Verwaltungsrecht

Folgeantrag nach vorgetragener Konversion zum Christentum (Iran)

Aktenzeichen  W 8 K 20.30532

Datum:
2.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30665
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1
VwVfG § 51
AsylG § 3, § 4, § 25, § 71 Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2c
Anerkennungs-RL Art. 10

 

Leitsatz

1. Für die Annahme einer Verfolgungsgefahr im Iran sind jedenfalls christliche Aktivitäten nach außen hin relevant, wie zB eine Missionierung oder eine Unterrichtung anderer Personen im Glauben. Ohne Außenaktivitäten wissen die Behörden nicht über die Konversion Bescheid und es besteht ihrerseits auch kein Verfolgungsinteresse. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zur Verfolgung.  (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr in den Iran keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden.  (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach der aktuellen COVID-19-Fallzahlen im Iran besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre.   (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 14. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für … decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln sowie mit der einschlägigen Rechtsprechung.
Im Ergebnis war ein weiteres Asylverfahren durchzuführen (vgl. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG). Auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid wird Bezug genommen.
In der Sache ist das Gericht zum gegenwärtigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht davon überzeugt, dass bei dem Kläger im Iran die begründete Gefahr (politischer) Verfolgung bestand bzw. besteht oder ihm sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe (vgl. dazu Art. 10 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG).
Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründen in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand oder besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht. Gerade auch aufgrund der Angaben und des Auftretens des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist es ihm nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr weder im Hinblick auf seine früheren Aktivitäten für die Volksmujahedin und die Inhaftierung im Jahr 2006 sowie aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum glaubhaft zu machen.
Das Bundesamt hat schon im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt, dass sich das Vorbringen zur Verfolgung als Mujahedin im Iran an das entsprechende Vorbringen im Erstverfahren anschließe. Bereits im Urteil vom 8. November 2001 habe das Verwaltungsgericht Würzburg festgestellt (W 7 K 00.30787), dass das Vorbringen unglaubhaft, widersprüchlich und der vorgetragene Verfolgungsgrund frei erfunden sei. Des Weiteren mangele es an der Substantiierung, weil der Kläger hinsichtlich seiner Verhaftung nach seiner Abschiebung in den Iran am 29. September 2006 unterschiedliche Angaben gemacht habe. So habe er gegenüber dem Bundesamt am 10. September 2019 vorgebracht, dass man ihn beschuldigt habe, mit irgendwelchen politischen Gruppierungen zusammengearbeitet zu haben. Der Geheimdienst habe ihn gefragt, zu welcher Partei er gehöre und mit wem er zusammenarbeite. Er sei deshalb sechs bis sieben Monate inhaftiert gewesen. In seiner Anhörung am 14. Dezember 2009 habe er dagegen vorgetragen, dass er wegen illegaler Ausreise sechs Monate in Haft gewesen sei. Weder trug er vor, zu seinen politischen Tätigkeiten vom Geheimdienst befragt worden zu sein, noch habe er über Folter oder anderen Repressalien berichtet. Er habe auch nicht erwähnt, dass er sich wöchentlich bei der Sepah habe melden müssen. Der Vater habe in seinem Asylverfahren jede politische Betätigung verneint. Der Kläger sei auf Nachfrage mehrfach nicht in der Lage gewesen, zu denen Zielen, Organisationen und Schriften der Partei konkrete Ausführungen zu machen. Auch bei der Schilderung des behaupteten Gefängnisaufenthalts belasse es der Kläger bei einer pauschalen Darstellung. Des Weiteren seien nach seiner Entlassung im April 2007 bis zum Jahr 2009 im Iran keine weiteren Repressalien erfolgt. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Gefängnisaufenthalt und der Ausreise sei nicht zu erkennen.
