Verwaltungsrecht

Gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (verneint)

Aktenzeichen  M 24 K 19.1573

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15807
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 8 Abs. 1
GG Art. 6
AufenthG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 3 S. 1, § 25 Abs. 5, § 48 Abs. 3, 49 Abs. 2, § 54, § 82 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Bei der Titelerteilungssperre setzt ein strikter Rechtsanspruch nach § 10 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 AufenthG voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat. Ebenso wenig liegt ein Anspruch im vorstehenden Sinn im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null vor (vgl. BVerwG BeckRS 2020, 11171; BeckRS 2016, 41159). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. §§ 82 Abs. 4 AufenthG, 48 Abs. 3 AufenthG und 49 Abs. 2 AufenthG geben ein Pflichtenbündel zur Erlangung von Rückreisedokumenten für einen ausreisepflichtigen Ausländer vor, wobei dieser sich nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten beschränken kann, die ihm konkret von der Ausländerbehörde vorgegeben werden, sondern vielmehr angehalten ist, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um das bestehende Ausreisehindernis nach seinen Möglichkeiten zu beseitigen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die erkennende Einzelrichterin ist aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer zur Entscheidung über die Klage berufen. Sie ist auch nicht aufgrund eines erfolgreichen oder noch anhängigen Ablehnungsgesuchs von der Entscheidung ausgeschlossen. Die in der mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2020 vorgebrachten Ablehnungsgesuche wurden als unzulässig abgelehnt. Ein weiteres Ablehnungsgesuch wurde im weiteren Verfahren nicht vorgebracht, wobei der Bevollmächtigte des Klägers mit E-Mail vom 14. Oktober 2020 darauf hingewiesen worden war, dass ein erneutes Ablehnungsgesuch erforderlich sei, sofern das erkennende Gericht für befangen erachtet werde.
2. Die zulässige Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis. Der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnende Bescheid des Landratsamts vom 21. Februar 2019 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.1. Der Asylantrag des Klägers wurde bestandskräftig abgelehnt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für abgelehnte Asylbewerber unterliegt den Sperrwirkungen des § 10 Abs. 3 AufenthG. Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 des Asylgesetzes (AsylG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG).
Nicht einschlägig ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Beklagten § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers nicht nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und die Abweisung einer Klage durch das Verwaltungsgericht als offensichtlich unbegründet dem nicht gleichsteht.
§ 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG setzt seinem unmissverständlichen Wortlaut nach eine Ablehnung des Asylantrags nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet voraus. Die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet beruht dem gegenüber auf § 78 Abs. 1 AsylG und ist darauf gerichtet, die Unanfechtbarkeit des Urteils herbeizuführen. Sie ändert aber nichts am Inhalt des ablehnenden Bescheids des Bundesamtes, der keinen Offensichtlichkeitsausspruch nach § 30 Abs. 3 AsylG enthält (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2020, § 10 Rn. 29 m.w.N.). Mangels Feststellbarkeit einer planwidrigen Regelungslücke sowie im Hinblick auf die gravierenden belastenden Folgen für den Betroffenen ist eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf die Fallgestaltung der Abweisung einer Klage durch das Verwaltungsgericht als offensichtlich unbegründet insbesondere mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip abzulehnen (vgl. auch Beaucamp, AöR 2009, 83; BVerfG (K), B.v. 14.8.1996, NJW 1996, 3146).
Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist daher im vorliegenden Fall an § 10 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG zu messen, wonach einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur für den Fall, dass ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, oder nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes, d. h. aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen (§§ 22-26 AufenthG), erteilt werden darf.
2.2. Ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG besteht vorliegend nicht.
