Verwaltungsrecht

Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen zwei Kostenbescheide für Einsätze von freiwilligen Feuerwehr

Aktenzeichen  4 CS 19.1839

Datum:
18.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RÜ2 – 2020, 43
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO§ 80 Abs. 5 S. 1, S. 3
BayFwG Art. 28 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5
VwZVG Art. 24 Abs. 1 Nr. 2
BayVwVfG Art. 41 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Einem Antrag analog § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs steht nicht entgegen, dass der Bescheidsadressat die auferlegte Handlungspflicht bereits erfüllt hat, wenn dies erkennbar unter dem Druck drohender Vollstreckung erfolgt ist (hier: Zahlung „unter Vorbehalt“). (Rn. 5)
1. Besteht zwischen den Beteiligten eines Verwaltungsrechtsverhältnisses Streit darüber, ob ein Rechtsbehelf gegen eine behördliche Maßnahme kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aufschiebende Wirkung hat, so ist Rechtsschutz anerkanntermaßen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und nicht nach § 123 VwGO zu gewähren. Dem gleichgestellt sind die Fälle einer drohenden faktischen Vollziehung, in denen sich die Behörde eines Vollziehungsrechts berühmt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der faktischen Vollziehung seitens der Behörde ist die freiwillige Befolgung einer auferlegten Handlungspflicht, etwa die freiwillige Leistung der geforderten Zahlungen durch den Bürger gleichzustellen, sofern dies unter dem Druck drohender Vollstreckung geschehen ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei dem Aufwendungsersatz nach Art. 28 BayFwG handelt es sich nicht um die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinn des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 14 S 19.144 2019-08-22 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. August 2019 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die im Verfahren AN 14 K 19.133 erhobene Klage gegen die beiden Bescheide der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2018 aufschiebende Wirkung hat.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf je 385,66 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen zwei Kostenbescheide für Einsätze der Freiwilligen Feuerwehr der Antragsgegnerin. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 22. August 2019 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragstellerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Feststellung, weil sie einer Vollstreckung durch freiwillige Zahlung – wenn auch „unter Vorbehalt“ – zuvorgekommen sei. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und Abs. 4, § 147 Abs. 1 VwGO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die von der Antragstellerin fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO den Prüfungsrahmen für den Senat bilden, gebieten es, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2018 festzustellen.
a) Das Begehren auf gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist zulässig. Der Antrag ist statthaft; der Antragstellerin steht auch ein Rechtsschutzbedürfnis in Gestalt eines Feststellungsinteresses zur Seite.
aa) Besteht zwischen den Beteiligten eines Verwaltungsrechtsverhältnisses Streit darüber, ob ein Rechtsbehelf gegen eine behördliche Maßnahme kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aufschiebende Wirkung hat, so ist Rechtsschutz anerkanntermaßen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und nicht nach § 123 VwGO zu gewähren. Dem Anliegen des Betroffenen, einer sogenannten faktischen Vollziehung, also der unter Missachtung der aufschiebenden Wirkung erfolgenden behördlichen Vollziehung eines Verwaltungsakts entgegenzuwirken, wird dadurch Rechnung getragen, dass das Verwaltungsgericht in analoger Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs feststellt (vgl. statt vieler BayVGH, B.v. 28.7.1982 – 20 AS 82 D.34 – NJW 1983, 835; B.v. 15.11.2018 – 21 CE 18.854 – BayVBl 2019, 517 Rn. 47; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 120). Dem gleichgestellt sind die Fälle einer drohenden faktischen Vollziehung, in denen sich die Behörde eines Vollziehungsrechts berühmt, weil sie beispielsweise dem Rechtsbehelf zu Unrecht die aufschiebende Wirkung aberkennt (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 80 Rn. 352 m.w.N.). Hier hat die Antragsgegnerin sowohl vorgerichtlich (vgl. die E-Mail vom 24.1.2019, Behördenakte Nr. 27) als auch im gerichtlichen Verfahren, zuletzt in ihrer Erwiderung zur Beschwerdebegründung (vgl. den Schriftsatz vom 4.11.2019), die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs bestritten. Im Übrigen spricht auch die – nicht an die Bestandskraft bzw. Unanfechtbarkeit anknüpfende – Formulierung in den angefochtenen Bescheiden, der Betrag sei „innerhalb von vier Wochen zu entrichten“, dafür, dass die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung eines etwaigen Rechtsbehelfs nicht anerkennen will.
