Verwaltungsrecht

Fehlende Glaubhaftmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Duldung zur Ausübung der Personensorge für deutsches Kind

Aktenzeichen  B 4 E 17.291

Datum:
16.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 6
AufenthG AufenthG § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 58 Abs. 2
VwGO VwGO § 123

 

Leitsatz

1 Hat ein Ausländer versäumt, die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis vor deren Fristablauf zu beantragen und tritt daher die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG nicht ein, ist vorläufiger Rechtsschutz gegen die Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung im Verfahren nach § 123 VwGO zu verfolgen.  (Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auf die Perspektive des Kindes abzustellen und dabei zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit zwischen dem Betroffenen und dem Kind besteht, deren Aufrechterhaltung das Kindeswohl erfordert. Dabei sind die Belange des Kindes und des betroffenen Elternteils im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (VGH München BeckRS 2016, 53197). (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Allein vom formellen Bestand des Sorgerechts für ein Kind gehen noch keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus. Es kommt vielmehr auf die tatsächliche Ausübung des Sorgerechts an; dabei ist erforderlich, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maß Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt. (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Im März 2004 reiste er mit einem Visum zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner in Deutschland lebenden türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt am 13.04.2004 eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis, die mehrfach verlängert wurde, zuletzt am 27.03.2012 bis 26.03.2014.
Aus der Ehe gingen zwei deutsche Kinder hervor, der Sohn B., geboren am …, und die Tochter S., geboren am ….
Am 13.06.2014 wurde dem Antragsteller auf seinen Verlängerungsantrag vom 20.03.2014, in dem er „getrennt lebend seit 2012“ angegeben hatte, eine bis 12.06.2016 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt.
Am 18.05.2016 wurde die Ehe des Antragstellers geschieden.
Am 26.08.2016 meldete sich der Antragsteller mit Wirkung vom 01.07.2016 in der Gemeinde … an und beantragte am 05.09.2016 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
Mit Bescheid vom 02.01.2017 lehnte das Landratsamt … den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1) und drohte ihm unter Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise von einem Monat ab Zustellung des Bescheides die Abschiebung in die Türkei an (Ziffern 2 und 3). Die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG setze voraus, dass das Personensorgerecht auch in Form einer familiären Lebensgemeinschaft ausgeübt werde. Hierzu seien trotz Aufforderung des Antragstellers und seiner geschiedenen Ehefrau keinerlei Nachweise oder Aussagen vorgelegt worden. Deshalb müsse davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller das Sorgerecht nicht bzw. nicht mehr ausübe. Der Antragsteller besitze auch kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80, weil er selbst dem regulären Arbeitsmarkt noch nie und seine geschiedene Ehefrau bei Ablauf der drei Jahre des Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt nicht mehr angehört habe.
Der Bescheid, der an die Meldeadresse vom 26.08.2016 versandt wurde, kam am 05.01.2017 mit dem Vermerk „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ zurück. Daraufhin wurde der Bescheid durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt. Die Benachrichtigung wurde vom 01.02.2017 bis 16.02.2017 durch Aushang bekanntgemacht.
Mit Schreiben vom 16.03.2017 teilte das Amtsgericht … – Abteilung für Strafsachen dem Landratsamt … die Anschrift des Antragstellers „L. Allee 1, …“ mit. Die entsprechende Meldung des Antragstellers erfolgte am 09.03.2017 mit Wirkung vom 01.03.2017.
Mit Schreiben vom 21.03.2017 übermittelte das Landratsamt … dem Antragsteller an seine neue Adresse einen Abdruck des Bescheides vom 02.01.2017, verbunden mit dem Hinweis, dass dieser mit Ablauf des 16.03.2017 bestandskräftig geworden sei und die Ausreisefrist am 16.04.2017 ablaufe, sowie eine Grenzübertrittsbescheinigung.
Mit Schreiben vom 05.04.2017 zeigte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers dem Landratsamt … die Vertretung des Antragstellers an und teilte mit, er habe im Scheidungsverfahren die Ehefrau des Antragstellers vertreten. Am 30.03.2017 sei diese in Begleitung des Antragstellers, welcher sein Kind auf dem Arm getragen habe, in seinem Büro erschienen und habe versichert, dass mit ihrem Einverständnis das Umgangsrecht des Antragstellers mit den Kindern bereits ausgeübt werde. Bei der gemeinsamen elterlichen Sorge sei es nach der Scheidung geblieben.
Mit Antwortschreiben vom 11.04.2017 empfahl das Landratsamt … unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheides vom 02.01.2017 und die vollziehbare Ausreisepflicht des Antragstellers eine zeitgerechte Ausreise, um eine Abschiebung zu vermeiden.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.04.2017, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 13.04.2017, hat der Antragsteller unter der Überschrift „Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ beantragt,
