Verwaltungsrecht

Im Süden Malis besteht interner Schutz vor Verfolgung

Aktenzeichen  M 21 S 17.44165

Datum:
15.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 2, § 34

 

Leitsatz

Einer Androhung der Abschiebung in den „Herkunftsstaat“ mangelt es nicht an der notwendigen Bestimmtheit, da ein konkreter Zielstaat bei fehlender Klärung der Staatsangehörigkeit des Ausländers nicht benannt werden muss (BVerwG BeckRS 2014, 49105). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnachweise seines Herkunftslands vorlegte, ist nach letzten, eigenen Angaben ein lediger, in Darou Salam geborener Staatsangehöriger der Republik Mali muslimischen Glaubens vom Volk der Wolof.
Er stellte am 2. Mai 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in München einen Asylantrag.
Zur Niederschrift über seine Anhörung bei der Außenstelle des Bundesamts in München am 19. Oktober 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, bis zur Ausreise in Darou Salam, einem Stadtteil von Bamako, gelebt zu haben. Sein Heimatland habe er Mitte 2014 verlassen und sei im Oktober 2015 in das Bundesgebiet eingereist. Außer seiner Mutter habe er niemanden in Mali. Er habe nur Hilfsjobs gemacht. Seine Mutter habe als Händlerin auf dem Fischmarkt gearbeitet. Sie seien arm gewesen. Auf den Vorhalt, es falle schwer zu glauben, dass der Antragsteller tatsächlich aus Mali komme, weil er nichts über seine Nachbarschaft wisse, entgegnete er, er sei immer bei seiner Familie gewesen und nicht oft rausgegangen. Aber er komme aus Mali. Dort gebe es Krieg. Deswegen habe er von dort weg gemusst. Man habe seinen Vater umgebracht und das Leben des Antragstellers ebenfalls bedroht.
Mit Bescheid vom 30. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) als offensichtlich unbegründet ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4.) und drohte ihm mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung in den Herkunftsstaat an (Ziffer 5.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Angaben des Antragstellers führten nicht zu der Überzeugung, dass er die malische Staatsangehörigkeit besitze. Er sei nicht einmal in der Lage gewesen, einfachste Fragen im Zusammenhang mit Dingen des täglichen Lebens in seinem angeblichen Herkunftsland zu beantworten. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit müsse die geschilderte Furcht vor Verfolgung und die geschilderte Gefahr eines drohenden ernsthaften Schadens als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden. Aus dem Sachvortrag lasse sich weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ableiten. Die unterbliebene Offenlegung seiner wahren Identität sei dem Antragsteller als Täuschung gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG vorwerfbar. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
Am 7. Juni 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen,
den Bundesamtsbescheid vom 30. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise,
ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 17.44163) ist noch nicht entschieden.
Am 7. Juni 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München mit gesondertem Schriftsatz beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Die durch Schriftsatz vom 7. Juni 2017 angekündigte Klagebegründung erfolgte bislang nicht. Zur Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 7. Juni 2017 im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsgegnerin habe sich inhaltlich nicht mehr mit dem Vortrag zu den eigentlichen Fluchtgründen, nämlich dem Bürgerkrieg in Mali beschäftigt. Die Argumente der Antragsgegnerin reichten nicht aus, um dem Antragsteller die Herkunft aus Mali und jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen. Im Übrigen wäre die Antragsgegnerin dazu verpflichtet gewesen, durch geeignete Maßnahmen wie eine Sprachanalyse im Rahmen der Anhörung die Herkunft des Antragstellers zu klären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Eilantrag ist unbegründet.
Gemäß Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG wird die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen insbesondere in Fällen, die offensichtlich unbegründet sind, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Im Anschluss an Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG bestimmt § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, dass die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG, § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). „Ernstliche Zweifel“ im Sinne des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass dem Antragsteller kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht unmittelbar zu entnehmen, dafür sprechen jedoch § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.1996 – 2 BvR 1291/96 – juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, an die Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) anknüpfenden Abschiebungsandrohung.
