Verwaltungsrecht

Herkunftsland: Sierra, Leone, Inländische Fluchtalternative, Existenzminimumsicherung (bejaht), Abschiebungsverbote (verneint), Vortrag zum Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft

Aktenzeichen  M 30 K 18.34470

Datum:
12.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30962
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
AsylG § 3
AsylG § 3e
AsylG § 4
AufenthG § 60
AufenthG § 11

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamts vom 22. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG hat. Ebenso wenig liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Abschiebung des Klägers nach Sierra Leone vor. Die auf der Ablehnung des Asylantrags als unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung mit 30tägiger Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG und dessen Befristung sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG Münster, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris Rn. 21 f. m.w.N.). Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen (§ 3e AsylG), deren Inanspruchnahme zumutbar ist. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Subsidiärer Schutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung sowie die Gefahr eines ernsthaften Schadens ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Ausländer insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung. Dabei sind die Herkunft, der Bildungsstand und das Alter des Asylsuchenden sowie sprachliche Schwierigkeiten zu berücksichtigen. Dem Ausländer obliegt es aber dennoch, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daher ist Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ein geeigneter Vortrag, welcher den Asylanspruch hinsichtlich der in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen – insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen – lückenlos trägt (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Der Ausländer muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag sowie in Fällen, in welchen der Vortrag nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. VGH Kassel, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris Rn. 15; VGH Mannheim, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 35; BVerwG, B.v. 23.5.1996 – 9 B 273/96 – juris Rn. 2; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; U.v. 8.2.1989 – 9 C 29/87 – juris Rn. 8; U.v. 23.2.1988 – 9 C 273/86 – juris Rn. 11; B.v. 12.9.1986 – 9 B 180/86 – juris Rn. 5; U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658).
2. In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG beim Kläger nicht vor.
2.1 Der klägerische Vortrag, er werde von der Poro Society gesucht und verfolgt, ist nicht glaubhaft.
Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt eine Verfolgung durch die Poro Society nicht erwähnt. Diesen Umstand begründete er im Wesentlichen damit, dass er Angst davor gehabt hätte, Geheimnisse der Poro Society zu verraten und deshalb von der Poro Society bestraft zu werden. Gleichzeitig legte er ein ärztliches Attest vom 25. Oktober 2018 vor, welches feststellt, dass der Kläger auf seinem Rücken symmetrische und bewusst in einer gewissen Ordnung und Größe angelegte Narben trage, die mit dem Verletzungsbild einer rituellen Verletzung vereinbar sei. Damit vermag der Kläger zwar glaubhaft vorzutragen, an einem Initiationsritus einer in Sierra Leone vorzufindenden Geheimgesellschaft teilgenommen zu haben. Nicht glaubhaft vorgetragen ist damit aber der klägerische Vortrag, er werde von der Poro Society verfolgt und gesucht, weil er kein Mitglied dieses Geheimbundes sei. Bei erheblichen Steigerungen im Sachvortrag wie dem vorliegenden, wonach der Kläger nicht – wie ursprünglich vorgetragen – nur wegen Grundstücksstreitigkeiten innerhalb der (Groß-)Familie, sondern nunmehr auch von der Poro Society verfolgt werde, kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden. Eine solche Auflösung ist dem Kläger nicht gelungen. Das Gericht gab dem Kläger in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit vorzutragen, was er bei einer Rückkehr nach Sierra Leone befürchte. Hierzu trug der Kläger zunächst vor, dass er nicht wisse wo seine Familie sei und er keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter habe. Auf nochmalige Nachfrage des Gerichts, erklärter der Kläger, dass er nicht wisse, was ihm in Sierra Leone passieren würde; er hätte nur in Kenema gelebt und kenne sich nicht damit aus, wie woanders die Dinge ablaufen würden. Auf eine dritte, konkrete Frage des Gerichts dahingehend, weshalb ihm eine inländische Fluchtalternative z.B. in Freetown unmöglich sein solle und ob der Kläger von der Poro Society in Freetown gefunden werden würde, antwortete dieser äußerst knapp „Ja, sie würden mich dort finden“. Das Gericht ist überzeugt, dass der Kläger, würde ihm tatsächlich eine Verfolgung durch die Poro Society drohen, bereits bei der ersten oben genannten Frage über seine Verfolger gesprochen hätte; jedenfalls aber bei der sich hieran anschließenden Nachfrage des Gerichts. Da der Kläger aber erst und dann auch nur äußerst knapp von der Poro Society sprach, als das Gericht ihn mit seiner dritten diesbezüglichen Frage konfrontierte, ist das Gericht vielmehr davon überzeugt, dass der Kläger die Verfolgung durch die Poro Society im Nachgang zum ablehnenden Bescheid nur nachgeschoben hat, um sich bessere Chancen für das Klageverfahren hiervon zu erhoffen.
