Verwaltungsrecht

Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung eines äthiopischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  57 XIV 1/18

Datum:
12.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16407
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 3, § 71 Abs. 1 S. 1, S. 4, § 72 Abs. 4 S. 1, § 106 Abs. 2 S. 1
FamFG § 416

 

Leitsatz

1 Hat der Ausländer die Durchführung der Abschiebung vereitelt durch Widerstand, das Flugzeug zu betreten und durch Vernichtung seines Flugtickets, liegen die Haftgründe des § 62 Abs. 3 AufenthG vor. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Ausländerbehörde hat einen gerichtlichen Beschluss über die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung zu vollziehen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Ausländerbehörde ist im Rahmen des Vollzugs eines solchen Beschlusses insbesondere auch für die Herstellung und Gewährleistung der jederzeitigen Haftfähigkeit des Ausländers verantwortlich. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Gegen d. Betroffenen wird Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
2. Der Vollzug der angeordneten Haft beginnt sofort und endet spätestens mit Ablauf des 11.08.2018.
3. Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses wird angeordnet.
4. Die Haft darf ausschließlich in einer Einrichtung für Abschiebungshaft vollzogen werden.
5. Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.
D. Betroffene ist äthiopischer Staatsangehörige(r).
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat am 01.03.2018 ihr Einvernehmen gemäß § 72 Absatz 4 Satz 1 AufenthG erklärt.
Am 12.05.2018 beantragte die Antragstellerin, gegen d. Betroffene(n) Haft anzuordnen.
Das Gericht hat d. Betroffene(n) nach mündlicher Übersetzung des Antrags vor Erlass dieses Beschlusses am 12.05.2018 persönlich angehört.
II.
Das Amtsgericht Nürnberg ist sachlich zuständig (§ 23 a Absatz 1 Nummer 2, Absatz 2 Nummer 6 GVG, § 106 Absatz 2 Satz 1 AufenthG, § 415, § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5, Satz 3 FamFG).
Das Amtsgericht Nürnberg ist örtlich zuständig (§ 106 Absatz 2 Satz 1 AufenthG, § 416 FamFG).
III.
Die Haft war anzuordnen, da der Antrag zulässig und begründet ist.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die Antragstellerin ist zuständig.
Sie ist sachlich zuständig (§ 71 Absatz 1 Satz 1, 4 AufenthG, i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und § 3 Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeit zur Ausführung des Aufenthaltsgesetzes und ausländerrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen (ZustVAuslR). Sie ist auch örtlich zuständig, § 5 Abs. 1 Satz 1 ZustVAuslR.
Der Antrag enthält die gemäß § 106 Absatz 2 Satz 1 AufenthG, § 417 Absatz 2 Satz 2 FamFG erforderliche Begründung, insbesondere zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung.
2. Der Antrag ist begründet.
D. Betroffene ist zur Ausreise verpflichtet, da er den nach § 4 Absatz 1 Satz 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht (mehr) besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht (mehr) besteht (§ 50 Absatz 1 AufenthG).
Der Betroffene ist nach eigenen Angaben am 05.12.2011 mit einem gefälschten Reisepass in die BRD eingereist und beantragte unter o.g. alias Personalien Asyl. Der Antrag wurde mit Bescheid des BAMF vom 20.12.2013 abgelehnt, ebenso die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes. Abschiebungsverbote liegen demnach nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vor. Die hiergegen gerichtete Klage wurde durch das VG Ansbach abgewiesen (29.04.2014 AN 3 K 14.30009). Die Zulassung der Berufung wurde abgelehnt (VGH 15.07.2014, 21 ZB 14.30198). Der BAMF-Bescheid ist seit dem 17.07.2014 rechtskräftig und die Abschiebungsandrohung vollziehbar.
Die Ausreisepflicht d. Betroffenen ist vollziehbar (§ 58 Absatz 1 und 2 AufenthG).
Die Überwachung der Ausreise d. Betroffenen ist erforderlich (§ 58 Absatz 1 und 3 AufenthG).
Die Abschiebungsandrohung wurde d. Betroffenen vor der persönlichen Anhörung schriftlich bekannt gegeben (§ 59 AufenthG). Die Ausreisefrist ist abgelaufen.
Der Rechtsweg ist erschöpft, zuletzt mit Urteil des BayVGH vom 08.05.2018, 19 CE 18.849, rechtskräftig seit 11.05.2018.
Die Haft konnte angeordnet werden.
Die Identität des Betroffenen ist geklärt.
Der Betroffene hat seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gerichtsbezirk, Solar A 23, Hilpoltstein, § 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG, § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 FamFG.
Es liegen die Haftgründe des § 62 Abs. 3 AufenthG vor.