Ernstliche Zweifel bestehen insbesondere nicht an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und an der Rechtmäßigkeit der Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur näheren Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Bundesamtsbescheids Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist Folgendes auszuführen.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des angegriffenen Bundesamtsbescheids, deren Rechtmäßigkeit sich nach § 34 AsylG bestimmt, begegnet nicht deshalb Bedenken, weil es der Androhung der Abschiebung in den „Herkunftsstaat“ an der notwendigen Bestimmtheit mangelte. Dies macht die Androhung nicht unwirksam. § 59 Abs. 2 AufenthG sieht die Zielstaatsbestimmung nur als Soll-Regelung vor. Ein konkreter Zielstaat braucht bei fehlender Klärung der Staatsangehörigkeit des Ausländers nicht benannt zu werden (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Rn. 25 m.w.N.). Weder die Behörde noch das Gericht dürfen sich der Verpflichtung entziehen, Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen für subsidiären Schutz und erforderlichenfalls von nationalem Abschiebungsschutz zu treffen. Lässt sich das Herkunftsland nicht mit der für die behördliche und gerichtliche Überzeugungsbildung erforderlichen Gewissheit feststellen, weil der Antragsteller die Mitwirkung an der Klärung seiner Identität verweigert, ist dies im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen und gegebenenfalls insbesondere eine negative Feststellung zum subsidiären Schutz und zum nationalen Abschiebungsschutz zu treffen (vgl. zu all dem nur BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Rn. 22), so wie es das Bundesamt getan hat.
Der Nachweis einer Identitätstäuschung im Sinne des § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG dürfte hier jedoch entgegen den Gründen des angegriffenen Bundesamtsbescheids nicht erbracht sein.
Abgesehen von der nicht entscheidungserheblichen Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens muss sich der Antragsteller auf Basis aktueller Lageberichte sowohl überstaatlicher (vgl. nur http://www.refworld.org/pdfid/59d388b84.pdf) als auch staatlicher (vgl. nur https://www.state.gov/documents/organization/265488.pdf) und nichtstaatlicher Stellen (vgl. nur https://www.amnesty.de/jahresbericht/2017/mali) aber jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz im Süden Malis, insbesondere auf die Gegend in und um Bamako, verweisen lassen (§ 3e AsylG).
Im Vergleich zum Bericht des Generalsekretärs des Sicherheitsrats der UN über die Lage in Mali im Juni 2017 haben sich die politische und die Sicherheitslage dort zum Zeitpunkt Ende September 2017 verschlechtert. Die UN berichten allerdings in diesem Zusammenhang von einer Wiederaufnahme der Kämpfe zwischen den bewaffneten Signatarkräften in Nordmali, wachsender Unsicherheit im Zentrum des Landes und steigender politischer Unruhe im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Prüfungsprozess, der zu einer verspäteten Umsetzung des Abkommens geführt habe. Für die Region Kidal wird von einer Verschlechterung der Sicherheitslage berichtet. Asymmetrische Angriffe gegen internationale Kräfte seien insbesondere in den Regionen Gao, Kidal und Timbuktu zu verzeichnen. Die Sicherheit von Zivilisten habe sich in den Gegenden um Ménaka und Mopti verschlechtert.
Dementsprechend wird vom Außenministerium der Vereinigten Staaten festgehalten, für Teile des Nordens und des Zentrums des Landes werde insbesondere von ernsthaften Menschenrechtsverletzungen durch nichtstaatliche, extremistische Organisationen berichtet. Die Truppen der Regierung und der Französischen Republik hätten jedoch dort verschiedene Terrorgruppen bekämpft. Angriffe durch bewaffnete Gruppen, welche die Vereinbarung von 2015 unterzeichnet hatten, seien im Berichtszeitraum 2016 sporadisch und örtlich begrenzt gewesen. Terroristische Gruppen hätten ihre Aktivitäten (nur) im Norden und zentralen Teilen des Landes fortgesetzt. Die Regierung habe nicht genügend Ressourcen gehabt, um diese Fälle im Norden (allein) zu verfolgen und zu untersuchen.
Auch Amnesty International berichtet Stand 19. Mai 2017, die Instabilität habe in Mali vom Norden auf das Landesinnere übergegriffen. Es habe immer mehr bewaffnete Gruppierungen gegeben, die Anschläge verübten. Die Stadt Kidal im Norden des Landes sei von bewaffneten Gruppen kontrolliert worden. In Gao und Ménaka sei die Versorgung mit humanitärer Hilfe durch Entführungen seitens bewaffneter Gruppen behindert worden.
Bei dieser Lage muss sich der Antragsteller hinreichend gesichert auf internen Schutz im Süden Malis, insbesondere auf die Gegend in und um Bamako, verweisen lassen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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