Verwaltungsrecht

Innerstaatliche Fluchtalternative für Hazarer in Afghanistan

Aktenzeichen  M 6 K 17.40678

Datum:
6.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 S. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 u Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Das Auftreten des IS in Afghanistan hat die Gefahr für Hazarer und Schiiten dort, wo der IS auftritt, noch erhöht. In den größeren Städten und in Gebieten, in denen die Hazarer die Mehrheit stellen, etwa in der Provinz Bamiyan, besteht jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der junge, gesunde, ledige und arbeitsfähige Kläger wird in einem der hinreichend sicheren Gebiete Fuß fassen und trotz der allgemein schwierigen Situation seinen Lebensunterhalt – schlimmstenfalls am Rande des Existenzminimums – selbst bestreiten können. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

1. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2017 entschieden werden, obwohl auf Seiten der Beklagten niemand erschienen ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens eines Beteiligten ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
2. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2017 stellt sich, soweit er noch angegriffen wurde, als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO analog). Zur Begründung nimmt das Gericht vollumfänglich Bezug auf den Bescheid der Beklagten und macht sich dessen Inhalt zu eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Mit Blick auf die seit Erlass des Bescheides vorliegenden neueren Erkenntnismittel wird ergänzend ausgeführt:
2.1. Subsidiärer Schutz war dem Kläger nicht zuzuerkennen, da keine der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG in der Person des Klägers vorliegen. Es ist weder etwas dafür vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG).
2.2 Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor. Die rund zehn Jahre zurückliegenden, vom Kläger geschilderten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters und den Drohungen seitens der Taliban sind schon wegen des Zeitablaufs nicht mehr geeignet, eine Gefahr für den Kläger zu begründen. Im Ergebnis gilt das auch für die aktuelle, von der Klagepartei angesprochene Situation in Afghanistan im Allgemeinen und für Angehörige der Volksgruppe der Hazarer im Besonderen, die zugleich überwiegend der Gruppe der Schiiten angehören. Zwar ist auch nach den aktuellen Erkenntnissen von einer schwierigen Situation in Afghanistan auszugehen, was die landesweiten Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung eindeutig belegen. Auch gezielte Übergriffe gegenüber Hazarer und Schiiten, bei denen es zu Entführungen, Toten und Verletzten gekommen ist, sind belegt. Das Auftreten des IS in Afghanistan hat nach Einschätzung des Gerichts unter Würdigung der ihm vorliegenden Erkenntnisquellen die Gefahr für Hazarer und Schiiten dort, wo der IS operiert, noch erhöht. Der Kläger ist jedoch selbst dann, wenn man bei ihm als Angehörigen der Gruppe der Hazarer schiitischen Glaubens ausgeht, nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verweisen, wo er vor solchen Übergriffen nach den hierfür entwickelten Maßstäben der Rechtsprechung hinreichend sicher sein wird. Das sind vorliegend neben den größeren Städten wie Kabul, Mazar-e Sharif und Kunduz Stadt auch und gerade die Gebiete, in denen Hazarer die Mehrheit stellen wie etwa in der Provinz Bamiyan. Es liegen zur Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der gesunde, arbeitsfähige, ledige Kläger im Alter von knapp über 30 Jahren in einem dieser Gebiete bzw. Orte nicht Fuß fassen und seinen Lebensunterhalt – schlimmstenfalls am Rande des Existenzminimums –bestreiten könnte. Er hat vor seiner Ausreise lange Zeit als Schweißer auf Baustellen gearbeitet. Damit verfügt er über mehr als nur Qualitäten eines Hilfsarbeiters und dürfte eine realistische Chance haben, eine entsprechende Tätigkeit nach seiner Rückkehr wieder aufnehmen zu können. Zwar sprechen auch die neuesten Erkenntnismittel wie etwa der UNAMA-Bericht vom Juli 2017 von einer allgemein schwierigen Situation für jeden, der nicht in der Umgebung seiner Familie oder seines Herkunftsorts in der aktuellen Situation in Afghanistan neu Fuß fassen will. Andererseits ist nicht ersichtlich, weshalb es dem Kläger bspw. nicht möglich sein sollte, einen neuen Arbeitgeber dazu zu bewegen, mit seinen bisherigen Arbeitgebern Kontakt aufzunehmen und sich auf diese Weise Referenzen zu verschaffen, die es ihm ermöglichen, eine neue Anstellung zu finden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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