Aktenzeichen RO 9 K 16.33070
Leitsatz
1 Erhielten die aus der Ostukraine stammenden Asylkläger in der Westukraine als Binnenflüchtlinge staatliche Unterstützung und konnten ihren Lebensunterhalt durch Zuverdienst und Rente sicherstellen, kann die Berufung auf eine schwierige Lebenssituation nicht zu Flüchtlingsschutz führen. (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Ukraine ist eine zureichende medizinische Versorgung gegeben. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Kläger haben weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes noch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Vielmehr ist die vom Bundesamt getroffene Entscheidung auch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt zunächst den Feststellungen und der Begründung des streitbefangenen Verwaltungsakts und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Vortrag im gerichtlichen Verfahren veranlasst keine anderweitige Bewertung der Sach- und Rechtslage.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
1.1 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG insbesondere voraus, dass der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3a AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.
Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG vom Staat (Buchst. a) oder von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Buchst. b), aber auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (Buchst. c). Letzteres gilt jedoch nur, sofern die staatlichen Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten, unabhängig davon, ob in dem betreffenden Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. § 3e AsylG).
1.2 Gemessen hieran ist vorliegend festzustellen:
Soweit sich die Kläger auf die Lage in der Ostukraine berufen, konnten die Kläger bereits nach ihrem eigenen Vortrag Schutz in der Westukraine erlangen.
Wenn sie sich dort wiederum einer schwierigen Lebenssituation ausgesetzt gesehen und deshalb die Westukraine verlassen haben, führt dies nicht zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Bundesamt weist völlig zu Recht darauf hin, dass es sich bei den geschilderten Problemen in der Westukraine schon nicht um Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a AsylG handelt.
Im Übrigen ist zu bemerken, dass die Kläger eigenen Angaben zufolge als Binnenflüchtlinge über eine geraume Zeit hin staatliche Unterstützung erhalten haben, insbesondere ihnen Wohnraum für einen jedenfalls nicht sittenwidrig erscheinenden Preis (insgesamt UAH 900.-/Monat) zur Verfügung gestellt worden ist. Daher ist nicht ersichtlich, weshalb die Kläger ihren Lebensunterhalt – wenn auch bescheiden – nicht mittels der Rente des Klägers zu 1. (UAH 2.700.-) und ggf. eines Zuverdienstes der arbeitsfähigen Klägerin zu 2. bestreiten können sollen. Dass die Kläger Schulden haben, bleibt flüchtlingsrechtlich ohne Bedeutung.
Bezüglich der geltend gemachten Angst der Kläger vor Diskriminierung wegen ihrer Herkunft aus der Ostukraine steht es ihnen frei, sich ggf. in einem Oblast der „Restukraine“ niederzulassen, der einen signifikant hohen Anteil russischstämmiger Bevölkerung aufweist (wie etwa Charkow).
2. Bezüglich § 4 AsylG gelten die Ausführungen unter 1.2 entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
3. Schließlich liegt kein nationales Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist nichts ersichtlich. Diese Normenkette setzt eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung voraus – vorliegend erhielten die Kläger als Binnenflüchtlinge jedoch staatliche Unterstützung. Auch ist nach der Erkenntnislage in der Ukraine eine zureichende medizinische Versorgung gegeben (vgl. Lagebericht AA vom 11.2.2016, S. 14). Zur geltend gemachten Diskriminierung seitens nichtstaatlicher Akteure gelten jedenfalls die Ausführungen unter 1.2 entsprechend.
Die angeführten Erkrankungen sind entweder schon behandelt (Kläger zu 1.) oder erreichen nicht die von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geforderte Erheblichkeitsschwelle bzw. sind nicht hinreichend durch aussagekräftige fachärztliche Atteste substantiiert (Klägerinnen zu 2. und 3.).
In wirtschaftlicher Hinsicht sind die Kläger auf die ergänzende Unterstützung der Familie (vgl. zur Kl. zu 2.: Sohn mit Familie, Tochter, Bruder, Cousinen und Cousins Bl. 74 d.A.) zu verweisen. Insbesondere die Tochter stellte bereits in der Vergangenheit EUR 1.500.- zur Bewältigung der Ausreisekosten bereit (vgl. Bl. 77 d.A.).
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.