Verwaltungsrecht

Fehlende Glaubhaftmachung der behaupteten Vorverfolgung

Aktenzeichen  M 2 K 16.31568

Datum:
7.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 26a
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Nicht glaubwürdig ist, wer behauptet, wegen Konversion zum Christentum habe ihm im Iran asylrelevante und asylerhebliche Verfolgung durch den iranischen Staat bis hin zur Todesstrafe gedroht, aber nicht nachvollziehbar erklären kann, warum er trotz dieses erheblichen Risikos für Leib und Leben noch nahezu ein Jahr im Iran verblieben ist, obwohl ihm entsprechende Mittel für die Finanzierung seiner Flucht zur Verfügung standen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16 a GG), noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG), noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG), noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids vom 13. Juni 2016 und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 6. dieses Bescheids sind rechtmäßig.
Hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten, ferner hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots wird zunächst auf den Bescheid des Bundesamts vom 13. Juni 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist wie folgt auszuführen:
1. Der Kläger kann gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a Abs. 1 AsylG schon deshalb nicht als Asylberechtigter anerkannt werden, weil er nach eigenem Vortrag u.a. über Bulgarien und Ungarn eingereist und daher über einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a Abs. 2 AsylG nach Deutschland gelangt ist.
2. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich beim Vortrag des Klägers, er sei vorverfolgt aus dem Iran ausgereist, um eine Schutzbehauptung. Das Vorbringen des Klägers beim Bundesamt, in der Klagebegründung und in der mündlichen Verhandlung (gleiches gilt für jenes des Bruders ……), er und seine Familie seien vom iranischen Staat im Zusammenhang mit der Durchführung von Erfan-e Halgheh-Kursen und einer christlichen Hauskirche im Haus seines Bruders … verfolgt worden, ist unglaubwürdig. Infolgedessen können dem Kläger wegen dieses Vorbringens schon aus tatsächlichen Gründen weder die Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG), noch subsidiärer Schutz (§ 4 AsylG), noch Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) zuerkannt werden.
Unglaubwürdig ist das klägerische Vorbringen einer Vorverfolgung schon deshalb, weil er und seine Brüder den Iran nach dem angeblichen Vorfall im Juni/Juli 2012, als das Haus des … von iranischen Sicherheitsbehörden durchsucht worden sein soll, erst Ende Juni/Anfang Juli 2013 und damit ca. ein Jahr später verlassen haben wollen. Wer ernsthaft eine asylrelevante und asylerhebliche Verfolgung durch den iranischen Staat wegen antiislamischen Verhaltens bis hin zur Todesstrafe fürchtet, der verlässt sein Heimatland so rasch wie möglich, um sich dem Zugriff der iranischen Sicherheitsorgane sicher zu entziehen. Dies gilt zumal vorliegend die Bedrohung durch den iranischen Staat so unmittelbar und dringlich gewesen sein soll, dass der Kläger, von seinem Bruder … nach dem Vorfall telefonisch vom Musikmachen mit Freunden in einem Tonstudio nach Hause beordert, dort angekommen sofort in das vor dem Haus wartende Auto gestiegen und mit seiner Familie Richtung Chalous geflüchtet sein will. Angesichts des laut Kläger großen Vermögens des Bruders … von sieben bis acht Millionen Dollar, davon ein Teil Bargeld, mit dem mühelos trotz angeblich gepfändeter Konten neben den Kosten für den Schleuser in Höhe von 400 Mio. Touman der einjährige Aufenthalt der gesamten Familie und anschließend der mehrjährige Aufenthalt der Mutter und Schwester des Klägers in Häusern des Ali … finanziert werden konnte, steht auch außer Frage, dass eine sofortige Flucht nicht an fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert sein kann. Nicht überzeugen kann in diesem Zusammenhang auch die Einlassung