Verwaltungsrecht

Iran, Bedrohung durch Vater wegen beabsichtigter Zwangsverheiratung der Schwester, Ungereimtheiten und Widersprüche, kein zweifelfreies und in sich stimmiges Vorbringen, Nichtwissen von Einzelheiten zu Verfolgungsschicksal, keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr für eigene Person, interne Schutzmöglichkeiten, inländische Aufenthaltsalternative, Sicherung des Existenzminimums, keine andere Beurteilung durch COVID-19-Pandemie

Aktenzeichen  W 8 K 21.30533

Datum:
11.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32503
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Halbsatz 2 VwGO § 86 Abs. 1
AsylG § 3
AsylG § 3e
AsylG § 4
AsylG § 25
AufenthG § 60

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.  

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln sowie der einschlägigen Rechtsprechung.
Das Gericht kommt aufgrund des klägerischen Vorbringens und der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass dem Kläger keine (politische) Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand oder besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht. Der Kläger konnte eine drohende Gefahr nicht glaubhaft machen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, das Vorbringen knüpfe an keine Verfolgungsgründe des § 3a AsylG an. Der Kläger habe eine begründete Furcht vor einem ernsthaften Schaden nicht glaubhaft gemacht. Es könne nicht ansatzweise nachvollzogen werden, dass der Vater die Familienmitglieder auf dem Flohmarkt in Tiflis, Georgien, zufälligerweise gefunden habe. Unverständlich sei, dass der Vater die Familienmitglieder zunächst gewaltsam eingesperrt und isoliert habe, sodann eine Europareise unternommen habe. Das Vorbringen am Flughafen in Berlin scheine asyltaktisch konstruiert. Unklar seien auch die Motive, aus denen der Vater den Kläger töten sollte. Immerhin solle im Mittelpunkt des väterlichen Interesses die Verheiratung der Schwester gestanden haben. Gründe, warum der Vater dem Kläger nach dem Leben trachten sollte, habe er weder vorgetragen, noch seien sie anderweitig ersichtlich. Die Grundversorgung im Iran sei gesichert. Aus der weltweit aufgetretenen Covid-19-Pandemie ergäben sich keine gegenteiligen Anhaltpunkte. Sollte sich der Kläger überhaupt mit dem Corona-Virus anstecken, sei angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Krankheitsverlauf mit recht hoher Wahrscheinlichkeit von einem höchst moderaten Krankheitsverlauf auszugehen. Beim Kläger handele es sich um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann.
Ergänzend ist anzumerken, dass das Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren im Ergebnis keine andere Beurteilung rechtfertigt. Er hat sein Vorbringen vielmehr im Wesentlichen auf die beim Bundesamt genannten Gründe gestützt, ohne die im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheids aufgeführten Einwände zu entkräften. Im gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die bestehenden Zweifel und Ungereimtheiten nicht ausräumen können, sondern eher noch vertieft.
Auffällig ist schon, dass der Kläger bei der Schilderung seines Verfolgungsschicksals in der mündlichen Verhandlung wiederholt ausweichend antwortete oder angab, die Fragen nicht zu verstehen sowie Einzelheiten nicht zu wissen. Auch bei seinem Vorbringen nannte er keine Details und ließ eine anschauliche Schilderung vermissen, so dass das Gericht im Ergebnis den Eindruck hat, dass sein angebliches Schicksal nicht auf einem selbst erlebten Ereignis beruht. Dies gilt etwa bei der Schilderung der Situation am Flughafen in Berlin im Zusammenhang mit der endgültigen Trennung vom Vater, wie des konkreten Ablaufs der Geschehnisse, der Örtlichkeiten, der Zeitdauer, sowie weiterer Einzelheiten, etwa zur elterlichen Wohnung im Iran, in der er über einen Monat eingesperrt gewesen sei, der Nachbarschaftsverhältnisse dort und den Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu den Nachbarn.