1.die Verpflichtung zur Ausreise bis zum 16.04.2017 außer Vollzug zu setzen
2.den Antragsgegner zu verpflichten, den Bescheid vom 02.01.2017 aufzuheben und dem Antragsteller seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik zu verlängern.
Zur Begründung wird vorgebracht, heute seien der Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau beim Jugendamt … vorstellig geworden. Beide hätten bestätigt, dass der Antragsteller ein sehr gutes Verhältnis zu den Kindern habe. Während des Gesprächs habe die Sachbearbeiterin des Jugendamtes … feststellen können, dass der Sohn S. den Kontakt zum Vater gesucht habe, sich von ihm habe trösten lassen und sichtlich Vertrauen zu ihm gehabt habe. Da beide Kinder deutsche Staatsangehörige seien, sollte zum Wohl der Kinder entschieden werden. Durch den gelebten Umgang mit den Kindern habe der Antragsteller ein gesetzliches Recht auf Aufenthaltserlaubnis. Nur durch die Tatsache, dass dieser sich nicht rechtzeitig gekümmert habe, und durch seine Nichterreichbarkeit bzw. die öffentliche Zustellung sei ein rechtskräftiger negativer Bescheid ergangen. Dies dürfe sich aber nicht nachteilig auf das Wohl der Kinder auswirken.
Der Antragsteller hat ferner ein zur Vorlage beim Landratsamt … verfasstes Schreiben der Stadt … – Kinder, Jugend und Familie, Allgemeine Erziehungshilfe – vom 13.04.2016 mit folgendem Inhalt vorgelegt: Die Familie sei im Fachbereich bekannt geworden durch ein Schreiben der Kindsmutter vom Dezember 2016, welches vom Landesamt für Finanzen an die Unterzeichnerin weitergeleitet worden sei. Darin habe die Kindesmutter unter anderem mitgeteilt, dass der Kindesvater sich kaum um die Kinder kümmern würde und alkoholisiert bei ihr erscheine. In einem telefonischen Kontakt habe die Kindesmutter ihre Aussage revidiert. Sie habe diesen Brief nur verfasst, um dem Vater Druck zu machen, damit er sich mehr kümmere. Die im Brief beschriebenen Probleme seien nicht so massiv wie dargestellt. Am 13.04.2017 seien die Kindeseltern gemeinsam mit der Tochter S. im Fachbereich erschienen und hätten um Unterstützung bezüglich des Vollzuges des Aufenthaltsgesetzes gegenüber dem Kindesvater gebeten. Die Kindesmutter habe berichtet, dass seit dem Telefonkontakt im Januar 2017 der Umgang zwischen dem Vater und den Kindern regelmäßig sei. Der Kindesvater komme täglich in ihren Haushalt, kümmere sich um die Kinder und bringe sie auch ins Bett. Zudem habe er zu seinem Sohn auch täglichen Kontakt im Jugendzentrum …. Die Kinder würden sehr an ihrem Vater hängen und es bestehe eine gute Bindung. Die Kindesmutter wolle auch weiterhin den Kontakt fördern, da die Kinder unter einer Trennung massiv leiden würden. Der Kindesvater sei derzeit eine große Unterstützung für sie, da er auch Betreuungszeiten der Kinder mit übernehme. Aus Sicht des Fachbereichs sei ein positiver Kontakt und Umgang zwischen Eltern und Kindern immer dann zu fördern, wenn dies nicht dem Kindeswohl widerspreche. Laut den Ausführungen der Kindeseltern bestehe eine gute Bindung von den Kindern zu den Eltern, welche durch eine Ausreise des Kindesvaters gefährdet sein könnte. Während des Gesprächs im Fachbereich habe die Unterzeichnerin beobachten können, dass S. den Kontakt zum Vater gesucht habe, sich von ihm habe trösten lassen und sichtlich Vertrauen zu ihm gehabt habe. Dies spreche dafür, dass tatsächlich regelmäßiger Umgang bestehe.
Das Landratsamt … hat mit Schriftsatz vom 25.04.2017 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Vorbringen in der Antragsbegründung könne an der Entscheidung vom 02.01.2017 nichts ändern. Nachdem die geschiedene Ehefrau des Antragstellers im Telefongespräch mit dem Landratsamt … am 05.12.2016 eine Ausübung des väterlichen Sorgerechts jedenfalls nicht bestätigt und den Eindruck erweckt habe, sich aus Angst vor dem Antragsteller nicht frei äußern zu wollen, sowie angesichts ihres ebenfalls im Dezember 2016 verfassten Schreibens an das Landesamt für Finanzen seien ihre Äußerungen zum Umgang des Antragstellers mit den Kindern anlässlich der Vorsprachen beim Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 30.03.2017 und beim Stadtjugendamt … am 13.04.2017 nicht glaubwürdig, sondern allein auf die Entscheidung vom 02.01.2017 zurückzuführen. Das Verhältnis zu den Kindern werde nur dann „aktiviert“, wenn es ausländerrechtlich von Nöten sei, und sei ein bloßes Instrumentalisieren dieser verwandtschaftlichen Bindung, die aber nicht einer tatsächlichen Ausübung des Sorgerechts entspreche.
Darauf erwiderte der Antragsteller mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10.05.2017, er verweise noch einmal auf die Stellungnahme des Jugendamtes …. Danach hätten beide Eltern angegeben, dass der Kindesvater sich gut um die beiden Kinder kümmere. Somit werde das Sorgerecht sowie das Umgangsrecht ausgeübt. Das Jugendamt habe sich mit eigenen Augen überzeugen können, dass ein vertrautes Verhältnis zwischen den Kindern und dem Antragsteller bestehe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Ausländerakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1.1 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig.
