Verwaltungsrecht

Für alleinstehende männliche Staatsangehörige besteht in den palästinensischen Autonomiegebieten keine extreme Gefahrenlage

Aktenzeichen  M 17 S 17.43925, M 17 E 17.43926

Datum:
22.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 und 7
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 123 Abs. 1
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, in Israel (palästinensischen Autonomiegebiete) durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfahren M 17 S 17.43925 und M 17 E 17.43926 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (M 17 S 17. 43925) wird abgelehnt.
III. Der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO (M 17 E 17. 43926) wird abgelehnt.
IV. Der Antragsteller hat die Kosten der Verfahren M 17 S 17.43925 und M 17 E 17. 43926 zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, palästinensischer Volkszugehöriger mit ungeklärter Staatsangehörigkeit und islamischer Religionszugehörigkeit, hat bereits unter dem Bundesamts-Aktenzeichen 2556930 einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Dieser Asylantrag wurde am 5. Mai 2000 durch Bescheid des Bundesamtes vom 18. April 2000 unanfechtbar abgelehnt. Im Asylerstverfahren wurden keine Abschiebungsverbote festgestellt. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Israel angedroht.
Am 6. März 2017 stellte der Ausländer persönlich bei der Außenstelle München einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Mit diesem Antrag ist das Wiederaufgreifensverfahren zur Feststellung von Abschiebungsverboten verbunden. Die Begründung des Folgeantrages erfolgte im Rahmen seiner persönlichen Folgeantragsbegründung beim Bundesamt am 6. März 2017. Dabei machte der Antragsteller im Wesentlichen geltend, dass er sich in Deutschland seit dem Jahr 2000 aufhalte. Er sei in Hof sieben Jahre lang zur Schule gegangen. Er und seine Familie haben im Jahre 2007 einen Aufenthaltstitel erhalten. Der Antragsteller habe sechs Jahre in Vollzeit gearbeitet. Er sei anschließend nach Nürnberg gezogen, da er arbeitslos geworden sei. Der Aufenthaltstitel sei deshalb erloschen. Die Eltern des Antragstellers haben deutsche Pässe bekommen.
Die vom Bundesamt eingeholte Auskunft aus dem Bundeszentralregister des Bundesamts für … vom … März 2017 enthält sechs Eintragungen über den Antragsteller.
Mit Bescheid vom 2. Juni 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig (Nr. 1) sowie den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 18. April 2000 (Az.: 2556930) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Eine Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erfordere, dass sich der der früheren Entscheidung zugrunde gelegte entscheidungserhebliche Sachverhalt nachträglich tatsächlich zu Gunsten des Betroffenen geändert habe. Hierfür sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein schlüssiger und objektiv geeigneter Sachvortrag erforderlich aber auch ausreichend, um das Vorliegen der Wiederaufgreifensvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu bejahen. Soweit das Gesetz verlange, dass eine Änderung der Sachlage zu Gunsten des Betroffenen vorliege, beinhalte dies nicht die zusätzliche Voraussetzung, dass auch die neue Entscheidung zu Gunsten des Betroffenen ergehen müsse. Ausreichend sei vielmehr, dass die Änderung der Sachlage geeignet sei, sich möglicherweise zu Gunsten des Betroffenen auszuwirken. Aus den Angaben des Antragstellers, sein Aufenthaltstitel sei erloschen und er lebe seit dem Jahr 2000 in Deutschland, gehe in keiner Weise eine nachvollziehbare Änderung der Sachlage zugunsten des Antragstellers hervor. Eine solche sei auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang oder dem Erkenntnisstand des Bundesamtes ersichtlich. Unter Bezugnahme auf diese Ausführungen seien auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im vorliegenden Fall nicht gegeben. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gem. § 49 VwVfG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor.
Am 14. Juni 2017 erhob der Antragsteller bei der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München zur Niederschrift Klage (M 17 K 17.43923) und beantragte gleichzeitig,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen (M 17 E 17.43926) sowie hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen (M 17 S. 17.43925).
Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt verwiesen. Zudem würden die Eltern des Antragstellers in Deutschland leben und deutsche Pässe besitzen. Der Antragsteller sei hier zur Schule gegangen und seine gesamte Familie sei hier. In seiner Heimat sei Krieg, er lebe hier seit 17 Jahren.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor und stellte keinen Antrag.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in den Verfahren M 17 K 17.43923, M 17 S. 17.43925 und M 17 E 17.43926 sowie der Asylakten verwiesen, insbesondere auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides.
II.
1. Die Entscheidung, die Verfahren M 17 S. 17.43925 und M 17 E 17.43926 zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden, beruht auf § 93 VwGO.
2. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Bundesamts vom 2. Juni 2017. Vorläufiger Rechtsschutz gegen diesen Bescheid erfolgt seit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 6. August 2016 (BGBl S. 1939 ff.) durch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Folgeantrags (§ 71 AsylG) als unzulässig durch Ziffer 1. des Bescheids vom 2. Juni 2017 (BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rdnr. 15 ff.) sowie durch einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO zur Sicherung von Ansprüchen des Antragstellers auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (vgl. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375). In diesem Sinne war das Antragsbegehren des Antragstellers auszulegen, auf die Fassung des Antrags kommt es nicht an (§ 88 VwGO). Gibt es – wie im vorliegenden Fall – keine erneute Abschiebungsandrohung, dann gibt es auch in der Hauptsache keine Anfechtungsklage gegen eine Abschiebungsandrohung, der Verweis gemäß §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG auf den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO „gegen die Abschiebungsandrohung“ geht ins Leere.
3. Die so verstanden zulässigen Anträge haben keinen Erfolg.
3.1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffer 1. des Bescheids vom 2. Juni 2017 ist unbegründet.
Für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen eine Ablehnung eines Folgeantrags (§ 71 AsylG) als unzulässig gilt der Prüfungsmaßstab der „ernstlichen Zweifel“: Denn für Fälle, in denen mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG kein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird, hat der Gesetzgeber durch die Regelungen in § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kraft einfachen Rechts für das gerichtliche Eilverfahren den Maßstab des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG bestimmt. Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz daher nur gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rdnr. 22). Daran ändert auch nichts, dass es vorliegend nicht um einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG „gegen die Abschiebungsandrohung“ geht: Der Verweis in § 71 Abs. 4 AsylG auf eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 4 AsylG gilt unabhängig davon, ob zugleich auch der Verweis in § 71 Abs. 4 AsylG auf § 36 Abs. 3 AsylG zur Anwendung kommt. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Ferner bleiben Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Ziffer 1. des Bescheids vom 2. Juni 2017. Das Bundesamt hat den Folgeantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorliegen (§§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG):
Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müssen sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rdnr. 32 m.w.N.). Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Antragsteller hat sich zur Begründung seines Folgeantrags im Wesentlichen darauf berufen, dass er seit 17 Jahren in Deutschland sei, hier sechs Jahre in Vollzeit gearbeitet habe und seine Eltern deutsche Pässe bekommen hätten. Es bestehen unter Berücksichtigung der vom Antragsteller angegebenen Tatsachen und Beweismittel keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung des Bundesamts, es fehle gemessen an den vorgebrachten Wiederaufnahmegründen an einem schlüssigen Sachvortrag, der eine günstigere Entscheidung hinsichtlich des Asylantrags – also hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG und der Zuerkennung internationalen Schutzes nach §§ 3 ff., 4 AsylG (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG) – möglich erscheinen lässt:
Zwar trägt der Antragsteller in der Antragsbegründung durch neuen Sachverhalt vor, dass er in Deutschland aufgewachsen und seine Familie in Deutschland integriert sei. Hingegen wird auf die maßgebliche Frage, was er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland zu befürchten hätte, mit keinem Wort eingegangen.
Soweit der Antragsteller in seiner Klagebegründung vortrug, dass in seiner Heimat Krieg herrsche, führt dies ebenso wenig zu einer nachträglich geänderten Sach- oder Rechtslage zugunsten des Antragstellers. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG nicht vor, da der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Eine dem Antragsteller im Falle der Rückkehr nach Israel (Palästinensisches Autonomiegebiet/ …streifen) drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure scheidet aus. Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) hat der Antragsteller nicht geltend gemacht; hierfür ist auch nichts ersichtlich. Auch besteht für ihn als Zivilperson keine ernsthafte und individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Ein internationaler Konflikt liegt gemäß den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 vor, wenn an ihm zwei oder mehr Staaten beteiligt sind, die gegeneinander Waffengewalt einsetzen. Von einem innerstaatlichen Konflikt ist nach den o.g. völkerrechtlichen Regelungen die Rede, wenn nicht zwei Staaten gegeneinander, sondern ein Staat auf seinem Staatsgebiet kämpft, etwa weil sein Gewaltmonopol bedroht wird und er im Innern um Souveränität ringt. Allerdings ist die Schwelle eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erst ab einer gewissen Intensität erreicht. Nicht erfasst sind nach dem Zusatzprotokoll II innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07, NVwZ 2008, 1241/1244; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – NVwZ 2011, 56/58).
Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht in den palästinensischen Autonomiegebieten jedenfalls gegenwärtig nicht (mehr).
