Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot bei HIV-Infektion, Diabetes und Bluthochdruck

Aktenzeichen  M 12 K 16.30568

Datum:
24.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 60 Abs. 7 S. 1
AufenthG AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die HIV-Infektion sowie der Ausschluss aus einem Sparverein einer Äthiopierin in ihrem Heimatland sind keine Verfolgungshandlungen oder Verfolgungsgründe nach dem AsylG.   (redaktioneller Leitsatz)
Die politische Betätigung des vor 17 Jahren verstorbenen Ehemannes begründet keine Verfolgung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte über die Verwaltungsstreitsache entscheiden, obwohl außer der Klägerin kein Beteiligter zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Parteien wurden ordnungsgemäß geladen (Bundesamt am 6.5.2016; die Prozessbevollmächtigte am 9.5.2016) und darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entscheiden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 3. März 2016 in den Nr. 1, 3, 4, 5 und 6 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzstatus oder eines nationales Abschiebungsverbotes hat und ob das Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtmäßig befristet wurde (Antrag der Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom …3.2016).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG. Zudem liegen bei der Klägerin keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder die für die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch die Befristung des Einreise- und Abschiebungsverbotes gem. § 11 AufenthG ist rechtmäßig.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG. Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen und § 3b AsylG die Verfolgungsgründe. § 3a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr.1 i. V. m. den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs.1 und Abs.2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss. Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr von Verfolgungsgründen gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab).
Das Gericht muss – für einen Erfolg des Antrags – die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründenden Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Urt. vom 16.04.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäßsetzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, Urt. vom 08.05.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz a. a. O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist bei der Klägerin keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG festzustellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin vor ihrer Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Die Klägerin hat schon keine Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe geltend gemacht, § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG.
Der Vortrag, dass sich der (vor 17 Jahren verstorbene) Ehemann der Klägerin politisch betätigt hat, begründet keine Verfolgung der Klägerin. Zum einen ist Sippenhaft kein Instrumentarium staatlichen Handelns in Äthiopien (BayVGH, B.v.17.12.2004 – 9 ZB 04.30483; OVG Brandenburg, U.v.14.4.2005 – 4 A 783/01.A; beide juris). Zum anderen ist unglaubhaft, dass zur Klägerin seit dem Tod ihres Mannes im Jahr 1998 oder 1999 (vgl. ihre Aussage in der mündlichen Verhandlung) bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2013, also 14 oder 15 Jahre lang, mehrmals die Woche „nachts bewaffnete Regierungsleuten gekommen sind“ (vgl. Ausführungen der Prozessbevollmächtigten in der Klagebegründung, Seite 2). Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass Regierungsleute jahrzehntelang in einem Haus nach irgendwelchen Unterlagen suchen und die Klägerin zur Herausgabe derer auffordern. Widersprüchlich sind auch die Aussagen der Klägerin zu den Umständen dieser Besuche. Beim Bundesamt trug sie vor, die Leute hätten nach Papieren und Informationen über den Ehemann gefragt (Niederschrift, Seite 5 unten). In der mündlichen Verhandlung trug sie dagegen vor, sie habe sich immer während der Besuche im Versteck im Haus versteckt (Niederschrift, Seite 2 unten). Entweder ist die Klägerin befragt worden oder sie hat sich versteckt; beides ist nicht miteinander vereinbar, so dass die Aussagen widersprüchlich und unglaubhaft sind. Darüber hinaus fehlt es bei den behaupteten Befragungen oder Durchsuchungen zum einen an einer „schwerwiegenden Verfolgungshandlung“ gem. § 3a Abs.1 Nr.1 AsylG, zum anderen waren die Belästigungen und Durchsuchungen für die Ausreise auch nach eigener Aussage der Klägerin nicht kausal (§ 3a Abs.3 AsylG).
Die Klägerin hat zum Grund ihrer Ausreise vorgetragen, sie habe wegen der HIV-Infektion keine Kunden mehr in ihren Läden gehabt, habe kein „soziales“ Leben mehr gehabt und habe kein Problem für ihre Kinder sein wollen (Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Seite 3 Mitte). Außerdem sei sie aus dem Sparverein ausgeschlossen worden (Niederschrift beim Bundesamt, Seite 6). Dabei handelt es sich nicht um Verfolgungshandlungen oder Verfolgungsgründe gem. § 3 ff. AsylG, so dass sich daraus kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG ergibt.