Unaufklärbare Widersprüche finden sich etwa in der in der mündlichen Verhandlung wiederholten Aussage des Klägers, dass zwar seine eigene Nase gebrochen gewesen sei, aber nicht die Nase der Schwester, obwohl diese selbst bei ihrer Anhörung etwas Anderes behauptet hat. Weiter gab der Kläger an, dass er nicht sicher sagen könne, in welchem Stockwerk seine bzw. die elterliche Wohnung im Iran gewesen ist, sondern vermutete den 3. Stock. Zwar räumte er ein, dass ihre Wohnung von anderen Wohnungseinheiten umgeben gewesen sei und dass laute Geräusche auch die Nachbarn mitbekommen würden. Gleichwohl konnte er nicht plausibel erklären, warum es trotz eines über einen Monat dauernden Eingesperrtseins – der Kläger sprach sogar von 35 bis 40 Tagen – ihnen nicht möglich gewesen sein sollte, in Abwesenheit des Vaters Kontakt mit den Nachbarn aufzunehmen, damit diese jemand anderen hätten verständigen können, z.B. wohlgesonnene Verwandte. Der kurze pauschale Einwand, sein Vater sei immer wieder sporadisch vorbeigekommen, vermag in der Allgemeinheit nicht zu überzeugen, zumal der Kläger auch in diesem Zusammenhang konkrete Erläuterungen unterließ. Der Kläger gab zwar an, sein Vater habe die Macht, ihn sowohl im Ausland als auch im Inland zu finden, und verwies auf die Kontakte seines Vaters mit hochrangigen Persönlichkeiten im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit in der Immobilienbrache. Der Kläger nannte aber auch dazu keine plausiblen und nachvollziehbaren Einzelheiten, geschweige denn machte er nähere Angaben zu der konkreten Position seines Vaters und zu den angeblichen Persönlichkeiten.
Weiter leuchtet dem Gericht nicht ein, wieso der Kläger eine Verfolgungsfurcht für sich hegt. Das Bundesamt hat darauf hingewiesen, dass das Interesse des Vaters vornehmlich an der Schwester liege, die zwangsverheiratet hätte werden sollen, und nicht am Kläger, zumal der Kläger zum Zeitpunkt der Trennung vom Vater noch minderjährig (knapp 18 Jahre alt) gewesen ist. Die pauschale Aussage, sein Vater könnte ihn bei der Rückkehr in den Iran als Geisel missbrauchen, um auch die Mutter und die Schwester zur Rückkehr zu zwingen, hat der Kläger nicht weiter erläutert.
Hinzu kommt, dass der Kläger trotz gerichtlicher Nachfrage nichts Aktuelles zu einer fortdauernden Gefahr seitens des Vaters zu berichten wusste. Er gab auch hier nur pauschal an, er habe von seiner Tante bzw. von seinem Onkel erfahren, dass der Vater nach ihm suche. Er habe letzteres von seiner Mutter erfahren, aber er könne nicht sagen, wann das gewesen sei. Auch insoweit beließ es der Kläger bei seinen spärlichen Angaben. Der Kläger stützt so seine Verfolgungsfurcht insgesamt nur auf Vermutungen und Spekulationen, da weitere mit Tatsachen untermauerte Angaben zu konkreten Verfolgungsmaßnahmen bzw. Drohungen gerade innerhalb der letzten zwei Jahre seit der Trennung vom Vater fehlen. Von eventuellen, auch gerade aktuellen Verfolgungsmaßnahmen bzw. Bedrohungen konkret gegen seine Person, geschweige denn Belege dafür, die er dem Gericht hätte präsentieren können, berichtete der Kläger nichts. Es erscheint lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass der Kläger – gerade in Anbetracht des laufenden gerichtlichen Verfahrens – nicht aus eigenem Antrieb weitere konkrete Erkundigungen über Informationen eingezogen hat, die auf eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehende Gefahr für ihn hindeuten. Gerade wenn jemand verfolgt wird bzw. eine Verfolgung befürchtet – und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet -, wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Verfolgungsgefahr zu besorgen und diese auch von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen. In diese Richtung ist nicht Substantiiertes vorgetragen worden, sondern nur ausweichend auf eine nicht näher eingegrenzte, länger zurückliegende Information vom Hörensagen seitens der Mutter verwiesen worden. Danach drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass überhaupt keine relevanten Verfolgungsmaßnahmen gegen die Person des Klägers im Iran erfolgt sind oder bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeiten drohen. Nach alldem bleiben gravierende und durchgreifende Zweifel am Bestehen bzw. Fortbestehen einer ernsthaften Bedrohungslage.
