Verwaltungsrecht

kasachische Staatsangehörige, deutsche Kinder, Verlobung, beabsichtigte Eheschließung

Aktenzeichen  M 25 S 21.1261

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24875
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 3, § 28 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
II. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis.
Die Antragstellerin reiste am 20.März 2003 im Rahmen des Familiennachzugs zu ihrem deutschen Vater ins Bundesgebiet ein und erhielt am 18. August 2003 erstmalig eine Aufenthaltserlaubnis.
Am 8. Juli 2005 heiratete die Antragstellerin einen deutschen Staatsangehörigen und erhielt in Folge dessen am 11. August 2005 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Aus der Ehe gingen zwei Töchter, geboren in den Jahren 2005 und 2007, hervor, die beide die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Ehepartner lebten seit 11. Dezember 2010 getrennt. Die elterliche Sorge für die Töchter verblieb laut Beschluss des Familiengerichts Straubing vom 28. Juli 2011 bei beiden Eltern, jedoch wurde dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen. Mit Urteil des Amtsgerichts Straubing wurde die Ehe am 7. August 2013 geschieden. Seit Juli 2017 besteht kein persönlicher Kontakt zwischen der Antragstellerin und ihren Töchtern.
Seit 12. Juli 2011 war die Antragstellerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 S.1 Nr.3 AufenthG zur Ausübung der elterlichen Sorge für die deutschen Kinder. Die Aufenthaltserlaubnis wurde zuletzt bis 1. Juni 2018 verlängert.
Am 11. Juli 2018 beantragte die Antragstellerin eine erneute Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Ihr wurde daraufhin von dem Antragsgegner eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erteilt. Die Fiktionsbescheinigung wurde zweimalig, zuletzt gültig bis 25. Januar 2020, verlängert.
Nach Anhörung der Antragstellerin lehnte der Antragsgegner, mit Bescheid vom 20. Januar 2021, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1), forderte die Antragstellerin zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen auf (Ziffer 2), drohte die Abschiebung nach Kasachstan oder ein anderes Land, in das die Einreise erlaubt ist oder das zur Rückübernahme verpflichtet ist, an (Ziffer 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung für die Dauer von einem Jahr fest (Ziffer 4).
Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass keine Erteilungsgrundlage für eine Aufenthaltserlaubnis vorliege. Die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG lägen nicht vor, da die Antragstellerin seit mindestens 2017 keinerlei Kontakt mehr zu ihren Kindern habe und die Personensorge nicht ausübe. Das bloße formale Bestehen des Sorgerechts reiche für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht aus. Gelegentliche Telefonate oder Besuche könnten auch bei einem dauerhaften Aufenthalt außerhalb des Bundesgebietes erfolgen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der geplanten Heirat, sei im AufenthG nicht vorgesehen. Ein Zuwarten bis zur tatsächlichen Eheschließung scheide vorliegend aus, da das Verfahren noch erhebliche Zeit in Anspruch nehmen werde und auch aus dem Heimatland betrieben werden könne.
Mit Schreiben vom 15. Februar 2021 erhob die Antragstellerin Klage (M 25 K 21.816) gegen den streitgegenständlichen Bescheid. Mit weiterem Schreiben, datiert auf den 22. Januar 2021 und eingegangen bei Gericht am 10. März 2021, beantragte die Antragstellerin, den Bescheid vom 20. Januar 2021 mit sofortiger Wirkung, für die Dauer von drei Monaten außer Vollzug zu setzen, bzw. die aufschiebende Wirkung anzuordnen und den Antragsgegner anzuweisen, eine Fiktionsbescheinigung für die Dauer von drei Monaten auszustellen.
Zur Begründung führte sie aus, dass eine Eheschließung in 2-3 Monaten möglich sein werde und diese bereits bei dem Standesamt beantragt worden sei. Weiterhin bestehe reger telefonischer Kontakt mit den Töchtern und ein Treffen mit ihnen sei in Planung.
Mit Schreiben vom 16. März 2021 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen die Gründe aus dem streitgegenständlichen Bescheid und betonte, dass die Antragstellerin bereits im Jahr 2018 vorgebracht habe, dass sie beabsichtige zu heiraten und sich aktiv um das Sorgerecht für ihre Kinder bemühen würde. Der Antraggegner führte weiter aus, dass die Antragstellerin bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Kasachstan gelebt habe, dort die Schule besucht habe und die Landessprache spreche.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in dem Verfahren M 25 K 21.816 sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist bereits unzulässig. Soweit der Antrag der Antragstellerin als Antrag auf einstweilige Aussetzung der Abschiebung nach § 123 VwGO auszulegen ist (§ 88 VwGO), ist dieser zwar zulässig aber nicht begründet.
I) Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich einer Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis, trotz der Regelung des § 113 Abs. 5 VwGO, statthaft, falls die Versagung der Aufenthaltserlaubnis zum Erlöschen der Fiktionswirkung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG führt und ein Antragsteller auf Grund der Versagung der Aufenthaltserlaubnis vollziehbar ausreisepflichtig wird. Nur falls der Antrag auf einen Aufenthaltstitel weder eine fiktive (gesetzliche oder angeordnete) Fortgeltung noch eine fiktive Erlaubnis noch eine fiktive Duldung bewirkt, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 bis Abs. 3 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen zu erstreben (vgl. VGH BaWü, B.v. 20.9.2018 – 11 S 1973/ 18 – beckonline, Rn. 13; Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 81 Rn. 50).
Dem Antrag der Antragstellerin vom 11. Juli 2018 auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis kam keine gesetzliche Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu, da ihre Aufenthaltserlaubnis bereits am 1. Juni 2018 abgelaufen war und ihr Antrag am 11. Juli 2018 verspätet gestellt wurde. Der Antragsgegner hat die Fortgeltungswirkung der früheren Aufenthaltserlaubnis auch nicht gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG zur Vermeidung einer unbilligen Härte angeordnet.