des Klägers auf den entsprechenden Vorhalt des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, Ali …, der ein einflussreicher Mann mit guten Kontakten zum Staat gewesen sein soll, habe zuerst Erkundigungen einholen sollen, ob das Problem mit einer Geldzahlung aus der Welt zu schaffen sei: Ali … hatte laut Kläger alsbald die Auskunft erhalten, dass dies nicht möglich sei sowie dass gegen den Kläger und die anderen Familienangehörigen Haftbefehl erlassen worden sei und deren Konten gesperrt worden seien. Spätestens nach dieser Auskunft gab es keinen nachvollziehbaren Grund mehr, warum der Kläger und seine Brüder nicht unverzüglich den Iran verlassen haben. Niemand, der ernsthaft eine asylrelevante und asylerhebliche Verfolgung des iranischen Staats bis hin zur Todesstrafe fürchtet, geht das Risiko ein, noch monatelang im Heimatland zu bleiben. Noch weniger wird ein derart Verfolgter auch nur in Erwägung ziehen, mit gefälschten Pässen die italienische Botschaft aufzusuchen, um anschließend von einem intensiv überwachten iranischen Flughafen aus sein Heimatland verlassen zu können. Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Vorgehensweise ein enormes Entdeckungsrisiko mit sich bringt, das ein angeblich vom iranischen Staat mit Haftbefehl Gesuchter und mit schweren Strafen bis hin zur Todesstrafe Bedrohter bei lebensnaher Betrachtungsweise nicht eingehen wird. Vielmehr verlässt ein derart Verfolgter so rasch wie möglich den Iran, was vielen Iranern gerichtsbekanntermaßen auch abseits der regulärer Grenzübergangsstellen und zu Fuß möglich ist. Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, der Mutter und der Schwester des Klägers sei eine Ausreise auf dem Landweg aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Wenn der Kläger (und seine Brüder) tatsächlich ernsthaft vom iranischen Staat verfolgt gewesen wären, dann wären wenigstens sie sogleich ausgereist, letztendlich hatten der Kläger (und seine Brüder) die Iran ja auch tatsächlich ohne Mutter und Schwester verlassen.
Massiv gegen eine Vorverfolgung des Klägers im Iran streitet auch, dass sich der Kläger und seine Familie angeblich über ein Jahr in den Häusern des Ali … aufgehalten haben wollen – zunächst sechs bis sieben Monate in Chalous, anschließend in Tabriz -, ohne dass die iranischen Sicherheitsbehörden dort nach ihnen gesucht haben sollen. Bei Ali … handelt es sich laut dem Kläger um einen Freund und Geschäftspartner seines Bruders …, der zudem auch Erkundigungen über die Vorwürfe gegen den Kläger und seine Familie bei staatlichen Behörden eingeholt haben soll. Es ist angesichts dessen gänzlich unplausibel, warum die iranischen Sicherheitsorgane in dem langen Zeitraum bis zur tatsächlichen Ausreise des Klägers und seiner Brüder keine Ermittlungsmaßnahmen im Umfeld des Ali … angestrengt haben sollen und insbesondere auch nicht in den Häusern des Ali … nach dem Kläger und den anderen Familienangehörigen gesucht haben sollen. Dies gilt zumal der Kläger und seine Familie angeblich dringlich wegen antiislamischen Aktivitäten und wegen Delikten mit hoher Strafandrohung bis hin zur Todesstrafe gesucht worden sein sollen. Soweit der Kläger dies auf Vorhalt des Gerichts in der mündlichen Verhandlung damit zu erklären versucht, dass der Kläger und die anderen Familienangehörigen die Häuser des Ali … nicht verlassen hätten, vielmehr der Hausmeister alles für sie erledigt habe, kann dies nicht überzeugen: Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs wäre nicht erst aufgrund dessen, dass der Kläger oder andere Familienangehörige in den oder in der Nähe der Häuser des Ali … tatsächlich gesehen worden wären, sondern schon allein aufgrund der engen Freundschaft und Geschäftsbeziehung zwischen … und Ali … sowie dessen Erkundigungen bei staatlichen Behörden über die Familie des Klägers in dem langen Zeitraum bis zur tatsächlichen Ausreise aus dem Iran staatliche Ermittlungsmaßnahmen im Umfeld des Ali … zu erwarten gewesen.
