Verwaltungsrecht

Inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vor der Geburt und zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach der Geburt eines Kindes

Aktenzeichen  Au 7 S 18.50803

Datum:
2.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27630
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1b
AsylG § 25 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 34a, § 71a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Eine Überstellung an Italien ist gegenwärtig nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach den Regelungen des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) beginnt der Abschiebungsschutz (Reiseunfähigkeit) sechs Wochen vor der Entbindung (§ 3 Abs. 2 MuSchG) und endet acht bzw. bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach der Geburt. Für diesen Zeitraum besteht ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das sich aus der temporären Reiseunfähigkeit der Antragstellerin ergebende inlandsbezogene Vollstreckungshindernis mündet nach der Geburt eines (lebenden) Kindes in ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4 Liegt eine individuelle Zusicherung Italiens nicht vor bzw. hat die Antragsgegnerin diese nach Aktenlage nicht eingeholt, ist für die Antragstellerin nach der Geburt ihres Kindes ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot hinsichtlich Italiens zu beachten. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 26. September 2018 (Az. Au 7 K 18.50802) gegen Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 17. September 2018 (Gz.: …) wird angeordnet.
II. Die Antraggegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung nach Italien.
1. Die Antragstellerin, die keine Ausweisdokumente vorlegte, ist – alles nach eigenen Angaben – nigerianische Staatsangehörige, geboren am … 1995 in … Nigeria, Volkszugehörigkeit Isoko, christlicher Religionszugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben am 7. August 2018 illegal in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde am 9. August 2018 erstmals erkennungsdienstlich erfasst. Am 23. August 2018 stellte sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.
Das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates erfolgte ebenfalls am 23. August 2018. Dabei gab die Antragstellerin unter anderem an, sie habe keine Familienangehörigen in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat. Nach dem Verlassen ihres Herkunftslandes im August 2015 sei sie jeweils zwei Wochen in Niger und Libyen und zwei Jahre in Italien gewesen. In Italien sei sie am 6. September 2015 eingereist und habe dort einen Asylantrag gestellt. Am 7. August 2018 sei sie in Deutschland eingereist.
Am 30. August 2018 fanden vor dem Bundesamt die Anhörungen zur Zulässigkeit des Asylantrages gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AsylG statt.
Im Hinblick auf eine Unzulässigkeit des Asylantrags und eine Abschiebung in einen Mitgliedstaat (vgl. Anhörungsprotokoll, Bl. 100 bis 104 der Bundesamtsakte) gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, sie habe keine Gründe, warum sie nicht nach Italien zurück könne. Die Reise habe ihr damaliger Freund organisiert und auch bezahlt. Sie seien nicht mit einem Schlepper unterwegs gewesen. Ihr Asylantrag sei in Italien abgelehnt worden. Die dagegen erhobene Klage sei wieder abgelehnt worden. Die Ablehnungsgründe wisse sie nicht. Sie habe in Italien ein „Soggiorno“ gehabt, welches abgelaufen ist und sie habe es zurück gelassen. In Italien habe sie die gleichen Personalien wie in Deutschland angegeben. Fälschlicherweise sei ihr Nachname in Italien mit „…“ aufgenommen worden. In Italien sei sie wegen der Schwangerschaft im Krankenhaus gewesen. Italien habe sie verlassen, weil ihr Mann das gewollt habe. Sie habe keine Beschwerden, Erkrankungen etc. Sie sei in der 25. Schwangerschaftswoche. Der errechnete Geburtstermin sei der 12. Dezember 2018 (Malteser Betreuung, Bl. 88 der Bundesamtsakte). Ihren Mann habe sie am 14. Februar 2018 traditionell geheiratet.
Nach Belehrung hinsichtlich des Vorliegens eines Zweitantrages gemäß§ 71a AsylG gab die Antragstellerin an, keine neuen Gründe zu haben.
Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG am 30. August 2018 (vgl. Anhörungsprotokoll, Bl. 90 bis 99 der Bundesamtsakte) gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2010 in … sei sie mit ihrem jüngeren Bruder und ihrer jüngeren Schwester zu ihrer Großmutter nach … gezogen. Als diese sie nach ein bis zwei Jahren mit einem alten Mann habe verheiraten wollen, sei sie wieder zurück nach … geflohen und zu ihrem Freund gegangen. Dieser sei Mitglied einer Gang gewesen, was sie nicht gewusst habe. Eines Tages sei ihr Freund angeschossen worden und habe gesagt, dass sie sofort gehen müssten, sonst würden sie beide umgebracht werden. Nach einer Woche, die sie bei seiner Mutter verbracht hätten, seien sie in den Norden Nigerias und weiter nach Libyen geflohen. Dort sei ihr Exfreund eines Tages nicht mehr zurückgekommen. Sie sei damals von ihrem Freund schwanger gewesen und habe in Libyen wegen eines Überfalls von Arabern ihr Kind verloren. Eine Frau habe ihr Geld ausgelegt, so dass sie mit dem Boot nach Italien habe fahren können. Dort habe sie im August 2017 ihren jetzigen Partner (…) kennengelernt.
Für die Antragstellerin wurde am 9. August 2018 ein EURODAC-Treffer Kategorie 1 (…) für Italien ermittelt, wonach sie am 17. Februar 2016 in …Italien einen Asylantrag gestellt hatte (Bl. 2 der Bundesamtsakte). Das Bundesamt stellte deshalb am 31. August 2018 auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) ein Wiederaufnahmegesuch an Italien, das unbeantwortet blieb.
2. Mit Bescheid vom 17. September 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Abschiebungsverbote lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Hinsichtlich inlandsbezogener Abschiebungshindernisse habe die Antragstellerin vorgetragen, dass sei mit Herrn … (geb. …1993), dessen Verfahren beim Bundesamt unter dem Az.: … geführt werde, traditionell verheiratet sei. Die traditionelle Ehe sei nicht durch Dokumente belegt und sei zudem nach deutschem Recht unbeachtlich. Nach Aktenlage bestehe keine zivilrechtlich wirksame Ehe, so dass der angegebene Lebensgefährte kein Familienangehöriger der Antragstellerin im Sinne des Art. 2 g) Dublin III-VO sei. Die Schwangerschaft der Antragstellerin stelle per se kein Überstellungshindernis dar. Eine Abschiebung scheide grundsätzlich sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt aus. In diesem Zeitraum sei von einer Reiseunfähigkeit auszugehen. Der errechnete Geburtstermin sei der 12. Dezember 2018.
Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen.
Der Bescheid wurde der Antragstellerin laut Empfangsbestätigung am 19. September 2018 zugestellt (Bl. 143 der Bundesamtsakte).
Per E-Mail vom 27. September 2018 wurde der Antragsgegnerin ein Auszug aus dem Mutterpass der Antragstellerin übermittelt, nach dem der errechnete Entbindungstermin der 12. Dezember 2018 ist (Bl. 145 bis 147 der Bundesamtsakte).
3. Am 26. September 2018 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamts vom 17. September 2018 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Antragstellerin die Voraussetzungen betreffend Abschiebeschutz gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Die Klage wird bei Gericht unter dem Aktenzeichen Au 7 K 18.50800 geführt.
Weiter wurde mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids des Bundesamtes vom 17. September 2018 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Hauptsacheverfahren außer Vollzug zu setzen.
4. Für die Antragsgegnerin legte das Bundesamt am 15. Oktober 2018 die Behördenakten in elektronischer Form vor, äußerte sich jedoch nicht in der Sache.
5. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Partners der Antragstellerin (…, geb. … 1993) ebenfalls mit Bescheid vom 17. September 2018 (Gesch.Z.: …) als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung Ziffer 4).
Die gegen diesen Bescheid am 26. September 2018 erhobene Klage wird beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen Au 7 K 18.50800 geführt. Der gleichzeitig gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. November 2018 (Az.: Au 7 S 18.50801) abgelehnt.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige – nach Auslegung (§§ 122, 88 VwGO) gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids gerichtete – Antrag hat in der Sache Erfolg.
1. Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen (§ 75 Abs. 1 AsylG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) keine aufschiebende Wirkung kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und dem Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Maßgebliche Bedeutung kommt bei der Abwägung den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst verschont zu bleiben, regelmäßig zurück. Erweist sich der angefochtene Bescheid dagegen bei vorläufiger Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung in der Regel anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht. Ist der Ausgang des Verfahrens offen, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung.
