Verwaltungsrecht

Feststellung der Nichtigkeit der Eintragung eines Fußwegs im Straßenbestandsverzeichnis

Aktenzeichen  8 ZB 17.979

Datum:
21.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138462
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43, § 124 Abs. 2 Nr. 1-3, § 124a Abs. 4 S. 4
BAyStrWG Art. 67 Abs. 3 S. 2, Abs. 4
BGB § 242

 

Leitsatz

Für die Annahme einer Verwirkung des Klagerechts kommt dem Umstandsmoment nach dem Verstreichenlassen eines Zeitraums, nach dem mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war, gegenüber dem Zeitmoment kein maßgebliches Gewicht zu. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 16.1118 2017-03-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die Feststellung der Nichtigkeit der Eintragung eines Fußwegs im Straßenbestandsverzeichnis des Beklagten.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung Kirchheim. An der Nordseite dieses Grundstücks befindet sich ein Fußweg, der im Bestandsverzeichnis für beschränkt öffentliche Wege des Beklagten als „Fußweg zum Bahnhof“ eingetragen ist.
Über den Bestand und die Benutzung dieses Wegs kam es in der Vergangenheit zwischen der Klägerin und dem Beklagten wiederholt zu zivil- und verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten.
Im vorliegenden Verfahren macht die Klägerin die Nichtigkeit der Eintragung des Fußwegs im Bestandsverzeichnis der Beklagten geltend, weil wegen der nur noch unvollständig vorhandenen Originalverfahrensakten vom Beklagten kein unmittelbarer Nachweis darüber geführt werden kann, dass bei Anlegung des Straßenbestandverzeichnisses dessen Auslegung öffentlich bekannt gemacht wurde, dass die Auslegung selbst erfolgt ist und dass betroffene Grundstückseigentümer unterrichtet wurden. Auch die Eintragungsverfügung für den streitbefangenen Fußweg selbst ist nicht mehr im Original vorhanden. Die Klägerin bestreitet deshalb, dass diese ursprünglich vorlag und dass die Anlegung des Bestandsverzeichnisses nach den gesetzlichen Vorgaben erfolgt ist.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2017 abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Mit Anhörungsschreiben vom 11. September 2017 hat der Senat darauf hingewiesen, dass sich das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis offensichtlich bereits wegen der Verwirkung des Klagerechts der Klägerin als richtig erweist. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sich hierzu mit Schreiben vom 24. November und 1. Dezember 2017 geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77/83; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/834; BayVGH, B.v. 15.3.2017 – 8 ZB 15.1610 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Nach diesem Maßstab bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Denn diese erweist sich im Ergebnis schon deshalb als richtig, weil es auf der Hand liegt, dass die Klage wegen Verwirkung des Klagerechts und dem sich hieraus ergebenden Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist.
Das Verwaltungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Unzulässigkeit der Klage nicht auf die Bestimmung des § 121 VwGO gestützt werden kann, weil sich die materielle Rechtskraft der in den vorangegangenen Verfahren ergangenen Entscheidungen nicht auf die einzelnen Urteilselemente erstreckt (BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 8 C 2.12 – juris Rn. 12 m.w.N.). Im Rahmen des im Zulassungsverfahren vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfangs ist es für den Senat jedoch offensichtlich, dass das Klagerecht der Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung am 2. August 2016 verwirkt war.