2.2 Selbst bei Wahrunterstellung der klägerischen Angaben in Bezug auf sein Verfolgungsschicksal bliebe sein Begehren ohne Erfolg. Insoweit wäre der Kläger auf eine inländische Fluchtalternative i.S.v. §§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG zu verweisen. Dem Kläger ist es möglich an einem anderen Ort in Sierra Leone internen Schutz zu finden (3.2.1) . Des Weiteren ist es ihm tatsächlich möglich ist, den Ort des internen Schutzes sicher und legal zu erreichen und an diesem Ort auch aufgenommen zu werden (3.2.2); auch kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, sich an diesem Ort niederzulassen (3.2.3) (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4/20 – juris Rn. 17ff.).
2.2.1 Es wäre dem Kläger in Bezug auf eine Bedrohung durch seine Großfamilie und die Poro Society zumindest in allen größeren Städten von Sierra Leone – insbesondere Freetown und Makeni – möglich, unbehelligt von seinen Verfolgern zu leben (std. Rspr. des VG München U.v. 5.4.2018 – M 30 K 17.39165 – juris; U.v. 14.5.2018 – M 30 K 17.40892 – beckonline; VG Augsburg, U.v. 22.03.2017 – Au 4 K 16.32061 – juris Rn 38 ff.).
Wie das Auffinden von Personen gelingen soll, vermag das Gericht trotz der verhältnismäßig geringen Landesgröße Sierra Leones und einer zu unterstellenden gewissen Vernetzung der Geheimgesellschaften untereinander nicht nachzuvollziehen. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Auch lassen sich den Erkenntnismitteln keine Erkenntnisse über gezielte überörtliche (Organisations-)Strukturen der Poro entnehmen, aufgrund derer von den örtlichen Geheimgesellschaften gesuchte Personen aufgefunden werden können. Vielmehr ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Mitglieder der Geheimgesellschaft den Kläger nicht noch einige Jahre später in ganz Sierra Leone und allen größeren Städten suchen werden. Der Aufwand für die (Groß-)Familie und die Geheimgesellschaft den Kläger in Sierra Leone im ganzen Land zu suchen – ohne zentrales Melderegister – wäre enorm vor allem im Vergleich zu der Chance ihn tatsächlich zu finden. Zudem ist der (Groß-)Familie und der Geheimgesellschaft bereits nicht bekannt, ob sich der Kläger überhaupt in Sierra Leone aufhält. Dabei ist zu unterstellen, dass Vodoo-Praktiken u.ä. dem Bereich des Okkulten und des Aberglaubens zuzuordnen sind und zur Überzeugung des Gerichts nicht funktionieren. Das Gericht geht nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes zudem davon aus, dass es jedenfalls in den größeren Städten Sierra Leones – mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts – möglich ist, grundsätzlich unbehelligt von der Geheimgesellschaft Poro und anderen Geheimgesellschaften zu leben (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt. Hieran ändert auch der klägerische Vortrag, er sei kein einfaches Mitglied, sondern der Nachfolger zweier Häuptlinge, weshalb die Poro Society ein gesteigertes Interesse an seinem Wiederauffinden habe, nichts. Denn die Frage, wie der Kläger von der Poro Society gefunden werden soll, wird dadurch nicht beantwortet. Dem Gericht sind aus den vorliegenden Erkenntnismitteln keine derartigen Organisationsstrukturen der Poro Society und anderer Geheimbünde zu entnehmen, wonach diese Geheimbünde landesweit miteinander vernetzt wären und tatsächlich landesweit miteinander kommunizieren würden. Insbesondere lässt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht erkennen, dass die Geheimbünde gezielt nach Einzelpersonen in dem 71.740 km² großen und über sieben Millionen Menschen umfassenden Land suchen würden, insbesondere in den Großständen mit ihren Millionen (Freetown) bzw. Hundert bis Zweihunderttausend Einwohnern (z.B. Makeni und Bo). Auch der Vortrag des