Verwaltungsrecht

Haftung des Ausländers für Kosten einer Sammelabschiebung in den Kosovo

Aktenzeichen  M 9 K 16.4350

Datum:
22.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 2, § 66 Abs. 1, § 67 Abs. 1
StPO StPO § 456a Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Haftung für Abschiebungskosten nach § 66 Abs. 1 AufenthG setzt zwingend die Rechtmäßigkeit der die Kosten auslösenden Amtshandlung, beispielsweise einer Abschiebung voraus. Diese beurteilt sich nach der im Zeitpunkt der Maßnahme geltenden Sach- und Rechtslage aus der ex-ante-Sicht der Behörde (BVerwG 151, 102 = BeckRS 2015, 41791). (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung setzt grundsätzlich auch voraus, dass im Zeitpunkt der Abschiebung eine Befristungsentscheidung  vorgelegen hat (BVerwGE 142, 29 = BeckRS 2012, 50796). (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Wird nach § 11 Abs. 2 S. 4 AufenthG von der Ausländerbehörde eine eigenständige Befristungsentscheidung einige Stunden nach der tatsächlichen Durchführung der Abschiebung getroffen, ist gleichwohl von einer rechtmäßigen Abschiebung auszugehen. (Rn. 24 – 26) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Liegt eine sog. Altausweisung vor, in der dem Betroffenen nicht nur die Abschiebung angedroht, sondern sie auch angeordnet wurde, und ist die dergestalt verfügte Abscheibung bestandskräftig geworden, steht die Bestandskraft der Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit der Abschiebung entgegen (BVerwG BeckRS 2016, 113753). (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 66 Abs. 1 AufenthG.
Die Haftung des Klägers für die Abschiebungskosten ergibt sich aus § 66 Abs. 1 AufenthG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Kostenhaftung zwingend die Rechtmäßigkeit der die Kosten auslösenden Amtshandlung, hier also der Abschiebung voraus (vgl. nur BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 11/14 – juris Rn. 10; U.v. 16.10.2012 – 10 C 6/12 – juris Rn. 20). Dabei ist für die rechtliche Beurteilung des Kostenbescheids auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass der Behördenentscheidung abzustellen. Die inzident vorzunehmende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der erledigten Abschiebungsmaßnahmen, durch die die Kosten entstanden sind, beurteilt sich dagegen nach der im Zeitpunkt der Maßnahme geltenden Sach- und Rechtslage; maßgeblich ist die behördliche Sicht bei ihrer Durchführung, also ex ante (BVerwG, U.v. 10.12.2014, a.a.O., Rn. 8 u. 10). Zur Rechtmäßigkeit der Abschiebung gehört grundsätzlich auch, dass im Zeitpunkt der Abschiebung eine Befristungsentscheidung vorgelegen hat (OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 27.10.2016 – OVG 12 B 18.15 – juris Rn. 24ff.; BVerwG, U.v. 14.2.2012 – 1 C 7/11 – juris Rn. 32f.). Hier gilt § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, nicht § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, da der Abschiebung zwar eine Ausweisung (mit Bescheid vom 15. Februar 2011) zu Grunde liegt, es sich dabei aber um eine sog. Alt-Ausweisung vor Inkrafttreten des jetzigen § 11 Abs. 1 AufenthG handelt.
Diesen Maßgaben für die Rechtmäßigkeit der Forderung von Abschiebungskosten ist hier von der Beklagten genügt worden.
Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Beklagte erst am 4. Februar 2016 im Zuge der Zustellung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom selben Tag realisiert hat, dass sie eine Befristungsentscheidung treffen muss (der Beschluss des BayVGH, in dem die Beklagte auf diese Rechtslage hingewiesen wird, wurde der Beklagten am 4.2.2016 um 11.39 Uhr gefaxt), und am selben Tag unstreitig auch befristet hat, ist die Befristungsentscheidung noch rechtzeitig getroffen worden. Dafür spricht auch, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof damals tatsächlich davon ausging, dass die Rechtmäßigkeit der Abschiebung noch hergestellt werden kann (vgl. den Beschluss vom 4.2.2016, S. 3 letzter Absatz / S. 4 erster Absatz des Entscheidungsabdrucks unter ausdrücklichem Hinweis auf § 11 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 AufenthG), ihm aber gleichzeitig bewusst gewesen sein musste, wann der Kläger tatsächlich abgeschoben wird (am 4.2.2016 mittags). Trotzdem ging der Bayerische Verwaltungsgerichtshof von einer rechtmäßigen Abschiebung aus bzw. davon, dass deren Voraussetzungen noch hergestellt werden können und lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.
