Verwaltungsrecht

Frage des auslaufenden Asylrechts nicht klärungsbedürftig

Aktenzeichen  21 ZB 16.30283

Datum:
14.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 55037
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26a, § 29 Abs. 1, § 31 Abs. 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und auszuführen, weshalb die Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung, wenn um die Auslegung von Recht gestritten wird, dessen Geltung ausläuft. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 3 K 15.30720 2016-07-21 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wurde entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt nicht vor.
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und auszuführen, weshalb die Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a, Rn. 72).
1.1 Die Beklagte hält die Rechtsfrage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob bei bereits in einem anderen EU-Staat gewährtem subsidiären Schutz der Asylantrag (hier: vor dem 20.7.2015 gestellt) nach § 26a AsylG, § 31 Abs. 4 AsylG (a. F.) abgelehnt werden kann.
Dazu führt sie ergänzend aus, dass die vom Verwaltungsgericht hierzu vertretenen Rechtsgrundsätze insbesondere im Gegensatz zur Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz stünden (U. v. 18.2.2016 – 1 A 11081/14 – juris). Das Bundesverwaltungsgericht habe gegen dieses Urteil die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Klärung der Frage des Verhältnisses der Regelung des § 26a AsylVfG 1992 zu § 27a AsyVfG 1992 zugelassen (B. v. 27.6.2016 – 1 C 17/16 – juris). Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen gehe von der Anwendbarkeit des § 26a AsylG bei Personen, die in einem sicheren Drittland, das auch ein EU-Mitgliedstaat sein könne, bereits internationalen Schutz erhalten hätten, aus (OVG NW, U. v. 19.5.2016 – 13 A 1490/13.A – juris).
1.2 Mit diesem Vorbringen zeigt der Zulassungsantrag keine klärungsfähige Frage auf. Eine Frage ist klärungsfähig, wenn sie in der konkreten Rechtssache entscheidungserheblich ist. Dabei kann es im Zulassungsverfahren in der Regel nur um eine Frage gehen, die für die Vorinstanz entscheidungserheblich war. Davon kann man nur absehen, wenn offensichtlich ist, dass die aufgeworfene Frage sich jedenfalls in einem Berufungsverfahren stellen würde (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 37).
Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung ausschließlich damit begründet, dass entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 23.10.2015 – 1 B 41.15 – juris) vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge aufgrund der Übergangsregelung in Art. 51 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (ABl. Nr. L180/60) nicht allein deshalb als unzulässig behandelt werden dürfen, weil dem Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist. Die Urteilsgründe beschäftigen sich nicht mit den im Zusammenhang mit § 26a AsylG, § 31 Abs. 4 (a. F.) AsylG stehenden Fragestellungen. Für das Verwaltungsgericht waren diese Vorschriften nicht entscheidungserheblich. Es ist auch nicht offensichtlich, dass sich die aufgeworfene Frage in einem Berufungsverfahren stellen würde.
1.3 Jedenfalls rechtfertigt die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage schon deshalb nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil es sich um eine Frage des auslaufenden bzw. ausgelaufenen Rechts handelt. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn um die Auslegung von Recht gestritten wird, dessen Geltung ausläuft.
Die Vorschrift des § 29 AsylG ist durch Art. 6 Nr. 7 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl I 2016, S. 1939; in Kraft getreten am 6. August 2016) grundlegend umgestaltet worden. Sie enthält in § 29 Abs. 1 AsylG eine Zusammenfassung möglicher Gründe, die zur Unzulässigkeit des Asylantrags führen. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sieht vor, dass Anträge von Asylsuchenden, denen ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationalen Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 (d. h. Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz) gewährt hat, „unzulässig“ sind. Für diese Fallgruppe wurden nach der neuen Rechtslage weitere Neuregelungen geschaffen: So müssen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vor Erlass eines solchen Bescheids geprüft werden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Nach § 35 AsylG ergeht in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine Abschiebungsandrohung in den Staat, in dem der Ausländer vor Verfolgung sicher war. Die Ausreisefrist beträgt gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche, Anträge gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung sind innerhalb einer Woche zu stellen (§ 36 Abs. 3 AsylG)
Die Anwendung des § 26a AsylG (sichere Drittstaaten) ist bei der von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfassten Fallgruppe nun jedenfalls nicht mehr möglich (vgl. auch Bethke und Hocks, Asylmagazin 2016 S. 336, 340).
Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts verleihen einer Rechtssache regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, weil dieser Zulassungsgrund die Berufung eröffnen soll, um Fragen zur Auslegung des geltenden Rechts mit Blick auf die Zukunft richtungsweisend zu klären (st. Rspr. d. BVerwG zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. B. v. 29.12.2010 – BVerwG 5 B 42.10 – juris Rn. 3f.).
Etwas anderes kann zwar dann gelten, wenn sich die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage bei den gesetzlichen Bestimmungen, die den außer Kraft getretenen Vorschriften nachgefolgt sind, in gleicher Weise stellt. Dies muss offensichtlich sein (vgl. B. v. 27.10.2010 – BVerwG 5 B 18.10 – juris Rn. 6). Eine solche Fallgestaltung wurde hier nicht dargelegt und liegt auch nicht vor.
Eine weitere Ausnahme von der Regel, dass Fragen des ausgelaufenen Rechts die Zulassung der Grundsatzberufung nicht rechtfertigen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann anerkannt, wenn die Klärung der Rechtsfragen für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist die Rechtsmittelführerin darlegungspflichtig. Es müssen Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargetan und ersichtlich sein (BVerwG, B. v. 20.12.1995 – BVerwG 6 B 35.95 – juris Rn. 7). Die Beklagte hat im Zulassungsantrag hierzu nichts vorgetragen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Da die Beklagte als unterliegende Partei die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen hat, bedurfte es keiner Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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