Verwaltungsrecht

Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen

Aktenzeichen  M 28 K 16.35341

Datum:
29.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153538
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbes. wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (Rn. 16 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG), noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG), noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG (hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG ist der Bescheid vom 28. November 2016 bestandskräftig geworden, nachdem insoweit in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich kein Verpflichtungsantrag gestellt wurde; ohnehin wäre eine Klage insoweit allein deshalb ohne Erfolg geblieben, weil der Kläger nach eigenem Vortrag u.a. über Österreich und damit über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland gelangt ist, Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a Abs. 1 und 2 AsylG). Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids vom 28. November 2016 ist rechtmäßig. Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 6. dieses Bescheids ist bestandskräftig, da auch insoweit kein Verpflichtungsantrag gestellt wurde (vgl. zur Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage: BayVGH, U. v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rdnr. 47); unbeschadet dessen ist auch Ziffer 6. des Bescheids rechtmäßig.
Hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten, ferner hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und der Befristungsentscheidung wird zunächst auf den Bescheid des Bundesamts vom 28. November 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist wie folgt auszuführen:
1. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts nicht asylrelevant und asylerheblich vorverfolgt aus dem Iran ausgereist:
a) Soweit der Kläger beim Bundesamt und bei Gericht allgemein vorgetragen hat, er habe sich im Iran nicht wohl gefühlt, weil seine Frau Afghanin gewesen sei, man habe von oben auf sie herabgeschaut, ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht ansatzweise, dass es in diesem Zusammenhang zu einer asylrelevanten und asylerheblichen Bedrohung, Gefährdung oder Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG gekommen wäre. Auch im Zusammenhang mit dem angeblichen Besitz des Buches „Zwei Jahrhunderte Schweigen“ ist es gemessen an der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht zu einer Bestrafung gekommen. Die Einlassungen des Klägers, er habe im Iran nicht in Ruhe leben können, für die jungen Menschen sei es dort sehr schlimm, im Iran zu leben sei für junge Leute schwer, weist ganz offensichtlich schon im Ansatz auf keine asylrelevante und asylerhebliche Bedrohung, Gefährdung oder Verfolgung hin.
b) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung und bei seiner Anhörung durch das Bundesamt Vorkommnisse vorgetragen hat, die bei Wahrunterstellung asylrelevant und asylerheblich sein könnten, handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um gänzlich unglaubwürdige Schutzbehauptungen:
aa) In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger etwa vorgetragen, er sei bei den Basij gewesen, etwa ab dem 18. Lebensjahr habe ein Entfremdungsprozess begonnen, mit 20 Jahren habe er entschieden, dass der iranische Staat nichts für ihn sei. In den ersten Wochen habe er dann etwas weniger mit den Basij zusammengearbeitet. Sie seien dann zu ihm gekommen und hätten versucht, ihn zu überzeugen. Als sie dann festgestellt hätten, dass er tatsächlich nicht mehr mit ihnen zusammenarbeite, hätten sie ihn, da er bei den Basij eine Führungsposition innegehabt habe, von der Inspektion der Revolutionsgarde vorgeladen und eine letzte Warnung ausgesprochen. Dann hätten sie den Erlass zu seinem Posten ungültig gemacht. Sie hätten begonnen, ihn zu schikanieren. Sie hätten ihm SMS und Briefe geschickt. Er sei für zwei Wochen verhaftet worden. Sie hätten dann in seinem Restaurant das Buch und alkoholische Getränke gefunden, man habe eine Akte angelegt.
