Verwaltungsrecht

Interne Fluchtalternative für tschetschenische Volkszugehörige

Aktenzeichen  B 9 K 17.31707

Datum:
2.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41851
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 108 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 28. März 2019 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c Abs. 1 Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Selbst wenn das Vorbringen der Kläger als wahr unterstellt würde, führt dies nicht zur Annahme einer Verfolgung, die gerade an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpft. Vielmehr handelt es sich bei den vorgetragenen Geschehnissen um eine Auseinandersetzung im privaten Bereich, also allenfalls kriminelles Unrecht. Auch das Handeln eines Verfolgungsakteurs im Sinne von § 3c AsylG lässt sich dem Vortrag der Kläger nicht entnehmen. Der Kläger zu 1 gab auch selbst an, wegen der Vorfälle nie Anzeige bei der Polizei erstattet zu haben. Eine mangelnde Schutzbereitschaft staatlicher Strukturen kann demnach ebenfalls nicht angenommen werden.
2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein Ausländer ist danach subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht nur vom Staat drohen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, weil er dort Zugang zu Schutz vor einem solchen ernsthaften Schaden i.S.d. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gilt Folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (EU-Qualifikations-RL) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Dies privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Damit wird für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür begründet, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Kläger eine an den Merkmalen des § 4 AsylG ausgerichtete Gefahr eines ernsthaften Schadens nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht schließt sich zunächst den zutreffenden Gründen im angefochtenen Bescheid der Beklagten an und sieht daher insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zum gerichtlichen Verfahren der Kläger Folgendes auszuführen:
Die Kläger zu 1 und 2 haben vor dem Bundesamt lediglich eine fragmentarische Rahmengeschichte geschildert, die nicht den Eindruck erweckt, dass es sich dabei um tatsächliche Erlebnisse der Kläger handeln würde. Auf Grundlage der Angaben der Kläger zu 1 und 2 in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht vielmehr davon überzeugt, dass die Kläger eine Fluchtgeschichte referiert haben, die sie so jedenfalls nicht selbst erlebt haben, sondern die sie sich zurechtgelegt haben, um ihre Chancen im Asylverfahren zu verbessern. Die Kläger haben auf die erkennende Einzelrichterin beim Vortrag ihrer Fluchtgründe nicht den Eindruck gemacht, als dass ihre knappen Schilderungen über die Besuche der „Männer“ erlebnisbasiert gewesen sind. Der Vortrag ist vielmehr an mehreren, maßgeblichen Stellen vage und steht teilweise im Widerspruch zu den klägerischen Äußerungen beim Bundesamt. Zudem widersprechen sich die Angaben des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 aus der mündlichen Verhandlung.
a) Der Kläger zu 1 führte bei seiner Anhörung beim Bundesamt aus, 2003 seien das erste Mal vier Männer zu ihm gekommen und hätten ihm Fragen über seinen getöteten Cousin gestellt. Im Jahre 2004 sei dies wieder der Fall gewesen und auch 2013 seien noch einmal vier Männer, diesmal unmaskiert und unbewaffnet, gekommen und hätten den Kläger zu 1 nach seinem Cousin befragt. Der Kläger zu 1 erklärte in seiner Anhörung außerdem, er wisse nicht, warum die Männer immer nach seinem Cousin gefragt hätten (vgl. Bl. 211 der Behördenakte).
In der mündlichen Verhandlung trug er hingegen, vom Gericht danach befragt, was diese Männer von ihm gewollt hätten, vor, dass er das nicht wisse. Sie hätten ihm keine Fragen gestellt. Die Nachfrage der Einzelrichterin, ob er von den Männern also tatsächlich nie befragt worden sei, bejahte der Kläger (vgl. S. 5 der Niederschrift). Erst auf Vorhalt seiner Angaben beim Bundesamt teilte der Kläger zu 1 mit, dass ihm nur bei einem Mal Fragen über seinen Cousin gestellt worden seien. Er sei gefragt worden, wo sich der Cousin befinde, wo er beerdigt sei und habe die Grabstätte des Cousins zeigen sollen (vgl. S. 5 f. der Niederschrift). Nach allgemeiner Lebenserfahrung müssten sich derart gravierende Ereignisse, wie sie der Kläger zu 1 behauptet erlebt zu haben, fest in das Gedächtnis einprägen. Es ist also davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 auch heute noch wüsste, ob er nun jedes Mal nach seinem Cousin befragt wurde, oder dies nur ein einziges Mal der Fall war. Zudem widersprechen die Angaben des Klägers zu 1 aus der mündlichen Verhandlung seinen Darstellungen aus der Anhörung insofern, als dass er in der Anhörung noch behauptete, die Männer hätten von ihm wissen wollen wo sich der Cousin befinde und dem Kläger zu 1 eben nicht geglaubt hätten, dass der Cousin bereits tot sei (vgl. Bl. 211 der Behördenakte).
b) Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt erklärte der Kläger zu 1 ferner, die Männer seien am 20. Januar 2013 das letzte Mal zu ihm gekommen (vgl. Bl. 211 der Behördenakte). In der mündlichen Verhandlung gab er aber an, dies sei im Februar 2013 gewesen (vgl. S. 6 der Niederschrift). Gerade wenn dieser letzte Besuch der Männer der zuletzt ausschlaggebende Grund für die Ausreise der Familie war und der Kläger zu 1 sich deshalb nach eigenen Angaben gezwungen sah, Tschetschenien zu verlassen (vgl. S. 6 der Niederschrift), wäre zu erwarten, dass ihm der Zeitpunkt des die Flucht auslösenden Ereignisses auch heute noch präsent wäre.
c) Außerdem gab der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung an, diese Männer seien ungefähr 20 Mal zur Familie nach Hause gekommen und hätten ihn dort geschlagen. Einmal sei er auch mitgenommen worden und sie hätten ihn dann woanders rausgelassen (vgl. S. 5 der Niederschrift). In seiner Anhörung beim Bundesamt ließ der Kläger zu 1 gänzlich unerwähnt, von den Männern auch einmal mitgenommen worden zu sein.
Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein unwesentliches Detail, sodass vieles dafür spricht, dass der Kläger keine selbst erlebten Geschehnisse geschildert hat.
Dies gilt umso mehr, da seine Angaben aus der mündlichen Verhandlung nicht mit denen der Klägerin zu 2 übereinstimmen. Diese widersprach mit ihren Ausführungen vor Gericht zum einen ihren eigenen Schilderungen aus der Anhörung („Zuhause haben sie ihn nicht geschlagen“, vgl. Bl. 216 der Behördenakte) indem sie in der mündlichen Verhandlung angab, dass ihr Mann einmal, als sie ihn mitgenommen hätten, zuhause geschlagen worden sei. Danach hätten die Männer ihn aber immer nur abgeholt und an einem anderen Ort verprügelt (vgl. S. 3 der Niederschrift). Zum anderen sind ihre Angaben nicht in Übereinstimmung mit den Darstellungen des Klägers zu 1 zu bringen, sodass das Vorbringen der Kläger insgesamt als unglaubhaft zu bewerten ist. Die Kläger zu 1 und 2 haben sich hierdurch jeweils auch in ihrer Person unglaubwürdig gemacht.
d) Die Klägerin zu 2 konnte in der mündlichen Verhandlung keine substantiierten Angaben zum Fluchtsachverhalt beisteuern – ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts erschöpften sich größtenteils, darin, dass sie sich nicht mehr erinnern könne, was ebenfalls nicht zur Glaubhaftigkeit der Behauptungen beiträgt.
e) Für die Kläger zu 3 bis 6 wurden keine eigenständigen Verfolgungsgründe geltend gemacht.
f) Selbst wenn die Schilderungen der Kläger als wahr unterstellt werden, könnten die Kläger einem weiteren Übergriff durch die kriminellen Männer auch jedenfalls dadurch unschwer entgehen, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Teil der Russischen Föderation nehmen, wo sie internen Schutz im Sinne von § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG finden können. Subsidiärer Schutz wird dem Ausländer nicht zuerkannt, wenn ihm in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens droht oder er Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Für politisch unverdächtige und erwerbsfähige tschetschenische Volkszugehörige wie den Kläger besteht in anderen Teilen der Russischen Föderation – jedenfalls außerhalb von Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Dagestan, Nord-Ossetien, Krasnodar und Stawropol – regelmäßig eine inländische Fluchtalternative, in denen sie vor Verfolgung sicher sind und ihr Existenzminimum gesichert ist (so die ganz überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung: VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris; BayVGH München, U.v. 31.8.2007, 11 B 02.31724 – juris; U.v. 19.6.2006 – 11 B 02.31598 – juris; U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.30469 – juris; NdsOVG, B.v. 16.1.2007 – 13 LA 67/06 – juris; VGH BW, U.v. 25.10.2006 – A 3 S 46/06 – juris; OVG Saarl, B.v. 12.7.2006 – 3 Q 101/06 – juris; B.v. 29.6.2006 – 3 Q 2/06 – juris; U.v. 23.6.2005 – 2 R 11/03 – juris; OVG SH, U.v. 11.8.2006 – 1 LB 125/05 – juris; U.v. 3.11.2005 – 1 LB 211/01 – juris; OVG NW, U.v. 12.7.2005 – 11 A 2307/03.A – juris; ThürOVG, U.v. 16.12.2004 – 3 KO 1003/04 – juris; HessVGH, U.v. 21.2.2008 – 3 UE 191/07.A – juris, der sogar eine „hinreichende Sicherheit“ in Tschetschenien bejaht).