Die Angaben des Klägers hierzu in der mündlichen Verhandlung sind nicht geeignet, ein Bild zu zeichnen, dass der iranische Staat bei einer Rückkehr des Klägers ein Verfolgungsinteresse hätte und den Kläger tatsächlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch verfolgen würde. Auf Frage des Gerichts nach den Angaben des Vaters, nicht für die Volksmujahedin aktiv gewesen zu sein, erklärte der Kläger, dies sei nur eine Schutzbehauptung gewesen. Gleichwohl sind mit dieser pauschalen kurzen Erklärung die widersprüchlichen Angaben zwischen ihm und seinem Vater (siehe dazu auch schon BayVGH, B.6.12.2001 – 14 ZB 01.31594 – juris) nicht plausibel aufgeklärt. Abgesehen davon ist festzuhalten, dass die Aktivitäten des Klägers für die Volksmujahedin über 20 Jahre zurückliegen und dem iranischen Staat auch nicht bekannt sind. Der Kläger gab ausdrücklich an, keine exilpolitischen Aktivitäten für die Mujahedin gehabt zu haben. Zu seiner Inhaftierung im Jahr 2006 erklärte er, er sei nach der Ankunft in Haft genommen worden. Er sei gefragt worden, warum er Asyl beantragt habe. Er sei weiter gefragt worden, welcher Partei er angehört habe. Nachforschungen seien angestellt worden. Nachdem bei diesen Nachforschungen nichts herausgekommen sei, sei er freigelassen worden. Nach den eigenen Angaben des Klägers ging der iranische Staat schon im Jahr 2006 offensichtlich davon aus, dass vom Kläger keine Gefahr ausgeht und kein Verfolgungsinteresse besteht. Erst recht leuchtet dem Gericht nicht ein, dass ohne weitere dahingehende exilpoltischen Aktivitäten 14 Jahre später im Jahr 2020 nunmehr ein Verfolgungsinteresse bestehen sollte.
Auch der Umstand, dass der Kläger im Jahr 2006 der Meldeauflage nicht nachgekommen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zum einen ist schon festzuhalten, dass sich der Kläger nachher noch über zwei Jahre im Iran aufgehalten habe, ohne dass etwas passiert ist. Er sei zwar untergetaucht gewesen. Aber das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zu Recht darauf hingewiesen, dass anscheinend bei ihm der Verfolgungsdruck nicht so hoch gewesen sei, dass er sich so lange Zeit bis zur Ausreise gelassen habe. Dass er zur Vorbereitung der Ausreise so lange Zeit gebraucht hätte, überzeugt nicht.
Gegen eine beachtliche wahrscheinliche Verfolgungsgefahr und ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates spricht weiter, dass der Kläger im Zusammenhang mit seiner Eheschließung in Deutschland offensichtlich problemlos die von ihm gewünschten Unterlagen und Dokumente des iranischen Staates über die iranische Botschaft erhalten hat.
Weiter ist anzumerken, dass der Kläger entgegen des Vorbringens seines Anwalts im Schriftsatz vom 1. November 2020 auf ausdrückliche Nachfrage nach eigenen Angaben in der Haft gerade nicht gefoltert worden ist, obwohl er bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 10. September 2019 im Widerspruch dazu selbst noch angegeben hatte, während der Haft ständig geschlagen worden zu sein. Vielmehr erklärte der Kläger nun, er habe sich bemüht, Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Wenn man sich nichts zuschulden kommen lasse, laufe man auch nicht Gefahr, von den Gefängniswärtern misshandelt zu werden. Offensichtlich hat der Kläger nicht den Eindruck bei den Gefängniswärtern hinterlassen, dass er sich etwas hat zuschulden kommen lasse.
Auch aufgrund seiner Konversion vom islamischen Christentum schon mit der Taufe im Jahr 2000 führt nicht zur Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus religiösen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran.