bb) Die Antragstellerin verfügt auch über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Feststellung. Anders als das Verwaltungsgericht meint, entfällt das Feststellungsinteresse nicht deswegen, weil die Antragstellerin einer Vollstreckung durch „freiwillige“ Zahlung zuvorgekommen wäre. Der faktischen Vollziehung seitens der Behörde ist die freiwillige Befolgung einer auferlegten Handlungspflicht, etwa die freiwillige Leistung der geforderten Zahlungen durch den Bürger gleichzustellen, sofern dies unter dem Druck drohender Vollstreckung geschehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 1.3.1993 – 20 CS 92.2386 – BayVBl 1993, 304 = juris Rn. 28; Hoppe in Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 116; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 80 Rn. 344). So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin hat die geforderte Zahlung ausdrücklich „unter Vorbehalt“ geleistet (vgl. die E-Mail ihres Bevollmächtigten vom 25.1.2019, Behördenakte Nr. 28) und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie unter dem Druck der drohenden Vollstreckung handelt. Die Antragsgegnerin hatte nämlich bereits ein vollstreckbares Ausstandsverzeichnis erlassen und damit die Vollstreckung nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG angeordnet (vgl. BayVGH, B.v. 25.8.1989 – 23 CS 89.2090 und 23 CS 89.2092 – NVwZ-RR 1990, 328/329). Die Antragstellerin leitet ihr Rechtsschutzbedürfnis deshalb auch daraus her, dass sie nach gerichtlicher Bestätigung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage den gezahlten Betrag von der Antragsgegnerin zurückfordern will.
b) Der Feststellungsantrag ist begründet. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen die Bescheide vom 12. Oktober 2018 entfaltet nach der Grundregel des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung, die nicht gemäß § 80 Abs. 2 VwGO entfällt. Insbesondere handelt es sich bei dem verlangten Aufwendungsersatz nach Art. 28 BayFwG nicht um die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinn des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2011 – 4 CS 11.504 – juris Rn. 6; U.v. 24.9.2015 – 4 B 14.1831 – juris Rn. 24). Der erhobenen Klage käme nur dann kein Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 1 VwGO zu, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig wäre, weil etwa die angefochtenen Bescheide bereits in Bestandskraft erwachsen sind (vgl. nur BVerwG, B.v. 10.1.2018 – 1 VR 14.17 – NVwZ 2018, 1485 Rn. 23; Hoppe in Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 20; jeweils m.w.N.). Dies ist hier, wie sich nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ergibt, nicht der Fall.
aa) Aus den Akten lässt sich nicht mit der nötigen Evidenz entnehmen, ob bzw. wann die Antragstellerin die streitgegenständlichen Bescheide vom 12. Oktober 2018 erhalten hat, deren Zugang die Rechtsbehelfsfrist in Gang gesetzt hätte. Die in der Behördenakte als Kopie enthaltenen Bescheide wurden nicht förmlich zugestellt, sondern ausweislich eines handschriftlich angebrachten Vermerks im Original am 12. Oktober 2018 versandt. Nach Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (Art. 41 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG). Hier hat der Antragstellerbevollmächtigte dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 13. Februar 2019 (Bl. 36a der VG-Akte AN 14 K 19.133) mitgeteilt, dass ihm die erst im Gerichtsverfahren als Anlage übermittelten Bescheide mit der Adressierung „R.-Weg 18 in L.“ bislang nicht bekannt seien. Die Antragstellerin habe lediglich zwei Rechnungen vom 12. Oktober 2018 mit der richtigen Adressierung „Am S.-Hof 1 in S.“ erhalten. Diese Rechnungen, die die Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hat, sind wiederum in den Behördenakten der Antragsgegnerin nicht dokumentiert. Den der Antragsgegnerin obliegenden Zugangsnachweis bezüglich der Bescheide hat sie damit bislang nicht erbracht.