aa) Den Klägern ist es möglich, sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen.
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist allerdings begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 22).
Dabei wird es den Betroffenen zwar nicht leicht gemacht; in der Regel wird es ihnen administrativ erschwert, insbesondere einen legalen Aufenthalt und diesen wiederum insbesondere an bestimmten Orten zu nehmen. Dies ist im Endeffekt jedoch nicht unmöglich, mag es auch nicht immer am bevorzugten Ort oder stets auf Anhieb möglich sein. In diesem Zusammenhang ist auf die Verhältnisse in der Russischen Föderation insgesamt abzustellen, insbesondere ohne die Verhältnisse in den russischen Großstädten, wie etwa Moskau und St. Petersburg, zu verallgemeinern, weil dort u.a. wegen der angespannten Wohnraumsituation ein besonderer Zuwanderungsdruck für die hinsichtlich der restlichen Russischen Föderation (mit Ausnahme Tschetscheniens) nicht repräsentativen Verhältnisse ursächlich ist, wovon im Übrigen nicht nur Tschetschenen betroffen sind. Bei hinreichendem Bemühen können russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit in der Russischen Föderation eine Registrierung erreichen. Sollten die amtlichen Stellen entgegen der Rechtslage eine Registrierung verweigern, können sich Tschetschenen hiergegen mit sehr guten Erfolgsaussichten selbst in Moskau zur Wehr setzen. Darüber hinaus lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass die Registrierungsschwierigkeiten „flächendeckend“ in der Russischen Föderation bestehen. Es gibt Regionen, in denen keine örtlichen Vorschriften zur Registrierung erlassen worden sind oder diese nicht restriktiv angewandt werden, in denen also eine Registrierung leichter möglich ist (vgl. – insbesondere auch zum Registrierungsverfahren – VG Berlin, U.v. 12.3.2008 – 38 X 33.08 – juris Rn. 74 ff.).
bb) Bei einer Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation als Tschetschenien hätten die Kläger auch keine Gefahr eines ernsthaften Schadens zu befürchten. Keiner der hat sich (in besonderer Weise) politisch engagiert, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie außerhalb Tschetscheniens im Vergleich zu anderen Tschetschenen besonders auffallen würden. Es war dem Kläger zu 1 auch bereits möglich, in anderen Teilen der Russischen Föderation zu arbeiten, ohne dass er dort behelligt worden wäre.