2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war dem Antrag stattzugeben, da sich die Abschiebungsanordnung nach Italien in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist, so dass das private Interesse der Antragstellerin, vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt.
a) Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Dabei sind sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu berücksichtigen. Dies gilt auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen oder Duldungsgründen (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris).
Zwar ist nach den Eurodac-Daten und dem Vortrag der Antragstellerin vorliegend nach den Kriterien der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) von einer Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin auszugehen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ist eine Überstellung an Italien gegenwärtig zudem nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Auch unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel (vgl. etwa Länderbericht des Europäischen Flüchtlingsrats (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database – zu Italien, Update Februar 2017, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy, S. 40 ff, 59 ff sowie den Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe von August 2016, abrufbar unter: https://www.fluecht-lingshilfe.ch/assets/news/2016/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen-final.pdf) sieht das Gericht keine Gründe, von seiner ständigen Rechtsprechung abzuweichen.
b) Allerdings besteht im Falle der Antragstellerin aufgrund der am 12. Dezember 2018 anstehenden Geburt ihres Kindes derzeit ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (nachfolgend unter aa)), das nach der Geburt des Kindes in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis mündet (nachfolgend bb)).
aa) Nach den Regelungen des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) beginnt der Abschiebungsschutz (Reiseunfähigkeit) sechs Wochen vor der Entbindung (§ 3 Abs. 2 MuSchG) und endet acht bzw. bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach der Entbindung (§ 6 Abs. 1 MuSchG). Der voraussichtliche Geburtstermin des Kindes der Antragstellerin ist laut des vorgelegten Auszuges aus dem Mutterpass (Bl. 146 der Bundesamtsakte) bereits der 12. Dezember 2018. Damit trat hier der Abschiebungsschutz (Reiseunfähigkeit) am 31. Oktober 2018 ein, so dass im Zeitpunkt dieser Entscheidung ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis besteht.
bb) Der Abschiebung der Antragstellerin nach Italien stehen aber, sofern sie ein lebendes Kind zur Welt bringt, auch nach der Geburt rechtliche Gründe entgegen. Das sich aus der temporären Reiseunfähigkeit der Antragstellerin ergebende inlandsbezogene Vollstreckungshindernis mündet nach der Geburt eines (lebenden) Kindes in ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot. In seiner Entscheidung vom 4. November 2014 (Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127) hat der EGMR ausgeführt, dass die Anzahl und die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen Italiens Befürchtungen zulassen, dass im Einzelfall Asylsuchende ohne Unterkunft bleiben bzw. in überfüllten Einrichtungen untergebracht werden, auch wenn die Struktur und die Gesamtsituation des Aufnahmesystems in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar sei und keine systemischen Mängel vorlägen (Rn. 114, 115). Vor der Abschiebung einer Familie mit Kindern als besonders Schutzbedürftige seien daher individuelle Garantien von den italienischen Behörden einzuholen, dass die Familie bei ihrer Ankunft in Italien in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen werde, die dem Alter der Kinder angemessen seien, und dass sie als Familie zusammenbleiben könnten (Rn. 120, 122). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 29. August 2017 (2 BvR 863/17 – juris) im Falle der Dublin-Überstellung einer alleinerziehenden Mutter mit vier Kindern, die im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung über den Eilantrag zwischen 16 und 4 Jahren alt waren, angemahnt, dass die Grundsätze der Tarakhel-Entscheidung in der Konstellation einer allein erziehenden Mutter von vier Kindern erst recht zu beachten seien.
Im vorliegenden Fall ist die Antragstellerin nach der Geburt ihres Kindes als alleinerziehende Mutter mit einem Säugling anzusehen, da eine zivilrechtlich wirksame Eheschließung mit Herrn … (geb. … 1993) nicht vorliegt und dieser mangels Vaterschaftsanerkennung und Sorgeerklärung auch nicht als Vater des erwarteten Kindes gilt.
Eine individuelle Zusicherung Italiens im Sinne der Tarakhel-Entscheidung liegt nicht vor bzw. hat die Antragsgegnerin nach Aktenlage auch nicht eingeholt, so dass für die Antragstellerin nach der Geburt ihres Kindes ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot hinsichtlich Italiens zu beachten ist.
Der Überstellung stehen damit rechtliche Gründe entgegen.
Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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