Klägerbevollmächtigten, der Kläger könne durch Mundpropaganda in Sierra Leone gefunden werden, etwa wenn er der Öffentlichkeit durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in einer (eigenen) Autowerkstatt bekannt werde, wiederlegt nicht die Annahme einer inländischen Fluchtalternative. Für das Gericht ist nicht erkennbar, weshalb und insbesondere wie die örtliche Bevölkerung am Ort des internen Schutzes auf den Kläger und seine Verbindung zur Poro Society im Heimatdort seines Vaters aufmerksam werden sollte. Der Kläger war vor seiner Ausreise nicht landesweit bekannt. Auch hat es der Kläger, der sich nunmehr seit mehr als sieben Jahren außer Landes aufhält, in der Hand, seiner neuen Umgebung von seiner Familie und seinen Verbindungen zur Poro Society zu erzählen. Eine Pflicht zur Offenlegung der familiären Herkunft oder einer (bestehenden) Mitgliedschaft in einem Geheimbund besteht in Sierra Leone nicht. Dass der Kläger hingegen durch die Eröffnung einer eigenen Autowerkstatt aufgrund seiner in Deutschland erworbenen Expertise eine derart landesweite Bekanntheit erlangt, dass die Poro Society aus dem Dorf seines Vaters auf ihn aufmerksam werden würde, ist reine Spekulation und im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung für das Gericht nicht hinreichend wahrscheinlich.
2.2.2 Dem Kläger ist es tatsächlich möglich, den Ort des internen Schutzes in Sierra Leone sicher und legal zu erreichen und es ist auch damit zu rechnen, dass der Kläger an diesem Ort aufgenommen wird.
Die tatsächliche Erreichbarkeit setzt voraus, dass es nutzbare Verkehrsverbindungen vom Ort des eigenen Aufenthalts (Herkunftsregion, Ort des externen Schutzes) zum Ort des internen Schutzes gibt, die ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten und auch zu Kosten, die aufzubringen dem Kläger nicht unmöglich oder unzumutbar sind, genutzt werden können. Der Ort des internen Schutzes ist „legal“ erreichbar, wenn er unter Nutzung legal nutzbarer Verkehrsverbindungen erreicht werden kann und dem Kläger kein illegales Verhalten zum Erreichen dieses Ortes abverlangt wird; die Wahl der Transportmittel oder der Reiseroute muss aber dabei nicht rechtlich völlig frei wählbar und nutzbar sein. Auch Anmeldungs- und Genehmigungsvorbehalte sind jedenfalls dann unschädlich, wenn sie aus legitimen Gründen aufgestellt sind und der Kläger eine tatsächliche reale Möglichkeit auf ihre Genehmigung hat. Ferner sind auch Straßenkontrollen auf Reisewegen und sonstige administrative Reisebeschränkungen, die die Fortbewegung als solche nicht (nachhaltig) beeinträchtigen unbeachtlich. „Sicher“ erreichbar ist der Ort des internen Schutzes, wenn Transportmittel oder eine Reiseroute zur Verfügung stehen, bei der Nutzung der Kläger sich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr aussetzen muss, dem Zugriff von Verfolgungsmächtigen Akteuren ausgesetzt zu werden oder einen ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, a.a.O., juris Rn. 18 ff). Zur „Aufnahme“ gehört nicht nur der erstmalige Zugang nach Erreichen des Ortes des internen Schutzes, sondern auch der Aspekt der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Der Aufenthalt darf weder ein – aufgrund von Gesetzen oder administrativen Beschränkungen – illegaler i.d.S. unbeständiger Aufenthalt sein, noch darf er von Voraussetzungen abhängig sein, die von dem Kläger tatsächlich nicht oder nur unter für ihn unzumutbaren Bedingungen erfüllt werden können. Des Weiteren muss die Möglichkeit einer mehr als nur vorübergehenden, hinreichend gesicherten physischen Präsenz am Ort des internen Schutzes bestehen; der interne Schutz soll lediglich wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein (vgl. hierzu: BVerwG, a.a.O., juris Rn. 22 ff.).
