Verwaltungsrecht

Heilung eines rechtswidrigen Beitragsbescheids durch nachträglichen Satzungserlass

Aktenzeichen  W 2 K 17.760

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 147107
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5
Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Gemeinde M. i. Steigerwald vom 29. Februar 2016

 

Leitsatz

1 Die Rechtswidrigkeit eines Beitragsbescheids, die aus der Nichtigkeit der als Rechtsgrundlage dienenden Satzung resultiert, wird durch das In-Kraft-Treten einer neuen rechtmäßigen Satzung mit ex-nunc-Wirkung geheilt, ohne dass es dazu einer ausdrücklichen Rückwirkungsanordnung in der Satzung bedurft hätte (ebenso BayVGH BeckRS 2000, 24197). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine vertragliche Abrede, nach der eine Gemeinde gegen Einräumung eines Durchleitungsrechts in Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit auf die Erhebung des Anschlussbeitrags für ein Grundstück an eine gemeindliche Entwässerungseinrichtung verzichtet, kann nicht als Abgeltungsvereinbarung für sämtliche künftigen Beiträge gewertet werden. Ein derartiger genereller Abgabenverzicht wäre nicht hinreichend bestimmbar. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage bleibt insgesamt ohne Erfolg.
1. Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Verwaltungsgemeinschaft G. vom 9. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landratsamts S. vom 20. Juli 2015, soweit ein Betrag von 1.519,52 EUR gefordert wird, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der angegriffene Bescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.1 Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) i.d.F. der Bek. vom 4. April 1993 (GVBl S. 264, BayRS 2024-1-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 36), können Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung oder Verbesserung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählt auch die von der Beklagten öffentlich-rechtlich betriebene Entwässerungsanlage.
Die Beklagte hat von der Ermächtigung des Art. 5 Abs. 1 KAG durch den Erlass ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 29. Februar 2016 Gebrauch gemacht. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzung sind weder vorgetragen noch ersichtlich; auch in materiell-rechtlicher Hinsicht liegen keine Fehler auf der Hand.
Als hinsichtlich des Beitragsteils nichtig erweist sich dagegen die vorherige Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 13. November 1989 i.d.F. v. 16. Dezember 2008. Denn diese hatte in § 5 Abs. 3 Satz 2 eine unzulässige Maßstabregelung enthalten, dass Kellergeschosse, die für wohn- und gewerbliche Zwecke ausgebaut sind, unabhängig davon, in welchem Umfang dies der Fall ist, generell mit 2/3 der Geschossfläche anzusetzen sind. Eine solche Norm, die den konkreten Ausbau, der hier das Recht zur Beitragserhebung erst begründet, außer Acht lässt, verstößt gegen den Gleichheitssatz. Unterwirft der Satzungsgeber Kellergeschosse lediglich dann einer Beitragspflicht, wenn ihnen durch die Schaffung von Wohnräumen oder gewerblichen Räumen eine objektiv höhere Nutzungsmöglichkeit als bei typischen Kellerräumen zukommt, muss sich der Beitrag nach dem Umfang des Ausbaus bemessen. Aufgrund der weitreichenden Bedeutung für das Beitragsgefüge führt der Verstoß hiergegen zur Nichtigkeit des ganzen Beitragsteils der Abgabensatzung (vgl. BayVGH, B.v. 2.2.2006, 23 ZB 05.3316 – juris).
Wirksames Satzungsrecht lag hinsichtlich der streitigen Beitragserhebung damit erst mit der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 29. Februar 2016 vor. Mit deren Inkrafttreten wurde der zunächst rechtswidrige – da aufgrund der nichtigen Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 13. November 1989 i.d.F. v. 16. Dezember 2008 erlassene – streitgegenständliche Bescheid mit ex-nunc-Wirkung geheilt, ohne dass es hierzu einer Rückwirkungsanordnung in der Satzung bedurft hätte (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 6.4.2000, 23 CS 99.3727 – juris).
1.2. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Beitragserhebung ist § 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 5 Satz 2 BGS-EWS vom 29. Februar 2016.
Ändern sich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände i.S.d. Art. 5 Abs. 2a KAG, entsteht gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 BGS-EWS eine – zusätzliche – Beitragsschuld mit Abschluss der Maßnahme, was in § 5 Abs. 4 Satz 2 BGS-EWS im Falle der Geschossflächenvergrößerung hinsichtlich der zusätzlich geschaffenen Geschossflächen nochmals explizit klargestellt ist. Wird erstmals eine wirksame Satzung erlassen und ist der Beitragstatbestand vor dem Inkrafttreten dieser Satzung erfüllt, entsteht die Beitragsschuld gem. § 3 Abs. 2 BGS-EWS erst mit Inkrafttreten der Maßnahme (vgl. Art. 5 Abs. 8 KAG)
Nach diesen Maßgaben ist mit Inkrafttreten der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 29. Februar 2016 aufgrund des vom Kläger im Jahr 2008 vorgenommenen Umbaus eines bisher beitragsfreien Nebengebäudes zu einem beitragspflichtigen Wohngebäude und der damit verbundenen Geschossflächenerweiterung eine neue Beitragsschuld entstanden.
