Aktenzeichen W 1 K 16.32675
Leitsatz
1 Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, alleinstehende, männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige besteht in Afghanistan keine extreme Gefahrenlage (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 67). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einem Rückkehrer droht aufgrund der unzureichenden Versorgungslage und der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot iSd verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, jedoch unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 15. Dezember 2016 ist – soweit er noch Gegenstand dieser Klage ist – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652; VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17- juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan und insbesondere in Kabul stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (a.a.O. S. 21 ff.) aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 lediglich Rang 171 von 187 im Human Development Index belegt habe. Die afghanische Wirtschaft ringe in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 nicht nur mit der schwierigen Sicherheitslage, sondern auch mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90%. So seien ausländische Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2015 bereits um 30% zurückgegangen, zumal sich die Rahmenbedingungen für Investoren in den vergangenen Jahren kaum verbessert hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe durch die schwache Investitionstätigkeit geprägt. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 36% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 werde das Bevölkerungswachstum auf rund 2,4% pro Jahr geschätzt, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkomme. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familienbzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch.
Aus der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes für Afghanistan vom 28. Juli 2017 ergibt sich insoweit nichts grundlegend Abweichendes: In fast allen Regionen werde von der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit als das größte Problem genannt. Die Zahl der neu hinzugekommenen Binnenvertriebenen sei im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 25% gesunken. Die afghanische Regierung habe unter Beteiligung der internationalen Geberschaft sowie internationaler Organisationen mit der Schaffung einer Koordinierungseinheit zur Reintegration der Binnenflüchtlinge und Rückkehrer reagiert. Ein Großteil der internationalen Geberschaft habe zudem beschlossen, die Finanzmittel für humanitäre Hilfe im Rahmen eines Hilfsappells des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Angelegenheit OCHA aufzustocken. Trotz internationaler Hilfe übersteige der derzeitige Versorgungsbedarf allerdings das vorhandene Maß an Unterstützungsmaßnahmen seitens der Regierung.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage vom 14.09.2017, Seite 27 ff.) führt aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt bleibe, wobei der Anteil der notleidenden Bevölkerung im Verlaufe des Jahres 2016 um 13% angestiegen sei; 2017 benötigten 9,3 Millionen Afghanen dringend humanitäre Hilfe. Die Arbeitslosenquote sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte rasant angestiegen und inzwischen auch in städtischen Gebieten hoch. Gleichzeitig seien die Löhne in Gebieten, welche von Rückkehrströmen betroffen seien, signifikant gesunken. Nach wie vor seien die meisten Menschen in der Land- und Viehwirtschaft oder als Tagelöhner tätig. Die zunehmenden Rückkehrströme hätten zu einem enormen Anstieg an Unterkunftsbedarf geführt, weshalb sich insbesondere in der Hauptstadt Kabul die Wohnraumsituation extrem verschärft habe. Rund 68% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu adäquaten Sanitätsinstallationen und ca. 45% keinen Zugang zu aufbereitetem Trinkwasser. Rund 40% der Bevölkerung sei von Lebensmittelunsicherheit betroffen. Die Zahl der von ernsthafter Lebensmittelunsicherheit betroffenen Menschen steige an und umfasse inzwischen 1,6 Millionen Personen. In Gebieten, die von hohen Rückkehrströmen betroffen waren, seien die Lebensmittelpreise stark angestiegen. Etwa 9 Millionen Menschen, in besonderem Maße Frauen und Kinder, hätten keinen oder nur beschränkten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, welchen es auch an angemessener Ausstattung mangele. Im Jahr 2016 sei der Druck zur Rückkehr auf afghanische Flüchtlinge im Iran und in Pakistan dramatisch angestiegen; Kabul sowie die Provinzen im Norden, Nordosten und Osten des Landes seien in besonderem Maße betroffen gewesen. Rückkehrende fänden oft keine adäquate Unterkunft; sie lebten oft in notdürftigen Behausungen mit schlechten Sanitäranlagen. Der eingeschränkte Zugang zu Land, Nahrungsmitteln und Trinkwasser und die begrenzten Möglichkeiten zur Existenzsicherung stellten eine enorme Herausforderung für diesen Personenkreis dar. Aufgrund der äußerst schwierigen Lebensbedingungen würden Rückkehrende oft zu intern Vertriebenen, deren Zahl Ende 2016 auf etwa 1,4 Millionen Menschen geschätzt worden sei und deren Lage sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert habe. Auch für Flüchtlinge aus Europa gestalte sich eine Rückkehr schwierig. Die Bevölkerung Kabuls solle sich binnen nur sechs Jahren verdreifacht haben. Dort lebten etwa 75% der Bevölkerung in informellen und behelfsmäßigen Behausungen, die oft weder ans Wasserversorgungsnetz noch an die Kanalisation angeschlossen seien. Der Zugang zu Lebensmitteln habe sich rasant verschlechtert, was unter anderem auf die mangelnden Arbeitsmöglichkeiten zurückzuführen sei. Armut sei weit verbreitet. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung Kabuls könne sich keine medizinische Behandlung leisten. Die große Zahl der Rückkehrenden und intern Vertriebenen führe zur Überlastung der bereits äußerst stark beanspruchten Infrastruktur zur Erbringung der Grunddienstleistungen in der Hauptstadt Kabul aber auch andernorts, insbesondere in den wichtigsten Provinzstädten und Bezirken.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen allgemeinen Verhältnisse nicht in eine Art. 3 EMRK verletzende besonderen Ausnahmesituation, wie sie Art. 60 Abs. 5 AufenthG entsprechend obiger Ausführungen erfordert, geraten würde. Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR – auf den die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich der Situation der Rückkehrenden Bezug nimmt -, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem 19-jährigen Kläger – eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). An dieser Einschätzung des Gerichts ändert sich auch durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts. Der UNHCR weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken ist (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report 2017, Februar 2018, S. 1). Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zudem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft werden müsse. Trotz dieser Einschätzung, für die der UNHCR seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser auch gleichzeitig ausdrücklich an seinen Richtlinien von April 2016 fest, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Schweiz in einer Entscheidung vom 13.10.2017 (Az. D-5800/2016) zu einem anderen Ergebnis kommt und ausführt, ohne besonders begünstigende Faktoren wie das Vorhandensein eines tragfähigen sozialen Netzes in Kabul sei ein Zurückschicken auch bei gesunden jungen Männern unzumutbar, kann sich dem das Gericht auf der Grundlage der oben aufgezeigten Erkenntnislage nicht anschließen. Mit der Rechtsprechung des Bayer. VGH (vgl. etwa B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris), der sich das erkennende Gericht anschließt, sind alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben.
Der Kläger befindet sich vorliegend nicht in einer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigenden Ausnahmesituation. Zwar hat der Kläger angegeben, im Iran nur zwei Jahre lang die Schule besucht zu haben und Analphabet geblieben zu sein. Dies trifft jedoch auf eine sehr große Anzahl von afghanischen Staatsangehörigen zu, sodass dies nicht in besonderer Weise ins Gewicht fällt, zumal von dem jungen und gesunden Kläger eine ganze Reihe von einfachen Tätigkeiten ausgeübt werden kann, die Lesen und Schreiben gerade nicht erfordern. Positiv zu berücksichtigen ist bei dem Kläger, dass er in Afghanistan bereits Erfahrungen als Automechaniker gewonnen hat, da er in dieser Tätigkeit im Betrieb seines Vaters mitgearbeitet hat. Diese beruflichen Erfahrungen wird der Kläger sicherlich auch bei einer Rückkehr in sein Heimatland gewinnbringend einsetzen und dadurch seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen können. Auch aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen und Sprachkenntnisse befindet sich der Kläger in einer vergleichsweise guten Position. Überdies hat der Kläger zwar entsprechend seiner diesbezüglich glaubhaften Angaben die meiste Zeit seines Lebens nicht in Afghanistan, sondern im Iran verbracht. Jedoch ist er im Jahr 2013 in sein Heimatland zurückgekehrt und hat bis zu seiner Ausreise im September 2015 dort durchgängig gelebt, sodass er in diesen etwa zwei Jahren die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Afghanistan in ausreichender Weise kennenlernen konnte, um sich auch nach einer Rückkehr dort zurechtzufinden. Es ist hierbei zu bedenken, dass der Kläger bei seiner Rückkehr vom Iran nach Afghanistan bereits 15 Jahre alt war, sodass er die Verhältnisse in seinem Heimatland auch bereits verständig aufnehmen konnte.
Auch nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris), der sich das Gericht anschließt, scheitert eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet sich der Kläger vielmehr in einer vergleichsweise guten Position. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall, denn der Kläger hat sich bis zum Alter von etwa 15 Jahren im Iran und danach 2 weitere Jahre in Afghanistan aufgehalten. Der Kläger spricht darüber hinaus auch fließend Dari als eine der beiden Landessprachen Afghanistans, wie sich auch im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung deutlich gezeigt hat. Überdies steht der Annahme, dass der Kläger in Afghanistan keiner unzumutbaren Gefahrensituation ausgesetzt sein wird, nicht die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Schiiten entgegen. Denn es ist nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger dieser religiösen Minderheit, die immerhin 19% der afghanischen Bevölkerung umfasst, keine Chance hätte, sich etwa als Tagelöhner zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten hierfür keine entsprechenden Hinweise (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris).
Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann der Kläger auch dadurch abwenden, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen seit dem Jahr 2016 Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und Starthilfen im Umfang von 500,00 EUR beinhalten. Darüber hinaus besteht seit Juni 2016 das Reintegrationsprogramm ERIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen z.B. Service bei Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei ca. 700,00 EUR (vgl. Auskunft des Bundesamts vom 12.8.2016 an das VG Ansbach; VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – AU 3 K 16.30949 – juris). Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Schließlich führt auch die Sicherheitslage in Afghanistan nicht dazu, dass die Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen würden. So wurden in Afghanistan im Jahre 2017 10.453 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Dies entspricht einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 9%. Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) lag die Gefahrendichte im Jahr 2017 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris). Relevante gefahrerhöhende Umstände sind im Falle des Klägers nicht ersichtlich. Auch wenn es in der jüngeren Vergangenheit zu mehreren Anschlägen auf Schiiten in Afghanistan gekommen ist, so hat sich die Gefahr für den Kläger nach Überzeugung des Gerichts mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnismittel und die Zahl der gezielten Anschläge noch nicht in erheblicher Weise verdichtet (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris).
Nach alldem folgt das Gericht nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann und Amnesty International, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt sein (vgl. Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanis…, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff.; Amnesty International, Auskunft an das VG Leipzig vom 8.1.2018). Denn unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalles ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
Darüber hinaus hat der Kläger auch aufgrund seines individuellen Fluchtvortrages nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Afghanistan zu befürchten. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, dass seine jüngere Schwester von einer Zwangsheirat durch bewaffnete Männer bedroht gewesen sei. Dem Vater gegenüber sei in diesem Zusammenhang angedroht worden, dass bei einer Nichteinwilligung die Tochter zwangsweise mitgenommen und seine Söhne ermordet würden. Dieser Vortrag blieb sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung insgesamt sehr oberflächlich und substanzlos. Er lässt eine detaillierte lebensnahe Schilderung vermissen, so dass dem Kläger sein Verfolgungsvortrag nicht geglaubt werden kann. In besonderer Weise gilt dies für die angebliche Todesdrohung auch für den hiesigen Kläger, nachdem sein Bruder (Az. W 1 K 18.30120) weder im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung noch vor dem Bundesamt von einer Todesdrohung gegenüber dem Vater betreffend seine Söhne berichtet hat. Vielmehr hat sich im Rahmen der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung der Eindruck aufgedrängt, dass der hiesige Kläger als jüngerer Bruder persönlich nichts mit den Streitigkeiten um die Zwangsverheiratung zu tun hatte. Eine Verfolgungsgefahr konnte der Kläger nicht glaubhaft machen. Selbst wenn man jedoch die beschriebene Drohung entgegen vorstehender Ausführungen als wahr unterstellen wollte, so wäre der Kläger nicht landesweit von Verfolgung bedroht. Vielmehr könnte er internen Schutz in Kabul in Anspruch nehmen, da stichhaltige Gründe dafür bestehen, dass der Kläger dort vor Verfolgung sicher wäre. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass es dem älteren Bruder des Klägers sowie dessen Schwester möglich war, nach den beschriebenen Vorfällen noch rund zweieinhalb Monate unbehelligt in der Provinz Helmand zu leben, und die Eltern des Klägers sich rund vier Monate sogar nur 5 km vom ursprünglichen Wohnhaus entfernt in der Stadt Kandahar aufhalten konnten, wie der Bruder des Klägers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung angegeben hat. Zwar hat dieser auch erklärt, dass die angeblichen Verfolger noch zwei- bis dreimal bei dem Familienwohnhaus gewesen seien. Jedoch haben diese offensichtlich keine weitergehenden Maßnahmen unternommen, um der Familie und insbesondere des Klägers habhaft zu werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es den angeblichen Verfolgern möglich wäre, den Kläger in Kabul überhaupt ausfindig zu machen. Es handelte sich um eine rein private Fehde zweier Familien. Die angebliche Verbindung der Verfolger zu den Taliban erscheint nicht glaubhaft; hierfür bestehen keinerlei nachvollziehbare Anhaltspunkte, zumal der ältere Bruder des Klägers hiervon vor dem Bundesamt nichts vorgetragen hat, sondern dort eine angebliche Verbindung zur Polizei herausgestellt hat, während er in der mündlichen Verhandlung eine solche zur Polizei und gleichzeitig den Taliban behauptet hat. Diese angeblichen Verbindungen stellen nach Überzeugung des Gerichts ein rein asyltaktisches Vorbringen dar. Der Kläger stellt überdies kein hochrangiges Angriffsziel für die verfolgenden Personen dar, da er als jüngerer Bruder in keiner Weise in das Brautwerbungsgeschehen eingebunden war und somit lediglich eine Randfigur des Geschehens darstellt. Nach alledem wäre der Kläger in der mehrere 100 km entfernten Millionenstadt Kabul vor Verfolgung sicher. Dasselbe würde auch für die Großstädte Herat und Mazar-e Sharif gelten. All diese Städte könnte der Kläger sicher erreichen und es wäre ihm wirtschaftlich zumutbar, sich dort niederzulassen, wofür auf die vorstehenden Ausführungen vollumfänglich verwiesen wird.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage und der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st.Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 16.30600 – juris; B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.07.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris). Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in vollem Umfang verwiesen. Ebenso wird auch auf die obigen Ausführungen im Hinblick auf das Fehlen einer individuellen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aufgrund des vorgetragenen Verfolgungsschicksals verwiesen.
Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO ab-zuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.