bb) Die Antragsgegnerin kann den Zugang der Bescheide auch nicht durch ihren Verweis auf die E-Mail der Antragstellerin vom 26. Oktober 2018 nachweisen. Diese E-Mail, mit der die Antragstellerin persönlich bei der Antragsgegnerin um Erlass der Forderungen gebeten hat, ist kein Beleg dafür, dass ihr die streitgegenständlichen Bescheide zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zugegangen waren. Bereits der Betreff der E-Mail „Widerspruch / Bitte – Rechnungen 22/2018 und 31/2018 für Feuerwehreinsätze“ spricht eher dafür, dass die Antragstellerin lediglich die Rechnungen, nicht aber die Bescheide als solche erhalten hat. Im Text der E-Mail wird an einer Stelle um „Erlass der übersandten Bescheide“, an anderer Stelle aber gleichsam synonym um „Erlass der beiden Rechnungen“ gebeten, so dass auch hieraus nicht auf den Zugang der Bescheide selbst geschlossen werden kann. Die Bescheide waren daher im Zeitpunkt der Klageerhebung jedenfalls noch nicht offensichtlich in Bestandskraft erwachsen, so dass es bei der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Bescheide verbleibt. Auf die weiteren im Verfahren diskutierten Fragen wie die Ordnungsmäßigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:und die etwaige frühere Einlegung eines – fakultativ möglichen (vgl. BayVGH, U.v. 14.12.2011 – 4 BV 11.895 – BayVBl 2012, 373) – Widerspruchs kommt es daher nicht mehr an.
c) Ausweislich ihres schriftsätzlichen Vortrags möchte die Antragstellerin erreichen, dass die Vollzugsfolgen in analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO rückgängig gemacht werden. Sie hat jedoch (bislang) ausdrücklich auf einen diesbezüglichen Antrag verzichtet und sich mit dem Feststellungsantrag begnügt, weil sie die Erwartung hegt, die Antragsgegnerin werde einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung von sich aus Folge leisten und den Betrag wieder auskehren, ohne dass es einen Antrags auf „Vollzugsfolgenbeseitigung“ bedürfte (vgl. die Antragstellung und Beschwerdebegründung vom 27.9.2019). Es besteht somit derzeit für den Senat keine Veranlassung, eine Anordnung analog § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zu treffen, zumal nichts dafür spricht, dass die Antragsgegnerin ihren sich aus der Feststellung der aufschiebenden Wirkung ergebenden Rückzahlungspflichten nunmehr nicht nachkommen wird (vgl. BVerwG, B.v. 6.7.1994 – 1 VR 20.93 – NVwZ 1995, 590/595). Im Hauptsacheverfahren wird das Verwaltungsgericht zu klären haben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Antragstellerin nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayFwG erfüllt sind (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2004 – 4 BV 03.617 – VGH n.F. 57, 117 = NJW 2005, 1065) und ob die Antragsgegnerin ihr Ermessen nach Art. 28 Abs. 1 BayFwG ordnungsgemäß ausgeübt hat (vgl. etwa BayVGH, BayVGH, U.v. 14.12.2011 – 4 BV 11.895 – BayVBl 2012, 373/375 m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats zählen die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Kostenbescheide im Feuerwehrrecht zu den Geldleistungsstreitigkeiten, bei denen der Streitwert grundsätzlich mit einem Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts zu bemessen ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2005 – 4 CS 05.2079 – juris Rn. 13; B.v. 7.4.2011 – 4 CS 11.129 – juris Rn. 8). Dementsprechend war der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren von Amts wegen nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG zu ändern.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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