Die insoweit vorrangig in Betracht kommenden Auseinandersetzungen zwischen der den …streifen dominierenden Hamas sowie gemäßigteren palästinensischen Organisationen, insbesondere der Fatah sind jedenfalls im …streifen nach Abschluss des Versöhnungsabkommens (vgl. dazu etwa, FR v. 14.5.2011, SZ v. 29.4.2011, ICG v. 20.7.2011 sowie „Die Zeit (online)“ v. 25.11.2011) weitgehend eingestellt (so bereits OVG Nds, U.v. 26.1.2012 – 11 LB 97/11 – juris); im Juni 2014 einigten sich Fatah, Hamas und weitere palästinensische Fraktionen auf eine nationale Einheitsregierung aus parteiungebundenen Ministern (VG Düsseldorf, U.v. 12.4.2016 – 17 K 5235/15.A – juris; FAZ v. 8.12.2015; amnesty international report 2015 Palästina, https: …www.amnesty.de/jahresbericht/2015/pa-laestina). Angesichts der fortdauernden Annäherung zwischen Hamas und Fatah ist insoweit jedenfalls auch keine Verschlechterung der Lage absehbar.
Ob die nach dem Ende der Militäroperation der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (Operation Protective Edge) am 26. August 2014 latent fortbestehenden, in ihrem Ausmaß nunmehr schwankenden Auseinandersetzungen zwischen Israel, und der Hamas als faktische Machthaber im …streifen die Anforderungen eines internationalen Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (bzw. des Art. 15 c Qualifikationsrichtlinie/Art. 1 Nrn. 3 und 4 ZP I) erfüllen, kann offen bleiben. Jedenfalls fehlt es zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an der zusätzlich erforderlichen Gefahrendichte.
Dies gilt zunächst im Hinblick auf eine individuelle Gefahr für den Antragsteller. Zwar kann sich eine von einem – hier unterstellten internationalen – bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell in der Person eines Ausländers verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG erfüllen, also für ihn eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG darstellen. Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10C 13/10 – juris Rn. 18, m. w. N., sowie U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – juris Rn. 33). In jedem Fall setzt § 4 Abs. 1 AsylG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr aber voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Hieran mangelt es vorliegend. Dass er einer besonderen Verfolgung ausgesetzt sein werde, ist weder ersichtlich noch wurde dies vom Antragsteller selbst vorgetragen.
Fehlen daher individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Antragstellers, so kann ausnahmsweise für ihn gleichwohl eine außergewöhnliche Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Dazu ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – a. a. O., Rn. 33, sowie U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris, Leitsatz 1b). Zur Feststellung einer solchen Ausnahmesituation ist wiederum ebenso wie für die Folgen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits (BVerwG, B.v. 02.01.2012 – 10 B 43/11 – juris Rn. 4) und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Zahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich, die auch die medizinische Versorgungslage einschließt. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – a. a. O., Rn. 33, m. w. N.). Die Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten ist insbesondere auch durch die laufend aktualisierten Angaben der dort tätigen Unterorganisationen der Vereinten Nationen, insbesondere der OCHAoPT, sowie des „Palestinian Center for Human Rights“ außerordentlich gut dokumentiert, umfasst etwa eine einzelfallbezogene Analyse von Todes- und Verletzungsfällen, so dass weder ein nennenswertes Dunkelzifferrisiko noch die Problematik besteht, nicht verlässlich zwischen der Gewaltanwendung gegenüber Kombattanten und Zivilisten unterscheiden zu können oder sog. Kollateralschäden einschließlich erheblicher psychischer Verletzungen in Folge des – unterstellten – bewaffneten Konflikts zu übersehen. Danach liegtwie folgend im Einzelnen dargelegt wird – im …streifen nicht die erforderliche Gefahrendichte vor (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 17.11.2011, a. a. O., Rn. 16, m. w. N.: ein Verhältnis von 1: 800 reicht nicht annähernd aus, U.v. 17.11.2011 – 1 0 C 11/10 – Rn. 20 f., zu einem Verhältnis von 1: 1.000).
Nach den aktuellsten dem Gericht vorliegenden Zahlen (OCHAoPT, Protection of Civilians Weekly Report, zuletzt: 30. Mai bis 12. Juni 2017; www.o…org) sind bedingt durch die unbefristete Waffenruhe am 26. August 2014 die Todesfälle von Palästinensern durch israelische Streitkräfte im …streifen bereits im Jahr 2015 erheblich zurückgegangen. 2014 waren im …streifen insgesamt noch 2.256 Todesfälle, davon (allein im Zeitraum vom Juli bis August) 1.492 Zivilisten zu verzeichnen gewesen; für das Jahr 2015 wird von 25 Todesfällen, für das Jahr 2016 von 8 Todesfällen und im Jahr 2017 (bis 12. Juni) von 2 Todesfällen berichtet. Die Zahl der Verletzten betrug 2014 im …streifen 11.097 Personen, im Jahr 2015 1.375 Personen, im Jahr 2016 178 Personen und im Jahr 2017 (bis 12. Juni) 26 Personen.