Aber selbst, wenn man nach dem Vorbringen des Klägers von einer gewissen Bedrohungslage für ihn durch seinen Vater ausgehen wollte, besteht nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger jedenfalls die Möglichkeit einer inländischen Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative (§ 3e AsylG, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Der Kläger muss sich auf eine zumutbare interne Schutzmöglichkeit im Iran verweisen lassen (BayVGH, U.v.29.10.2020 – 14 B 20.30408 – juris Rn. 46). Der Kläger könnte sich – allein oder zusammen mit seiner Mutter und Schwester – in einen anderen Landesteil oder eine andere Großstadt im Iran begeben. Denn im Iran besteht im ganzen Land Bewegungsfreiheit (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 2.7.2021, S. 74). Es ist nicht erkennbar, dass der Vater des Klägers, von dem die Bedrohung angeblich kam und kommt, überhaupt mitbekommen müsste, dass der Kläger in seine Heimat zurückkehrt und dass dieser ihn angesichts der Größe Irans und der Größe der dortigen Städte entdecken und gefährden könnte, wenn der Vater überhaupt ein fortbestehendes Interesse an der Person des Klägers hat. Der pauschale Einwand des Klägers in der mündlichen Verhandlung, der Vater habe die Macht, ihn sowohl im Ausland als auch im Inland zu finden, hat der Kläger – wie schon ausgeführt – nicht plausibilisieren können, zumal er ihn offenbar in den letzten zwei Jahren in Deutschland nicht hat ausfindig machen können. Abgesehen davon hat die Mutter des Klägers bei ihrer Bundesamtsanhörung am 26. Oktober 2020 (siehe deren Protokoll S. 8) ausdrücklich angegeben, sie hätten seinerzeit eine Weile in Georgien bleiben wollen, anschließend in den Iran gewollt und dort in Teheran in einer eigenen Wohnung leben und dortbleiben wollen. Die Mutter hatte sich offensichtlich mit dem Gedanken angefreundet, abseits des Vaters im Teheran leben zu können, ohne dass sie offenbar unlösbare Probleme damit verbunden sah. Ein Umzug innerhalb Irans mag zwar bei einer eventuellen Verfolgung durch staatliche Behörden fraglich sein, ist aber eine zumutbare Lösung bei eventuellen Nachstellungen von Privatpersonen, konkret des Vaters. Der Kläger könnte sich auch ein Existenzminimum an einem anderen Ort im Iran sichern, gegebenenfalls auch mittels Unterstützung insbesondere seitens seiner im Iran lebenden Verwandten bzw. seiner Schwester und Mutter, deren Asylanträge – wenn auch noch nicht bestandskräftig – ebenfalls abgelehnt worden sind (vgl. VG Würzburg, U.v. 22.3.2021 – W 8 K 20.31267 – juris; U.v. 8.3.2021 – W 8 K 20.30921 – juris; U.v. 1.2.2021 – W 8 K 20.31049 – juris; VG Ansbach, U.v. 7.12.2020 – AN 19 K 20.30605 – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 20.30408 – InfAuslR 2021, 130).
Das Bundesamt hat zu Recht ausgeführt, dass die Grundversorgung im Iran gesichert ist und sich der Kläger mit oder ohne Hilfe seiner Verwandten durch eigene Arbeit die Existenz sichern könnte, wobei aber davon auszugehen ist, dass der Kläger realistischer Weise mit seiner Schwester und seiner Mutter in den Iran zurückehrt (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 20.30408 – juris Rn. 47 und 59). Darüber hinaus gibt es Rückkehr- und Reintegrationsprojekte. Insbesondere IOM ist seit 2014 beteiligt. Auch über REAG/GARB gibt es Hilfen (vgl. dazu auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Dezember 2020, vom 5.2.2020, S. 24; IOM, Länderinformationsblatt Islamische Republik Iran 2021; BfA, Bundesamt für Asyl- und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 2.7.2021, S. 79 ff., 82 ff., 83 sowie VG Würzburg, U.v. 22.3.2021 – W 8 K 20.31267 – juris; U.v. 8.3.2021 – W 8 K 20.30921 – juris; U.v. 1.2.2021 – W 8 K 20.31049 – juris).
Der Kläger kann so bei einer freiwilligen Rückkehr sowohl zusätzlich Start- bzw. als auch Rückkehrhilfen und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen und seine finanzielle Situation verbessern, um gerade auch Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeit kann er nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückkehr, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/19 – juris).
Nach alledem hat das Gericht auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse keine Bedenken, dass der Kläger sich bei einer Rückkehr in den Iran jedenfalls das wirtschaftliche Existenzminimum sichern kann. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür ist die Sicherung der Existenz auf einem Mindestniveau, das eine Verletzung des Art. 3 EMRK vermeidet (BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris).