„Gesetzlicher Anspruch“ in diesem Sinne ist nur ein Anspruch, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ein derart strikter Rechtsanspruch setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat. § 10 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 AufenthG hätte es nicht bedurft, wenn auch Regelansprüche oder Ansprüche auf Grund von Soll-Vorschriften dem Begriff des Anspruchs im Sinne des § 10 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 AufenthG unterfielen. Ebenso wenig liegt ein Anspruch im vorstehenden Sinn im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null vor (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.2020 – 1 C 12/19 – juris Rn. 52 m.w.d.Rspr.; U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – juris Rn. 20 f). Da auch Asylbewerber nach Abschluss ihres Asylverfahrens bei Beantragung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck der Visumpflicht unterliegen (BayVGH, B.v. 24.9.2019 – 10 C 19.1849 – juris Rn. 7 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 3.5.2019 – 13 PA 97/19 – juris Rn. 16 m.w.N.) und eine Befreiung vom Erfordernis der Einreise mit dem entsprechenden Visum nur im Ermessenswege in Betracht kommt, greift auch in diesen Fällen die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, es sei denn der Betreffende kann seinen Aufenthaltstitel vom Inland aus beantragen (§ 39 AufenthV).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Insoweit fehlt es bereits an den besonderen Erteilungsvoraussetzungen. Ein Anspruch auf Ehegattennachzug (§ 30 AufenthG) scheidet schon deswegen aus, weil eine Ehe zwischen dem Kläger und der Mutter seiner Kinder nicht besteht. Ein Anspruch auf Familiennachzug zu den in Deutschland lebenden, aufenthaltsberechtigten Kindern (§ 36 Abs. 1 AufenthG) setzt voraus, dass sich kein (anderer) personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, da sich die personensorgeberechtigte Mutter der Kinder berechtigt im Bundesgebiet aufhält. Weitere Rechtsgrundlagen, die einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begründen würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Darüber hinaus fehlt es hier an den Regelerteilungsvoraussetzungen, insbesondere des § 5 Abs. 1 Nr. 4 (Erfüllung der Passpflicht) und § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (kein Ausweisungsinteresse, vgl. hierzu unten 2.3.2.c)). Dass hier ein atypischer Fall vorliegen würde, bei dem diese Voraussetzungen nicht zum Tragen kommen könnten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Vor diesem Hintergrund fehlt es für eine Anwendung des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV bereits an einem Anspruch. Denn bei dem Anspruch im Sinne des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV muss es sich um einen strikten Rechtsanspruch handeln (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 30).
2.3. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des 5. Abschnitts des Aufenthaltsgesetzes (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, §§ 22 ff. AufenthG) liegen ebenfalls nicht vor.
2.3.1. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage der §§ 22, 23, 24, 25a oder 25b AufenthG in Betracht kommt. Insoweit fehlt es an den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen. § 25 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG setzen einen positiven Ausgang des Asylverfahrens voraus und sind daher im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Auch § 25 Abs. 3 AufenthG kommt vorliegend nicht in Betracht, da das Asylverfahren des Klägers bestandskräftig negativ abgeschlossen ist und hierbei auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht festgestellt wurde. Hieran sind die Ausländerbehörde und das Gericht gebunden (§ 42 AsylG). § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gewährt nur den vorübergehenden Aufenthalt und erfüllt daher nicht das Begehren des Klägers, das auf längerfristigen Aufenthalt gerichtet ist. § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG betrifft die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis und ist daher im vorliegenden Fall einer Ersterteilung nicht anwendbar. Auch die besonderen Konstellationen der Abs. 4a und 4b des § 25 AufenthG liegen nicht vor.
2.3.2. Aber auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor.
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Dabei darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Kläger unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG), wobei ein Verschulden insbesondere dann vorliegt, wenn der Ausländer zumutbare Anforderungen an die Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.
a) Im vorliegenden Fall besteht beim Kläger das tatsächliche Ausreisehindernis fehlender Reisedokumente (Passlosigkeit).
Dieses Ausreisehindernis stellt bereits kein dauerhaftes Ausreisehindernis im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG dar. Der Kläger ist im Besitz einer nigerianischen Geburtsurkunde im Original und hatte für den 15. Januar 2020 bereits einen Termin zur Passbeantragung bei der nigerianischen Botschaft erhalten, welchen er jedoch nicht wahrnahm. Nach einer zeitweisen Schließung der nigerianischen Botschaft Mitte März 2020 werden seit August 2020 online wieder Termine vergeben. Ein wegen der zeitweiligen Schließung aufgrund der Corona-Pandemie möglicherweise noch fortbestehender Rückstau bei der Terminvergabe führt nicht zur absehbar dauerhaften Unmöglichkeit der Passbeschaffung. Dem Gericht ist aus anderen Verfahren bekannt, dass beispielsweise im Oktober 2020 von der nigerianischen Botschaft in Berlin neu ausgestellte Pässe vorgelegt wurden und dass jedenfalls Ende November 2020 Termine zur Passbeantragung über das Online-Portal der nigerianischen Botschaft für Januar und Februar 2021 vereinbart werden konnten. Der Kläger hat nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass und warum in seinem Falle ein Antrag auf Ausstellung eines nigerianischen Reisepasses dauerhaft erfolglos bleiben sollte.
Unabhängig davon ist das Ausreisehindernis der Passlosigkeit nicht unverschuldet, da der Kläger die zumutbaren Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beschaffung eines Reisedokuments nicht erfüllt hat.