Es liegt der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG vor. Der Betroffene hat die – von seinem Rechtsvertreter angekündigte freiwillige- Ausreise/Abschiebung am 11.05.2018 vereitelt, indem er am Flughafen sich weigerte, das Flugzeug zu betreten und sodann sein Flugticket zerriss. Wie von ihm beabsichtigt und vorhergesehen wurde aufgrund seiner Widerstandshaltung so eine Mitnahme in dem Flugzeug ohne Sicherheitsbegleitung verweigert und die Abschiebung konnte nicht erfolgen.
Der Betroffenen hat sich somit auf sonstige Weise der Abschiebung entzogen.
Daneben liegt der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG. Der Betroffenen hat über seine Identität getäuscht, was zwischenzeitlich durch das von Amts wegen durchgeführte Pep-Verfahren erneut belegt ist. Auf die genannten Personalien wurde dem Betroffenen durch die äthiopischen Behörden ein Laisser-Passer ausgestellt.
Daneben liegt ergänzend der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG vor. Es liegen im Einzelfall Gründe vor, die auf den in § 2 Absatz 14 AufenthG festgelegten Anhaltspunkten beruhen und deshalb der begründete Verdacht besteht, dass d. Betroffene sich der Abschiebung durch Flucht entziehen will (Fluchtgefahr). Der Betroffenen hat durch sein Verhalten am 11.05.2018 am Flughafen gezeigt, dass er nicht gewillt ist der Abschiebung freiwillig Folge zu leisten. Der Betroffene hat ausdrücklich erklärt, nicht ausreisen zu wollen. Er hat die Durchführung der Abschiebung vereitelt durch Widerstand, das Flugzeug zu betreten und durch Vernichtung seines Flugtickets. Vorherige Abschiebeversuche waren erfolglos, da der Betroffene zuvor seinen Wohnort verlassen hat.
Die Dauer der Haft begründet sich unter Berücksichtigung des erforderlichen Vorbereitungszeitraums und eines zeitlichen Puffers für allfällige Verzögerungen (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2017, Aktenzeichen: V ZB 144/15) wie folgt:
„Für den Betroffenen ist erneut ein Laisser-Passer bei den äthiopischen Behörden zu beantragen und auszustellen, dies wird ca. 3 Werktage in Anspruch nehmen. Darüber hinaus ist nach RS mit der Pl Schubwesen ein Rückflug nach Äthiopien zu organisieren sowie ist es nunmehr aufgrund des vorherigen Verhaltens des Betroffenen erforderlich, den Betroffenen in Einzelabschiebung mit Sicherheitsbegleitung zurückzuführen. Unter Berücksichtigung der hierfür erforderlichen personellen Organisation, welche neben Flugbuchung sowie Visa-Anträgen der begleitenden Beamten bei den äthiopischen Behörden erfordert und im Hinblick auf die durch die Zunahme von wegen Widerstands erforderlichen Sicherheitsbegleitungen geschuldeten hohen Auslastung der Sicherheitskräfte, ist die Dauer der beantragten Haft angemessen.“
Bei der Bestimmung der Dauer der Haft ist auf die voraussichtliche Dauer des Abschiebeverfahrens abzustellen. Sollte dieses Verfahren bereits vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Antragstellerin gehalten, den Betroffenen unverzüglich abzuschieben.
Die sofortige Wirksamkeit der Anordnung konnte angeordnet werden (§ 106 Absatz 2 Satz 1 AufenthG, § 422 Absatz 2 Satz 1 FamFG). Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass d. Betroffene sich der Abschiebung entziehen wird, wenn er bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses auf freiem Fuß bleibt.
Tatsachen, die ein ausnahmsweises Absehen von der Haftverhängung gestatten würden, sind nicht vorgetragen bzw. wurden nicht glaubhaft gemacht (§ 62 Absatz 3 Satz 2 AufenthG).
Die Haft ist auch nicht deswegen unzulässig, weil von vornherein feststünde, dass aus Gründen, die d. Betroffene nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Absatz 3 Satz 3 AufenthG).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.
IV.
Die Entscheidung konnte ergehen, ohne dass der Antrag vor der Anhörung schriftlich in die Muttersprache d. Betroffenen übersetzt und ihm/ihr zugeleitet wurde. Es genügt die Eröffnung des Haftantrags zu Beginn der Anhörung, wenn dieser – wie im vorliegenden Fall – einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem d. Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne Weiteres auskunftsfähig ist (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.03.2010, Aktenzeichen: V ZB 222/09).
V.
Dieser Beschluss ist von der Antragstellerin als der zuständigen Verwaltungsbehörde zu vollziehen (§ 106 Absatz 2 Satz 1 AufenthG, § 422 Absatz 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit). Die Antragstellerin ist im Rahmen des Vollzugs dieses Beschlusses insbesondere auch für die Herstellung und Gewährleistung der jederzeitigen Haftfähigkeit d. Betroffenen verantwortlich.
VI.
Die Anordnung über den Vollzug der Haft beruht auf § 62 a AufenthG. Eine Übernachtung im Polizeigewahrsam bis zum Transport am nächsten Tag ist nicht zulässig (Landgericht Wuppertal, Beschluss vom 05.01.2015, Aktenzeichen: 9 T 2/15).
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Absatz 1 Satz 2 FamFG.


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