Zwar mag der Kontrolldruck gegenüber „kaukasisch aussehenden“ Personen aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus erheblich sein. In diesem Zusammenhang erfolgende Personenkontrollen und häufig ohne Durchsuchungsbefehle stattfindende Hausdurchsuchungen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 22) weisen jedoch trotz ihres teilweise durchaus diskriminierenden Charakters nicht eine derartige Intensität auf, dass ein Aufenthalt außerhalb des Kaukasus generell als unzumutbar eingestuft werden müsste (ebenso VG Berlin, U.v. 24.3.2015 – VG 33 K 229.13 A – juris Rn. 21). In der Russischen Föderation leben über einhundert anerkannte Nationalitäten sehr unterschiedlicher Größe, die gegenüber der russischen Bevölkerung in den meisten Gebieten in der Minderheit sind. Eine nach ethnischer oder sprachlicher Zugehörigkeit diskriminierende Gesetzgebung gibt es nicht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 15 f.). Was die Gefahr fremdenfeindlicher und rassistischer Übergriffe aus Teilen der Bevölkerung anbelangt, so sind solche zwar ebenfalls nicht zu leugnen (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 7). Blutige Zusammenstöße der Ethnien hat es anders als im Kaukasus selbst in anderen Regionen der Russischen Föderation dagegen nicht gegeben. Es ist zwar zutreffend, dass es insbesondere bei den Antiterroroperationen aus Anlass der Bombenattentate in russischen Großstädten im Jahre 1999 und 2000, für die tschetschenische Kräfte verantwortlich gemacht wurden, zu Kontrollen und Festnahmen insbesondere von Kaukasiern gekommen ist. Dieses – in vielen Fällen aus rechtsstaatlicher Sicht zwar überzogene – Vorgehen hat aber nach Ansicht des Gerichts zum einen einen einsehbaren sicherheitspolitischen Anlass und richtet sich auch nicht in erster Linie gegen Kaukasier, sondern gegen Verdächtige, welche zwar vor allem in den Reihen der Kaukasier vermutet werden, wofür es aber auch sachliche, ermittlungstechnische Anhaltspunkte gab und gibt. Zum anderen ist dieses teilweise überzogene, rechtsstaatlichen Anforderungen und der Achtung der Menschenwürde nicht gerecht werdende Vorgehen in der Praxis jedoch auch weitgehend durch ein allgemein nicht ausgeprägtes oder gar verinnerlichtes rechtsstaatliches Selbstverständnis vieler Amtswalter bzw. eine insoweit fehlende Tradition der Sicherheitsbehörden bedingt, welches bei vergleichbarem Anlass in etwa gleichem Ausmaß auch andere Volkszugehörige treffen würde. Auch wenn der Krieg in Tschetschenien bzw. generell im Kaukasus von offizieller Seite als Vorgehen gegen „Terroristen“ bezeichnet wird und zunehmend die Kennzeichen eines Guerillakrieges annimmt, bestehen doch keine Anhaltspunkte dafür, dass nunmehr jeder tschetschenische und umso mehr jeder Kaukasier allein wegen seiner Volkszugehörigkeit außerhalb des Kaukasus derart intensiv verfolgt wird, dass er in eine ausweglose Lage geriete (vgl. VG Ansbach, U.v. 13.2.2006 – AN 10 K 06.30008). Angesichts der im Verhältnis zur kaukasischen Bevölkerung in der Russischen Föderation (allein in Moskau sollen über 200.000 Tschetschenen leben, vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 14) geringen Opferzahlen kann nicht angenommen werden, dass Kaukasier außerhalb ihrer Heimatregionen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe werden (vgl. VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris Rn 55; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Russische Föderation vom 7.5.2018, S. 93 f.). Für ein „flächendeckendes“, eine reale Gefahr begründendes Vorgehen des russischen Staates gegen zehntausende von tschetschenischen Flüchtlingen und zehntausende von jeher außerhalb Tschetscheniens in der übrigen Russischen Föderation lebende Tschetschenen gibt es im Übrigen auch keinen einsehbaren Grund. Hinsichtlich des Interesses, Tschetschenien wieder unter Kontrolle zu bringen, würde den russischen Staat ein Vorgehen gegen Tschetschenen, welche nicht direkt in Tschetschenien kämpfen oder gekämpft haben und auch nicht außerhalb Tschetscheniens Anschläge verüben oder sich sonst besonders für die tschetschenische Sache engagieren, diesem Ziel nicht näher bringen, sondern die Russische Föderation sähe sich dann einem nochmals verstärkten internationalen Druck ausgesetzt und zudem der Erhöhung des Risikos, dass die Auseinandersetzung noch intensiver und großflächiger in die Russische Föderation getragen würde (vgl. VG Ansbach, U.v. 14.9.2007 – AN 10 K 07.30008 – juris).
Soweit von Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens (und der oben genannten weiteren Regionen) durch die Verweigerung von Registrierungen, polizeiliche Übergriffe, ungerechtfertigte strafrechtliche Anschuldigungen oder fremdenfeindliche Aggressionen auszugehen ist, handelt es sich entweder nicht um asylrelevante Übergriffe oder sie erreichen nicht, auch nicht in der Gesamtschau, eine Häufigkeit bzw. Intensität, dass sie asylrelevante Übergriffe für tschetschenische Flüchtlinge wie die Kläger als nicht ganz entfernte und damit durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen. Es ist auch nicht pauschal davon auszugehen, dass tschetschenische Flüchtlinge einer realen Gefahr tätlicher Übergriffe in Zusammenhang mit Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen oder der falschen Beschuldigung eines Verbrechens mittels gefälschter Beweismittel, fremdenfeindlichen Übergriffen von Privatpersonen o.ä. ausgesetzt wären (vgl. VG Berlin, U.v. 12.3.2008 – 38 X 33.08 – juris Rn. 65 ff. m.w.N.)
