Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot betreffend Georgien aus gesundheitlichen Gründen (hier: Diabetes mellitus I bei fünfjährigem Kind)

Aktenzeichen  AN 4 S 16.30541

Datum:
25.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7
GG GG Art. 6

 

Leitsatz

Diabetes mellitus I bei einem fünfjährigen Kind ist in Georgien unter Inanspruchnahme des öffentlichen Gesundheitssystems behandelbar, sodass eine konkrete Gefahr der Verschlimmerung einer lebensbedrohenden Erkrankung durch eine Abschiebung im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nicht festgestellt werden kann. (red. LS Clemens Kurzidem)
Ein sich aus der Wahrung der Familieneinheit aus Art. 6 GG ergebendes Abschiebungshindernis ist inlandsbezogen und unterliegt nicht der Prüfung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, sondern der zuständigen Ausländerbehörde. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen den Bescheid des BAMF vom 24. März 2016 werden abgelehnt.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Prozesskostenhilfeanträge für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO werden abgelehnt.

Gründe

I.
Die 1982 geborene Antragstellerin und der 2011 geborene Antragsteller sind georgische Staatsangehörige. Sie reisten nach ihren Angaben am 5. August 2015 zusammen mit dem Vater des Antragstellers in die Bundesrepublik Deutschland ein; dieser gab in seinem Asylverfahren an, über Ungarn in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Die Antragsteller stellten am 2. November 2015 Asylanträge.
Die Antragstellerin gab bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 2. Februar 2016 an, Pharmazeuten zu sein und bis 2012 in einem Zentrum für Hausmedizin tätig gewesen zu sein. Zu ihren Asylgründen gab sie an, wegen ihres Sohnes, des Antragstellers, der Diabetes habe, hier zu sein. Er sei im August 2013 plötzlich krank und ohnmächtig geworden. Seine Zuckerwerte seien sehr hoch gewesen, so dass die Ärzte ihn im örtlichen Krankenhaus sofort Insulinspritzen verabreicht hätten, ohne die er gestorben wäre. Im Krankenhaus in …, in die der Antragsteller in der Folge gebracht worden sei, sei er mit zwei verschiedenen Insulinarten behandelt worden. Nach der Entlassung habe die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte ihren Sohn mit Insulinspritzen weiter behandelt. Ihm sei es trotzdem nicht gut gegangen und seine Zuckerwerte haben stark geschwankt. Sie seien alle drei Monate zum Arzt gegangen. Es seien nur Medikamente verschrieben worden, das Kind sei aber nicht sorgfältig, sondern nur sehr oberflächlich untersucht worden. Sie hätten lange überlegt; da sie nur das Beste für ihr Kind gewollt haben, seien sie nach Deutschland gegangen. In Deutschland hätten sie die Ärzte gefragt, ob sie sich der Lage ihres Kindes bewusst seien. Durch die vielen Spritzen sei er so krank gewesen, dass man ihm beinahe die Glieder hätte importieren müssen. Aktuell werde das Kind mit Protaphan und Novorapid behandelt. Es gehe ihm besser, nachts sänken die Zuckerwerte jedoch so extrem ab, dass er fast ohnmächtig werde. Sie messe stündlich die Zuckerwerte, wie der Arzt dies wünsche. In Georgien hätten sie drei verschiedene Ärzte aufgesucht, es habe aber keiner helfen können. Das Kind sei noch so klein, dass man die Zuckerwerte durch Spritzen nicht konstant halten könne. Es werde überlegt, eine Insulinpumpe einzusetzen.
Ärztliche Unterlagen zur Behandlung in Deutschland und in Georgien wurden vorgelegt. Nach einem Dokument der Poliklinik … vom 16. Juli 2015 leide der Antragsteller an Diabetes Mellitus I und sei mit Insulatard, Actrapid und Novorapid behandelt worden. Nach einem ärztlichen Bericht des Klinikums … vom 12. August 2015 verbrachte der Antragsteller drei Tage stationär in der Klinik wegen eines Entgleisens einer Diabeteserkrankung. Der Antragsteller sei ohne Änderungen der Medikation wieder entlassen worden. Ein weiterer dreitägiger stationärer Aufenthalt erfolgte Ende Oktober 2015. Die Antragsteller werde nach einem ärztlichen Bericht des Klinikums … vom 21. Oktober 2010 mit Novorapid und Protaphane therapiert. Die Eltern erhielten diabetesspezifische Schulungen mittels Dolmetscher. Die Notwendigkeit von Schulungen im Umfang von mindestens 20 Zeitstunden wurde mit ärztlicher Bescheinigung vom 20. September 2015 dargelegt. Nach einem weiteren Bericht vom 10. Dezember 2015 seien die Blutzuckerwerte des Antragstellers weiterhin sehr stark schwankend und sei eine wöchentliche Einbestellung des Antragstellers notwendig. Nach einem ärztlichen Schreiben vom 31. Januar 2016 könne eine erforderliche Therapie mittels einer Insulinpumpe im Falle eines langfristigen Aufenthalts in Deutschland erfolgen.
