Verwaltungsrecht

Info-Request des Bundesamtes an Italien bei einem Zweitantrag

Aktenzeichen  Au 9 K 20.30376

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19405
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, § 114 S. 2
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a
EMRK Art. 3
Dublin-II-VO Art. 21, Art. 34
VwVfG § 48, § 49, § 51 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Bei der Prüfung nach § 71a Abs. 1 AsylG, ob ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vorliegt, darf sich das Bundesamt nicht allein auf die Angaben der jeweiligen Antragsteller zum Verlauf von Asylverfahren in anderen Mitgliedsstaaten stützen. Denn diese konnten in aller Regel den Verfahrensablauf nicht überblicken und können dazu deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a., BeckRS 2016, 41335). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit dem vom Bundesamt grundsätzlich zu nutzenden, sogenannten Info-Request nach Art. 21 Dublin-II-VO bzw. Art. 34 Dublin-III-VO ist unter den Mitgliedsstaaten allerdings ein beschleunigtes und verlässliches Informationsaustauschsystem eingeführt worden, dessen Möglichkeiten zur Informationsgewinnung den Verwaltungsgerichten jedoch nicht offenstehen (vgl. BayVGH, U.v. 20.10.2016 – 20 B 14.30320, BeckRS 2016, 56089). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hinsichtlich der allgemeinen Corona-Pandemie liegt keine konkrete Gesundheitsgefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 AufenthG vor, da es sich lediglich um eine abstrakte Gefahrenlage handelt, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist und die nur bei Vorliegen eine Anordnung nach § 60a AufenthG Berücksichtigung finden könnte.    (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Einzelrichterin (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 6. März 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte hat den vom Kläger gestellten Antrag zutreffend als Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG behandelt.
a) Ein asylrechtlicher Zweitantrag, der bei Fehlen neuen Vorbringens ohne Sachprüfung als unzulässig abgelehnt werden kann, setzt gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Leitsatz 2). Es obliegt dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu belegen. Bei der Prüfung nach § 71a Abs. 1 AsylG, ob ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vorliegt, darf sich das Bundesamt nicht allein auf die Angaben der jeweiligen Antragsteller zum Verlauf von Asylverfahren in anderen Mitgliedsstaaten stützen. Denn diese konnten in aller Regel den Verfahrensablauf nicht überblicken und können dazu deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 22 m.w.N.). Mit dem vom Bundesamt grundsätzlich zu nutzenden, sogenannten Info-Request nach Art. 21 Dublin-II-VO bzw. Art. 34 Dublin-III-VO ist unter den Mitgliedsstaaten allerdings ein beschleunigtes und verlässliches Informationsaustauschsystem eingeführt worden, dessen Möglichkeiten zur Informationsgewinnung den Verwaltungsgerichten jedoch nicht offenstehen (vgl. BayVGH, U.v. 20.10.2016 – 20 B 14.30320 – juris Rn. 29, 41).
b) Im vorliegenden Fall beruht die Annahme des Bundesamts, es liege der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vor, auf zureichender Tatsachenbasis. Entsprechend der Auskunft der italienischen Dublin-Behörde im Rahmen des Info-Request nach Art. 34 Abs. 3 Dublin III-VO vom 11. Dezember 2019 ist der Asylantrag des Klägers am 11. Januar 2018 abgelehnt worden, die gegen die Ablehnung erhobene Klage blieb mit Entscheidung vom 17. Juni 2019 erfolglos. Weitere Ermittlungen des Bundesamts waren daher nicht erforderlich. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängte sich hier nicht auf. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Ausführungen im Beschluss vom 25. März 2020 (Az.: Au 9 S 20.30377) verwiesen.
c) Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG liegen nicht vor. Der Kläger kann insbesondere keinen Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 VwVfG für sich in Anspruch nehmen. Wegen der Begründung im Einzelnen folgt das Gericht den Ausführungen im angefochtenen Bescheid und sieht deshalb von der Darstellung weiterer Gründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Vorbringen des Klägers beschränkt sich auf Umstände, die sich bereits im Herkunftsland N. ereignet haben sollen. Damit können diese Umstände mit Blick auf das in It. erfolglos abgeschlossene Asylverfahren keine nachträgliche Änderung der Sachlage zu Gunsten des Klägers begründen. Der Kläger hat bei seiner Anhörung am 20 März 2019 angegeben, dass die Gründe, die er im Erstverfahren geschildert habe, weiterhin bestehen würden. Es seien immer noch dieselben Gründe, auf die er sich berufe. Er hat seinen Antrag ausschließlich auf (angebliche) Sachverhalte gestützt, die bereits vor seiner Ausreise aus N. und damit vor dem ersten in It. durchgeführten Asylverfahren stattgefunden haben. Insofern liegt keine nachträgliche Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor.
Im Hinblick auf den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Zeitungsartikel vom 12. März 2016 sind die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 51 Abs. 2 nicht gegeben. Zum einen ist gerichtsbekannt, dass – bestimmte Fluchtvorbringen „belegende“ – gefälschte Zeitungsartikel in N. käuflich erhältlich sind. Zum anderen ist nicht erkennbar, warum der Kläger diesen Zeitungsartikel erst im gerichtlichen Verfahren vorlegte. Nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat der diesen Artikel über die Suchmaschine Google im Internet gefunden, als er in It. war. Der Antrag ist somit auch gemäß § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG unzulässig.