Gegen eine staatliche Vorverfolgung des Klägers spricht schließlich auch der Umstand, dass die Mutter des Klägers und dessen Schwester nach dessen Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung bis heute gänzlich unbehelligt von den iranischen Sicherheitsbehörden in einem anderen Haus des Ali … in Levasan bei Teheran leben sollen. Nach dem klägerischen Vorbringen wurden nach dem Vorfall im Jahr 2012 nicht nur er und sein Bruder, sondern auch seine Mutter und seine Schwester wegen antiislamischer Vergehen mit Haftbefehl gesucht. Der Umstand, dass die Mutter und die Schwester des Klägers dennoch in dem langen Zeitraum von 2012 bis heute von den iranischen Sicherheitsorganen gänzlich unbehelligt blieben, geschweige denn der angebliche Haftbefehl vollzogen wurde, streitet massiv dafür, dass es sich bei der angeblichen Verfolgung des Klägers und seiner Familie durch den iranischen Staat wegen eines angeblichen Vorfalls im Juni/Juli 2012 um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Nicht gefolgt werden kann dem Vorbringen des Klägers beim Bundesamt (und dem entsprechenden Vorbringen seines Bruders … in der mündlichen Verhandlung), die Mutter und die Schwester seien deshalb unbehelligt geblieben, weil sie an ihrem jetzigen Wohnort Lavasan „privat“ lebten, es handele sich quasi um eine „freie Zone“, in welche die Polizei selten komme. Im Iran gibt es gemessen an den Erkenntnismitteln zweifelsohne keine „rechtsfreien Räume“, in denen die staatlichen Sicherheitsorgane einen Haftbefehl nicht vollziehen könnten oder wollten, zumal wenn es sich wie im Fall der Kläger und dessen Familie um ein mit schweren Strafen bis hin zur Todesstrafe bewehrtes antiislamisches Delikt handeln soll. Wäre dem so, dann stünde dem Kläger überdies interner Schutz (§ 3 e AsylG) zur Verfügung, weil er sich dann ebenso in diese „freie Zone“ zurückziehen könnte. Soweit der Bruder des Klägers … hierzu in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dies sei nicht möglich, weil die Regierung in erster Linie ihn und den Kläger verfolgt habe, weil sie die Kurse veranstaltete hätten und ihnen die Todesstrafe drohe, widerspricht dies der Einlassung des Klägers: Danach war es die Mutter, welche die Kurse für die Schwester veranstaltet und ihrer Freundin „Tante …“ das Obergeschoss des Hauses des … für die christliche Hauskirche überlassen hat, der Kläger und sein Bruder … hätten mit alldem bis 2012 überhaupt nichts zu tun gehabt und anschließend lediglich Hilfe bei der Organisation geleistet.
Bei einer Gesamtwürdigung dieser Umstände ist deshalb, ohne das es auf die übrigen im Bescheid diesbezüglich zusätzlich genannten Aspekte noch ankäme, zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass es sich bei der vom Kläger behaupteten staatlichen Verfolgung im Zusammenhang mit der Durchführung von Erfan-e Halgheh-Kursen und einer christlichen Hauskirche im Haus seines Bruders … um eine Schutzbehauptung handelt. Mithin steht für das Gericht fest, dass der Kläger nicht vorverfolgt aus dem Iran ausgereist ist.