Dem Kläger ist es sicher und legal möglich, den Ort des inländischen Schutzes in Sierra Leone zu erreichen. In der Verfassung Sierra Leones sind die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und die Rückkehr verankert. Die Regierung respektiert diese Rechte üblicherweise, wenngleich es Berichte gibt, dass die Polizei Straßensperren nutzt um Geld von Reisenden für die Weiterfahrt zu erpressen (USDOS – U.S. Department of State – Sierra Leone 2019 Human Rights Report vom 11.3.2020 und Sierra Leone 2018 Human Rights Report vom 13.3.2019). Zwar erschweren solche Formen staatlicher Korruption ein Fortkommen innerhalb des Landes. Erkenntnismittel dafür, dass es den Menschen in Sierra Leone gänzlich unmöglich wäre innerhalb des Landes zu reisen oder die „Straßensperren“ ein Ausmaß an Korruption erreichen würden, welches die üblicherweise im Land vorhandene Korruption übersteigen würde, liegen nicht vor. Klägerseits wurde hierzu ebenfalls nichts vorgetragen. Auch ist damit zu rechnen, dass der Kläger am Ort des internen Schutzes aufgenommen wird. Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich, dass weder der Zuzug noch der nachfolgende Aufenthalt in den Orten des internen Schutzes kraft Gesetzes oder in administrativer Praxis beschränkt wären. Vielmehr kann der Kläger überall in Sierra Leone den Ort seines (dauerhaften) Aufenthalts frei wählen.
2.2.3 Von dem Kläger kann vernünftigerweise auch erwartet werden, sich am Ort des internen Schutzes niederzulassen (Zumutbarkeit der Niederlassung).
Die Frage der in den flüchtlingsrechtlichen Zusammenhang eingebetteten Zumutbarkeit der Niederlassung erfordert eine umfassende wertende Gesamtbetrachtung der allgemeinen wie der individuellen Verhältnisse unter Berücksichtigung der in § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG genannten Dimensionen. Erforderliche, aber auch hinreichende Voraussetzung für die Niederlassung ist die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums auf einem Niveau, welches eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht besorgen lässt; darüber hinausgehende Anforderungen sind nicht notwendige Voraussetzungen der Zumutbarkeit der Niederlassung. Der Kläger soll wegen der allgemeinen Verhältnisse nicht gezwungen sein, in die Verfolgungssicherheit aufzugeben und in das ursprüngliche Verfolgungsgebiet zurückzukehren oder sich in andere Landesteile zu begeben, in welchen ihm möglicherweise Verfolgung oder andere Formen von schwerem Schaden drohen (vgl. hierzu: BVerwG, a.a.O., juris Rn. 27 ff.). Maßstab für die Zumutbarkeit sind weder eine „(hypothetische) vernünftige Person“ noch eine von individuellen Besonderheiten abstrahierende Betrachtungsweise; vielmehr sind – im Rahmen einer konkretindividuellen Betrachtungsweise – der Kläger und seine konkreten Möglichkeiten, am Ort des internen Schutzes zu (über) leben, in den Blick zu nehmen (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 31). Ferner schließen auch materielle Existenzbedingungen am Ort des internen Schutzes, welche die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausfüllen, die Zumutbarkeit aus (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 67). Dies bedeutet, dass die Zumutbarkeit der Niederlassung im Rahmen des § 3e AsylG stets dann zu verneinen ist, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen wäre (so auch Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 8. Edition Stand: 01.05.2021, § 3e Rn. 40).
2.2.3.1 Eine Unzumutbarkeit der Niederlassung ergibt sich vorliegend nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
2.2.3.1.1 Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erfasst sind davon nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben‚ wenn diese sich im Heimatstaat wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert. Es ist aber nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Es kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben‚ dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände‚ die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Von einer konkreten Gefahr ist in Krankheitsfällen dann auszugehen, wenn die erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris; BVerwG‚ U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – NVwZ 2007, 712).