Gemäß §§ 82 Abs. 4, 48 Abs. 3 und 49 Abs. 2 AufenthG ist ein Ausländer, der nicht über einen Pass oder ein Passersatzpapier verfügt, verpflichtet, an der Beschaffung eines solchen mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflichten bestehen ohne spezielle Aufforderung durch die Behörden. Deshalb hat ein ausreisepflichtiger Ausländer alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Klärung seiner Identität und zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten. Der Ausländer soll gemäß § 82 Abs. 3 AufenthG auf seine Pflichten nach § 48 Abs. 3 AufenthG hingewiesen werden. Im Einzelnen wird die dem Ausländer obliegende gesetzliche Pflicht zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung nicht etwa bereits dadurch erfüllt, dass er Aufklärungsversuche der Ausländerbehörde nicht behindert und gewissermaßen „über sich ergehen lässt“. Vielmehr hat der Betroffene gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die für den Vollzug des Ausländerrechts notwendigen Unterlagen selbst beizubringen. §§ 82 Abs. 4, 48 Abs. 3 und 49 Abs. 2 AufenthG geben ein Pflichtenbündel zur Erlangung von Rückreisedokumenten für einen ausreisepflichtigen Ausländer vor, wobei dieser sich nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten beschränken kann, die ihm konkret von der Ausländerbehörde vorgegeben werden, sondern vielmehr angehalten ist, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um das bestehende Ausreisehindernis nach seinen Möglichkeiten zu beseitigen (vgl. Bergmann/Dienelt/Winkelmann/Wunderle, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 48 Rn. 6; BeckOK AuslR/Hruschka, 26. Ed. 1.7.2020, AufenthG § 48 Rn. 36).
Dies zugrunde gelegt hat der Kläger im vorliegenden Fall die ihm zumutbaren Anforderungen zur Erlangung eines Identitätspapiers nicht erfüllt. Der Kläger wurde von der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 21. August 2018 sowie vom 27. November 2018 umfänglich über seine Pflicht zur Passbeschaffung und seine damit einhergehenden Mitwirkungspflichten belehrt, wobei ihm gleichzeitig Fristen für die Beantragung eines Passes oder Passersatzpapiers gesetzt wurden. Diese Fristen hat der Kläger jeweils verstreichen lassen, ohne tätig zu werden. Eine persönliche Vorsprache des Klägers bei der nigerianischen Botschaft am 28. März 2019 hatte ausweislich der vorgelegten Bestätigung (nur deshalb) nicht zu einer Passbeantragung geführt, weil der Kläger die hierfür erforderlichen Dokumente im Termin nicht vorlegen konnte, ohne dass er im Verfahren dargelegt hätte, dass und weshalb ihm die Beschaffung der erforderlichen Dokumente nicht möglich ist. Einen für den 15. Januar 2020 bei der Nigerianischen Botschaft vereinbarten Termin zur Passbeantragung nahm der Kläger nicht wahr, wobei er als Begründung hierfür in der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit der Kinderbetreuung angab. Angesichts dessen, dass der Kläger den Termin selbst vereinbart hatte bzw. ihm dieser seit längerem bekannt war, vermag dieser Grund für sich genommen die Nichtwahrnehmung des Termins nicht zu entschuldigen. Zwar ließ sich der Kläger sodann am 3. März 2020 seine Geburtsurkunde von der Ausländerbehörde aushändigen, um einen Reisepass zu beantragen, und wurde am 15. und 24. September 2020 jeweils erfolglos versucht, über das Webportal der nigerianischen Botschaft einen Termin zur Passbeantragung zu vereinbaren. Nachfolgende weitergehende Bemühungen hinsichtlich der Passbeantragung sind allerdings weder den Akten zu entnehmen noch dem Gericht gegenüber bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung dargelegt und glaubhaft gemacht worden. Unabhängig hiervon ist dem Gericht – wie bereits ausgeführt – aus anderen Verfahren bekannt, dass beispielsweise im Oktober 2020 von der nigerianischen Botschaft in Berlin neu ausgestellte Pässe vorgelegt wurden und dass jedenfalls Ende November 2020 Termine zur Passbeantragung über das Online-Portal der nigerianischen Botschaft für Januar und Februar 2021 vereinbart werden konnten.
Damit hat der Kläger gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen und das Ausreisehindernis der fortdauernden Passlosigkeit verschuldet.
b) Es liegt im Fall des Klägers auch keine (unverschuldete) rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise aus Gründen der Wahrung der Familieneinheit (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, Art. 8 EMRK) vor.
