Verwaltungsrecht

Fiktives Geburtsdatum und Abschiebung nach Pakistan

Aktenzeichen  Au 3 K 16.31857

Datum:
12.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18614
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1 u. S. 2
AslyG § 4 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Anerkennung als Asylberechtigter ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist (vgl. Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylG).
2. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinn von § 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG und für die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinn von § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG liegen nicht vor. Der Kläger hält sich weder aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung außerhalb Pakistans auf noch hat er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm nach einer Rückkehr in Pakistan ein ernsthafter Schaden im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG droht. Das Gericht teilt die Einschätzung des Bundesamts, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch diese Behörde eine erfundene Geschichte vorgetragen hat. Insbesondere kann ausgeschlossen werden, dass die Taliban das Heimatdorf des Klägers im Distrikt … überfallen und dabei zwei Brüder verletzt und eine Schwester umgebracht haben, weil dieser im Osten Pakistans liegende Distrikt nie zum Operationsgebiet der Taliban gehört hat.
Gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers spricht auch nachdrücklich, dass er über seine Identität täuscht. Im Vormundschaftsverfahren und bei der Asylantragstellung gab er seinen Namen mit Mo… Sa… an. Demgegenüber behauptete er zu Beginn seiner Anhörung durch das Bundesamt am 13. Juli 2016, sein Nachname laute Ba…. Er habe in Griechenland seinen Nachnamen nicht gewusst, so dass andere Pakistani ihm Sa… als Nachnamen genannt hätten. Erst als er in Deutschland angekommen sei, habe ihm ein Cousin gesagt, er würde Ba… mit Nachnamen heißen. Dementsprechend wurde Mo… Ba… als Aliasname vom Bundesamt aufgenommen. Wenn der Cousin … Bh… dem Kläger aber bei seiner Ankunft in Deutschland (spätestens) im Dezember 2015 gesagt haben sollte, er, der Kläger, heiße mit Nachnamen Ba…, so ist nicht nachvollziehbar, warum der Kläger seinen Asylantrag noch im Februar 2016 unter dem Namen Mo… Sa… gestellt hat. Im Klageverfahren verwendete er dann den Namen Mo… Sa… Bh…. Auch zu dem Namen seines Vaters machte der Kläger verschiedene Angaben. Beim Bundesamt trug er vor, dieser heiße As… A… Ba…, beim Jugendamt der Stadt … äußerte er, dieser heiße As… A… Sa… (vgl. die Hilfepläne vom 6.12.2016 und 18.5.2017).
Der Kläger hat auch ein fiktives Geburtsdatum angegeben. Seine Einlassung beim Bundesamt, Freunde aus Pakistan hätten ihm sein Geburtsdatum gesagt, ist völlig unrealistisch. Einerseits hat er vorgetragen, er habe Pakistan mit elf Jahren verlassen und wisse nicht, ob die Reise von Pakistan nach Griechenland ein oder zwei Jahre gedauert habe, andererseits will er bereits im Alter von zehn bis elf Jahren nach Griechenland gekommen seien, aber in einer normalen Flüchtlingsunterkunft gelebt haben, wo die meisten Bewohner volljährig gewesen seien. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck dürfte der Kläger einige Jahre älter sein als von ihm angegeben. Dafür spricht auch, dass er während seines jahrelangen Aufenthalts in Griechenland seinen Lebensunterhalt durch die Arbeit als Straßenverkäufer sicherstellen konnte. Auch deshalb ist das Gericht überzeugt, dass der Kläger von seinen Eltern nicht bereits als zehn- oder elfjähriges Kind, sondern erst als zumindest Jugendlicher nach Europa geschickt wurde.
3. Der Kläger hat auch wegen der geltend gemachten psychischen Erkrankung keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Im vorliegenden Fall lässt sich eine schwerwiegende psychische Erkrankung bereits nicht objektiv feststellen. Vielmehr beruhen sämtliche fachärztlichen Atteste, die jeweils zu unterschiedlichen Diagnosen kommen, auf dem ersichtlich zweckgerichteten Verhalten des Klägers gegenüber den behandelnden/begutachtenden Ärzten.
