr eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht (vgl. schon VG Würzburg, U.v. 28.9.2020 – W 8 K 20.30307 – juris; U.v. 24.7.2020 – W 8 K 20.30188). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie Ausgleichsmaßnahmen zur Unterstützung notleidender Bevölkerungsteile geschaffen wurden. Hilfsmaßnahmen kommen vor allem aus der Zivilgesellschaft. Außerdem kommt es zur Stundung von Steuerzahlungen und Krediten sowie weiteren staatlichen wirtschaftlichen Erleichterungen. Anzeichen für eine Wasser- oder Lebensmittelknappheit bestehen nicht (siehe Auswärtiges Amt, Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise; Deutsche Botschaft Algier, Aktuelle Corona-Maßnahmen in Algerien; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage, vom 9.7.2020, S. 14 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien, v. 26.6.2020, S. 30 sowie die späteren und deshalb nicht zu Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisse: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation – Algerien, Gesundheitssystem und Covid-19-Pandemie, Dezember 2020; WKO – Wirtschaftskammer Österreich, Coronavirus: Situation in Algerien, vom 7.1.2021, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-in-algerien.html).
Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Insbesondere ergibt sich ein solches nicht aus der persönlichen gesundheitlichen Situation der Kläger.
Erkrankungen rechtfertigen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung in Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Der Ausländer bzw. die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Die Kläger zu 3) und 4) machen – anders als der Kläger zu 1) – unter Vorlage verschiedener ärztlicher Unterlagen geltend, dass sie insbesondere unter bronchialem Asthma litten.
Der Kläger zu 1) hat kein qualifiziertes ärztliches Attest im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG vorlegt. Wird die geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, aber nicht durch eine qualifizierte Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, so bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, wonach der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (vgl. nur BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Das Gericht lässt des Weiteren dahingestellt, ob die für die Kläger zu 3) und 4) vorgelegten ärztlichen Atteste ausreichende qualifizierende Bescheinigungen in dem Sinne sind. Abgesehen davon rechtfertigt ihre Asthma-Erkrankung – wie schon das Bundesamt im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat – nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des gesundheitlichen Zustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen und schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. Mit der Präzisierung des Gesetzgebers, das lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern, wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen, eine erheblich konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Nach diesen Vorgaben ist nicht davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr der Kläger nach Algerien eine derartig gravierende Entwicklung der Erkrankung alsbald erfolgt. Den Attesten ist nicht zu entnehmen, dass nicht auch wie bisher das Asthma in Algerien behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnte. Denn nach der vorliegenden Erkenntnislage ist die medizinische Grundversorgung mit einem für die Bürger weitgehend kostenlosen Gesundheitssystem auf niedrigem Niveau sichergestellt. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht oft nicht europäischem Niveau. Krankenhäuser, in denen schwierige Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es in den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt. Die Versorgung mit Standard-Medikamenten ist zumindest in den Städten gewährleistet. Für mehrere Medikamente und medizinische Geräte ist der Import verboten, um die algerische Produktion zu stärken. Obwohl viele Medikamente als lokal produzierte Generika verfügbar sind, kommt es immer noch zu Presseberichten über einen Mangel an bestimmten Medikamenten in den Apotheken. Die Sozial- und Krankenversicherungen ermöglichen staatlichen Krankenhäusern eine grundsätzlich kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten oder von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung (vgl. ausführlich BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 26.6.2020, S. 19 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 22).
Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Algerien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des algerischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Die Kläger sind gehalten, sowohl die Möglichkeiten des algerischen Gesundheitssowie Sozialsystems auszuschöpfen, als auch gegebenenfalls auf private Hilfemöglichkeiten, etwa durch Verwandte oder Hilfsorganisationen, zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren.
Selbst wenn der Klägerseite zuzugestehen ist, dass die medizinischen Möglichkeiten in Algerien eingeschränkt sind und nicht vergleichbar sind mit den Möglichkeiten in Deutschland, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass das Niveau der Gesundheitsversorgung in Algerien nicht europäischen Standards entspricht, nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG rechtlich nicht relevant ist. Zudem haben die Kläger selbst angegeben, wegen einer Asthma-Erkrankung in Algerien Medikamente – wenn auch schlechterer Qualität – erhalten und genutzt zu haben. Die Kläger haben selbst erklärt, dass die Medikamente in Algerien gewirkt hätten, wenn auch nur mit kürzerer Dauer.
Bei einer Rückkehr nach Algerien könnten den Klägern zudem erforderlichenfalls die zur Überwindung von Übergangsschwierigkeiten erforderlichen Medikamente für einen gewissen Zeitraum mitgegeben werden kann (ebenso VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris m.w.N.; vgl. auch VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris sowie VG Würzburg, B. v. 5.7.2029 – W 8 S 19.31241 – juris).