Der Herleitung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach
§ 25 Abs. 5 AufenthG aus dem Recht auf Wahrung der Familieneinheit (Art. 6 GG) steht im vorliegenden Fall zunächst bereits die Systematik des Aufenthaltsgesetzes entgegen. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann nicht als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Spezialnormen – vorliegend § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. §§ 29 Abs. 1, 36 AufenthG – nicht erfüllt sind (vgl. Maaßen/Kluth, BeckOK Ausländerrecht, § 25 Rn. 134 ff; OVG Saarl, B.v. 20.4.2011 – BeckRS 2011, 50106; offenlassend: BayVGH, 24.1.2019 – 10 CE 18.1871, 10 CE 18.1874 – juris Rn 24 m.w.N; in diesem Sinn zum Verhältnis zu §§ 25a, 25b AufenthG: OVG Lüneburg, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 43/17 – juris Rn. 82 ff., nachgehend offenlassend: BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 1 B 32.18 – juris Rn. 12). Eine solche Auslegung würde die besonderen Erteilungsvoraussetzungen, die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug für abgelehnte Asylbewerber geschaffen wurden (insbesondere § 10 Abs. 3 AufenthG), weitgehend unterlaufen. Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers sind nicht ersichtlich. Das Recht auf Wahrung der Familieneinheit aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vermag daher nur in atypischen Fällen bzw. bei Vorliegen besonderer Umstände einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu begründen; solche besonderen Umstände sind jedoch im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Unabhängig hiervon begründet das Recht auf Wahrung der Familieneinheit aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vorliegend auch kein absehbar dauerhaftes Ausreisehindernis.
Art. 6 GG gewährt grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Ebenso wenig gewährt das Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Recht eines Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern belässt den Staaten grundsätzlich das Recht, die Einreise fremder Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet zu kontrollieren. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht der Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Ebenso ist nach Art. 8 EMRK bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die familiäre Situation des Ausländers zu berücksichtigen. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und dem Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK ist es danach aber grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen und so die Einreise von Ausländern in das Bundesgebiet zu kontrollieren. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BayVGH, B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 – juris Rn. 66 ff.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5; BVerwG, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 – 1 C 1.16 – juris Rn. 36 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 11.1.2011 – 1 C23.09 – juris Rn. 34; BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 3 BvR 1830/08 – juris Rn. 25; B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris Rn. 11; B.v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/06 – juris Rn. 7; EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476/477f.; EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner, Nr. 46410/99 – juris Rn. 54).
Besondere und absehbar dauerhaft bestehende Umstände, aufgrund derer dem Kläger die Durchführung des Visumsverfahrens nicht zugemutet werden könnte, sind vorliegend nicht gegeben. Mit seinem Einwand, die Kinder seien auf die Betreuung des Klägers angewiesen, wenn seine Ehefrau arbeiten müsse, und eine vorübergehende Ausreise würde die zu ihm bestehende Bindung der Kinder nachhaltig beschädigen, legt der Kläger keine absehbar dauerhaft bestehende rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise nach Art. 6 GG dar. Zum einen würden die Kinder des Klägers nicht alleine im Bundesgebiet zurückbleiben, sondern bei ihrer Mutter leben. Durch die Gestaltung seiner Ausreise hat es der Kläger selbst in der Hand, die Betreuung der Kinder zu planen und die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er eine Vorabzustimmung der Ausländerbehörde nach § 31 AufenthV einholt und eine vorherige Überprüfung seiner Personenstandsurkunden veranlasst. Es liegt im Verantwortungsbereich des Klägers, die Nachholung eines Visumverfahrens so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Dafür, dass die Lebensgefährtin des Klägers die Betreuung der Kinderbeispielsweise durch eine geplante Elternzeit oder Beantragung von Urlaub – nicht sicherstellen könnte, ist nichts ersichtlich. Selbst dann, wenn die Trennung vom Kläger für die Kinder wegen deren noch sehr jungen Alters bzw. wegen der aufgrund der Corona-Pandemie derzeit bestehenden Einschränkungen bei der Visumsvergabe derzeit unzumutbar wäre, läge insoweit jedenfalls kein dauerhaftes Ausreisehindernis vor, weil die Corona bedingten Einschränkungen vorübergehender Natur sind und weil die Kinder mit zunehmendem Alter begreifen werden, dass der Kläger nur vorübergehend abwesend ist. In der Zwischenzeit kann der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft und Ausübung der Personensorge durch die Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG Rechnung getragen werden. Die derzeit aufgrund der Corona-Epidemie bestehenden Reisebeschränkungen führen ihrerseits nicht zur Unmöglichkeit der Ausreise, weil mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit zu rechnen ist, § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (vgl. BayVGH, B.v. 4. Mai 2020 – 10 ZB 20.666 -, juris Rn. 18 f).
