Verwaltungsrecht

Fortsetzungsfeststellungsklage, berechtigtes Interesse (verneint)

Aktenzeichen  M 23 K 20.2415

Datum:
1.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1740
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GG Art. 11

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Platzverweises in (analoger) Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, da er hieran kein berechtigtes Interesse hat.
Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich der Verwaltungsakt vor der gerichtlichen Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
Der Platzverweis hat sich zwar bereits vor Klageerhebung erledigt. Der erhobenen Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt es aber am berechtigten Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Für ein berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist grundsätzlich jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art ausreichend (vgl. BVerwG, U.v. 12.9.1989 – 1 C 40.88 – juris Rn. 10; BVerwG, B.v. 11.11.2009 – 6 B 22.09 – juris Rn. 4). Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein solches Interesse insbesondere aus den Gesichtspunkten der konkreten Wiederholungsgefahr, der Rehabilitierung, der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung sowie der Präjudizwirkung für einen beabsichtigten Schadensersatzanspruch ergeben. Die gerichtliche Feststellung muss jedenfalls geeignet sein, die betroffene Position des Klägers zu verbessern (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 27.15 – juris Rn. 3; U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 7.3.2018 – 3 BV 16.2040 – juris Rn. 28). Dabei obliegt es dem jeweiligen Kläger, die Umstände darzulegen, aus denen sich sein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 110).
Der Kläger macht hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse aufgrund einer von ihm angenommenen Wiederholungsgefahr sowie wegen einer schweren Grundrechtsbeeinträchtigung geltend.
1. Nach der Wertung des Gerichts liegt entgegen der Ansicht des Klägers keine Wiederholungsgefahr vor. Erforderlich für die Annahme einer Widerholungsgefahr ist eine hinreichend konkrete Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige Maßnahme ergehen wird (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – NJW 2004, 2510; BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 8 m.w.N.). Der polizeiliche Platzverweis geschah (wohl) in Vollzug des § 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020, der u.a. den Betrieb von Sport- und Spielplätzen untersagte. Diese Betriebsuntersagung fanden auch Eingang in die Nachfolgeverordnungen, etwa in § 2 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020, die am 20. April 2020 in Kraft trat, oder in § 4 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. Mai 2020. Seit der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Mai 2020 gibt es keine pauschale Untersagung des Betriebs von Spielplätzen mehr (vgl. § 10 der 4. BayIfSMV). Sie wurde später trotz immer wieder steigender Inzidenzen („Wellen“) auch nicht mehr aufgenommen. In der aktuellen Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (BayMBl. Nr. 816) findet sie sich nicht. Es ist angesichts der aktuellen Entwicklung der „Coronalage“ mit einer hohen Durchseuchungs- und Impfquote auch nicht mehr konkret zu erwarten, dass es im Sommer oder insbesondere auch im nächsten Herbst und Winter nochmals zu vergleichbar drastischen Einschränkungen durch vergleichbare Vorschriften kommen wird. Dies gilt auch für verordnete allgemeine Ausgangsbeschränkungen, sollten diese die Grundlage des angegriffenen Platzverweises gewesen sein. Die Sach- und Rechtslage hat sich mithin derart verändert, dass eine konkrete Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne ausgeschlossen erscheint.
2. Ein schutzwürdiges Fortsetzungsfeststellungsinteresse folgt auch nicht aus der Fallgruppe des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs. Der Schutzbereich des Art. 11 GG ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht eröffnet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist hiervon umfasst „das Recht, unbehindert durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, auch zu diesem Zweck in das Bundesgebiet einzureisen“ (vgl. BVerfGE 2, 266 (273); 43, 203 (211); 80, 137 (150); 110, 177 (190 f.)). Das Grundrecht auf Freizügigkeit umfasst das Verbleiben an einem Ort ebenso wie den Ortswechsel. Auch die „negative Freizügigkeit“ als das dauerhafte Verbleiben am in Freizügigkeit gewählten Ort ist vom Schutzbereich erfasst. Zur Garantie des „freien Ziehens“ tritt damit das Recht, am in Freiheit gewählten Ort „frei von staatlichem Zwang zum Verlassen oder zum Wegzug verbleiben zu dürfen“ (Sachs/Pagenkopf, GG, Art. 11 Rn. 14). Die Aufenthaltsfreiheit umfasst die Freiheit, an einem Ort vorübergehend oder längerfristig zu verweilen. Dabei setzt der Begriff „Aufenthalt“ nach umstrittener, aber richtiger Ansicht eine gewisse Zeitdauer begrifflich voraus. In Abgrenzung zur Bewegungsfreiheit wird unter Freizügigkeit ein Ortswechsel von einiger Bedeutung und Dauer verstanden (Sachs/Pagenkopf, GG, Art. 11 Rn. 16 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall wurde nach diesen Maßstäben durch den Platzverweis nicht die Freizügigkeit des Klägers berührt. Das Verweilen des Klägers mit einem Freund auf einer Tischtennisplatte hat nach den konkreten Umständen des Falles nicht die Dauer und Bedeutung, die den durch Art. 11 GG geschützten Handlungsweisen zukommt. Der Aufenthalt – die Jugendlichen saßen und aßen – war bei lebensnaher Betrachtung zufällig gewählt und nicht auf einige Dauer angelegt. Der Aufenthalt war daher (nur) durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 Satz GG geschützt. Diese wurde durch den polizeilichen Platzverweis, also das vorübergehende Verbot, an dem gewählten Ort zu bleiben, weder nach Inhalt noch den Begleitumständen nach tiefgreifend berührt, so dass diesbezüglich kein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.


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