Verwaltungsrecht

Insgesamt erfolglose Asylklage von Flüchtlingen aus der russischen Föderation

Aktenzeichen  W 7 K 16.30945

Datum:
10.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 4

 

Leitsatz

Mehrfache Widersprüche hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland erschüttern die Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals. (Rn. 12 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts vom 22. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO); denn die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch einen solchen auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 –, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 –, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Das Gericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:
Auch in der mündlichen Verhandlung vermochten die Kläger nicht das angeblich die Flucht auslösende Ereignis konkret zu beschreiben. Die Klägerin zu 2) trägt vor, Ende Januar 2012 seien mehrere Männer in die Wohnung eingedrungen, während ihr Mann geschlafen habe. Da sie hinter der Tür gestanden habe, sei sie durch die Tür umgestoßen worden und dann ohnmächtig geworden. Anfang Februar 2012 habe sie dann eine Fehlgeburt erlitten und sei mehrere Tage im Krankenhaus gewesen. Der Kläger zu 1) gab in seiner Anhörung beim Bundesamt an, dieser Vorfall sei Mitte April 2012 gewesen, er sei anschließend von den Männern mitgenommen und gefoltert worden. Ihm seien die Handknochen gebrochen worden, außerdem seien ihm Stromschläge an den kleinen Fingern und an den kleinen Zehen verpasst worden. Danach sei er auf dem Basar in Urus-Martan freigelassen worden. Die Männer hätten nichts von ihm verlangt, sondern nur gefragt, ob er ihnen etwas zu erzählen habe. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu 1) vorgetragen, dass sich dies im Juli 2012 ereignet habe. Er sei zusammengeschlagen worden, seine Rippen seien gebrochen worden. Er sei außerhalb der Stadt freigelassen worden. Dies steht eindeutig im Widerspruch zu seinem Vorbringen beim Bundesamt und zum Vorbringen der Klägerin zu 2).
Aber auch die Voraussetzungen des § 4 AsylG liegen nicht vor, insoweit wird ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG).
Aufgrund des widersprüchlichen Sachvortrag der Kläger in der mündlichen Verhandlung kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass ihnen bei Rückkehr in die Russische Föderation ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Das Gericht nimmt auf die Begründung im Bescheid des Bundesamts Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung im Hinblick darauf ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderungen und die Abschiebungsandrohung rechtlich nicht zu beanstanden. Diese beruhen auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG und entsprechenden gesetzlichen Vorgaben.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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