Das Bundesamt für … hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr wegen seiner Konversion keine Verfolgung drohe. Hinsichtlich der Konversion habe der Kläger nicht den Eindruck vermitteln können, dass seine Hinwendung zum christlichen Glauben aufgrund eines ernstgemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung erfolgt sei. Der Kläger habe sich nicht in einer Art und Weise religiös engagiert, die darauf hindeute, dass der christliche Glaube für ihn in einem Maße identitätsprägend sei, welches ihm als eine empfundene innere Verpflichtung auch nach Rückkehr in sein Heimatland auferlege, religiöse Handlungen bzw. Riten vorzunehmen. Der Kläger sei nach seinem Vorbringen schon am 27. August 2000 getauft worden. Er habe aber im persönlichen Gespräch nicht den Eindruck vermitteln können, dass er bei einer Rückkehr in den Iran seine religiöse Identität ernsthaft ausleben müsse. Außerdem sei nicht verständlich, warum der Kläger den Sachverhalt der Konversion nicht bereits im Erstverfahren vorgebracht habe. Diese Ausführungen decken sich mit den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln und der gefestigten Rechtsprechung, insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen sind für die Annahme einer Verfolgungsgefahr im Iran jedenfalls christliche Aktivitäten nach außen hin relevant, wie z.B. eine Missionierung oder eine Unterrichtung anderer Personen im Glauben. Ohne Außenaktivitäten wissen die Behörden nicht über die Konversion Bescheid und es besteht ihrerseits auch kein Verfolgungsinteresse. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zur Verfolgung (vgl. BFA, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.6.2020, S. 44 ff., 48 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran Stand Februar 2020 vom 26.2.2020, S. 13 f.; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran, Lage von im Ausland zum Christentum konvertierter Personen bei Rückkehr vom 16.1.2020; Bundesamt für …, Länderreport 10 – Iran, Situation von Christen vom 1.4.2020, S. 9 ff.).
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass es keine Erkenntnisse dahingehend gibt, dass allein wegen einer bisherigen religiösen Betätigung oder gar schon wegen eines bloßen formalen Glaubenswechsels zum christlichen Glauben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte. Erforderlich wäre vielmehr, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter den Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Die iranischen Behörden schätzen die Nachfluchtaktivitäten realistisch ein. Iranische Institutionen unterscheiden bei der Ahndung, ob diesen eine ernsthafte Überzeugung des Nutzers oder andere Motive zugrunde liegen. Den iranischen Behörden ist bekannt, dass iranische Staatsangehörige in Asylverfahren häufig zum christlichen Glauben konvertieren, um so bessere Chancen im Asylverfahren zu erhalten. Der Glaubenswechsel muss weiter auf einer festen Überzeugung und einen ernstgemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Der Betreffende muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und er muss auf der Basis auch gewillt sein, seine christliche Religion auch in seinem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss überzeugt sein, dass der Betreffende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet (siehe zuletzt etwa VG Bremen, U.v. 30.9.2020 – 1 K 647/18 – juris; VG Ansbach, U.v. 15.9.2020 – AN 19 K 20.30236 – juris; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; OVG SH, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; OVG NRW, B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris sowie insbesondere BayVGH, B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 10.1.2020 – 14 ZB 19.30242 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris jeweils m.w.N.).
Ausgehend davon hat der Kläger nicht den Eindruck hinterlassen, dass er aus religiösen Gründen das Bedürfnis hat, öffentlichkeitswirksam seinen Glauben nach außen auszuleben. Er hat auch nicht den Eindruck vermittelt, dass eine Glaubensbetätigung aus Zwang unterblieben ist und er entgegen seiner Gewissensentscheidung seinen christlichen Glauben habe unterdrücken müssen. So hat der Kläger angegeben, bei seinen Aufenthalten im Jahr 2006 bis 2009 im Iran zwar seinen christlichen Glauben und seine Religion nicht ausgeübt zu haben, weil er sonst festgenommen worden wäre. Jedoch erklärte er gleichzeitig, er habe während der Zeit im Iran auch nicht im Stillen oder Verborgenen seine christliche Religion ausgeübt, obwohl dies gefahrlos möglich gewesen wäre. Auffällig ist weiter, dass der Kläger auch in Deutschland, wo er keinen Einschränkungen unterliegt, seinen christlichen Glauben nicht groß öffentlich auslebt. Er berichtete lediglich von einzelnen Gottesdienstbesuchen. Er erklärte aber weiter, in der Sache habe er christlich keine weiteren Aktivitäten an den Tag gelegt, weil er in Deutschland gearbeitet habe. Er räumte ausdrücklich ein, dass er auch nicht missioniere. Darüber hinaus hat der Kläger anders als bis zum Jahr 2016 keinerlei Belege der christlichen Gemeinde über mögliche christliche Aktivitäten vorgelegt, die er abgesehen von Gottesdienstbesuchen offensichtlich auch nicht durchführt.