cc) Die Gebiete, in denen eine inländische Fluchtalternative offen steht, sind für die Kläger auch erreichbar. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht dorthin gelangen könnten oder gar mit einer zwangsweisen Rückführung nach Tschetschenien rechnen müssten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 22 f.). Selbst für den Fall, dass die behördliche Registrierung außerhalb Tschetscheniens verweigert werden sollte, bestünde für die Kläger keine reale Gefahr, zwangsweise nach Tschetschenien zurückkehren zu müssen; für eine Rückverbringung von russischen Staatsangehörigen aus einem Landesteil, in dem sie nicht registriert sind, in ihre Heimat besteht keine Rechtsgrundlage, und es dürfte dem russischen Staat hierfür auch an Mitteln fehlen (OVG NRW, U.v. 12.7.2005 – 11 A 2307/03.A – juris Rn. 107 f.).
dd) Ebenso wenig liegen gesicherte Erkenntnisse dafür vor, dass Personen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach einer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt wären oder allein deshalb staatlich verfolgt werden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 22).
ee) Den Klägern ist auch im Hinblick auf die Gewährleistung des Existenzminimums eine Aufenthaltsnahme in den übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zumutbar. Erforderlich hierfür ist, dass die Kläger am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls ihr Existenzminimum sichern können. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben (vgl. VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris). Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum, wenn sie dort – was grundsätzlich zumutbar ist – durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Dazu gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ stattfinden (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2005 – 1 C 24.06 – juris). Maßgeblich ist ferner nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, B.v. 31.8.2006 – 1 B 96.06 – juris).
Wie bereits ausgeführt, können sich die Kläger in Russland registrieren lassen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie legalen Arbeitsmarkt (VGH BW, U.v. 15.2.2012 – 3 S 1876/09 – juris m.w.N.).
Im Übrigen können Tschetschenen auch ohne eine legale Registrierung ein zumutbares Auskommen finden. Die vergleichsweise hohe Zahl der in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen belegt, dass es unabhängig von bürokratischen Schwierigkeiten (etwa bei Registrierung oder Ausweispapierbeschaffung), teilweisen Diskriminierungen und auch Übergriffen von Behördenangehörigen und trotz Ressentiments in der Bevölkerung möglich ist, zumindest einen faktischen Aufenthalt zu erlangen und – wenn auch auf dem landesüblichen niedrigen Niveau – dabei eine wirtschaftliche Grundlage zu finden und sei es auch nur im Bereich der – sehr weit verbreiteten – Schattenwirtschaft (vgl. VG Augsburg, U.v. 12.6.2006 – Au 2 K 05.30203 – juris Rn. 19). Es ist daher davon auszugehen, dass eine Registrierung oder das Innehaben von Personalpapieren zwar durchaus hilft, das Leben in der Russischen Föderation leichter zu gestalten, jedoch nicht unabdingbare Voraussetzung dafür ist, Lebensverhältnisse zu schaffen, welche – unter Berücksichtigung des allgemeinen Lebensstandards in der Russischen Föderation – als zumutbar anzusehen sind (vgl. VG Berlin, U.v. 12.3.2008 – 38 X 33.08 – juris Rn. 79 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Kläger rechtfertigt sich keine andere Beurteilung. Die Kläger zu 1 bis 4 sind im erwerbsfähigen Alter. Der Kläger zu 1 hat nach eigenen Angaben die Mittelschule für elf Jahre und die Fachhochschule für wirtschaftliche Beziehungen für zwei Jahre besucht. Zuletzt war er als LKW-Fahrer und Bauarbeiter tätig – und zwar nicht nur in Tschetschenien, sondern auch in Inguschetien, Dagestan und im Norden Russlands. Er war demnach auch vor der Ausreise in der Lage, selbst für den Lebensunterhalt der gesamten Familie zu sorgen. Zudem leben außerhalb Tschetscheniens noch zwei Brüder und eine Schwester der Klägerin zu 2, sodass auch von einer Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes auszugehen ist. Überdies hat auch die Klägerin zu 2 elf Klassen der Mittelschule besucht und für zwei Jahre Pädagogik studiert. Selbst wenn die Klägerin zu 2 vor der Ausreise keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und bisher keinen Beruf erlernt hat, ist es ihr zur Sicherung des Existenzminimums der Familie zumutbar, sämtliche Tätigkeiten – auch schlichte Hilfstätigkeiten – auszuüben. Dies gilt ebenso für die Kläger zu 3 und 4. Soweit die Kläger vortragen, dass der Kläger zu 1 von Männern bedroht worden sei, besteht diese Bedrohung in der Russischen Föderation nicht landesweit. Die Behauptung, dass genau diese kriminelle Organisation landesweiten Einfluss auf sämtliche staatliche Strukturen hätten, wurde nicht substantiiert dargelegt. Erst recht ist daher auszuschließen, dass die Kläger von den Männern bei einer Niederlassung in der Russischen Föderation ausfindig gemacht werden könnten. Für die Kläger besteht daher – als politisch unverdächtige Personen – eine zumutbare interne Schutzalternative im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG in anderen Teilen der Russischen Föderation (vgl. VG Gießen, U.v. 20.8.2018 – 9 K 4801/16.GI.A; vgl. VG Leipzig, U.v. 11.12.2017 – 6 K 2256/16.A; OVG Bremen; U.v. 10.7.2012 – 2 A 483/09.A; vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2010 – 11 B 07.30343; vgl. VG Stade, U.v. 21.7.2015 – 3 A 2633/13 – alle juris).
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid (§ 77 Abs. 2 VwGO) und die Ausführungen unter Punkt 2 Bezug genommen. Insbesondere droht dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde.
a) Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat wesentlich verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Darüber hinaus kann sich – trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung – das Abschiebungsverbot aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung mit einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer wesentlichen Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt jedoch nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr entspricht der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr für „diesen Ausländer“ das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten oder erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris).
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene schwerwiegende Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes gesprochen werden, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren physischen oder psychischen Schäden oder Zuständen. Dies stellt auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klar, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt. Insbesondere ist es gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation mit der der Versorgung in Deutschland vergleichbar ist (vgl. zum Ganzen auch VG Bayreuth, U.v. 25.1.2018 – B 7 K 17.31917 – juris).
b) In Anwendung dieser Kriterien lässt sich nicht feststellen, dass beim Kläger zu 1 oder der Klägerin zu 2 eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die sich im Falle ihrer Rückkehr oder Abschiebung in die Russische Föderation alsbald wesentlich verschlechtern würde.
aa) Ausweislich des zuletzt vorgelegten ärztlichen Verlaufsberichtes vom 21. März 2019 ist die Klägerin zu 2 seit Oktober 2014 im Klinikum Bamberg in ambulanter Behandlung. Sie werde dort behandelt aufgrund einer schizodepressiven Störung (ICD-10: F 25.1) sowie einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) (ICD-10: F 43.1). Die Diagnostik sei anhand der ICD10-Kriterien gestellt worden. Die psychotische Symptomatik habe erstmalig 2004 im Rahmen einer postpartal aufgetretenen Psychose bestanden. Die Klägerin zu 2 sei von 2015 bis zum 28. Juni 2018 regelmäßig medikamentös behandelt worden. Sie habe immer wieder unter unbestimmten Ängsten, Schlafstörungen, vorwiegend nächtlichen akustischen Halluzinationen und Albträumen gelitten. Sie beschreibe außerdem körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen und eine deutliche Erschöpfung und Müdigkeit. Zudem sei eine stressbedingte Alopecia areata bekannt.
Medikamentös sei die Klägerin zu 2 auf Quetiapin eingestellt worden, welches die Klinik zwischenzeitlich 2016 versucht habe abzusetzen. Im Juli 2017 habe man dieses aufgrund einer psychischen Verschlechterung mit zunehmender Anspannung, erneuten Halluzinationen und Ängsten sukzessiv wieder eingeschlichen bis auf zuletzt 200 mg zur Nacht. Darunter sei die psychotische Symptomatik ausreichend remittiert. Durchgängig habe man wegen Schlaflosigkeit, Freudlosigkeit und Antriebsmangel auch mit Mirtazapin behandelt bis zuletzt 45 mg. Da die Klägerin zu 2 nach Rückgang der Halluzinationen und Stimmungsaufhellung weiterhin über Angstsymptome geklagt habe, die auch mit Kriegserlebnissen verbunden seien, habe man zusätzlich Pregabalin als off-label-use verordnet, zuletzt 2×50 mg täglich.