1.3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch hinreichend bestimmt. Zwar ist darin nicht ausdrücklich ausgeführt, dass sich die Gebührenerhebung auf den vom Kläger im Jahr 2008 vorgenommenen Umbau eines Nebengebäudes zum Wohngebäude und die daraus resultierende Geschossflächenerweiterung bezieht. Jedoch ergibt sich dies ohne weiteres aus der herangezogenen Geschlossfläche (53,63 m² plus 53,63 m²x2/3) sowie auch aus den beiden vorangegangenen Schreiben der Verwaltungsgemeinschaft G. vom 7. November 2013 und 25. November 2013. Überdies wurde im Widerspruchsbescheid klargestellt, dass der Beitragserhebung eine Erweiterung der beitragspflichtigen Geschossfläche zugrunde liegt.
Die erfolgte Beitragserhebung ist nach der Reduzierung im gerichtlichen Verfahren durch die Beklagte auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
1.4. Es ist auch weder Verjährung noch Verwirkung eingetreten.
Die Festsetzungsverjährungsfrist beläuft sich auf vier Jahre (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 AO) und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitrag entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Wie bereits unter 1.2. ausgeführt, ist die streitgegenständliche Beitragsschuld für die Geschossflächenerweiterung erst mit Inkrafttreten der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 29. Februar 2016 entstanden. Eine Verjährung kommt daher nicht in Frage.
Für eine Verwirkung der Beitragserhebung bestehen keine Anhaltspunkte.
1.5. Der streitgegenständlichen Beitragserhebung steht auch die notarielle Vereinbarung zwischen der Mutter des Kläger und der damals noch eigenständigen Gemeinde P … vom 29. Juli 1968 nicht entgegen.
Bei verständiger Auslegung umfasst die unter Ziffer IV. getroffene Regelung, dass die Gemeinde P … als Gegenleistung für die Einräumung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit die auf Frau H. entfallenden Kanalanschlussgebühren übernimmt, nur den (einmaligen) Beitrag für den Anschluss des streitgegenständlichen Grundstücks an die gemeindliche Entwässerungseinrichtung, der zum Zeitpunkt des Vertragsschusses betragsmäßig noch nicht feststand und erst nachfolgend mit Bescheid vom 20. März 1969 auf 713,50 DM festgesetzt, jedoch seitens der Gemeinde P … nicht erhoben wurde.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Regelung nicht als generelle Abgeltungsvereinbarung für sämtliche künftige Beiträge, sei es für Geschossflächenerweiterungen, Verbesserungen oder Erweiterungen der Entwässerungsanlage, interpretiert werden. Dies käme vorliegend einem unzulässigen einseitigen Abgabenverzicht gleich, dessen Umfang nicht annähernd hinreichend bestimmbar wäre. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Vertragsparteien eine derartige rechtswidrige Klausel zum Vertragsinhalt machen wollten. Auch bestand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keinerlei Anlass, weder der Art noch der Höhe nach absehbare künftige Beiträge in die vertragliche Regelung mit einzubeziehen. Dies zeigt im Übrigen auch die Heranziehung der Mutter des Klägers zu einem Herstellungsbeitrag für die Erweiterung der Entwässerungsanlage der Beklagten mit Bescheid der Verwaltungsgemeinschaft G. vom 28. November 1979.
Auch stellt die Übernahme des mit Bescheid vom 20. März 1969 auf 713,50 DM festgesetzten Anschlussbeitrages, der nach der Kaufpreissammlung des Landratsamtes S. in etwa dem hälftigen Verkehrswert der mit dem Kanalrohrstrang und einem beiderseitigen 3,50 m breiten Schutzstreifen belasteten Grundstücksfläche entspricht, eine (mehr als) angemessene Gegenleistung der Gemeinde P … für die erfolge Dienstbarkeitsbestellung dar. Eine höhere Entschädigung hätte die Rechtsvorgängerin des Klägers für die Einräumung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nicht beanspruchen können.
2. Die unter Ziffer 2 erhobene Feststellungsklage erweist sich bereits als unzulässig. Es fehlt an einem berechtigten Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung, „dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger und auch dessen Rechtsnachfolger von allen Ansprüchen im Hinblick auf Erschließungsbeiträge für die Entwässerungseinrichtung der Beklagten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft freizustellen“.
Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage u.a. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsinteresse). Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann diese Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (Subsidiarität der Feststellungsklage).
Vorliegend besteht für den Kläger und bestand für seine Rechtsvorgängerin jedoch die Möglichkeit, gegen einzelne Beitragsbescheide mittels Anfechtungsklage vorzugehen, was zur Unzulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage führt.
Im Übrigen wäre sie nach den Ausführungen unter 1.5. auch unbegründet.
Nach alledem war die Klage vollumfänglich abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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