Soweit von Klägerseite ausgeführt ist, dass langfristig eine verminderte körperliche Belastbarkeit, eine Reduktion der Lungenfunktion und kardiovaskoläre Folgeschäden auftreten könnten, ist das – wie ausgeführt – nach der Rechtslage für die Annahme eines Abschiebungshindernisses, das eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr erfordert, nicht ausreichend.
Auch soweit nach den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen bei fehlender Therapie mit einer akuten Exazerbation (sog. Asthma-Anfall) zu rechnen sei, hat das Gericht keine Anhaltspunkte, dass diese Asthma-Anfälle einen lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Verlauf nehmen würden, der eine erheblich konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen würde. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung bei den Klägern wiederholt nachgefragt, wie sich die Asthma-Anfälle in der Vergangenheit konkret ausgewirkt hätten. Die Kläger gaben dazu immer nur an, dass sie dann ihr Spray verwendet und die Kinder vereinzelt auch in Algerien ins Krankenhaus gemusst hätten. Dass es zu schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erstickungsanfällen gekommen wäre, haben sie jedoch selbst nicht vorgebracht. Da Asthma-Anfälle von Intensität und Stärke unterschiedlich ausfallen können, fehlen auch insoweit dem Gericht konkrete ärztlicherseits attestierte Anhaltspunkte für die Annahme einer erheblich konkreten Gefahr als Voraussetzung für die Annahme eines Abschiebungshindernisses (im Ergebnis ebenso schon VG Würzburg, U.v. 24.7.2020 – W 8 K 20.30188).
Auch die weltweite COVID-19-Pandemie und die von Klägerseite vorgebrachte Zugehörigkeit der Kläger zu 3) und 4) zu einer Risikogruppe für einen besonders schweren Verlauf einer möglichen COVID-19-Erkrankung führen nicht zu einer anderen Beurteilung.
Zunächst ist insoweit festzustellen, dass die Kläger mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht mit dem neuartigen SARS-CoV-2 („Coronavirus“) infiziert ist bzw. nicht an der hierdurch hervorgerufenen Lungenerkrankung COVID-19 leiden.
Weiter ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Fehlt – wie hier – ein solcher Erlass kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG allenfalls ausnahmsweise in verfassungskonformer Auslegung in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Allgemeine Gefahren können aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes grundsätzlich nicht rechtfertigen. Die Kläger haben aber keinen Anspruch wegen einer extremen Gefahrenlage. Eine verfassungswidrige Schutzlücke liegt nur dann vor, wenn der Schutzsuchende bei einer Rückkehr in das Aufnahmeland mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise Opfer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Eine Abschiebung müsste dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N., vgl. auch schon VG Würzburg, U.v. 24.7.2020 – W 8 K 20.30188).
Eine solche konkrete außergewöhnliche Gefahrenlage für die Kläger ist vorliegend im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) auch vor dem Hintergrund des erforderlich hohen Wahrscheinlichkeitsgrades für das Gericht nicht erkennbar.
Die Kläger, insbesondere die Kläger zu 3) und 4), gehören – trotz ihrer Asthma-Erkrankung – nicht zwangsläufig zu einer Personengruppe (Risikogruppe) für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkankung, zumindest haben sie dies nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar ist im epidemiologischen Steckbrief des RKI zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 11.12.2020, unter Nr. 9 und Nr. 15 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html) eine Person mit einer chronischen Lungenerkrankung in der Risikogruppe für schwere Verläufe genannt. Allerdings ist beim RKI als Beispiel COPD erwähnt, nicht jedoch Asthma bronchiale. Weiter ist dort ausdrücklich angemerkt, dass diese Einstufung nur eine Orientierung sein könne, weil die Vielfalt verschiedener weiterer Einflussfaktoren die Komplexität einer Risikoeinschätzung deutlich mache, sodass eine generelle Festlegung zur Einstufung in eine Risikogruppe nicht möglich sei. Diese Erkenntnis wird unterstrichen durch die in das Verfahren eingeführte Pressemitteilung des Verbands für pneumologische Kliniken vom 13. März 2020 (abrufbar unter: https://www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/gut-einge-stellte-asthmatiker-sind-grundsaetzlich-nicht-staerker-durch-coronaviren-covid-19-gefaehr/) sowie durch das Informationsblatt des Vereins Deutsche Atemwegsliga e.V., 12/2020 („Tipps für Atemwegserkrankte zu Pandemiezeiten“ abrufbar unter https:// www.atemwegsliga.de/asthma.html), wonach jedenfalls für medikamentös gut eingestellte Asthmatiker kein generell erhöhtes Infektionsrisiko bzw. Risiko bestehe, schwerwiegend bzw. lebensbedrohlich an COVID-19 zu erkranken. Darüber hinaus finden sich in den Erkenntnisquellen auch Aussagen, wonach es inzwischen sogar Hypothesen gebe, dass das Risiko für Asthma-Patienten sogar geringer sein könnte – auch, weil Asthmatiker häufig vorsichtiger seien (vgl. Vivatmo, Was Sie als Asthmatiker über Corona wissen sollten, Corona-Pandemie 12/2020, https://www.vivatmo.com/asthma-und-feno/asthma-und-corona/).