Das nervenärztliche Gutachten des Dr. … vom 18. April 2019, das dem Kläger Mutismus als schwere psychische Krankheit bescheinigt, beruht auf einer völlig unzureichenden Anamnese, zumal sich bereits aus den vom Gericht beigezogenen Berufsschulunterlagen ergibt, dass von einem Mutismus beim Kläger keine Rede sein kann. In dem aktuellen Zeugnis vom 24. Juli 2019 für das Schuljahr 2018/2019 wird seine mündliche Kommunikationskompetenz mit der zweitbesten von vier möglichen Notenstufen bewertet, in dem Zeugnis vom 25. Juli 2018 für das Schuljahr 2017/2018 sogar mit der besten Notenstufe („sicher“). Laut Mitteilung des Klassenleiters bzw. stellvertretenden Schulleiters beteiligt sich der Kläger gut am Unterricht und spricht dabei gut Deutsch (vgl. Vermerk vom 24.5.2019). Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Kläger die Schule nur noch sporadisch besucht, wie offenbar in dem Antrag vom 31. Januar 2019 gegenüber dem Betreuungsgericht und damit auch gegenüber dem Gutachter Dr. … geltend gemacht wurde (vgl. nervenärztliches Gutachten des Dr. … S. 3 oben). Zwar fehlte er im Januar 2019 an insgesamt neun Tagen, doch verringerten sich dann die Abwesenheitstage von Monat zu Monat, so dass er im April 2019 nur noch an zwei Tagen und im Mai 2019 nur noch an einem Tag in der Berufsschule fehlte. Auch die Behauptung, der Kläger spreche seine Muttersprache nicht mehr, ist widerlegt. Denn er spricht sowohl die pakistanische Umgangssprache Punjabi als auch die pakistanische Amtssprache Urdu, wie sich in der mündlichen Verhandlung ergeben hat. Zudem hat die zuständige Betreuungsrichterin dem Gericht mitgeteilt, dass sich der Kläger mit ihr bei der Anhörung im Betreuungsverfahren normal unterhalten habe.
Dementsprechend konnten die behandelnden Ärzte in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 1. August 2019 auch nach dem mehr als einwöchigen Aufenthalt des Klägers im …krankenhaus … keinen Mutismus und auch keine sonstige schwere psychische Erkrankung diagnostizieren. Soweit sie dem Kläger „Sonstige dissoziative Störungen“ bescheinigen, handelt es sich ohnehin nur um eine Verdachtsdiagnose. Nach der abschließenden Beurteilung gehen sie am ehesten („a.e“) von einer sonstigen dissoziativen Störung aus. Ohnehin hat Oberarzt Dr. … eingeräumt, dass er nicht (sicher) feststellen könne, ob der Kläger nicht reden wolle oder aus psychischen Gründen nicht reden könne, wenn er schweige.
Da mit dem genannten Entlassbericht eine aktuelle gutachtliche fachärztliche Stellungnahme vorliegt, drängt sich dem Gericht keine weitere fachärztliche Begutachtung auf. Abgesehen davon ist der Beweisantrag Nr. 1, ein ärztliches Gutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass der Kläger an (irgend-) einer schweren psychischen Krankheit leidet, zu unbestimmt und daher als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag zu werten.
Die mehrfach unter Beweis gestellte Behauptung, dass der Kläger mit (zunehmenden) psychischen Problemen kämpfe, ist nicht entscheidungserheblich. Wie dargelegt, kommt ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen in Betracht. Zudem kann eine psychische Erkrankung nur durch ein fachärztliches Attest nachgewiesen werden, so dass es hier auf die Einschätzung von Lehrkräften, Jugendamtsmitarbeitern, Sozialpädagogen und Mitbewohnern nicht ankommt.
Beim Kläger handelt es sich um einen im Wesentlichen gesunden jungen Mann, der arbeitsfähig ist (vgl. endgültigen Entlassbericht vom 1.8.2019 S. 3 oben). Dies hat er bereits mehrere Jahre in Griechenland bewiesen, wo er als Straßenverkäufer gearbeitet hat und dabei ca. 300,- bis 400,- EUR für die Weiterreise nach Deutschland ansparen konnte (vgl. Niederschrift über die Anhörung beim Bundesamt am 13.7.2016 S. 3 f.). Soweit der Kläger sein Arbeitsleben in Griechenland in der mündlichen Verhandlung anders dargestellt hat, ist sein ersichtlich zweckgerichtetes Vorbringen nicht glaubhaft.
Bei der zu bejahenden Frage, ob der Kläger seinen Lebensunterhalt zumindest mit Gelegenheitsarbeiten in Pakistan bestreiten kann, ist auch zu berücksichtigen, dass er die Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen kann, die nach dem vom Bund und Ländern finanzierten GARP-Programm und dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERIN“ für ausreisepflichtige pakistanische Staatsangehörige vorgesehen sind (siehe hierzu ausführlich VG Freiburg, U.v. 24.2.2016 – A 6 K 2938/14 – juris Rn. 22 f.).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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