Allerdings hat der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG glaubhaft zu machen. Diese soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlichmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Diese Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG an ein ärztliches Attest sind dabei auf die Substantiierung der Voraussetzungen an ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu übertragen (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn 7 m.w.N.; B.v. 4.10.2018 – 15 ZB 18.32354 – beckonline; B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris). Dies ergibt sich seit der Gesetzesänderung mit Wirkung vom 21. August 2019 auch ausdrücklich aus § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
Die Überprüfung, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen diesen Anforderungen entsprechen, ist dabei Aufgabe des erkennenden Gerichts. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – beckonline).
Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichende Versorgungslage, sind hingegen bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324/328; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6/95 – BVerwGE 102, 249/258 f.; U.v. 8.12.1998 – 9 C 4/98 – BVerwGE 108, 77/80 f.; U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – BVerwGE 114, 379/382; U.v. 29.6.2010 – 10 C 10/09 – BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2006 – 1 B 60/06 (1 C 21/06) – juris).
2.2.3.1.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht dem Kläger keine erheblich konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.
Soweit der Kläger Rückenschmerzen und eine Hepatitis B Erkrankung vorträgt, stehen diese Erkrankungen einer Abschiebung nicht entgegen.
Der Kläger hat die Hepatitis B Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG – oder mittels sonstiger ärztlicher Dokumente – glaubhaft gemacht. Auch ist anhand des klägerischen Vortrags schon nicht zu erkennen, dass die vermeintliche Hepatitis B Erkrankung zwingend therapiebedürftig wäre; so trägt der Kläger selbst vor, dass man ihm zwar empfohlen habe Medikamente einzunehmen, er sich hieran jedoch nicht halte. Daher ist nicht zu erkennen, dass eine Rückkehr des Klägers eine derart schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Situation für die klägerische Gesundheit bedeuten würde, dass bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung trotz Fehlen einer ausländerpolitischen Entscheidung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu bejahen wäre. Soweit regelmäßige Kontrollen der Leberwerte und Viruslast veranlasst sind, ergäbe sich aus einem Ausbleiben solcher Kontrollen für sich genommen noch keine zielstaatsbezogene wesentliche Verschlechterung im zuvor dargestellten Sinne. Nach einer Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Accra vom 23. Februar 2015 an das Bundesamt können bei einer Hepatitis B Erkrankung Leberwerte in Sierra Leone kontrolliert werden, wobei die Kosten wahrscheinlich nicht sehr hoch seien. Auch nach einer weiteren Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Accra vom 26. September 2017 an das Bundesamt wäre sogar die Behandlung von Hepatitis B in Sierra Leone möglich. Die Medikamente müssten teilweise importiert werden. Medikamente zur Behandlung von Hepatitis seien in Sierra Leone vorhanden und nach dortigen Maßstäben eher preisgünstig. Der Erwerb solcher Medikamente stelle insofern keine außergewöhnliche Belastung dar. Darüber hinaus entsprechen die vorgelegten Befunde auch offensichtlich nicht den Anforderungen an § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG. Im Übrigen handelt es sich bei einer chronischen Hepatitis B-Infektion in Sierra Leone aufgrund der großen Verbreitung dieser Erkrankung um eine allgemeine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, die eine – allerdings nicht existierende – ausländerpolitische Entscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG erfordern würde (vgl. VG München, U.v. 13.3.2017 – M 21 K 16.34574 -; U.v. 18.12.2017 – M 21 K 17.47357, beide nicht veröffentlicht).
Hinsichtlich der Rückenschmerzen wurden ebenfalls keine qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG – oder sonstige ärztliche Schreieben – zur Glaubhaftmachung einer der Abschiebung entgegenstehenden Erkrankung vorgelegt. Das ärztliche Attest vom 25. Oktober 2018 erfüllt jedenfalls schon offensichtlich nicht die gesetzlichen Anforderungen, ist darüber hinaus veraltet und enthält im Übrigen auch keine Aussagen über etwaige bestehenden Schmerzen.
Auch in der Gesamtschau ist für das Gericht nicht ausreichend erkennbar, dass der Kläger an einer derart schweren Erkrankung leidet, die sich bei Rückkehr nach Sierra Leone alsbald wesentlich bis gar lebensbedrohlich verschlechtern wird.
Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage für den Kläger sind nach den nachfolgenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich ebenfalls nicht aufgrund der Covid-19-Pandemie. Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer – vorliegend nicht bestehenden – Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der Kläger nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 – 11 A 2468/14.A – juris Rn. 14). Bei dem Großteil der Bevölkerung verläuft eine vom Coronavirus verursachte Erkrankung in der Regel eher mild. Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen, auch wenn schwere Verläufe auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung auftreten können und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden (vgl. Steckbrief des RKI, Stand 14.7.2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html). Der Kläger gehört zu keiner Risikogruppe. Eine solche Eigenschaft ist auch weder klägerseits vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich. Der Kläger wäre daher bei einer Rückkehr nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet.
Darüber hinaus wird die Ausländerbehörde etwaige Veränderungen in den humanitären Verhältnissen Sierra Leones vor einer Abschiebung prüfen und ggf. berücksichtigen müssen
2.2.3.3 Eine Unzumutbarkeit der Niederlassung ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Sierra Leone unmenschlichen Verhältnissen i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt würde. Es wird dem Kläger trotz der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Sierra Leone möglich sein, sein Existenzminimum zu sichern. Ein außergewöhnlicher Fall, wonach unter dem allgemeinen Gesichtspunkt schwieriger humanitärer Bedingungen im Herkunftsland von einer Abschiebung entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ abzusehen wäre, liegt nicht vor. Dabei ist § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG auch im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzuwenden, wenn sich der Ausländer auf eine Erkrankung beruft, aufgrund derer er im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern könne (OVG Lüneburg, B.v. 13.3.2020 – 9 LA 46/20 BeckRS 2020, 4520 Rn. 13 ff; Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 23; vgl. ferner BVerwG, B.v. 22.1.2020 – 1 B 3.20 – juris Rn. 4 unter Hinweis auf OVG SH, B.v. 1.11.2019 – 4 LB 18/17 – n.v. wohl zu § 60 Abs. 5 AufenthG).
Sierra Leone gehört trotz seines Rohstoffreichtums zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach den Jahren des Bürgerkriegs erholt sich das Land wirtschaftlich nur langsam. Sierra Leone ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,2 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 539,1 US-Dollar (FCDO, Foreign, Commonwealth & Development Office, Economic Factsheet, Stand Oktober 2020) eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2019 Rang 181 der 189 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 70%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 1,25 bis 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung; die Arbeitslosenrate im Land ist sehr hoch wobei die Jungendarbeitslosigkeit ein besonderes Problem darstellt (Bertelsmann Stiftung, Bertelsmann Stiftung’s Transformation Index (BTI) 2020 – Sierra Leone Country Report, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung, 2020; Westphal in LIPortal, Sierra Leone, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Stand Dezember 2020). Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Wirtschaft wird mit etwa 57,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert; der Dienstleistungssektor trägt mit 32,8% und der Industriesektor mit 5,6% zum Bruttoinlandsprodukt bei (FCDO ebd.). Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018). Ungelernten Arbeitslosen gelingt es nur durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Transportwesen), Kleinhandel (z.B. Verkauf von Obst, Süßigkeiten, Zigaretten) und ähnlichen Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicher zu stellen (vgl. zu damals noch prekäreren Verhältnissen: OVG NRW, B.v. 6.9.2007 – 11 A 633/05.A – juris Rn 28). Die Lebensumstände in Sierra Leone sind also als äußerst schwierig zu bezeichnen. Man geht aber davon aus, dass sich ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann in Sierra Leone ein Existenzminimum – wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs – erwirtschaften kann. (vgl. VG Regensburg, U.v. 11.02.2019 – RN 14 K 17.3514 – juris).
Die medizinische Versorgung ist in Sierra Leone nach wie vor schwierig und es herrscht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten (vgl. BFA Republik Österreich a.a.O.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Informationszentrum Asyl und Migration, Glossar Islamische Länder – Band 17 Sierra Leone, Mai 2010).