Vor diesem Hintergrund stellt die Beantwortung der Frage der möglichen Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe in Bezug auf eine COVID-19-Erkrankung letztlich eine medizinische Schlussfolgerung dar, welche vom Gericht nicht vorgenommen werden kann. Insoweit müsste ein möglicherweise erhöhtes Risiko, schwerwiegend an COVID-19 zu erkranken durch ein entsprechendes qualifiziertes ärztliches Attest nachgewiesen werden, an dem es vorliegend fehlt (vgl. zum Ganzen schon VG Würzburg, U.v. 24.7.2020 – W 8 K 20.30188).
Soweit die Klägerseite darauf verweist, dass gerade die Kläger zu 3) und 4) zwar jetzt in Deutschland gut eingestellt seien, dass dies aber nicht der Fall wäre, wenn sie wieder nach Algerien zurückkehren würden, ist dazu schon anzumerken, dass sich die Frage stellt, ob nicht gerade bei Kindern ohnehin ein geringeres Risiko eines schweren Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung besteht. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Klägern, zumindest für die Anfangszeit, Medikamente mitzugeben. Ungeachtet dessen sind die Kläger darauf zu verweisen, sich gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Algerien zu behelfen, auch wenn das Niveau im Vergleich zu Deutschland zurückbleibt. Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland, in dem die Zahl der nachweislich mit dem Coronavirus Infizierten bzw. der betreffenden Todesfälle um ein Vielfaches höher ist als in Algerien – individuelle persönliche Schutzmöglichkeiten wie das Tragen einer Gesichtsmaske, Hygienemaßnahmen, z.B. Waschen der Hände oder Wahrung von Abstand zu anderen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Im Übrigen genügt nicht die allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Corona-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen. Erforderlich ist, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen, zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende etwa zu einer Risikogruppe gehört und in seinem speziellen Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, zu rechnen ist. Anzugeben ist dabei weiter, wie viele Personen im Zielland konkret infiziert sind, einen schweren Verlauf haben und gestorben sind, ob landesweit eine betreffende Gefahr besteht bzw. konkret an dem Ort, an dem der Betreffende zurückkehrt und auch welche Schutzmaßnahmen der Staat mit welcher Effektivität getroffen hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris). An einem entsprechenden substantiierten Vorbringen der Kläger fehlt es, wenn nur allgemein darauf verwiesen wird, die Kläger gehörten zu einem besonders von einer COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem Verlauf gefährdeten Personengruppe. Durchgreifende Gründe für eine relevante Gefahr sind auch sonst nicht ersichtlich.
Ergänzend wird dazu weiter angemerkt, dass die weltweite COVID-19-Pandemie auch deshalb kein Abschiebungshindernis begründet, weil nach den aktuellen Fallzahlen in Algerien – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe Sitzungsprotokoll, S. 2), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder gar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wären. Dies gilt gerade, wenn die Kläger die vom algerischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutzmasken usw.) beachten und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nehmen, zumal nicht überall in Algerien gleichermaßen ein gleichhohes Ansteckungsrisiko besteht und der algerische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfemaßnahmen getroffen hat (siehe Auswärtiges Amt, Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise; Deutsche Botschaft Algier, Aktuelle Corona-Maßnahmen in Algerien; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage, vom 9.7.2020, S. 14 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien, v. 26.6.2020, S. 30 sowie die späteren und deshalb nicht zu Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisse: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation – Algerien, Gesundheitssystem und Covid-19-Pandemie, Dezember 2020; WKO – Wirtschaftskammer Österreich, Coronavirus: Situation in Algerien, vom 7.1.2021, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-in-algerien.html; siehe auch VG München, B.v. 2.7.2020 – M 26 S 20.31428 – juris; vgl. zum Ganzen ausführlich VG Würzburg, Ue.v. 28.9.2020 – W 8 K 20.30307 und W 8 K 20.30690 – jeweils juris; B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.31066 – juris; B.v. 13.8.2020 – W 8 S 20.30940; B.v. 6.8.2020 – W 8 S 20.30912 – juris; U.v. 24.7.2020 – W 8 K 20.30188; B.v. 17.7.2020 – W 8 S 20.30824 – juris; jeweils m.w.N.).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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