Verwaltungsrecht

Feststellung der Rechtswidrigkeit einer mittlerweile außerkraftgetretenen Veränderungssperre

Aktenzeichen  1 N 19.1393

Datum:
13.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2020, 845
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 14

 

Leitsatz

1. Wird das Feststellungsinteresse bei einer außer Kraft getretenen Veränderungssperre damit begründet, dass eine Schadensersatz- oder Entschädigungsklage in Betracht kommt, muss diese ernsthaft beabsichtigt sein. (Rn. 17)
2. Nimmt eine anwaltlich vertretene Antragstellerin ihren Vorbescheidsantrag zurück und verzichtet damit auf eine nachprüfbare Entscheidung der Behörde, ist eine spätere Schadensersatz- oder Entschädigungsklage, mit der die Planungskosten und der Wertverlust des Grundstücks geltend gemacht werden sollen, offensichtlich aussichtslos. (Rn. 19)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000‚- Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1, 8 GKG i.V.m. Nr. 9.8.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Gründe

Über den Normenkontrollantrag konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da sich die Beteiligten mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Tritt eine Veränderungssperre während der Anhängigkeit eines – wie hier – nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zulässigen Antrags auf Feststellung ihrer Unwirksamkeit außer Kraft, kann der Antragsteller die Feststellung begehren, dass die Veränderungssperre ungültig war (vgl. BVerwG, B.v. 2.9.1983 – 4 N 1.83 – BVerwGE 68, 12). Die am 22. August 2018 beschlossene und am 30. August 2018 bekanntgemachte Veränderungssperre ist mit Inkrafttreten der am 18. September 2019 neu beschlossenen Veränderungssperre außer Kraft getreten (vgl. § 3 der am 19.9.2019 ausgefertigten Satzung). Diese Rechtstatsache wird mit dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 19. Juni 2020, mit dem die Antragstellung konkretisiert wurde, auch nicht mehr in Frage gestellt.
Die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags nach Außerkrafttreten einer Veränderungssperre entfällt aber, wenn der Antragsteller kein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass die Satzung ungültig war. Ein abstrakter Klärungsbedarf genügt nicht, das Feststellungsinteresse muss substantiiert geltend gemacht werden und im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats vorliegen (vgl. zur Fortsetzungsfeststellungsklage BVerwG, B.v. 30.6.2016 – 1 WB 17.15 – juris Rn. 24; U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303). Ein berechtigtes Feststellungsinteresse besteht jedenfalls, wenn die begehrte Feststellung präjudizielle Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines auf die Norm gestützten behördlichen Verhaltens und damit für in Aussicht genommene Entschädigungsansprüche haben kann. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder einer Entschädigung muss ernsthaft beabsichtigt sein. Voraussetzung ist, dass eine Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung anhängig ist oder ihre alsbaldige Erhebung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist (vgl. BVerwG, B.v. 9.3.2005 – 2 B 111.04 – juris Rn. 7). In eine eingehende Untersuchung der Begründetheit von beabsichtigten Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüchen ist hingegen nicht einzutreten. Ein berechtigtes Interesse an der beantragten Feststellung besteht nur dann nicht, wenn sie der Vorbereitung einer Klage dient, die offensichtlich erfolglos ist (vgl. BVerwG B.v. 26.5.2005 – 4 BN 22.05 – BauR 2005, 1761; B.v. 2.9.1983 – 4 N 1.83 – BVerwGE 68, 12; NdsOVG, B.v. 16.8.2012 – 1 KN 21.09 – DVBl 2012, 1452; OVG NW, U.v. 24.1.2005 – 10 D 144/02.NE – juris Rn. 27 ff.). Offensichtliche Aussichtslosigkeit liegt vor, wenn ohne ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete Schadens- oder Entschädigungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2004 – 4 B 76.04 – juris Rn. 8; U.v. 29.4.1992 – 4 C 29.90 – NVwZ 1992, 1092).