Da Anträge nach § 123 VwGO nicht fristgebunden sind, bedarf es keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Für die Statthaftigkeit des Antrages gemäß § 123 Abs. 5 VwGO spielt es keine Rolle, ob man den zweiten Teil der Antragsüberschrift in Verbindung mit dem zweiten Antrag als verspätete Erhebung einer Verpflichtungsklage gegen den Bescheid vom 02.01.2017 unter gleichzeitiger Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versteht. Denn ein Fall des § 80 Abs. 5 VwGO liegt unter keinen Umständen vor.
Zwar haben gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels keine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass in den Fällen des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG, in denen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde der Aufenthalt als erlaubt bzw. die Abschiebung als ausgesetzt (§ 81 Abs. 3 AufenthG) oder der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG) gilt, ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel, die Fiktionswirkung der Antragstellung zu verlängern und die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) aufzuschieben, statthaft ist. Der Antrag des Antragstellers vom 05.09.2016 auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis hatte aber nicht die Wirkung des § 81 Abs. 4 Sätze 1 und 3 VwGO, weil der Antragsteller ihn nicht rechtzeitig vor Ablauf der letzten Aufenthaltserlaubnis am 12.06.2016 gestellt hat und die Fortgeltungswirkung auch nicht angeordnet wurde. In diesem Fall ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft, weil weder ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis noch ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz gewährleisten.
1.2 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ist unbegründet, weil der Antragsteller den erforderlichen Anordnungsanspruch auf vorläufige vorübergehende Aussetzung seiner Abschiebung (Duldung) gemäß § 60a AufenthG nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO).
Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Aus rechtlichen Gründen unmöglich ist die Abschiebung unter anderem dann, wenn die effektive Verfolgung und Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dadurch vereitelt oder wesentlich erschwert würde.
Den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Allein vom formellen Bestehen des Sorgerechts gehen noch keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus, sondern es kommt auf die tatsächliche Ausübung des Sorgerechts an. Erforderlich ist, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2016, § 28 Rn. 13). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Kindes und des Elternteils im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BayVGH, Urteil vom 26.09.2016 – 10 B 13.1318, Rn. 32, juris).
Eine tatsächliche Ausübung seines Sorgerechts hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Die zur Vorlage bei der Ausländerbehörde verfasste Stellungnahme des Stadtjugendamtes … vom 13.04.2017 stützt sich nur auf eine einzige unmittelbare Wahrnehmung betreffend das Vater-Kind-Verhältnis, nämlich die Beobachtung, dass die zwei Jahre und vier Monate alte Tochter den Kontakt zum Vater gesucht habe, sich von ihm habe trösten lassen und sichtlich Vertrauen zu ihm gehabt habe. Allein der Umstand, dass das Kind seinen Vater kennt und ihm vertraut, belegt aber noch keine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter. Vom Verhältnis des Antragstellers zu seinem elfjährigen Sohn konnte sich das Stadtjugendamt – entgegen dem Vorbringen im Schriftsatz vom 10.05.2017 – nicht mit eigenen Augen überzeugen, weil der Sohn bei der Vorsprache gar nicht dabei war. Ansonsten beruht die Stellungnahme des Stadtjugendamtes allein auf der Darstellung der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers. Diese Darstellung ist mit großer Skepsis zu betrachten, nachdem die geschiedene Ehefrau zweimal – im Telefonat mit dem Landratsamt … am 05.12.2016 und im Schreiben an die Bezügestelle … ebenfalls aus dem Dezember 2016 – Angst vor dem Antragsteller geäußert hat. Der Antragsteller selbst hat zu keiner Zeit die Gelegenheit wahrgenommen, der Ausländerbehörde oder dem Stadtjugendamt das Verhältnis zu seinen Kindern aus eigener Sicht zu schildern. Auch wenn er – wie sich aus der Beschuldigtenvernehmung vom 23.08.2016 ergibt – trotz seines dreizehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet der deutschen Sprache nicht mächtig ist, hätte er eine Stellungnahme in türkischer Sprache verfassen und übersetzen lassen können. Das Gericht teilt daher die Auffassung des Landratsamtes …, dass der Antragsteller sein Sorgerecht nicht ernsthaft und nachhaltig tatsächlich ausübt, sondern es ausschließlich für das aufenthaltsrechtliche Verfahren instrumentalisiert. Damit ist die Erteilungsvoraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht erfüllt.
2. Da andere Duldungsgründe weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, wird der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgelehnt.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).


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