Das bedeutet, dass es nicht schadet, dass die Befristungsentscheidung erst einige Stunden nach der Abschiebung getroffen wurde bzw. dem Klägerbevollmächtigten zuging, solange – wie hier – sichergestellt ist, dass die Befristungsentscheidung in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung erfolgt, hier schließlich noch am selben Tag. Dafür spricht auch, dass die Ausländerbehörde vorher in der Regel nicht auf die Minute oder auf die Stunde genau weiß, zu welcher Uhrzeit der Schub erfolgt. Ein Abstellen darauf, dass schon eine Befristungsentscheidung noch am selben Tag, aber einige Stunden nach dem Beginn des Abschiebungsvorgangs nicht mehr rechtzeitig ist, mit der Folge der Rechtswidrigkeit der Abschiebung, würde die Anforderungen dagegen überspannen. Eine solche Auffassung ist auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Forderung, dass für die Rechtmäßigkeit der Abschiebung im Zeitpunkt der Abschiebung eine Befristungsentscheidung vorliegen muss, nicht notwendig. Denn damit soll vor allem sichergestellt werden, dass dem Betroffenen unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit rechtzeitig mitgeteilt wird, bis wann die Wirkung einer Ausweisung oder Abschiebung andauert. Diesem Zweck ist aber auch in einem Fall wie hier noch genügt.
Darauf, ob bzw. inwieweit eine Haftung des Ausländers für abschiebungsbedingte Kosten in Betracht kommt, wenn eine Befristungsentscheidung im Zuge der Abschiebung zwar behördlich beabsichtigt war, dann aber im Verlauf der Abschiebung infolge unvorhersehbarer Umstände nicht erfolgen konnte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 27.10.2016 – OVG 12 B 18.15 – juris Rn. 31), kommt es danach für die Entscheidung nicht mehr an.
Schließlich spricht auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2016 (1 C 11/15), auf die im Verlauf der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde, dafür, dass die Abschiebung nicht deswegen rechtswidrig ist, weil die Befristungsentscheidung erst im Laufe des Tages, an dem die Abschiebung erfolgte, getroffen wurde. Denn wie im Fall, über den das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hatte (a.a.O. juris Rn. 7), enthält die hier der Abschiebung zu Grunde liegende bestandskräftige Alt-Ausweisung nicht nur eine Abschiebungsandrohung, sondern vielmehr auch die Anordnung der Abschiebung (vgl. Nr. 3 im Bescheid vom 15.2.2011, Bl. 410 der Behördenakten: „Sie werden nach erfülltem Strafanspruch und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus der Haft oder Unterbringung in den Kosovo abgeschoben“). Eine solche Anordnung der Abschiebung ist für die Wirksamkeit einer Abschiebung als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung rechtlich zwar nicht zwingend erforderlich, aber zulässig (BVerwG, a.a.O. juris Rn. 28 unter Hinweis auf U.v. 10.12.2014 – 1 C 11/14 – juris Rn. 13). Wie der gesamte Bescheid vom 15. Februar 2011, der vom Kläger nicht angefochten wurde, ist auch die verfügte Abschiebung bestandskräftig geworden. Die Bestandskraft steht nun aber der Geltendmachung einer Fehlerhaftigkeit der Abschiebung entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 11/15 – juris Rn. 29).
Die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 28. Februar 2017 vermögen am Ergebnis schon deswegen nichts zu ändern, weil das Urteil bereits am Tag der mündlichen Verhandlung getroffen wurde. Das Gericht hat insofern, wie in der mündlichen Verhandlung auch erläutert, nur mit der Niederlegung des Urteils gewartet, um dem Klägerbevollmächtigten wunschgemäß Gelegenheit zu geben, mit dem Kläger zu besprechen, ob eine Klagerücknahme erfolgen soll. Es handelte sich gerade nicht um einen Schriftsatznachlass.
Die (vorläufig) geltend gemachte Kostenhöhe gemäß § 67 Abs. 1 AufenthG, die vom Kläger auch nicht bestritten wurde, ist nicht zu beanstanden.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie aus § 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre Kosten selbst trägt, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit auch selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.


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