Nach diesen Maßstäben liegt das erforderliche Feststellungsinteresse nicht vor.
Die Antragstellerin hat bereits keine ernsthafte Absicht dargelegt, Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche geltend zu machen. So trägt die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 6. April 2020 vor, dass sie sich ausdrücklich vorbehalte, Schadensersatzansprüche dahingehend geltend zu machen, dass aufgrund der am 31. August 2018 in Kraft getretenen Veränderungssperre der Vorbescheidsantrag vom 1. Juli 2019 bisher nicht positiv verbeschieden worden sei. Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2020 wird ausgeführt, die Antragstellerin erwäge, Entschädigungs- und/oder Schadensersatzansprüche wegen der Nichtgenehmigung des Vorbescheidantrags vom 19. September 2017 geltend zu machen. Die Antragstellerin lässt damit offen, ob sie derartige Ansprüche geltend macht, oder prüft diese Möglichkeit. Dies genügt für die Bejahung der Vorgreiflichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Feststellung jedoch nicht. Eine nur theoretisch mögliche Schadensersatz- oder Entschädigungsklage vermag ein Feststellungsinteresse nicht zu begründen (vgl. BVerwG, B.v. 30.6.2016 – 1 WB 17.15 – juris Rn. 24; B.v. 9.3.2005 – 2 B 111.04 – juris Rn. 7).
Weiter ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche im Zusammenhang mit der Veränderungssperre vom 22. August 2018 und den beantragten Vorbescheiden bestehen können. Ein entsprechender Prozess hätte offensichtlich keinen Erfolg.
Den Vorbescheidsantrag vom 19. September 2017 hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin nach einer Besprechung im Landratsamt am 25. Oktober 2018 zurückgenommen. Im Amtshaftungsrecht steht dem Verletzten nicht ein Wahlrecht derart zu, dass er von einer Anfechtung ihn rechtswidrig belastendender Maßnahmen folgenlos absehen und sich auf einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung beschränken darf. Zwar wird der Schadensersatzanspruch nicht durch den Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes ausgeschlossen; ein Ausschluss gemäß § 839 BGB kommt aber dann in Betracht, wenn der Verletzte es vorwerfbar (im Sinn eines „Verschuldens gegen sich selbst“) versäumt hat, den Verwaltungsakt mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen anzufechten (vgl. BGH, U.v. 15.11.1990 – III ZR 302/89 – BGHZ 113,17). Auch dem von einem rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in sein Eigentum Betroffenen steht nicht die freie Wahl derart zu, ob er den Eingriff mit den dafür vorgesehenen Rechtsmitteln abwehren oder ihn hinnehmen und stattdessen eine Entschädigung verlangen will. Ein Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs ist regelmäßig für diejenigen Nachteile ausgeschlossen, die durch die verwaltungsprozessuale Anfechtung hätten vermieden werden können (vgl. BVerfG, B.v. 2.12.1999 – 1 BvR 165/90 – NJW 2000, 1401; BGH, U.v. 21.12.1989 – III ZR 132/88 – BGHZ 110, 12). Wer in vorwerfbarer Weise den Versuch abgebrochen hat, Primärrechtsschutz gegen die Ablehnung seines Baugesuchs zu erreichen, dessen Schadensersatzklage ist offensichtlich aussichtlos (vgl. NdsOVG, U.v. 16.8.2012 – 1 KN 21/09 – juris; BayVGH, B.v. 1.10.2008 – 1 N 08.2271 – juris Rn. 10). Das ist vorliegend der Fall. Die Notwendigkeit der Inanspruchnahme eines Primärrechtsschutzes entfällt nicht dadurch, dass die Sachbearbeiterin gegenüber der Antragstellerin erklärt habe, dass der Vorbescheidsantrag aufgrund der Veränderungssperre nicht