3. Auch die behauptete Hinwendung des Klägers zum Christentum kann der Klage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Erfolg verhelfen.
a) Zwar können im Iran gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln (vgl. etwa die Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 9. Dezember 2015, S. 15 f., sowie vom 8. Dezember 2016, S. 10) zum Christentum konvertierte Muslime durch die aktive Glaubensausübung im konkreten Einzelfall landesweit einer beachtlichen Gefahr von Verfolgungshandlungen durch den iranischen Staat oder diesem zurechenbaren Akteuren ausgesetzt sein, jedenfalls dann, wenn sie ihren christlichen Glauben öffentlich leben, so dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 ff. AsylG) oder zumindest des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) oder zumindest die Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) in Betracht kommen kann (vgl. hierzu: OVG NW, U. v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 48 ff.; HessVGH, U. v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – juris Rn. 34 ff.; OVG NW, B. v. 30.7.2009 – 5 A 1999/07.A – juris; SächsOVG, U. v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris Rn. 34 ff.; BayVGH, U. v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris Rn. 20 f.).
Die Annahme einer solchen Verfolgungsgefährdung setzt im konkreten Einzelfall allerdings voraus, dass die vorgetragene Hinwendung des Asylsuchenden zu der angenommenen Religion zur vollen Überzeugung des Gerichts auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, mithin eine ernsthafte, dauerhafte und nicht lediglich auf Opportunitätserwägungen oder asyltaktischen Gründen beruhende Hinwendung zum Christentum vorliegt und der neue Glaube die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Hierzu gehört auch, aber nicht nur, dass dem Konvertiten die wesentlichen Grundelemente seiner neuen Religion vertraut sind, wobei seine Persönlichkeit und seine intellektuellen Fähigkeiten zu berücksichtigten sind. Allein der formale Übertritt zum Christentum durch eine kirchenrechtlich wirksame Taufe genügt nicht. Das Gericht ist auch nicht an die Beurteilung des Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden, der Taufe des Betroffenen liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Eine beachtliche Verfolgungsgefährdung lässt sich ferner auch nicht allein daraus ableiten, dass sich der Asylsuchende in Deutschland religiös betätigt hat, selbst wenn dies öffentlich (z.B. im Internet) bekannt geworden ist. Das Gericht muss vielmehr die volle Überzeugung gewinnen, dass der Asylsuchende die religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet. Es muss davon ausgehen können, dass der Asylsuchende seinen neuen Glauben in einer Weise verinnerlicht hat, dass es ihm ein tief empfundenes Bedürfnis ist, diesen Glauben auch im Fall der Rückkehr in das Herkunftsland ungehindert leben zu können. Hingegen ist nicht zu erwarten, dass ein Asylsuchender nach der Rückkehr in sein Herkunftsland eine Religion aktiv lebt, die er in seinem Zufluchtsland nur vorgeblich, oberflächlich oder aus asyltaktischen Gründen angenommen hat (zum Ganzen: BVerwG, B. v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 9 ff. m.w.N.; BayVGH, B. v. 7.11.2016 – 14 ZB 16.30380 – juris Rn. 7 ff., 12, B. v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 5 ff. m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris Rn. 11 f., B. v. 27.4.2015 – 13 A 440/15.A – juris Rn. 10 ff. m.w.N., B. v. 24.5.2013 – 5 A 1062/12.A – juris Rn. 8 ff. m.w.N.; U. v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 37 ff. m.w.N; OVG Lüneburg, B. v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.; VGH BW, B. v. 23.4.2014 – A 3 S 269/14 – juris Rn. 6 m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist im Fall des Klägers bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere dessen Einlassung beim Bundesamt und gegenüber dem Gericht in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass die behauptete Hinwendung zum Christentum nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche die religiöse Identität des Klägers prägte, vielmehr dass dieser asyltaktische Überlegungen zu Grunde liegen. Im Einzelnen:
Massiv gegen eine identitätsprägende innere Glaubensüberzeugung des Klägers spricht seine (fehlende) Glaubensbetätigung nach dem Umzug von … … nach …: Schon beim Bundesamt hatte der Kläger angegeben, nach dem Umzug nach … hätte er keine Kirchengemeinde mehr besucht; in der mündlichen Verhandlung hat er dies bestätigt. Als Grund hierfür nannte er beim Bundesamt, er und sein Bruder seien mit ihren Sachen beschäftigt gewesen, in der mündlichen Verhandlung meinte der Kläger hierzu, er und sein Bruder seien nach dem Umzug mit der Ausbildung und der Wohnungssuche beschäftigt gewesen, sie hätten viele Probleme gehabt, deshalb seien sie nicht dazu gekommen, in die Kirche zu gehen. Wer tatsächlich aufgrund einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung als Erwachsener zum Christentum konvertiert, bei dem ist zu erwarten, dass er auch nach erfolgter Taufe Zeit finden wird, regelmäßig Gottesdienste und sonstige religiöse Veranstaltungen zu besuchen, um seinen neu erworbenen Glauben in der kirchlichen Gemeinschaft zu leben. Die vom Kläger angeführten Umstände wie Umzug, Ausbildung, Wohnungssuche und „viele Probleme“ sind ganz offensichtlich keine Gründe, die den regelmäßigen Besuch eines sonntäglichen Gottesdienstes unmöglich machten. Vielmehr wäre eher zu erwarten gewesen, dass der Kläger, wenn er tatsächlich ernsthaft Christ geworden wäre und eine Zeit mit vielen Problemen durchlebt, Halt und Stütze in der Gemeinschaft der gläubigen Christen sucht. Auch der Umstand, dass es zur Freikirche in … …, in welcher der Kläger getauft wurde, nach Angaben des Klägers ca. 1 1/2 Stunden Fahrt gewesen wäre, ist schon deshalb kein durchgreifender Hinderungsgrund für einen regelmäßigen Gottesdienstbesuch, da es auch in … zahlreiche freikirchliche Gemeinden gibt. Es wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger, wenn er tatsächlich aus einer identitätsprägenden innerer Glaubensüberzeugung heraus Christ geworden ist, sich in … einer anderen freikirchlichen Gemeinde angeschlossen hätte, wenn ihm eine sonntägliche Fahrt nach … … zu weit erscheint.
Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nunmehr angegeben, er und sein Bruder besuchten seit der Anhörung beim Bundesamt jeden Sonntag eine katholische Kirche (wobei der Kläger allerdings nicht einmal den Namen dieser Kirche nennen konnte und auch den Ablauf des Gottesdienstes nur sehr oberflächlich und ungenau angeben konnte). Zur Überzeugung des Gerichts ist diesbezüglich indes davon auszugehen, dass der Kläger diese Kirchenbesuche nicht etwa aus innerer Glaubensüberzeugung, sondern allein aus asyltaktischen Gründen deshalb aufgenommen hat, weil ihm die fehlende Glaubensbetätigung bei der Anhörung beim Bundesamt und im Bescheid des Bundesamts vorgehalten worden war und ihm dadurch bewusst wurde, dass dieses Verhalten seinem Asylbegehren abträglich ist: Hierfür spricht schon der offenkundige zeitliche Zusammenhang zwischen Anhörung/Bescheidserlass und Beginn der regelmäßigen Kirchenbesuche. Hinzu kommt, dass der Kläger, obwohl freikirchlich getauft, nunmehr katholische Gottesdienste besucht: In … gibt es zahlreiche freikirchliche Gemeinschaften, denen sich der Kläger unschwer hätte anschließen können. Eine mit einer inneren Glaubensüberzeugung verbundene Begründung für einen Wechsel zur katholischen Kirche hat der Kläger nicht vorgebracht. Vielmehr offenbart die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Begründung des Klägers für den Besuch einer katholischen Kirche, er mache eine Ausbildung, er arbeite, in seiner Freizeit sei er noch Musiker und oftmals bis spät abends im Studio, deshalb gingen er und sein Bruder „in die nächste Kirche, die bei uns ist“, zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger, nachdem er erkannt hatte, dass die fehlenden Kirchenbesuche für ihn nachteilig sind, kurzerhand die nächstgelegene Kirche aufgesucht hat, weil dies für ihn am bequemsten ist, insbesondere am wenigsten Zeit beansprucht. Mithin kann nicht davon ausgegangen werden, den Kirchenbesuchen des Klägers liege eine identitätsprägende innere Glaubensüberzeugung zugrunde.