Dafür, dass das Visumverfahren im vorliegenden Einzelfall unzumutbar lange dauern würde, bestehen – jenseits der derzeitigen vorübergehenden Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie – keine Anhaltspunkte. Vielmehr spricht alles dafür, dass nach dem Wegfall der Einschränkungen die Verfahrensdauer wiederum bei ein bis zwei Monaten liegen wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020, a.a.O., juris Rn. 13). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kommt daher im vorliegenden Fall wegen des vorrangig durchzuführenden Visumverfahrens nicht in Betracht.
c) Liegen also die besonderen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht vor, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG gegeben sind, die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich erfüllt sein müssen (Bergmann/Dienelt/Röcker, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 25 Rn. 102). Zum einen erfüllt der Kläger seine Passpflicht derzeit nicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4, § 3 Abs. 1 AufenthG). Zum anderen ist das Erfordernis, dass kein Ausweisungsinteresse vorliegen darf (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), nicht erfüllt.
Aus der in den Akten befindlichen Mitteilung des Hauptzollamts … vom 30. März 2020 geht hervor, dass der Kläger bei einer Kontrolle in einer Lagerhalle am … Februar 2020 bei der Ausführung von Kommissionierarbeiten angetroffen worden sei, wobei er sich mit seiner vom Landratsamt ausgestellten Duldung ausgewiesen habe, und dass aus den überprüften Stundenaufzeichnungen ersichtlich sei, dass der Kläger mindestens seit dem *. Oktober 2019 dieser Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Wegen dieser vom Hauptzollamt mitgeteilten Erwerbstätigkeit trotz eines bestehenden Erwerbstätigkeitsverbots hat der Kläger ein Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt. Ein Ausweisungsinteresse nach dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Ausländer nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen verstoßen hat. Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger bewusst, d. h. mit Vorsatz, über einen Zeitraum von fünf Monaten über das behördliche und gerichtlich bestätigte Verbot, einer Beschäftigung nachzugehen, hinweggesetzt und damit den ordnungswidrigkeitenrechtlichen Tatbestand des § 404 Abs. 2 Nr. 4 SGB III verwirklicht. Der Kläger hat den Vorwurf nicht bestritten; vielmehr hat sein Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung hierzu lediglich ausgeführt, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen und dementsprechend auch noch eine Einstellung möglich sei. Auf die tatsächliche Sanktionierung durch die zuständige Behörde kommt es indes nicht an; der Verstoß muss aber durch die aufenthaltsrechtlich zuständige Behörde zweifelsfrei festgestellt werden (BeckOK AuslR/Tanneberger, § 54 AufenthG Rn. 117; NK-AuslR/Cziersky-Reis, § 54 AufenthG Rn. 67; Bergmann/Dienelt/Bauer/Dollinger, § 54 AufenthG Rn. 77 f). Dies ist vorliegend nach Aktenlage der Fall. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die in der Mitteilung des Hauptzollamtes enthaltenen Feststellungen fehlerhaft wären.
Dieses Ausweisungsinteresse ist sowohl aus general- als auch aus spezialpräventiven Gründen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch hinreichend aktuell. Da das für ausreisepflichtige Ausländer, die lediglich im Besitz einer Duldung sind, bestehende Erwerbstätigkeitsverbot mit Erlaubnisvorbehalt migrationspolitische Zwecke verfolgt, indem es einer unerwünschten Aufenthaltsverfestigung entgegenwirken und die Durchsetzung der Ausreisepflicht fördern soll, besteht auch ein öffentliches Interesse daran, den Verstoß gegen das Erwerbstätigkeitsverbot auch infolge des dann begründeten Ausweisungsinteresses mit der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu „sanktionieren“, um andere Ausländer in einer ähnlichen Situation zur Befolgung des Verbots anzuhalten. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23) für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der Verfolgungsverjährung angezeigt. Die vom Kläger begangene Ordnungswidrigkeit verjährt gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten in Verbindung mit § 404 Abs. 3 SGB III in zwei Jahren beginnend mit Beendigung der Tat, so dass die Frist vorliegend noch nicht abgelaufen ist.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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