Insgesamt ist der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt entweder asylrechtlich irrelevant, widersprüchlich oder unglaubwürdig, so dass das Gericht nicht davon ausgeht, dass er sich tatsächlich ereignet hat. Er wirkt konstruiert und ausgedacht, um ihre Ausreise aus Äthiopien zu rechtfertigen.
Die Klägerin hat auch nach derzeitigem Sachstand keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten der Klägerin ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – auch nach den Angaben der Klägerin – nicht ersichtlich, dass ihr bei einer Rückkehr nach Äthiopien Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG; § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) drohen könnte. Der Vortrag der Klägerin, sie sei verfolgt aus Äthiopien ausgereist, ist unglaubhaft (siehe oben). Das Gericht geht deshalb nicht davon aus, dass sich der geschilderte Sachverhalt ereignet hat.
Die Klägerin hat offensichtlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 AufenthG.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 11. März 2016.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. Schwere Krankheiten sind in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in extremen Fällen von Lebensgefahr als obligatorische Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im allgemeinen nur anerkannt worden, wenn ein erkrankter Ausländer im Zielstaat die erforderliche medizinische Behandlung nicht erlangen kann, sei es, weil die notwendige Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringen Standards generell nicht verfügbar ist, sei es, weil diese Behandlung zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer aber individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht. Für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist erforderlich, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach Rückkehr des Ausländers droht (BayVGH, B.v. 27.4.2016 – 10 CS 16.485, 10 C 16.486 – juris).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der mit Attest des Medizinischen Versorgungszentrums … vom 17. Mai 2016 festgestellten Erkrankungen. Die darin enthaltenen diagnostizierten Erkrankungen – HIV-Infektion CDC 2B, Diabetes mellitus Typ 2 und arterielle Hypertonie – sind sämtlich in
Äthiopien behandelbar. Aus den Befunden ergibt sich auch nicht, dass sich die gesundheitliche Situation der Klägerin durch die Abschiebung gravierend verschlechtert.
Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 4. März 2015 (im Folgenden: Lagebericht), gibt es in Äthiopien weder eine kostenlose medizinische Grundversorgung noch beitragsabhängige Leistungen. Die Behandlung akuter Erkrankungen ist durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Chronische Erkrankungen wie Diabetes, Schwäche des Immunsystems etc. können mit der Einschränkung behandelt werden, dass bestimmte Medikamente ggf. nicht verfügbar sind. Bei bestimmten Medikamenten kann es gelegentlich zu Versorgungsengpässen kommen. Generell ist die medizinische Versorgung auf dem Land schlechter als in städtischen Ballungszentren (Lagebericht, IV.1.2). Antiretrovirale Medikamente wurden 2001 in die nationale Liste der essentiellen Medikamente aufgenommen. Zumindest in Addis Abeba ist eine Versorgung mit diesen Medikamenten jederzeit gewährleistet (Stellungnahme der deutschen Botschaft in Addis Abeba an das VG München v. 7.6.2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Informationen zum Gesundheitswesen, 10.3.2008, 5.4). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe geht in der von der Klägerbevollmächtigten vorgelegten Auskunft (unter 2.) davon aus, dass sich die Situation in den letzten Jahren dank dem „Multisectoral Plan of Action for Universal Access to HIV Prevention, Treatment, Care und Support in Ethiopia 2007-2010“, woran sich unter dem äthiopischen Gesundheitsministerium verschiedenste Akteure, nationale und internationale Organisationen, beteiligen, deutlich verbessert hat. Die kostenfreie antiretrovirale Therapie (ART) wurde im Januar 2005 lanciert, die Gesundheitseinrichtungen begannen mit der Verteilung im März 2005. Es wurden 260 ART-Verteilungszentren geschaffen. Bis Januar 2007 begannen über 67.000 Patienten mit einer ART-behandlung, das Ziel wären aber 100.000 gewesen. Die Verfügbarkeit von Basismedikamenten hat sich in den letzten Jahren deshalb deutlich verbessert (VG Kassel, U.v. 17.6.2014 – 1 K 1357/13.KS.A).