Die aktuelle Covid-19-Pandemie mit den diesbezüglich einhergehenden Einschränkungen steht der obigen Annahme (Rn. 41) nicht entgegen. Das Gericht nimmt in Auswertung der allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen zwar durchaus wahr, dass die zeitweilig auch in Sierra Leone verhängten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie die Personen, die vom Kleinhandel auf der Straße und Gelegenheitsarbeiten leben, besonders trifft. So gibt es Mutmaßungen, dass die eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten für den Teil der Bevölkerung, der die täglichen Einnahmen direkt für Nahrungsmittel ausgibt und über keine finanziellen Ressourcen verfügt, bedrohlicher sein könne als die Infektionsgefahr und sich die Bedingungen der Armut noch einmal verschärft dürften (Westphal in LIPortal, Sierra Leone, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Stand Dezember 2020). Inwieweit die nunmehr zurückliegenden Lockdowns in dieser Weise aber erheblich nachwirken, ist nicht ersichtlich. Auch liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass das öffentliche Leben in Sierra Leone derzeit derart eingeschränkt ist, dass es einer erwerbsfähigen Person nicht mehr möglich wäre, bei Rückkehr ihre Existenz mit den elementaren Grundbedürfnissen zu sichern.
Die tatsächlichen individuellen Umstände des Klägers werden es ihm daher ermöglichen, trotz dieser humanitären Verhältnisse in Sierra Leone seinen Lebensunterhalt zu sichern. Hinsichtlich des klägerischen Vortrags zu seiner Gesundheit wird auf obige Ausführungen Bezug genommen. Bei dem Kläger handelt es sich um einen jungen, erwerbsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Herkunftsland. Er hat in Sierra Leone die Primary und Secondary School – wenngleich ohne Abschluss – und in Deutschland drei Jahre lang die Berufsschule besucht. Er kann Arbeitserfahrung als Lagerist und Lackierer bzw. Automechaniker vorweisen. Er ist mit mehreren Landessprachen und den Gepflogenheiten des Herkunftslands vertraut. Auch hat er in seiner Zeit in Algerien mit der Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten gezeigt, dass er sich auch in den schwierigsten Situationen eine Lebensgrundlage sichern kann. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger in der Lage sein wird, durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, mag diese auch nur in Gelegenheitsarbeiten bestehen, sich ein Existenzminimum aufzubauen und dauerhaft zu sichern.
Ferner ist es dem Kläger insbesondere zumutbar, Leistungen aus den – überwiegend an die freiwillige Ausreise anknüpfenden – Rückkehrprogrammen wie dem REAG/GARP-Programm in Anspruch zu nehmen. Der Kläger wurde im behördlichen Asylverfahren auch auf die Rückkehrprogramme hingewiesen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris Rn. 27). Derzeit sehen die Rückkehrprogramme für Sierra Leone folgende finanzielle Unterstützungsleistungen: Zahlung von Flug- oder Bustickets, Reisebeihilfen i.H.v. 200,00 EUR pro volljähriger Person und 100,00 EUR pro minderjähriger Person, medizinische Unterstützungen während der Reise sowie im Zielland (maximal 2.000,00 EUR für bis zur drei Monate nach Ankunft) sowie eine einmalige Förderung i.H.v. 1000,00 EUR pro Person bzw. 500,00 EUR pro minderjähriger Person bzw. maximal 3.500,00 EUR pro Familie. Hinzu kommen die Corona-Zusatzzahlung II („2. Starthilfe“) in einem Zeitraum von sechs bis acht Monaten nach der Ausreise i.H.v. 1.500,00 EUR für Einzelpersonen bzw. 3.000,00 EUR für Familien.
2.2.3.4 Eine dauerhafte Niederlassung ist auch aus sonstigen Umständen nicht unzumutbar. Insbesondere aus den vorgetragenen Krankheiten ergeben sich – auch bei Außerachtlassung des im Rahmen von § 3e AsylG grundsätzlich nicht anwendbaren § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG – keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese den Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit und Lebensgestaltung derart einschränken werden, dass diesem eine – jedenfalls mittelfristig – dauerhafte Niederlassung unzumutbar wäre. Weder ist klägerseits vorgetragen, wie sehr ihn die Rückenschmerzen im Alltag einschränken würden, noch benötigt der Kläger derzeit Medikamente für seine vorgetragene Hepatitis B Erkrankung.
3. Insofern besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK; auf obige Ausführungen wird verwiesen.
4. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor; auf obige Ausführungen wird verwiesen.
5. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung nach § 77 Abs. 2 AsylG, insbesondere hinsichtlich der Ausreisefrist von 30 Tagen und der Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie dem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG, Bezug genommen.
II. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
III. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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