Verwaltungsrecht

Fehlende Flüchtlingseigenschaft und Versagen der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach dem Asylgesetz

Aktenzeichen  AN 4 K 16.30285

Datum:
17.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3a, § 4, § 25, § 34 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Allein auf Grundlage einer vorläufigen und nur fernmündlich abgegebenen ärztlichen Einschätzung kann nicht vom Vorliegen eines Abschiebungsverbotes wegen einer Belastungsstörung gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ausgegangen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet, weil die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (1.), auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG (2.) und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (3.) haben. Auch die in Ziffer 5) und 6) des angefochtenen Bescheids getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken (4.). Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die in Ziffer 2) des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne von Art. 16a GG durch Ziffer 2 des Bescheides vom 1. März 2016 ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage.
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG.
Das Gericht nimmt zur Begründung dieses Urteils vorab Bezug auf den ausführlichen und zutreffend begründeten streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird, auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung am 17. August 2016, noch ausgeführt:
1.
Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.
Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
1.1
Der Kläger hat die angebliche Bedrohung durch die schiitische Miliz als maßgeblichen Fluchtgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen jedoch keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. VwGO i. V. m. § 25 Abs. 1 AsylG muss der Ausländer zunächst selbst die Tatsachen vorbringen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden Schadens begründen, und die insoweit erforderlichen Angaben machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Asylsuchende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, U.v. 29.11.1977 – I C 33.71 -, BVerwGE 55, 82-86).
Die vom Kläger zu 1) geschilderten Anwerbeversuche der schiitischen Milizionäre bleiben auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vage, widersprüchlich und daher wenig überzeugend.
So lässt schon der Umstand, dass eine schiitische Miliz, deren erklärtes Ziel nach Darstellung des Klägers zu 1) ist, das Land von Falschgläubigen zu befreien, einen Sunniten für ihre Zwecke anwerben will, starke Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrages aufkommen. Auch die insoweit angeführte Begründung des Klägers zu 1), dass die Miliz ihn aufgrund seiner Unauffälligkeit und fehlenden Kontakte zu etwaigen politischen oder religiösen Organisationen als Spion akquirieren wollte, vermag diesen Widerspruch nicht überzeugend aufzulösen und widerspricht zudem jeglicher Wahrscheinlichkeit, was die Vorgehensweise bewaffneter Gruppen im Irak angeht. Das Gericht verweist insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid.
Hinzu kommt, dass der Kläger zu 1) die vorstehenden Angaben in der mündlichen Verhandlung auf entsprechenden Vorhalt des Gerichts gemacht hat. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt hatte der Kläger noch geäußert, nichts Genaues über die Miliz und deren Ziele zu wissen. Auf die Frage des Bundesamtes, wofür die Miliz den Kläger zu 1) haben wollte, hatte er erklärt: „Vielleicht um Menschen zu töten oder Ähnliches“. Dabei handelt es sich jedoch um eine völlig andere Verwendungsweise, als sie nun im gerichtlichen Verfahren vorgetragen wurde.
Ebenso verhält es sich mit der Identität der Milizionäre: Während der Kläger zu 1) gegenüber dem Bundesamt noch äußerte, nicht zu wissen, von welcher Organisation die Milizionäre stammten, ließ er in der Klagebegründung erklären, dass er im Nachhinein vermute, dass es sich um die Miliz Asaeb Ahl Alhaq handele. In der mündlichen Verhandlung wurde der Vortrag dahin gehend gesteigert, dass die Miliz, die ihn durch ihre Männer bedrängt habe, die Asaeb Ahl Alhaq gewesen sei.
Nach alledem ist der Vortrag des Klägers zu 1) in seiner Widersprüchlichkeit und Ungenauigkeit hinsichtlich der angeblichen Bedrohung durch eine schiitische Miliz als fluchtauslösenden Umstand nicht hinreichend konkret und substantiiert.
Dass die Kläger im gesamten Gebiet des Irak in Anknüpfung an ihre sunnitische Religionszugehörigkeit verfahrensrelevante Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten hätten, macht der Kläger zu 1) nicht – hinreichend konkret und substantiiert – geltend. Der Kläger zu 1) hat vielmehr in der mündlichen Verhandlung, zu etwaigen inländischen Fluchtalternativen befragt, selbst angegeben, dass es im Irak auch Gebiete gebe, in denen die Sunniten die Mehrheit darstellten. Der in diesem Zusammenhang gleichfalls erhobene Einwand des Klägers zu 1), die schiitischen Milizen hätten aber überall im Irak, also auch in den mehrheitlich sunnitischen Gebieten, Einfluss und der Irak werde von den Schiiten beherrscht, vermag einen Fluchtgrund ebenfalls nicht begründen. Denn die Einflussnahme oder Machtausübung als solche stellt keine asylrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG dar. Eine solche wird in diesem Zusammenhang gerade nicht – hinreichend konkret und substantiiert – geltend gemacht.
1.2
Wie schon im Verfahren vor dem Bundesamt berufen sich die Kläger zudem auf die angebliche Bedrohung durch die Familie der verstorbenen Ehefrau des Klägers zu 1). Selbst wenn man jedoch diesen Sachverhalt als wahr unterstellte, resultierte daraus kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Bei den gegenüber dem Kläger zu 1) geäußerten Drohungen handelt es sich – allenfalls – um kriminelle Handlungen, die jedoch nicht an ein Verfolgungsmerkmal des § 3 Abs. 1, Nr. 1 AsylG anknüpfen und somit nicht verfahrensrelevant sind.
Hinzu kommt, dass der Kläger zu 1) sich und seine Familie in einem großen Land wie dem Irak wirksam vor der Familie seiner verstorbenen Ehefrau schützen könnte, indem er eine Kontaktaufnahme unterlässt und seinen Aufenthaltsort nicht bekannt gibt.
2.
Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht.
Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nur dann subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß Satz 2: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
3.
Dasselbe gilt für die begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Insofern ist jedoch im Hinblick auf die vom Kläger zu 1) erwähnte psychiatrische Behandlungsbedürftigkeit Folgendes hinzuzufügen: Zwar hat der behandelnde Psychiater in einer telefonischen Auskunft an die Klägervertreterin wohl eine vorläufige Einschätzung hinsichtlich einer beim Kläger zu 1) vorliegenden Erkrankung durch eine Belastungsstörung abgegeben. Der Arzt hat jedoch – nach dem Vortrag der Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung – selbst darauf hingewiesen, dass eine gesicherte Diagnose nach nur einem Behandlungstermin noch nicht gestellt werden könne. Allein auf Grundlage dieser vorläufigen und nur fernmündlich abgegebenen ärztlichen Einschätzung kann im maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich der mündlichen Verhandlung, daher nicht vom Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgegangen werden. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach der gesetzlichen Definition in Satz 2 nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die vorläufige und bisher nur mündlich abgegebene ärztliche Einschätzung gegenüber der Klägervertreterin ist jedoch nicht hinreichend konkret und substantiiert, um das Vorliegen der genannten gesetzlichen Voraussetzungen glaubhaft machen zu können.
4.
Die in Ziffer 5) des Bescheids vom 1. März 2016 angedrohte Abschiebung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, weil die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ist (hier festgesetzt auf 30 Monate) nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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