weiterbearbeitet werde und zunächst über die Wirksamkeit der Veränderungssperre entschieden werden müsse. Denn damit bestand für die Antragstellerin gerade Anlass, diese Rechtsfrage klären zu lassen. Mit einer Klage hätte die Antragstellerin zudem überprüfen lassen können, ob bei Unwirksamkeit der Veränderungssperre ein Anspruch auf den beantragten Vorbescheid besteht, der nach den im Rahmen dieses Verfahrens vorgelegten Unterlagen äußerst fraglich ist. Die Rücknahme des Vorbescheidantrags erfolgte auch nicht durch die Antragstellerin selbst, sondern durch einen im Baurecht versierten Anwalt. Die fehlende Verpflichtungsklage wird vorliegend auch nicht durch die erhobene Normenkontrollklage ersetzt. Zwar ist es zutreffend, dass die Normenkontrollklage grundsätzlich selbständig und gleichberechtigt neben einer Verpflichtungsklage, mit der die Wirksamkeit der Veränderungssperre inzident überprüft wird, erhoben werden kann. Unabhängig davon, dass die Antragstellerin ihren Vorbescheidsantrag bereits zurückgenommen hatte, wurde der Normenkontrollantrag aber nicht zeitnah zu dem zurückgenommenen Vorbescheidsantrag, sondern erst ca. 9 Monate später in unmittelbarem Zusammenhang mit dem neuen Vorbescheidsantrag vom 1. Juli 2019 gestellt. Auf diesen Vorbescheidsantrag hat die Antragstellerin für ein Feststellungsinteresse auch zunächst Bezug genommen und erst nach dem Hinweis des Senats, dass im Hinblick auf diesen Antrag kein Feststellungsinteresse erkennbar sei, Ausführungen zu dem Vorbescheidsantrag vom 19. September 2017 gemacht. Soweit die Antragstellerin auf das Urteil des Senats vom 19. Dezember 2019 (1 N 17.1236) Bezug nimmt, wurde hier sowohl Schadensersatzklage als auch Klage gegen den ablehnenden Baubescheid erhoben. Dass der Vorbescheidsantrag vom 19. September 2017 auch lange Zeit (im Zeitraum vor der Veränderungssperre) nicht abschließend bearbeitet worden ist, berührt nicht das Feststellungsinteresse für den Normenkontrollantrag und dürfte darauf beruhen, dass die gestellte Bauanfrage bauplanungsrechtlich wohl nicht genehmigungsfähig war.
Für die vom Landratsamt angekündigte Ablehnung des Vorbescheidantrags vom 1. Juli 2019 ist die am 22. August 2018 beschlossene Veränderungssperre offensichtlich nicht mehr kausal, da sie am 26. September 2019 mit der neuen Veränderungssperre außer Kraft trat. Das von der Antragstellerin vorgelegte Schreiben des Landratsamts datiert vom 17. März 2020, auf ein früheres Schreiben vom 15. Oktober 2019 wird darin Bezug genommen. Auch zu diesem Zeitpunkt galt die Veränderungssperre vom 22. August 2018 nicht mehr. Dass das Genehmigungsverfahren vor dem Außerkrafttreten der Veränderungssperre vom 22. August 2018 hätte abgeschlossen sein müssen, hat die Antragstellerin weder substantiiert vorgetragen noch ist dies erkennbar. Der Behörde stand nicht annähernd ein Dreimonatszeitraum für die Bearbeitung zur Verfügung, da die Antragstellerin den Antrag erst am 1. Juli 2019 unterschrieben hat; er musste dann bei der Gemeinde eingereicht werden, die den Antrag im zuständigen Gremium behandelt und anschließend an das Landratsamt weitergeleitet hat. Soweit geltend gemacht wird, dass die Behörde mit der Mindestgeltungszeit der Veränderungssperre von der Anwendung der Veränderungssperre vom 22. August 2018 ausgegangen sei, ist dies bereits nicht nachvollziehbar. Im Übrigen könnte selbst eine rechtswidrige Annahme die Kausalität, die objektiv bestehen muss, nicht begründen. Einen (unbedingten) Normenkontrollantrag gegen die am 18. September 2019 beschlossene Veränderungssperre hat die Antragstellerin nach dem Hinweisschreiben des Senats vom 18. Mai 2020 nicht gestellt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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