Nach dem auch im Verwaltungsrecht geltenden, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ableitbaren Rechtsgedanken der Verwirkung (vgl. nur BVerwG, B.v. 11.6.2010 – 6 B 86.09 – juris Rn. 11) kann ein Kläger sein Recht zur Erhebung der Klage nicht mehr ausüben, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten (Umstandsmoment), die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Letzteres ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anzunehmen, wenn ein Antragsteller unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des geltend gemachten Rechts unternommen zu werden pflegt (vgl. BVerfG, B.v. 4.3.2008 – 2 BvR 2111/07 – BVerfGE 13, 382 Rn. 25 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 9.6.2015 – Vf. 17-VII-13 – BayVBl 2015, 770 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 9.10.2014 – 8 B 12.1546 – NVwZ-RR 2015, 277 m.w.N.; U.v. 26.2.2013 – 8 B 11.1708 – juris Rn. 29; B.v. 2.9.2011 – 7 ZB 11.1033 – BayVBl 2012, 181).
Auf der Basis dieser Grundsätze kann von einer Verwirkung auch dann ausgegangen werden, wenn zwar das Umstandsmoment in den Hintergrund tritt, aber der Betroffene eine derart lange Zeit abgewartet hat, dass mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war (vgl. BVerfG, B.v. 4.3.2008 – 2 BvR 2111/07 – BVerfGE 13, 382 Rn. 30 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 6.3.2006 – 2 BvR 371/06 – juris Rn. 5 f.). Dem Umstandsmoment kommt nach dem Verstreichenlassen eines Zeitraums, nach dem mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war, gegenüber dem Zeitmoment mithin kein maßgebliches Gewicht zu. Hinzu kommt, dass bei der Verwirkung prozessualer Befugnisse im öffentlichen Recht nicht nur ein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei auf das Untätigbleiben des Berechtigten, sondern auch das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens es rechtfertigen, die Anrufung eines Gerichts nach einer langen Zeit der Untätigkeit als unzulässig anzusehen (vgl. BVerfG, B.v. 26.1.1972 – 2 BvR 255/67 – BVerfGE 32, 305/309).
Vorliegend hat die Klägerin mit der auf die Feststellung der Nichtigkeit der Widmung und Eintragung des Fußwegs „zum Bahnhof“ im Bestandsverzeichnis des Beklagten gerichteten Klageerhebung eine derart lange Zeit abgewartet, dass mit einem derartigen Tätigwerden auf dem Klageweg schlechthin nicht mehr zu rechnen war. Denn die Klägerin hatte bereits am 22. September 1992 unter dem Az. 3 K 92. A 1246 mit derselben Begründung, mit der sie nunmehr die Feststellung der Nichtigkeit der Widmung und Eintragung des Weges in das Bestandsverzeichnis begehrt, eine Anfechtungsklage gegen die diesen Weg betreffende Eintragungsverfügung erhoben. Diese Klage hatte das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 18. Juni 1993 wegen Versäumung der Klagefrist – die danach bereits am 9. Dezember 1964 abgelaufen war – abgewiesen. Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Mai 1994 (8 B 93.2681) zurückgewiesen. Weder im Klagenoch im Rechtsmittelverfahren wurde dabei von der (bereits damals anwaltlich vertretenen) Klägerin die Feststellung der nunmehr geltend gemachten Nichtigkeit der im Streit stehenden Eintragung bzw. Widmungsverfügung beantragt, obwohl ihr die nunmehr angeführten Fakten bereits bekannt waren. Nach einer solchen, über mehr als zwei Jahrzehnte reichenden Zeitspanne brauchte der Beklagte mit einem derartigen Tätigwerden der Klägerin auf dem Klageweg schlechthin nicht mehr zu rechnen. Nach dieser außerordentlich langen Zeit durften vielmehr sowohl der Beklagte als auch die Rechtsgemeinschaft insgesamt auf den rechtlichen Bestand der streitbefangenen Eintragung im Bestandsverzeichnis für beschränkt-öffentliche Wege der Beklagten vertrauen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die in den Folgejahren geführten Rechtsstreitigkeiten zwischen der Klägerin und dem Beklagten. Zwar standen auch diese im Zusammenhang mit dem auf dem Grundstück der Klägerin befindlichen Fußweg; doch auch insoweit wurde von ihr zu keinem Zeitpunkt die Feststellung der Nichtigkeit seiner Widmung oder Eintragung beantragt. Vielmehr klagte die Klägerin unter anderem wiederholt auf Einziehung des Weges, die die Wirksamkeit seiner Widmung gerade voraussetzt.