Ergänzend ist anzumerken – ohne dass der Kläger dies angesprochen hat -, dass eine mögliche Einberufung zum Wehrdienst und eine Verpflichtung zur Wehrdienstleistung bzw. mögliche staatliche Maßnahmen wegen Wehrdienstentziehung irrelevant wären, da jedenfalls keine Ahndung der Wehrdienstentziehung im Iran infolge der Unterdrückung politischer oder religiöser missliebiger Personen erfolgt. Vorliegend gibt es keine Erkenntnisse, dass auf Seiten des Klägers ein asylerhebliches Motiv für die Wehrdienstentziehung vorliegt oder dass eine Ahndung der Wehrdienstentziehung durch den iranischen Staat eine asylerhebliche Zielrichtung verfolgen würde. Für einen Politmalus ist nichts ersichtlich (vgl. ausführlich VG Würzburg, U.v. 19.8.2019 – W 8 K 19.30846 – juris sowie VG Berlin, B.v. 27.11.2020 – 3 L 628/20 – juris, jeweils m.w.N.).
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Nur in Einzelfällen ist es zu einer Befragung durch Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen. Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Abgesehen davon akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehr (Freizügigkeit). Nur bei unterstützter Rückkehr (also im weiteren Sinne auch Umwandlung von Abschiebung in „freiwillige“ Rückkehr durch finanzielle oder sonstige Anreize) ist eine Kooperation realistisch. Konsularkonsultationen über eine Zusammenarbeit bei der Rückführung sind noch am Laufen und insbesondere hinsichtlich der Rücknahme schwerer Straftäter spezifiziert (siehe zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Dezember 2020 vom 5.2.2021, S. 25 f.; s. zuletzt etwa OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris Rn. 74; vgl. im Übrigen VG Würzburg, U.v. 2.1.2020 – W 8 K 19.31960 – juris; U.v. 19.8.2019 – W 8 K 19.30846 – juris m.w.N. zur Rspr.).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG vorliegen, weil wie schon ausgeführt beim Kläger ein ernsthafter Schaden nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht und zudem eine inländische Aufenthaltsalternative besteht.
Des Weiteren bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ebenfalls schon zutreffend ausgeführt hat.
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich schließlich auch nicht aus der weltweiten COVID-19-Pandemie, weil nach den aktuellen Fallzahlen im Iran – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe S. 2 des Sitzungsprotokolls), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt erst recht, wenn der Kläger die vom iranischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachtet und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der iranische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfsmaßnahmen getroffen hat.
In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der Iran etwa mit Ausgangssperren, örtlichen Lockdowns, Maskenpflicht, Reiseeinschränkungen, Verbot von Feierlichkeiten und dergleichen reagiert hat. Weiter wurden Schulen und Universitäten geschlossen, Freitagsgebete sowie Kultur- und Sportveranstaltungen wurden abgesagt, Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Des Weiteren rufen die Behörden dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden bzw. bei deren Nutzung eine Gesichtsmaske zu tragen (vgl. BAMF, Briefing-Notes vom 13.9.2021, 6.9.2021, 16.8.2021, 9.8.2021, 2.8.2021, 26.7.2021, 5.7.2021, 7.6.2021, 10.5.2021, 19.4.2021, 12.4.2021, 22.3.2021, 1.3.2021, 22.2.2021, 15.2.2021, 8.2.2021, 1.2.2021, 18.1.2021, 11.1.2021, 16.11.2020, 26.10.2020, 5.10.2020, 28.9.2020, 17.8.2020, 27.7.2020, 20.7.2020, 13.7.2020 sowie Auswärtiges Amt, Iran: Reise- und Sicherheitshinweise [COVID-19-bedingte Reisewarnung] gültig seit 29.9.2021; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 2.7.2021, S. 6 und 7 ff.; Länderinformation – Iran, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, November 2020; Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020, S. 30 ff.; Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 9.6.2020, S. 2 f.).
Abgesehen davon hat der Kläger keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 im Iran – vor allem in seiner Heimatregion – darstellt, insbesondere wieviele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger SARS-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wievielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität der iranische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Falle einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, zu der auch eine eventuelle – beim Kläger nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris konkret zum Iran).
Abgesehen davon käme hinsichtlich der Corona-Pandemie ein Abschiebeverbot nur bei einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in Betracht, wenn die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Betreffenden die begründete Furcht ableiten ließe, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssten mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine Abschiebung müsste nur dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen ausgeliefert würde“, wobei sich diese Gefahren auch alsbald nach der Rückkehr realisieren würden. Dass der Kläger bei Rückkehr in den Iran eine derart extreme allgemeine Gefährdungslage ausgesetzt sein könnte, ist nicht vorgebracht und insbesondere mit Bezug auf die vorstehenden Ausführungen betreffend die Corona-Pandemie auch nicht ersichtlich (vgl. OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris Rn. 86 ff. m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.3.2021 – 14 ZB 20.31824 – juris Rn. 6 f., 20 ff.).
Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht zu beanstanden, wird insoweit auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden kann (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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