Eine gravierende Verschlechterung der Lage zeichnet sich nicht ab. Insbesondere ist nicht konkret abzusehen, dass israelische Truppen in einer Großoperation erneut – wie zuletzt vom Juli bis August 2014 – den …streifen angreifen oder ihn gar besetzen werden; dass eine solche Verschärfung der Lage nicht gänzlich auszuschließen ist, reicht hingegen nicht aus. Setzt man die Zahlen für das Jahr 2016 und 2017 (hochgerechnet für das gesamte Jahr) ins Verhältnis zu der Gesamtbevölkerung von etwa 1,8-1,9 Millionen im …streifen und berücksichtigt man weiterhin, dass die Gefahr, Opfer von israelischen (Gegen) Angriffen zu werden, außerhalb der unmittelbaren Grenznähe und militärisch genutzter Ziele angesichts der geringen Größe des …streifens zwar nicht ausgeschlossen, aber doch geringer ist, so fehlt es bei einem Verhältnis von deutlich weniger als 0,1% im Jahr auseinandersetzungsbedingt getöteten oder verletzten Zivilisten ersichtlich an der erforderlichen Dichte der willkürlichen Übergriffe für jeden dort Lebenden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar entschieden, dass es neben der quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung bedarf. Ist allerdings die Höhe des quantitativ festgestellten Risikos eines dem Antragsteller drohenden Schadens – wie hier – weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, vermöge sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken. Zudem sei die wertende Gesamt-betrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte möglich (U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23; 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Gibt es somit schon im …streifen als Heimatregion des Antragstellers innerhalb des palästinensischen Autonomiegebiets keine i. S. d. § 4 Abs. 1 AsylG erhebliche Gefahr, so braucht nicht geklärt zu werden, ob für den Antragsteller eine innerstaatliche „Fluchtalternative“ (im Westjordanland) bestünde.
3.2. Auch der Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet. Es besteht schon kein Anordnungsanspruch: der Antragsteller hat keine Tatsachen glaubhaft gemacht, wonach bei ihm die Voraussetzungen der nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen könnten (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO):
Ausführungen zu einem ihm drohenden Verfolgungsschicksal in seinem Herkunftsland nahm der Antragsteller nicht vor. Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Israel (palästinensischen Autonomiegebiete) in eine derart schlechte wirtschaftliche Lage kommen könnten, dass ausnahmsweise in seinem außergewöhnlichen Einzelfall aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen bzw. einer mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Betracht zu ziehen wäre (dazu BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 – 26 sowie Rn. 38).
3.2.1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tat-sächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit. Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
In den Palästinensischen Autonomiegebieten ist die allgemeine bzw. humanitäre Lage aber nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde. Für das Vorliegen eines Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG wurde nichts vorgetragen und ist auch in Bezug auf den Antragsteller als arbeitsfähigen, gesunden jungen Mann unter den in Israel (Palästinensische Autonomiegebiete) derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen nichts ersichtlich (vgl. zur Reichweite der Schutznorm des § 60 Abs. 5 AufenthG BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 und die darin zit. obergerichtliche Rspr.).
3.2.2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nicht vor.
Die allgemeine Gefahr in den Palästinensischen Autonomiegebieten hat sich für den Antragsteller nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15).
Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht. Im Hinblick auf eine mögliche Eigenexistenzsicherung hat der Antragsteller die hierfür erforderliche Leistungsfähigkeit eines gesunden jungen Mannes. Die Chancen des Antragstellers im Verdrängungskampf um die knappen Arbeitsmarktressourcen sind zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt als nicht aussichtslos im Vergleich bei der derzeitigen Konkurrenzsituation einzuschätzen. Es ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller ein Existenzminimum selbst erwirtschaften kann. Die in Deutschland erfahrene Schulbildung, seine erworbenen Sprachkenntnisse sowie seine Berufserfahrung kann der Antragsteller in seinem Herkunftsland zu seinen Gunsten nutzen. Zudem ist mit finanzieller Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Familie weiter zu rechnen.
Nach alledem ist vorliegend davon auszugehen, dass der Antragsteller in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, jedenfalls durch Gelegenheitsjobs in … wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Somit kann von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausgegangen werden.
Das Bundesamt lehnte es auch ermessensfehlerfrei (§ 114 VwGO) ab, die bestandskräftige frühere Entscheidung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten zurückzunehmen oder zu widerrufen (vgl. § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG). Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erfordern würden, wurden weder geltend gemacht noch sind sie sonst ersichtlich.
4. Die (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Anträge gemäß § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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