Insgesamt habe sich der Zustand der Klägerin zu 2 durch die medikamentöse Behandlung deutlich verbessert. Es hätten bis zum Sommer 2018 monatliche Termine stattgefunden, gelegentlich auch 2-wöchentliche Termine bis die Klägerin zu 2 dann im August 2018 nicht mehr gekommen sei.
Am 15. März 2019 habe die Klägerin zu 2 dann erneut Kontakt zur Klinik aufgenommen. Die Tochter habe berichtet, dass es der Klägerin zu 2 zunehmend schlechter gegangen sei, da die Klägerin zu 2 die Medikamente nicht mehr eingenommen habe. Der letzte Termin habe am 18. März stattgefunden. Hier habe die Klägerin zu 2 erneut starke Kopfschmerzen beschrieben, eine ausgeprägte innere Unruhe, aber auch Antriebsmangel. Sie könne schlecht einschlafen, wache auch nachts häufiger auf, höre dann gelegentlich nachts wieder Stimmen und könne sich auch nicht freuen. Sie erschrecke sehr vor Geräuschen und leide unter regelmäßigen Albträumen.
Die Klägerin zu 2 habe in sich gekehrt gewirkt, sei wenig schwingungsfähig und habe nach außen deutlich antriebsarm und leicht verlangsamt gewirkt. Die Klinik habe erneut eine Medikation durch Quetiapin 25mg einschleichend und Mirtazapin 15mg begonnen mit dem Ziel dies wieder zu erhöhen bis zur ausreichenden Besserung der Symptome. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei wahrscheinlich, aufgrund der beschriebenen Albträume und Intrusionen aber aufgrund der bereits vorbestehenden schizoaffektiven Störung schwer abzugrenzen. Eine Retraumatisierung sei wahrscheinlich, die Klägerin zu 2 benötige zudem regelmäßige ärztliche Betreuung und Behandlung. Wiederholt sei es durch fehlende medikamentöse Behandlung in der Vorgeschichte zu einer Exazerbation der Symptomatik gekommen.
In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin zu 2 auf die Nachfrage der Einzelrichterin, warum sie ihre psychiatrische Behandlung im August 2018 zunächst abgebrochen habe, an, ihre Medikamente einzunehmen. Auf weitere Nachfrage, warum sie in der Zwischenzeit ihre Termine im Klinikum B… nicht mehr wahrgenommen habe, antwortete die Klägerin zu 2, sie sei krank gewesen. Sie habe eine Depression (vgl. S. 4 der Niederschrift). Eine Begründung dafür, ihre gerade deshalb erfolgende Behandlung zu unterbrechen, stellt das nach Ansicht das Gerichts nicht dar.
(1) Bei der Frage, ob es sich bei der diagnostizierten Gesundheitsstörung der Klägerin zu 2 um eine schwerwiegende oder lebensbedrohliche Behandlung handelt, die sich durch die Abschiebung alsbald wesentlich verschlechtern wird, ist folgendes zu berücksichtigen:
Aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art (z. B. PTBS) als Abschiebungshindernis wollte der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klarstellen, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellen (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 18). Bei einer PTBS kann eine solche schwerwiegende Erkrankung nach der Gesetzesbegründung regelmäßig nicht angenommen werden – eine Abschiebung sei hier grundsätzlich möglich, es sei denn, diese würde zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen (vgl. BT-Drs. a.a.O.).
Ein Abschiebungshindernis wegen einer PTBS oder schizoaffektiven Störung der Klägerin zu 2 könnte daher allenfalls in einem besonders gelagerten Ausnahmefall angenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 11 ZB 17.31463; SächsOVG, U.v. 20.4.2018 – 2 A 811/13.A – beide juris). Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, lässt sich den vorgelegten ärztlichen Berichten und Attesten ein derartiger Ausnahmefall aber nicht entnehmen. Soweit es darin heißt, dass eine Retraumatisierung bei Abschiebung sehr wahrscheinlich sei und die Klägerin zu 2 zudem regelmäßige ärztliche Betreuung und Behandlung benötige, wird damit nicht dargelegt, dass bei einer Beendigung der Behandlung in Deutschland und einer Rückkehr in die Russische Föderation eine wesentliche Gesundheitsgefährdung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei der Klägerin zu 2 eintreten würde. Gegen eine schwerwiegende Gesundheitsverletzung spricht auch, dass die Klägerin zu 2 nach Angaben der Klinik ihre Behandlung im Juni 2018 zunächst abbrach und erst zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung wieder dort vorstellig wurde.