Angesichts dieser Umstände erscheint es völlig unbillig, dass die Klägerin erst nunmehr auf Feststellung der Nichtigkeit der Widmung und Eintragung des Fußwegs klagt, zumal sie die behauptete Nichtigkeit gerade auf das Fehlen der Originalverfahrensakten und -karteikarten stützt, die der Beklagte nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats nicht mehr vorhalten muss, nachdem über 50 Jahre seit der erstmaligen Eintragung des Weges verstrichen sind (BayVGH, B.v. 7.11.2012 – 8 ZB 11.1811 – juris Rn. 8 m.w.N.). Auch wenn die Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO keiner Klagefrist unterliegt, gilt der Rechtsgrundsatz, dass auch ein an sich unbefristeter Antrag nicht nach Belieben hinausgezögert werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 26.1.1972 – 2 BvR 255/67 – BVerfGE 32, 305/309 m.w.N.).
Der von der Klägerin hiergegen erhobene Einwand, das streitbefangene Grundstück habe zum Zeitpunkt der erstmaligen Anlegung des Bestandsverzeichnisses noch nicht in ihrem Eigentum gestanden, sondern sei erst 1992 von ihr erworben worden, geht ersichtlich fehl. Die Klägerin mag ursprünglich – trotz des vorhandenen Fußwegs – der Auffassung gewesen sein, ein „unbelastetes“ Grundstück zu erwerben. Ungeachtet dessen waren ihr jedenfalls bereits bei der erstmaligen Klageerhebung 1992 die Umstände bekannt, mit denen sie nunmehr ihre Feststellungsklage begründet. Soweit die Klägerin einwendet, eine Verwirkung sei schon deshalb nicht eingetreten, weil jeder jederzeit in der Lage sein müsse festzustellen, ob eine öffentlich-rechtlich gewidmete Straße vorliege oder nicht, verkennt die Klägerin, dass hierzu gerade das bestehende Straßenbestandsverzeichnis dient. Eine Vorhaltungspflicht der Gemeinden hinsichtlich der Originalverfahrensakten über die im Jahr 1963 erfolgte Anlegung des Straßenbestandsverzeichnisses auf unbestimmte Zeit ergibt sich hieraus, wie bereits oben ausgeführt, nicht.
2. Die Berufung war auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dient in erster Linie der Rechtseinheit und der Fortentwicklung des Rechts. Er erfordert deshalb, dass die im Zulassungsantrag geltend gemachte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich und bisher höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt ist sowie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung aufweist (BayVGH, B.v. 23.9.2013 – 8 ZB 12.2525 – BayVBl 2014, 147 = juris Rn. 15 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es kann dahinstehen, ob die in der Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage, „… welche Beweislast die ordnungsgemäße … erforderliche Auflegung zur öffentlichen Einsicht trägt“ den Anforderungen des Darlegungsgebots des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entspricht, obwohl sie ihrem Wortlaut nach keine nachvollziehbare Aussage enthält und damit keiner Klärung zugänglich ist. Denn auch wenn die so formulierte Frage dahin ausgelegt wird, dass geklärt werden soll, wer die Beweislast für die ordnungsgemäße öffentliche Auslegung des Bestandsverzeichnisses nach Art. 67 Abs. 3 Satz 2 BayStrWG trägt, ist diese jedenfalls nicht klärungsbedürftig, weil sie – wie unter Nr. 1 aufgezeigt – im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich ist.
3. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Die Klägerin sieht die besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache in denselben Fragen, die sie auch zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bzw. der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache angeführt hat. Diese Fragen sind jedoch – wie sich aus vorstehenden Darlegungen ergibt – nicht entscheidungserheblich, weil die Klage bereits wegen Verwirkung unzulässig ist, so dass es auf die materiell-rechtlichen Ausführungen der Klägerin nicht ankommt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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