Die der Antragstellerin am Tag der Antragstellung ausgehändigte, und später erneuerte, Fiktionsbescheinigung nennt § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als Grundlage und nicht § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG. Eine (gesetzliche) Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 AufenthG lag jedoch bei der Antragstellerin gerade nicht vor, da sie bis 1. Juni 2018 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war und dementsprechend sich nicht rechtmäßig, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, im Bundesgebiet aufgehalten hat. Da die Fiktionsbescheinigung eine rein deklaratorische Wirkung hat und aus ihr keine rechtlichen Wirkungen abgeleitet werden können, muss im Falle ihrer Unrichtigkeit auf die wahre, durch das Gesetz vermittelte Rechtslage zurückgegriffen werden (vgl. BeckOK AuslR/Kluth, 28. Ed. 1.10.2020, AufenthG § 81 Rn. 44 mit weiteren Nachweisen). Nach der durch das Gesetz vermittelten Rechtslage kam dem Antrag der Antragstellerin vom 11. Juli 2018 keine Fiktionswirkung zu.
II) Der als Antrag auf einstweilige Aussetzung der Abschiebung zu verstehende Antrag nach § 123 VwGO ist jedoch zulässig. Allerdings führt der Antrag ebenfalls nicht zum Erfolg, da die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, der durch eine Verfahrensduldung im Wege der einstweiligen Anordnung zu sichern wäre.
Ein durch eine einstweilige Aussetzung der Abschiebung zu sichernder Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Ebensowenig hat die Antragstellerin einen Anspruch auf eine Duldung nach § 60a AufenthG glaubhaft gemacht.
1. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, insbesondere nach § 28 AufenthG, liegen nicht vor.
Die Voraussetzungen der bisherigen Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG liegen nicht vor, da kein Personensorgerecht ausgeübt wird.
Eine tatsächliche Ausübung des Personensorgerechts setzt voraus, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt. Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2020 – 10 C 19.2036).
Die Antragstellerin hat seit 2017 keinen persönlichen Kontakt mit ihren Kindern. Soweit sie nun vorträgt, dass reger telefonischer Kontakt mit den Töchtern besteht und ein persönliches Treffen in Planung sei, reicht dies nicht aus, um ein gelebtes Eltern-KindVerhältnis anzunehmen. Das Bestehen einer reinen Begegnungsgemeinschaft ist für § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht ausreichend.
Auch die Vorrausetzungen für eine Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Grund liegen nicht vor. Da die Antragstellerin nicht mit ihrem jetzigen Lebenspartner verheiratet ist, kommt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht in Betracht. Dies gilt selbst unter der Annahme, dass eine Verlobung bereits stattgefunden hat. Die Eingehung eines Verlöbnisses begründet keine Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 27 ff. AufenthG. Nach den gesetzlichen Vorschriften hat ein Ausländer nur einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet, wenn er Ehegatte eines Deutschen oder eines Ausländers mit einem bestimmten Aufenthaltstitel (§ 28 Abs. 1 Satz 1, § 29, § 30 Abs. 1 AufenthG) ist. Dem Verlobten wird durch diese Vorschriften kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Aufrechterhaltung einer Lebensgemeinschaft eingeräumt. Die bloße Absicht, die Ehe zu schließen, reicht, selbst wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht, für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach diesen Bestimmungen nicht aus (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 22.7.2014 – 10 ZB 14.621, BeckRS 2014, 54440 m. w. N.). Die beabsichtigte Eheschließung und die mögliche Verlobung, erfordern auch nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 AufenthG. Die Eheschließung kann aus dem Ausland vorbereitet werden und die Eheschließung kann im Rahmen eines Besuchsvisums erfolgen (Bergmann/Dienelt/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 7 Rn. 36).
Andere Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Da die Klägerin nicht arbeitet oder eine konkrete Arbeitsstelle in Aussicht hat, scheiden Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 18 ff. AufenthG aus.
2. Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf eine Duldung nach § 60a AufenthG glaubhaft gemacht, da ihre Abschiebung nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.
Eine rechtliche Unmöglichkeit ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. Eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft besteht nicht (s.o.) und bisher ist die Eheschließung nicht absehbar. Einen unmittelbar bevorstehenden Termin für die Heirat hat die Antragstellerin weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Das Schreiben des Standesamt Altötting vom 21. Februar 2021 informiert nur über die für die Anmeldung der Eheschließung vorzulegenden Unterlagen und zeigt dementsprechend, dass die Eheschließung bisher noch nicht angemeldet wurde. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bereits seit dem Jahr 2018 die Eheschließung beabsichtigt.
Eine Abschiebung ist auch nicht aus gesundheitlichen Gründen unmöglich. Weder die von der Antragstellerin zuletzt vorgebrachten depressiven Episoden noch andere gesundheitliche Gründen wurden durch qualifizierte ärztliche Bescheinigungen belegt (§ 60a Abs. 2c AufenthG).
Andere Gründe für eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antragstellerin ist eine Rückkehr nach Kasachstan auch zumutbar, da sie dort aufgewachsen ist und die Landessprache spricht.
III) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
IV) Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.


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