Die Asylberechtigung ist auch nicht im Hinblick auf die im Klageverfahren vorgelegte Bestätigung des Vereins I.e.V. auszusprechen, wonach der Kläger in N. Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein soll, weil er Informationen für diese Gruppierung verteilt haben soll. In den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom geschilderten Umständen der Zugehörigkeit des Klägers zu den Organisationen M. bzw. nachfolgend I.mit dem Ziel der Wiederherstellung der früheren Republik Biafra handelt es sich allesamt um Umstände, die dem Kläger vollumfänglich bereits zum Zeitpunkt seines früheren Asylverfahrens bekannt waren, da sie sich nach seinen eigenen Angaben bzw. den Angaben auf den vorgelegten Bescheinigungen bereits vor seiner Ausreise in N. ereignet haben sollen. Insoweit schließt bereits § 51 Abs. 2 VwVfG ein Wiederaufgreifen zu Gunsten des Klägers aus. Der Kläger trägt insoweit keine veränderten Tatsachen vor, er stützt vielmehr seinen Asylfolgeantrag auf neue Tatsachen bzw. neue Fluchtgründe. Das „Aufsparen“ von asylrechtlich relevantem Vortrag für einen späteren Asylfolgeantrag kann kein Wiederaufgreifen des Verfahrens begründen (vgl. Dickten in BeckOK AuslR, Stand: 1.2.2019, AsylG, § 71 Rn. 16).
Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Sachvortrag des Klägers in Gänze unglaubwürdig ist. Der Kläger gab gegenüber dem Bundesamt an, dass ein Überfall von Haussa Grund für seine Ausreise war. Es wurden weder Verfolgungshandlungen seitens der Regierung noch sein Engagement für I.geltend gemacht. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, sollten Verfolgungshandlungen durch den Staat aufgrund der Zugehörigkeit zu I.vorgenommen worden sein, diese in seiner Anhörung durch das Bundesamt nicht erwähnt haben sollte. Die Einlassungen hierzu – der Dolmetscher habe sich geweigert, diese Angaben zu übersetzen, bzw. habe die nachträgliche Aufnahme in das Protokoll verhindert – sind schlichtweg abenteuerlich. Dass die Angaben des Klägers unglaubhaft sind, folgt auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung. Dort machte er (erstmals) geltend, auf dem Land seines Vaters hätte die Regierung Öl gefunden und deswegen seine Familie töten lassen. Das Auslöschen seiner Familie steht im Übrigen im krassen Gegensatz zu den Angaben beim Bundesamt, seine Geschwister würden studieren und den Eltern gehe es soweit gut. Die Einlassung, er habe diese Angaben auf die Situation vor dem fluchtauslösenden Ereignis bezogen, überzeugt nicht.
2. Daneben hat die Beklagte auch zutreffend dargelegt, dass beim Kläger keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Das Gericht verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG) und schließt sich diesen in vollem Umfang an. Ebenso wird verwiesen auf die Ausführungen des Gerichts im Eilverfahren (Au 9 S 20.30377). Der Kläger hat im Klageverfahren keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten. Dieses gilt insbesondere im Hinblick auf seine Ausführungen, er habe Hörbeschwerden. Diese gesundheitlichen Beschwerden erfüllen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG offenkundig nicht. Auch der allgemeine Hinweis auf das bessere Gesundheitssystem in Deutschland ist nicht geeignet, ein Abschiebungsverbot zu begründen.
Auch hinsichtlich der allgemeinen Corona-Pandemie liegt keine konkrete Gesundheitsgefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 AufenthG vor, da es sich lediglich um eine abstrakte Gefahrenlage handelt, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist und die nur bei Vorliegen eine Anordnung nach § 60a AufenthG Berücksichtigung finden könnte. Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung kann die derzeitige Corona-Pandemie als allgemeine Gefahr aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen. Diese Sperrwirkung kann nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Gefahr, dass sich der Kläger in N. mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn der Kläger bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind überdies in N. lediglich 7801 Corona-Fälle bestätigt, wovon 5677 Personen genesen sind und es lediglich zu 805 Todesfällen gekommen ist (Quelle: COVID-19 pandemic data, Wikipedia, Stand: 22.7.2020). Demnach handelt es sich um eine lediglich abstrakte Gefährdung, der im Rahmen des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu begegnen ist. Die Pandemie ist daher nicht geeignet, ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen.
Damit hat der Kläger aber auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48,49 VwVfG. Er hat diesbezüglich zwar einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Im gerichtlichen Verfahren beachtliche Ermessensfehler (§ 114 VwGO) sind vorliegend weder ersichtlich, noch wurden solche vorgetragen.
3. Die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig, da die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Befristung der Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und im Rahmen der gerichtlich gemäß § 114 Satz 2 VwGO beschränkten Prüfung ordnungsgemäß ausgeübt.
4. Die Klage war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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