Verwaltungsrecht

Fehlerhafte Einstufung des Asylantrags als Zweitantrag

Aktenzeichen  RN 12 K 18.31824

Datum:
8.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19475
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 71a

 

Leitsatz

1. Fehlerhafte Einstufung des Asylantrags als Zweitantrag;
2. Asylantrag in Deutschland vor Abschluss des Verfahrens im anderen Staat (hier: Ungarn) gestellt
Wird ein Asylantrag in Deutschland gestellt, bevor das Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen wurde, handelt es sich nicht um einen Zweitantrag; eine nach Stellung des Asylantrags in Deutschland später erfolgende negative Sachentscheidung im Mitgliedsstaat des bisherigen Verfahrens führt nicht im Nachhinein zur Anwendung des § 71a AsylG.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.06.2018 (Gz. …-423) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.06.2018 (Gz.: …-423) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Es handelt sich beim klägerischen (Asyl-)Antrag nicht um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG. Deswegen ist der Bescheid aufzuheben und von der Beklagten in der Sache zu entscheiden.
Die Beklagte ist im streitgegenständlichen Bescheid unzutreffend davon ausgegangen, dass es sich beim Asylbegehren des Klägers um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG handelt. Nach § 71a Abs. 1 AsylG liegt ein Zweitantrag vor, wenn der Ausländer seinen Asylantrag im Bundesgebiet nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, gestellt hat. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann, was nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen ist, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – 1 C 4.16 Rn. 29; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 13.07.2017 – 6 L 665/17.A Rn. 5 – jeweils juris).
Das vom Kläger in Ungarn betriebene Asylverfahren war zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland nicht im Sinne der Vorschrift erfolglos abgeschlossen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist insoweit auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland abzustellen (vgl. auch VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 13.07.2017 – 6 L 665/17.A – juris; VG Augsburg, Beschluss v. 09.07.2018 – Au 4 S 18.31170 Rn. 10 m.w.N.; Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, Rn. 5 zu § 71a AsylVfG; VG Hannover, Urteil v. 05.02.2018 – 11 A 11248/17 Rn. 19 f.; a.A. VG Schleswig, Beschluss v. 27.11.2017 – 1 B 190/17 Rn. 27 bei wegen Nichtbetreiben eingestelltem Asylverfahren). Eine gegebenenfalls später erfolgende negative Sachentscheidung im Mitgliedstaat des bisherigen Verfahrens bleibt außer Betracht, führt also nicht im Nachhinein zur Anwendung des § 71a AsylG (Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, Rn. 5 zu § 71a AsylVfG). Die Annahme der Beklagten, es liege – aufgrund „des offensichtlichen Desinteresses des Antragstellers, sein Asylverfahren in Ungarn zu beenden“ – „zum 26.02.2018 eine Zweitantragssituation i.S.d. § 71a AsylG vor“ findet keinerlei gesetzliche Grundlage. Auf das Informationsersuchen der Beklagten vom 29.01.2018 hin teilten die ungarischen Behörden mit Mail vom 26.02.2018 mit, dass der Kläger in Ungarn am 08.01.2014 ein Asylgesuch gestellt hat, das – nach inhaltlicher Prüfung des Begehrens – mit Bescheid vom 12.03.2014 von den ungarischen Behörden abgelehnt wurde (vgl. Bundesamtsakte Bl. 385 und 411 ff. bzw. dt. Übersetzung Bl. 508 ff.). Sowohl die Meldung als Asylsuchender vom 17.02.2014 als auch die förmliche Asylantragstellung vom 06.03.2014 datieren zeitlich vor der negativen Entscheidung vom 12.03.2014, so dass keine Zweitantragssituation im Sinne der Vorschrift gegeben ist. Demnach war das Asylverfahren des Klägers in Ungarn noch nicht erfolglos abgeschlossen als er seinen Asylantrag in Deutschland stellte.
Die Unzulässigkeitsentscheidung in dem angegriffenen Bescheid kann auch nicht auf einer anderen Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden. In Folge der Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung ist auch von der Rechtswidrigkeit der Entscheidung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nebst Abschiebungsandrohung auszugehen, da diese dann verfrüht ergangen sind (BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – 1 C 4.16 Rn. 21; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 13.07.2017 – 6 L 665/17.A Rn. 6 – jeweils juris).
Die Klage war demnach mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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