(2) Auch wenn davon ausgegangen wird, dass die Klägerin zu 2 an einer PTBS oder schizoaffektiven Störung leidet, so ist diese Erkrankung in der Russischen Föderation behandelbar. Diese Behandlung ist für die Klägerin zu 2 zudem erreichbar und finanzierbar.
Seit dem 1. Januar 2011 gibt es in der Russischen Föderation ein Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Im Rahmen dieser Versicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird. Davon umfasst sind Notfallhilfe und ambulante sowie stationäre Behandlung (vgl. International Organization for Migration – Länderinformationsblatt Russische Föderation – Juni 2014 – S. 8.). Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und dazu die folgenden Dokumente vorlegen: Identifikationsdokument (bei Erwachsenen Reisepass oder vorläufiger Ausweis) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung ist kostenfrei (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 106), für die Beiträge kommt bei der nichtarbeitenden Bevölkerung der Staat auf (vgl. Handelsblatt: Gesundheitssysteme weltweit – Russland – http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gesundheitssysteme-weltweit-russland-ueberbleibsel-aus-sowjetzeiten/19579606-6.html). Wenn eine Behandlung in einer Region nicht möglich ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, in welcher die Behandlung vorgenommen werden kann, überwiesen wird (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 111 m.w.N.).
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken. Auch eine PTBS ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar, beispielsweise im Alekseevskaya hospital in Moskau oder im Republican Psychoneurological Dispenser in Grosny. Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine für PTBS spezialisierten Institutionen. Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie sind jedoch möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebenden Personen kostenlos. Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie) um PTBS zu behandeln, gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese nur in eingeschränktem Maß. Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 114 m.w.N).
Die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation wird zwar nicht dem Standard in Deutschland entsprechen, dennoch besteht auch für das Gericht kein ernstlicher Zweifel daran, dass hieraus für die Klägerin eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben entsteht. § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthG gewährt gerade keine Anspruch auf die bestmögliche medizinische Behandlung. Der Gesetzgeber stellte durch § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG vielmehr ausdrücklich klar, dass es nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik gleichwertig ist sowie dass eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch dann vorliegt, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 S. 4 AufenthG).
Die Klägerin zu 2 kann sich folglich bei einer Rückkehr nach Russland wieder um Aufnahme in die obligatorische Krankenversicherung bemühen, um Zugang zur Behandlung ihrer Erkrankungen zu erhalten. Die im letzten ärztlichen Verlaufsbericht vom 21. März 2019 angesprochenen, für die Behandlung der Klägerin zu 2 erforderlichen Medikamente sind auch in der Russischen Föderation verfügbar. Mirtazapin ist nach der Erkenntnislage des Gerichts (auch in Tschetschenien) erhältlich (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 114 m.w.N.) und auch Quetiapin kann erworben werden (vgl. https://medside.ru/kvetiapin#prices). Bereits in Deutschland trat bei der Klägerin zu 2 allein durch die medikamentöse Behandlung ausweislich des ärztlichen Verlaufsberichtes eine deutliche Verbesserung ihres Zustands ein.
Die Behandlung ist für die Klägerin zu 2 außerdem finanzierbar. Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger – sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte – für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 116). Es wurde nicht dargelegt, dass es der Klägerin zu 2 nicht möglich sein sollte, die finanziellen Mittel für den Erwerb der Medikamente aufzubringen. Dass die Klägerin zu 2 durch ihre Krankheit derart eingeschränkt ist, dass sie keinerlei Erwerbstätigkeit ausüben kann, lässt sich den vorgelegten Attesten und Arztberichten nicht entnehmen. Zudem kann sie auch ihr Ehemann, der Kläger zu 1 – wie bisher – (finanziell) unterstützen. Ferner leben weitere Familienangehörige der Klägerin zu 2, die ihr zumindest vorübergehend zur Hilfe kommen könnten, in der Russischen Föderation.
c) Die vorgelegten Atteste hinsichtlich des Klägers zu 1 datieren auf den 12. August 2015. Rückschlüsse auf den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers zu 1 lassen sich aus diesen Attesten nicht ziehen. Eine Erkrankung wurde daher nicht substantiiert dargelegt.
d) Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind auch keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht demzufolge nicht.
6. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung (Russische Föderation) im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn sie sind, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtlinge anzuerkennen, noch steht ihnen ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu. Sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
7. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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