Gegen eine identitätsprägende innere Glaubensüberzeugung des Klägers spricht auch der Umstand, dass der Kläger gemäß seinen Angaben beim Bundesamt zu meinen glaubt, nicht mehr in der Bibel lesen zu müssen, weil er die ihn interessierenden Fragen bereits gestellt habe bzw. weil er bereits in der Bibel gelesen habe und seine Fragen beantwortet bekommen habe. Wer als Konvertit den christlichen Glauben neu angenommen hat, der wird – wenn diese Hinwendung zum Christentum tatsächlich auf einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung beruht – auch nach erfolgter Taufe nicht das Lesen in der Bibel einstellen, weil er glaubt, schon alles zu wissen. Vielmehr zeigt auch dieses klägerische Verhalten (neben den fehlenden Kirchenbesuchen), dass der Kläger, nachdem er die Taufe formal erlangt hatte, kein substantielles Interesse an einer Betätigung seines angeblichen christlichen Glaubens mehr hatte.
Der Kläger hat auch nicht deutlich machen können, dass seine Taufe am 18. Januar 2015 in … … Ausdruck einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung war: Auffällig ist schon, dass der Kläger bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 8. Juni 2016 nicht einmal annäherungsweise sagen konnte, wann diese Taufe stattfand. Vielmehr beantwortete er die entsprechende Frage damit, er glaube, die Taufe sei „vor einem Jahr“ gewesen. Wer tatsächlich aufgrund einer inneren Glaubensüberzeugung den christlichen Glauben annimmt, bei dem ist zu erwarten, dass er viel genauer weiß, wann das für ihn wichtige Fest der Taufe stattfand. Daran ändert nichts, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung das Datum seiner Taufe nunmehr nennen konnte: Der Kläger wusste durch die Anhörung beim Bundesamt, dass das Datum der Taufe relevant werden könnte. Entscheidend bleibt der Umstand, dass der Kläger, als die Frage nach dem Taufdatum beim Bundesamt erstmals gestellt wurde, dieses nicht einmal annäherungsweise angeben konnte. Hinzu kommt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung seinen (auch auf der Taufurkunde angegebenen) Taufspruch nicht wusste. Auch dies spricht dagegen, dass der Kläger die Taufe als Ausdruck seiner identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung empfunden hat. Der Kläger hat auch weder beim Bundesamt noch gegenüber dem Gericht hinreichend deutlich machen können, dass seiner Hinwendung zum Christentum und der sich anschließenden Taufe Beweggründe zugrunde lagen, die als Ausdruck einer eigenen inneren Glaubensüberzeugung verstanden werden können: Vielmehr hat er als Grund für den Besuch des Taufunterrichts der freikirchlichen Gemeinde in … … beim Bundesamt und gegenüber dem Gericht genannt, dass er eine Dame kennengelernt habe, deren Ehemann sie dann eingeladen habe, der Besuch des Taufunterrichts – so der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich – sei „Zufall“ gewesen. Auch lässt sich den Einlassungen des Klägers beim Bundesamt und gegenüber dem Gericht mehrfach entnehmen, dass die Entscheidung, die Taufe zu vollziehen, letztendlich maßgeblich darauf beruhte, dass zwei Pastoren bestätigt hatten, dass er sich taufen lassen könne; hingegen wird nicht hinreichend deutlich, dass die Taufe auf einer aktiven und eigenen Willensentscheidung des Klägers aufgrund einer substantiellen Glaubensüberzeugung beruhte. Die substanzlosen Einlassungen des Klägers, er habe „das Gefühl“ gehabt, bereit für die Taufe zu sein, sowie, „im Herzen“ sei er schon Christ gewesen, obwohl er noch nicht viel vom Christentum gewusst habe, können es schon im Ansatz nicht rechtfertigen anzunehmen, die klägerische Taufe habe auf einer eigenen identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung beruht.
