Verwaltungsrecht

Für alleinstehende männliche Staatsangehörige besteht in Afghanistan keine extreme Gefahrenlage

Aktenzeichen  M 6 S 17.35653

Datum:
18.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71 Abs. 5

 

Leitsatz

Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, alleinstehende, männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige besteht in Afghanistan keine extreme Gefahrenlage. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Mit Bescheid vom 27. März 2013 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt – den Antrag des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigten, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten ab und erließ eine Ausreiseanordnung samt Androhung der Abschiebung. Die hiergegen gerichtete Klage sowie der Antrag auf Zulassung der Berufung blieben ohne Erfolg (VG München, U.v. 9.9.2013, M 2 K 13.30305; BayVGH, B.v. 27.11.2013, 13a ZB 13,30316). Die dem Antragsteller vom Gericht ausdrücklich eröffnete Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung am 26. August 2013 ergänzend zu seinen vorgebrachten gesundheitlichen Problemen vorzutragen und Beweismittel bzw. geeignete Unterlagen hierzu vorzulegen, ließ er ungenutzt.
Wohl auch, weil der Antragsteller keinerlei Ausweisdokumente vorlegt, kam er der vollziehbaren Ausreiseaufforderung weder nach noch wurde die Abschiebung vollzogen. Stattdessen stellte er am … Januar 2016 schriftlich einen weiteren Asylantrag (Folgeantrag) und trug vor, die Lage in seinem Heimatland habe sich erheblich verschlechtert, er fürchte sich vor Verfolgung und Tod. Zurzeit befinde er sich in stationärer Behandlung, weshalb er Post bis auf Widerruf an die Klinik sowie das von ihm benannte Caritas-Zentrum zu senden bitte (Adresse wurde jeweils angegeben).
Mit Bescheid vom 10. Februar 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig (Nr. 1) sowie Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 27.März.2013 (Az.: …*) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – ab Der Antragsteller habe keine neuen Tatsachen vorgetragen, welche die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens rechtfertigen würden. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse habe er nicht substantiiert dargelegt. Auf die Gründe des Bescheids wird ergänzend Bezug genommen.
Gegen diesen am 16. Februar 2017 zugestellten Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 2. März 2017, eingegangen am selben Tag, zum Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben, über die noch nicht entscheiden ist (M 6a K 17.34119) und mit weiterem Schriftsatz vom 24. März 2017 beantragen,
der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Mitteilung gem. § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG einstweilen zurückzunehmen und der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass ein Asylfolgeverfahren durchgeführt wird,
hilfsweise, dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AsylG geprüft wird.
Sollte das Gericht der Auffassung sein, dass auch hier ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO das richtige Rechtsmittel ist, wird hiermit hilfsweise beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 2. März 2017 anzuordnen.
Sollte das Gericht der Rechtsmeinung sein, dass einstweiliger Rechtsschutz nur durch einen Eilrechtsantrag gegenüber der Ausländerbehörde zu erreichen sei, werde gebeten, die Anträge so auszulegen, dass das Rechtsschutzziel, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, erreicht wird.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, seit der letzten Entscheidung des Bundeamts würden neue Tatsachen und Beweismittel vorliegen, die innerhalb der Dreimonatsfrist vorgelegt worden seien. Daraus ergebe sich die Möglichkeit einer positiven Sachentscheidung. Hintergrund des Asylfolgeverfahrens sei die drastisch verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan, die durch die Anmerkungen des UNHCR vom Dezember 2016 belegt werde. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG seinen naheliegend, weil der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan dort ohne familiäres Netzwerk dastünde, da seine Familie umgebracht worden sei und weil laut UNHCR ein Überleben selbst jungen Männern nur möglich sei, wenn sie ohne Vulnerabilität ausgereist seinen bzw. einreisen würden. Der Antragsteller sei deshalb vulnerabel, weil er durch die Taliban vorverfolgt und im wehrfähigen Alter sei, in dem er zudem der Gefahr sexueller Übergriffe aus allen Teilen der Bevölkerung ausgesetzt sei. Er gelte wegen seines Aufenthalts im Ausland als verwestlicht und sei außerdem schwer psychisch krank. Er sei ein „Ritzer“ und deshalb in ärztlicher Behandlung, davon ab Dezember 2016 acht Wochen stationär.
Aus der vorgelegten Bescheinigung einer Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie vom … Dezember 2016 ergibt sich die Diagnose: ICD 10-F 43.2g (Anpassungsstörung) und ICD-10-F 32.2V (Schwere depressive Episode ohne psychische Symptome). Zur Vorgeschichte heißt es, der Antragsteller komme aus Afghanistan, sei seit fünf Jahren in Deutschland und habe Asyl beantragt. Eine Herleitung der gestellten Diagnosen samt Differenzialdiagnosen erfolgt nicht.