Damit drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass der Kläger ohne große Gewissensnot auf öffentliche christliche Aktivitäten verzichten kann, wie gerade auch seine Aussage belegt, und ihm offensichtlich die Arbeit in Deutschland wichtiger erscheint, als daneben noch große christliche Aktivitäten an den Tag zu legen.
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Nur in Einzelfällen ist es zu einer Befragung durch Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen. Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Abgesehen davon akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehr (Freizügigkeit). Nur bei unterstützter Rückkehr (also im weiteren Sinne auch Umwandlung von Abschiebung in „freiwillige“ Rückkehr durch finanzielle oder sonstige Anreize) ist Kooperation realistisch. Konsularkonsultationen über eine Zusammenarbeit bei der Rückführung sind noch am Laufen und insbesondere hinsichtlich der Rücknahme schwerer Straftäter spezifiziert (siehe zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Februar 2020 vom 26.2.2020, S. 23; vgl. im Übrigen VG Würzburg, U.v. 2.1.2020 – W 8 K 19.31960 – juris; U.v. 19.8.2019 – W 8 K 19.30846 – juris m.w.N. zur Rspr.).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären.
Aktuelle gesundheitsbedingte Abschiebungshindernisse sind weder vorgebracht noch ersichtlich. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er früher (psychische) Probleme gehabt und auch Medikamente bekommen habe. Aktuell nehme er keine Medikamente. Es liegen auch keine aktuellen ärztlichen Atteste vor, geschweige denn qualifizierte ärztliche Bescheinigungen nach § 60a Abs. 2c AufenthG, so dass es bei der Vermutung bleibt, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich schließlich auch nicht aus der weltweiten COVID-19-Pandemie, weil nach den aktuellen Fallzahlen im Iran – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe S. 2 des Sitzungsprotokolls), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt erst recht, wenn der Kläger die vom iranischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachtet und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der iranische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfsmaßnahmen getroffen hat.
In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der Iran etwa mit Ausgangssperren, örtlichen Lockdowns, Maskenpflicht, Reiseeinschränkungen, Verbot von Feierlichkeiten und dergleichen reagiert hat. Weiter wurden Schulen und Universitäten geschlossen, Freitagsgebete sowie Kultur- und Sportveranstaltungen wurden abgesagt, Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Des Weiteren rufen die Behörden dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden bzw. bei deren Nutzung eine Gesichtsmaske zu tragen (vgl. BAMF, Briefing-Notes vom 28.9.2020, 17.8.2020, 27.7.2020, 20.7.2020, 13.7.2020 sowie BAMF, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020, S. 30 ff.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 9.6.2020, S. 2 f).
Abgesehen davon hat der Kläger keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 im Iran – vor allem in der Heimatregion des Klägers – darstellt, insbesondere wieviele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger SARS-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wievielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität der iranische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Falle einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, zu der auch eine eventuelle – beim Kläger nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris, konkret zum Iran).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots, das mit der ausdrücklichen kurzen Frist von einem Monat die schutzwürdigen Belange des Klägers, der mit einer als Flüchtling anerkannten in Deutschland lebenden Frau verheiratet ist, ausreichend berücksichtigt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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