Auch das Wissen des Klägers über die christliche Religion deutet nicht auf eine identitätsprägende innere Glaubensüberzeugung hin. Zwar konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung als christliches Gebet das Vater unser nennen. Gefragt nach zentralen christlichen Glaubensaussagen hat der Kläger indes im Wesentlichen nur in verschiedenen phrasenhaften Wendungen auf die zentrale Bedeutung von Jesus hingewiesen (z.B. Jesus als Sohn Gottes, Retter, Brücke zu Gott, nicht nur Prophet, sondern Gott). Es versteht sich von selbst, dass Jesus Christus eine zentrale Bedeutung für das Christentum hat. Dies und z.B. der Umstand, dass Jesus im Christentum anders als im Islam nicht nur als Prophet, sondern als Sohn Gottes verstanden wird, zeugt indes nicht von substantiellem Wissen des Klägers über das Christentum, vielmehr wird dies selbst in der muslimischen Welt weithin zum Allgemeinwissen gezählt werden können. Als Bibelstelle hat der Kläger beim Bundesamt und bei Gericht halbwegs konkret im Wesentlichen nur eine alttestamentarische Vorhersage hinsichtlich des persischen Königs Cyrus genannt: Diese Stelle mag den Kläger – so auch seine Einlassung beim Bundesamt und bei Gericht – besonders interessiert haben, weil er selbst Iraner ist. Welche maßgebliche Bedeutung diese Bibelstelle für den christlichen Glauben haben sollte, ist indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die klägerische Kenntnis dieser Stelle gibt deshalb für eine identitätsprägende innere Glaubensüberzeugung des Klägers nichts Entscheidendes her.
Auch sonst ist die klägerische Einlassung zu seinen inneren Beweggründen für die Hinwendung zum Christentum trotz ausführlicher Befragung in der mündlichen Verhandlung mit zahlreichen Anstoßfragen (wie schon bei der Befragung durch das Bundesamt) oberflächlich und substanzlos geblieben. Der Kläger hat diesbezüglich nur allgemein gehaltene Begriffe und Formulierungen bemüht, wie etwa „Gefühl“, „Herzenssache“, „im Herzen“ sei er schon länger Christ gewesen, er wolle Christ sein, weil er „Frieden“ wolle, auf der ganzen Welt solle Frieden sein, er habe ein „ganz neues Gefühl“ entwickelt, er habe „gefühlt“, dass er ein „neues Leben führe“. Derart unspezifische und phrasenhafte Wendungen können es nicht rechtfertigen, von einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung des Klägers auszugehen.
Schließlich hat der Kläger auch nicht deutlich machen können, dass und warum er im Falle seiner Rückkehr nach Iran dort offen als Christ leben will: Diesbezüglich hat er in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts angegeben, er wolle nicht in den Iran zurück, erst wenn es das Regime nicht mehr gebe, dann könne er zurück, jeder wolle ja nach seinem Glauben leben. Auch diese Einlassung lässt nicht erkennen, dass der Kläger den christlichen Glauben aufgrund einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung derart verinnerlicht hätte und für sich verbindlich ansehen würde, dass er diesen trotz drohender Verfolgung im Iran offen leben wollte.
Mithin ist bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass die behauptete Hinwendung zum Christentum im Fall des Klägers nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche dessen religiöse Identität prägte, vielmehr dass dieser Behauptung asyltaktische Überlegungen zu Grunde liegen.
Die gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage war nach alldem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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