Auf das Vorbringen des Antragstellers im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin hat ihre Akte elektronisch übermittelt und keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten des Haupt- und Eilverfahrens sowie die Akte des Bundesamts ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist unzulässig, derjenige nach § 80 Abs. 5 VwGO unbegründet.
Über den Rechtsstreit entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
1. Einzig statthafter Rechtsbehelf ist vorliegend ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Daher ist der gestellte Antrag nach § 123 VwGO bereits unzulässig. Es wurden aber auch weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund überhaupt ausreichend geltend und erst recht nicht glaubhaft gemacht.
2. Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 10. Februar 2017 nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet. Weder ist ein weiteres Asylverfahren durchzuführen noch liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, sodass die Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.
Zur Begründung wird auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 10. Februar 2017 voll umfänglich Bezug genommen und von einer Darstellung der Gründe insoweit abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
2.1 Auch im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, aus denen sich der Schluss ableiten ließe, es gebe keinen Ort in Afghanistan, an den der Antragsteller zurückkehren könne, ohne einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt zu sein oder der Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt infolge eines innerstaatlichen Konflikts zu werden. Über das ganze Land betrachtet kann aufgrund des Vierteljahresberichts von UNAMA vom 25. April 2017 und des Halbjahresberichts vom 17. Juli 2017 keine ernsthafte landesweite Bedrohung angenommen werden. Danach wurden zwischen 1. Januar 2017 und 31. März 2017 2.181 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Hochgerechnet auf das Jahr ergäben sich damit 8.724 Opfer, sodass sich – bezogen auf die Bevölkerungszahl Afghanistans von ca. 33,3 Millionen – ein Risiko von 1:3.817 errechnet, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Im ersten Halbjahr 2017 registrierte UMAMA landesweit 5.243 zivile Opfer, woraus sich ein solches Risiko von 1:3175 ergibt. Selbst wenn man mit Blick auf die unsichere Informationslage einen Zuschlag von 100% einrechnet, ergibt sich ein Risiko von 1:1587, das noch immer klar oberhalb des von der Rechtsprechung als relevante Größe entwickelten Wertes von 1:800 liegt (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – Rn. 22).
2.2 Der Vortrag hinsichtlich einer Vulnerabilität des Antragstellers überzeugt nicht.
Zum einen liegen jene Vorfälle, derentwegen er ausgereist sein will, mindestens zehn Jahre zurück, weshalb es sehr unwahrscheinlich ist, dass die ehemaligen Verfolger noch immer den Antragsteller im Visier haben und landesweit nach ihm suchen (vgl. BayVGH, U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 29 zu einem Zeitraum von drei bzw. fünf Jahren). Zum andern ist mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. September 2013(dort Gründe Seite 14) bereits unanfechtbar festgestellt, dass dem Antragsteller jedenfalls landesweit keine Verfolgung wegen jener Ereignisse mehr droht, die ihn zur Flucht veranlasst haben sollen.
Rekrutierungsversuche der Taliban gibt es, freilich nur in den von ihnen beherrschten Landesteilten, in die der Antragsteller nicht zu gehen gezwungen ist. Die darüber hinaus behauptete Gefahr sexueller Übergriffe ist in keiner Weise substantiiert dargetan und dem Gericht auch nicht als rechtlich relevante Gefährdung junger Männer bekannt.
2.3 Auch die gesundheitlichen Probleme des Antragstellers führen nicht zum Wiederaufgreifen des Verfahrens auf Feststellung von Abschiebungsverboten. Das einzig vorgelegte Attest vom … Dezember 2016 genügt in keiner Weise jenen Anforderungen, die an solche Bescheinigungen zu stellen sind (etwa: BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C-8/07 – juris Rn. 15). Zudem geht es von offensichtlich falschen tatsächlichen Angaben des Antragstellers aus, indem bei der Anamnese angenommen wird, dieser habe sein Heimatland erst vor fünf Jahren verlassen und befinde sich noch im ersten Asylverfahren. Die Tatsache eines achtwöchigen stationären Aufenthalts in einer Klinik für Psychiatrie für sich allein sagt nichts über Anlass und Verlauf aus. Warum der mit Sicherheit vorhandene Entlassungsbericht nicht im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vorgelegt wurde, ist nicht nachvollziehbar. Schließlich fehlt jede belastbare Zukunftsprognose über den weiteren Verlauf der Erkrankung im Falle der Rückkehr des Antragstellers in sein Heimatland.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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