Dieses gesteigerte Vorbringen ist gänzlich unglaubwürdig: Bei seiner Anhörung beim Bundesamt hatte der Kläger nicht vorgetragen, dass er im Zusammenhang mit einer Beendigung seiner Zusammenarbeit von den Basij bedroht, gefährdet oder verfolgt worden sei, insbesondere nicht, dass er von der Inspektion der Revolutionsgarde vorgeladen und gewarnt worden sei, dass ihm sein Posten weggenommen worden sei, dass man begonnen hätte, ihn zu schikanieren und ihm SMS und Briefe geschickt habe, dass er für zwei Wochen inhaftiert worden sei und dass sein Betrieb durchsucht und dort das Buch „Zwei Jahrhunderte Schweigen“ und Alkoholika gefunden worden sei und eine Akte angelegt worden sei. Handelte es sich hierbei um ein tatsächliches Geschehen, so wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger diese lebensprägenden und offenkundig asylrelevanten Vorkommnisse bereits bei seiner Anhörung beim Bundesamt erwähnt hätte. Bei der Einlassung des Klägers auf gerichtlichen Vorhalt in der mündlichen Verhandlung, bei der Anhörung beim Bundesamt habe ihm die Dolmetscherin gesagt, es sei nur das erste Interview und er solle erst bei Gericht seine Hauptargumente darlegen, er sei nach Namen und Adresse gefragt worden und habe gedacht, dass alles später kommt, handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um eine weitere Schutzbehauptung: Ausweislich der Niederschrift der Anhörung beim Bundesamt war der Kläger mitnichten nur nach Namen und Adresse gefragt worden. Vielmehr hatte er auf die offene Fragestellung des Bundesamts nach seinem Verfolgungsschicksal und den Gründen seines Asylantrags sogar eine Reihe anderer konkreter Vorkommnisse geschildert, war also sehr wohl zu seinen inhaltlichen Asylgründen gehört worden und hatte sich zu diesen geäußert. Auch die weitere Einlassung des Klägers, er sei neu in Deutschland und „völlig fertig“ gewesen, kann nicht ansatzweise überzeugend erklären, warum der Kläger die angeblichen Vorkommnisse im Zusammenhang mit einer Beendigung der Zusammenarbeit mit den Basij anders als die angeblichen anderen konkreten Vorkommnisse nicht erwähnt hatte.
bb) Auch bei den anderen, vom Kläger beim Bundesamt erwähnten angeblichen Vorkommnissen handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um Schutzbehauptungen:
Hierfür spricht schon, dass der Kläger diese angeblichen Vorkommnisse in der mündlichen Verhandlung nicht von sich aus erneut erwähnte. Auch auf einen ersten gerichtlichen Vorhalt hin konnte der Kläger die beim Bundesamt vorgetragenen Vorfälle nicht erneut schildern.
Erst auf erneuten gerichtlichen Vorhalt, diese Vorkommnisse wenigstens zu nennen, erwähnte der Kläger dann den angeblichen Vorfall im Jahr 2009, als er verhaftet worden und für 7 Mio. Toman freigekauft worden sein soll, sowie die „Sache mit dem Motorrad“. An die weiteren beim Bundesamt erwähnten konkreten Vorkommnisse, namentlich die angebliche Inhaftierung wegen einer Beschwerde über die Überprüfung der Dokumente eines Kunden sowie die angebliche Festnahme wegen Alkoholkonsums konnte sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch nach zweimaligem Vorhalt und längerem Nachdenken nicht erinnern. Hätte es sich bei diesen letztgenannten angeblichen Vorkommnissen um ein tatsächliches Geschehen gehandelt, dann wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Kläger an derart lebensprägende Vorkommnisse auch noch in der mündlichen Verhandlung erinnert. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich auch bei den in der mündlichen Verhandlung zuletzt dann doch noch erwähnten Vorkommnissen um Schutzbehauptungen: Die angebliche Verhaftung ohne Grund durch die Basij im Jahr 2009 und Freilassung nur gegen Zahlung von 7 Mio. Toman ist schon deshalb gänzlich unplausibel, weil der Kläger gemessen an seinem eigenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung bis zu seinem 18. Lebensjahr – also bis ins Jahr 2010 – ein treues Mitglied der Basij gewesen sein will und er noch zwei Jahre später – also 2012 – trotz des angeblich nach dem 18. Lebensjahr begonnenen Entfremdungsprozesses bei den Basij eine Führungsposition bekleidete haben will. Gänzlich unglaubwürdig ist auch die angebliche „Sache mit dem Motorrad“: Hatte der Kläger beim Bundesamt noch behauptet, er selbst habe ein Motorrad von einem Freund ausgeliehen, er sei dann bei einer Polizeikontrolle gestoppt, festgenommen und geschlagen worden, der Freund sei zum Gericht gekommen und habe Dokumente vorgelegt, trotzdem sei er selbst weiterhin inhaftiert gewesen, trug der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Widerspruch dazu gänzlich anders vor, er habe sein Motorrad dem Freund geliehen, der Freund sei verhaftet worden, er sei dann zum Gericht gegangen und dort ebenfalls verhaftet worden. Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt dieses Widerspruchs, es habe sich um einen anderen Vorfall gehandelt, überzeugt nicht ansatzweise: Unbeschadet dessen, dass es bei lebensnaher Betrachtungsweise zumindest überrascht, dass es zwei nahezu „spiegelbildliche“ Vorkommnisse mit einem Motorrad gegeben haben soll, wäre angesichts der lebensprägenden Ereignisse (jeweils Inhaftierung) und der offensichtlichen Relevanz für den Asylantrag zu erwarten gewesen, dass der Kläger bei der Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung bei Gericht jeweils beide Vorkommnisse erwähnt, wenn es sich hierbei um tatsächliche Geschehensabläufe handelte. Hinzu kommt noch, dass der Kläger die Frage nach dem Datum dieses Vorfalls trotz längerem Nachdenkens zunächst nicht beantworten konnte bzw. ausweichend antwortete. Erst auf erneute Frage brachte er dann ein Datum – ungefähr 2012 – hervor.
2. Unbeschadet des Vorstehenden ließe sich aus den vom Kläger geschilderten Vorkommnissen selbst bei Wahrunterstellung nicht ableiten, dass er im Falle einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer asylrelevanten und asylerheblichen Bedrohung, Verfolgung und Gefährdung rechnen müsste. Gemessen am Vorbringen des Klägers haben sich die angeblichen Vorkommnisse, soweit hierzu überhaupt Vortrag erfolgte, in den Jahren 2009, 2010 und 2012 zugetragen. Schon zum Zeitpunkt der Ausreise im November 2015, der gemessen an der klägerischen Einlassung in der mündlichen Verhandlung kein konkretes Vorkommnis voranging, hat es sich mithin um längst abgeschlossene Sachverhalte gehandelt. Allein aufgrund des Zeitablaufs wäre zur Überzeugung des Gerichts nicht mehr zu befürchten, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Iran wegen dieser angeblichen Vorkommnisse erneut bedroht wäre; die Vermutungsregelung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) wäre widerlegt.
3. Ferner muss der Kläger allein wegen seiner Ausreise aus dem Iran und/oder seines Aufenthalts in Deutschland und/oder seines Asylantrags in Deutschland zur Überzeugung des Gerichts nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, im Falle einer Rückkehr nach Iran asylrelevant und asylerheblich bedroht, gefährdet oder verfolgt zu werden (vgl. dazu: VGH BW, U. v. 15.4.2015 – A 3 S 1459/13 – juris Rdnr. 24; SächsOVG, U. v. 14.1.2014 – A 2 A 911/11 – juris Rdnr. 30 ff., BayVGH, B. v. 25.2.2013 – 14 ZB 13.30023 – juris Rdnr. 3 ff.; OVG NW, B. v. 16.6.2011 – 13 A 1188/11.A – juris Rdnr. 5; NdsOVG, U. v. 13.5.2011 – 13 LA 176/10 – juris Rdnr. 4; vgl. ferner: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand Oktober 2016, vom 8. Dezember 2016, S. 17). Keinen Erfolg kann deshalb das diesbezügliche klägerische Vorbringen haben, wie etwa, weil er den Iran ohne Grund verlassen habe, würden sie denken, dass er ein Spion sei und wichtige Informationen an westliche Länder weitergegeben habe (so der Kläger beim Bundesamt), oder, durch die Flucht in ein christliches Land habe er bei Gotteslästerern Schutz gefunden und dem Islam den Rücken gekehrt (so der Kläger bei Gericht).
4. Gänzlich unbehelflich ist schließlich der klägerische Vortrag im Rahmen der schriftlichen Klagebegründung, er besuche die Berufsschule und sei bei einer Firma im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung angemeldet. Dies hat ganz offensichtlich mit einer asylrelevanten Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Heimatland nichts zu tun.
Nach alldem war die gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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