Verwaltungsrecht

Gruppenverfolgung nicht hinreichend nachgewiesen

Aktenzeichen  Au 3 K 18.31763

Datum:
1.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1237
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 14a Abs. 2 S. 3, § 71
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1 u 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Wurde eine Gruppenverfolgung wegen Fehlens der erforderlichen Verfolgungsdichte verneint, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn zusätzlich zum Vortrag weiterer Verfolgungsfälle schlüssig dargelegt wird, dass nunmehr die erforderliche Verfolgungsdichte erreicht sein könnte.
2. Die Fortsetzung exilpolitischer oder auch religiös motivierter Aktivitäten nach dem unanfechtbaren Abschluss des Erstverfahrens stellt nur dann eine Änderung der Sachlage im Sinn von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar, wenn die Aktivitäten nunmehr qualitativ so über die früheren hinausgehen, dass eine neue Bewertung angezeigt ist.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Das Bundesamt hat bereits zu Unrecht die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bejaht (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG).
a) Soweit der Kläger zu 1. bei der Stellung des Folgeantrags am 15. Oktober 2018 vorgetragen hat, er sei in seinem Heimatland wegen seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Gemeinde von der Polizei inhaftiert, geschlagen und gefoltert worden, handelt es sich bereits um keinen neuen Sachvortrag. Denn er hat bereits im ersten verwaltungsgerichtlichen Verfahren in der mündlichen Verhandlung am 6. Februar 2018 behauptet, von der pakistanischen Polizei verhaftet und auf dem Polizeirevier stark misshandelt worden zu sein, sodass dieser Vortrag bereits Gegenstand des rechtskräftigen Urteils vom 7. Februar 2018 war. Abgesehen davon handelt es sich insoweit nur um eine unsubstantiierte Behauptung, der auch die Schlüssigkeit fehlt. Die Schlüssigkeit ist nicht nur an dem neuen Vorbringen zu messen, sondern auch an dem bisherigen (früheren) Sachvortrag (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG § 71 Rn. 198). Die behaupteten Polizeiübergriffe sind jedoch nicht damit zu vereinbaren, dass der Kläger zu 1. bei seiner Anhörung am 1. März 2017 die Frage, ob er Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Behörden gehabt habe, ausdrücklich verneint hat, sodass von einem schlüssigen, in sich stimmigen Gesamtvortrag keine Rede sein kann. Daher wurde das stark gesteigerte Vorbringen des Klägers zu 1. bereits im Ersturteil vom 7. Februar 2018 als offenkundig nicht den Tatsachen entsprechend gewertet, obwohl ihm in der Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland vom 7. November 2017 bescheinigt wird, er sei sechs Monate grundlos durch die Polizei inhaftiert gewesen.
b) Soweit die Kläger geltend machen, die Sach- und Rechtslage habe sich in ihrem Heimatland so geändert, dass nunmehr dort alle Ahmadis aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit politische Verfolgung befürchten müssten, hat bereits das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt, dass die vorgelegten Zeitungsartikel, die Beschreibung der allgemeinen Lage in Pakistan und die zitierte Entscheidung des Islamabad High Court nicht geeignet sind, die gewonnene Erkenntnis zu erschüttern, dass Ahmadis in Pakistan derzeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine (Gruppen-) Verfolgung befürchten müssen. Dies gilt auch für die angeblich von der NADRA neu eingeführte Regelung, dass Ahmadis bei der Beantragung einer ID-Card und anderer Dokumente erklären müssten, dass sie keine Moslems seien. Gegebenenfalls müssten Ahmadis bei den zuständigen pakistanischen Gerichten um Rechtsschutz nachsuchen. Letztlich wäre der erzwungene Verzicht auf einen Personalausweis nicht so schwerwiegend, dass dies eine politische Verfolgung im Sinn von § 3 Abs. 1 AsylG darstellen würde. Die meisten Rechtsgeschäfte, insbesondere diejenigen des täglichen Lebens, können in Pakistan ohne ID-Card abgewickelt werden. Ohnehin betrifft die genannte Regelung die Kläger derzeit nicht, weil die Kläger zu 1. und 2. jeweils einen pakistanischen Personalausweis haben, der im Fall des Klägers zu 1. sogar noch bis zum 23. Dezember 2025 gültig ist. Soweit ersichtlich hält bisher kein Obergericht in Deutschland die Frage nach einer Gruppenverfolgung der Ahmadis (erneut) für klärungsbedürftig. Eine diesbezügliche, vom persönlichen Schicksal der Kläger losgelöste Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten der Kläger ist daher zu verneinen. Vielmehr ist bei den typischen asylrechtsrelevanten Dauersachverhalten eine (wesentliche) Änderung der Sach- oder Rechtslage im Sinn von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erst dann anzunehmen, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt und möglich erscheint (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 71 AsylG Rn. 24). Wurde wie hier im Erstverfahren eine Gruppenverfolgung wegen Fehlens der erforderlichen Verfolgungsdichte verneint, so reicht der Vortrag weiterer Verfolgungsfälle nicht aus, wenn nicht zudem schlüssig dargelegt wird, dass nunmehr die erforderliche Verfolgungsdichte erreicht sein könnte (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG § 71 Rn. 195 a.E.). Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Klage eines Ahmadi abgewiesen, der sich auf eine ständige Verschlechterung der Lage der Ahmadis in Pakistan bzw. eine eingetretene Gruppenverfolgung berufen hatte, und festgestellt, dass entgegen der Auffassung der Vorinstanz schon die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen (VGH BW, U.v. 15.6.1999 – A 6 S 2766/98 – juris Rn. 20 ff.).
c) Entgegen der Auffassung des Bundesamts stellen die mit den Schriftsätzen vom 1. Oktober 2018 und 28. Januar 2019 vorgelegten Fotos keine neuen Beweismittel im Sinn von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG dar, die geeignet wären, eine den Klägern günstigere Entscheidung herbeizuführen. Dies gilt auch für die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos. Die abgebildeten Aktivitäten des Klägers zu 1. begründen auch keine zu seinen Gunsten geänderte Sachlage im Sinn von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Sie gehen nicht (wesentlich) über die Aktivitäten hinaus, die bereits Gegenstand des Erstverfahrens gewesen sind (vgl. die zahlreichen Fotos, die mit Schriftsatz vom 2.2.2018 im Verfahren Au 3 K 17.33604 vorgelegt worden sind). Auch bei den Aktivitäten des Klägers zu 1. für die Ahmadiyya-Gemeinde handelt es sich ähnlich wie bei exilpolitischen Aktivitäten um einen asylrechtlich relevanten Dauersachverhalt, bei dem aus Gründen der verfassungsrechtlich verankerten Rechtssicherheit eine Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinn von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erst anzunehmen ist, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt ist (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt a.a.O.). Andernfalls könnten Asylbewerber bei Fortsetzung ihrer exilpolitischen oder auch religiös motivierten Aktivitäten beliebig oft die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens beanspruchen. Dies würde auch dann gelten, wenn die Aktivitäten – wie beim Kläger zu 1. – in erster Linie asyltaktisch motiviert sind.
Seine Aktivitäten stehen zu einem großen Teil in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Fortgang der Asylverfahren der Kläger. Die Teilnahme an den beiden Flyeraktionen im Juli 2018 und an der nationalen Versammlung vom 29. Juni bis 1. Juli 2018 erfolgte kurz nach der Ankündigung eines Gerichtsbescheids im Asylklageverfahren des Klägers zu 5. Die Flyeraktion am 29. September 2018 in, der Wohltätigkeitslauf am 29./30. September 2018 in … und die Flyeraktion am 4. Oktober 2018 in … und weiteren Orten fanden fast zeitgleich mit der Stellung des Asylfolgeantrags durch den Bevollmächtigten der Kläger statt. Die mit Schriftsatz vom 28. Januar 2019 vorgetragenen Aktivitäten erfolgten kurz nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren. Dabei geht das Gericht davon aus, dass dies auch für die Teilnahme an dem … Seminar gilt, das laut dem im Internet einsehbaren Terminkalender der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland vom 1. Januar bis 3. Januar 2019 abgehalten wurde und nicht wie von Klägerseite behauptet schon am 16. Dezember 2018.
Im Übrigen zeigen gerade die Antworten, die der Kläger zu 1. auf die Frage nach dem Inhalt des Seminars gegeben hat, dass bei ihm nicht religiöse, sondern profane Überlegungen im Vordergrund stehen. So antwortete er zunächst: „Wir wurden in verschiedenen Bereichen gelehrt. Anschließend fand eine Barbecue-Party statt, zu der alle eingeladen waren.“ Erst auf Intervention der Klägerin zu 2. erwähnte er in allgemeiner Form auch eine religiöse Thematik.
2. Demnach liegen zugunsten der Kläger auch weiterhin keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
3. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist nicht zu beanstanden. Die Länge der Frist liegt innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmens. Die Kläger haben keine Gründe vorgetragen, die eine kürzere Frist gebieten würden. Insbesondere sind sie nicht auf die Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden Verwandten angewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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