Zu berücksichtigen ist vorliegend, dass die Klägerin in Äthiopien bereits seit acht oder neun Jahren HIV-infiziert war und deswegen nach eigenen Angaben im Krankenhaus von … in ärztlicher Behandlung gewesen ist. Sie hat Medikamente bekommen, Blutuntersuchungen und regelmäßige Kontrollen durchgeführt (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 3). Im Laufe der acht oder neun Jahre ist es „mehrere Male“ so gewesen, dass die Medikamente nicht vorrätig waren und sie darauf warten musste. Zumindest in Addis Abeba ist aber die Versorgung mit anti-retroviralen Medikamenten grundsätzlich gewährleistet, so dass es der Klägerin zuzumuten ist, sie dort zu besorgen.
Die (medikamentöse) Behandlung der Diabetes- und Hochdruckerkrankung ist zumindest in Addis Abeba möglich, wo die Versorgung im Gesundheitssektor zufriedenstellend ist. Zum Beispiel bietet das Hospital G. University College mit 350 Betten medizinische Versorgung und Behandlung für etwa 3,5 Millionen Äthiopier (Schweizerische Flüchtlingshilfe v.10.3.2006, 3.). Die Klägerin wird also zumindest in Addis Abeba einen hinreichend kundigen Arzt finden und dort auch die erforderlichen Medikamente zur Behandlung der Erkrankung grundsätzlich erhalten können (VG München, U.v.21.12.2007 – M 12 K 06.50711 – juris).
Eine adäquate Behandlung der Klägerin scheitert vorliegend nicht an den dafür erforderlichen finanziellen Mitteln. Die Klägerin selbst hat ausgeführt, in Äthiopien in wirtschaftlich sehr guten Verhältnissen gelebt zu haben und bei der Ausreise einen Teil ihres Vermögens in ihre Schwester für die fünf Kinder der Klägerin weitergegeben zu haben. In der mündlichen Verhandlung trug die Klägerin vor, die Kinder hätten von dem Geld einen Beförderungswagen gekauft, mit dem sie Geld verdienen. Es ist der Klägerin daher zuzumuten, sich bei Rückkehr an ihre Kinder zu wenden und von dort Hilfe für ihre medizinische Betreuung zu verlangen. Darüber hinaus ist der Klägerin zuzumuten, sich im Heimatland eine einfache Beschäftigung zu suchen oder wieder ein Geschäft zu betreiben, wie sie es zuvor erfolgreich getan hat. Für die Übergangszeit kann sich die Klägerin einen Vorrat an benötigten Medikamenten mitnehmen und solche auch in Äthiopien aus den Rückkehrhilfen, die sie in Höhe von 500 € erhält (Bl. 76 ff. BA), erwerben.
Die Klägerin kann keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie bei ihrer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Im Jahr 2013 waren ca. 2,7 Millionen Äthiopier auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen (Lagebericht, IV.1. 1.1.). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 16. 5. 2011, IV.1.1). Es sind keine Fälle bekannt, dass zurückgekehrte Äthiopier (56 Äthiopier sind aufgrund eines Rückführungsabkommens mit Norwegen freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt) Benachteiligungen oder gar Festnahme oder Misshandlung ausgesetzt gewesen wären (Lagebericht, IV. 2.).
Es ist für die Klägerin sicher nicht leicht, in Äthiopien wieder Fuß zu fassen. Die Klägerin hat in Äthiopien acht Jahre lang die Schule besucht und bis zu ihrem … Lebensjahr erfolgreich zwei Geschäfte geführt. Im Bundesgebiet wird sie etwas Deutsch lernen können, so dass ihr als Rückkehrerin ein Neustart in einem einfachen Beruf gelingen kann (vgl. oben). Im Übrigen ist ihr zuzumuten, insb. anfangs, sich an ihre fünf Kinder wegen Unterstützung zu wenden.
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigte anerkannt.
Soweit sich die Klägerin mit ihrer Klage gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate wendet, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei innerhalb der von § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG aufgezeigten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist von der Klägerin weder vorgetragen noch ersichtlich. Die in der Mitte des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgezeigten Rahmens vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.


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