Der Vater des Antragstellers hatte in seinem Asylverfahren vorgetragen, dass die Familie die Medikamente in Georgien einmal im Quartal kostenlos erhalten habe, sie aber nur für vier Wochen gereicht hätten. Die restlichen acht Wochen bis zum nächsten Quartal habe man selbst finanzieren müssen. Er habe sich die Medikamente leisten können. Sie haben 200 Lari gekostet. Seine Verwandtschaft habe ihm geholfen.
Mit Bescheid vom 24. März 2016 lehnte das BAMF die Anträge der Antragsteller auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab, lehnte den Antrag auf subsidiären Schutz ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen, forderte die Antragsteller unter Androhung der Abschiebung – primär – nach Georgien zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Bescheid wurde den Antragstellern – nach einem erfolglosen Bekanntgabeversuch – letztlich am 7. Mai 2016 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
Mit beim Verwaltungsgericht Ansbach am 17. Mai 2016 eingegangenem Schriftsatz erhoben die Antragsteller durch ihre Bevollmächtigte Klage und beantragten gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des BAMF vom 24. März 2016 anzuordnen.
Weiter beantragten die Antragsteller
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten.
Unter Vorlage eines ärztlichen Attestes vom 13. Mai 2016 wurde zur Begründung vorgetragen, dass die erforderliche spezielle Therapie in Georgien nicht möglich sei. Das in Georgien verfügbare Schweineinsulin vertrage der Antragsteller nicht; es löse beim ihm unter anderem Unverträglichkeitsreaktionen wie Schwellungen aus.
Der Asylantrag des Vaters des Antragstellers wurde ebenfalls mit Bescheid vom 24. März 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Mit Beschluss vom 12. Mai 2016 lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ab.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des BAMF vom 24. März 2016 ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, jedoch unbegründet und deshalb abzulehnen.
Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist nicht der Fall.
Die Antragsteller haben Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG nicht im Ansatz geltend gemacht. Einer Asylanerkennung steht gemäß § 26 a AsylG außerdem die Einreise über einen sicheren Drittstaat entgegen. Die Antragsteller stützen sich allein auf die Krankheit des Antragstellers.
Insoweit hat sich das BAMF in seinem Bescheid vom 24. März 2016 ausführlich und zutreffend mit der Erkrankung des Antragsstellers und den Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland auseinandergesetzt. Auf diese Ausführungen, denen das Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht folgt und denen auch die Antragstellerseite substantiiert nichts entgegen gesetzt hat, wird gem. § 78 Abs. 2 AsylG verwiesen.
Der Antragsteller wurde bereits in Georgien medizinisch und medikamentös adäquat versorgt. Dass die von ihm benötigte Insulinmedikation bzw. -Versorgung in Georgien nicht erhältlich ist bzw. er die in Georgien allein erhältlichen Medikamente nicht verträgt, kann nach den Erkenntnissen über das Gesundheitswesen in Georgien, die im Bescheid des BAMF ausführlich und korrekt dargelegt sind, in Zusammenschau mit den vorgelegten zahlreichen ärztlichen Unterlagen zur Erkrankung des Antragstellers nicht angenommen werden. Unverträglichkeiten ergeben sich aus den ärztlichen Unterlagen nicht. Worauf die Umstellung auf ein anderes Insulinpräparat beruht, ergibt sich daraus nicht. Dass dieses Medikament bei Bedarf in Georgien nicht erhältlich wäre oder eine Versorgung mit einer Insulinpumpe in Georgien nicht möglich ist, ist nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Nach der Erkenntnislage zu Georgien sind dort vielmehr alle Medikamente im Original und als Generikum grundsätzlich erhältlich und ist die medizinische Versorgung überall gewährleistet und in der Regel kostenlos. Auch in Deutschland gerät der Antragsteller trotz intensiver medizinischer Betreuung, Schulung der Eltern und offensichtlich sehr verantwortungsbewusster Betreuung durch die Antragstellerin offensichtlich altersbedingt immer wieder in Unter- und Überzuckerungen, die stationäre Aufenthalte nötig machen. Dass derartige, offensichtlich nicht vollständig abstellbare Entgleisungen in Georgien nicht adäquat behandelt würden, ist angesichts der Darstellungen der Eltern zur früheren Behandlung dort, nicht anzunehmen. Dass sich die Erkrankung in Heimatland im Sinne einer Lebensbedrohung oder gravierenden Gesundheitsbeeinträchtigung bei einer Abschiebung verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufehnthG), ist nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis des Antragstellers nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen somit nicht vor.
Damit besteht auch für die Antragstellerin keinesfalls ein Abschiebungshindernis. Für ihr eigenes Asylverfahren hätte sich ein festgestelltes Abschiebungshindernis beim Sohn nach § 60 Abs. 7 AufenthG rechtlich auch nicht unmittelbar ausgewirkt. Ein sich gegebenenfalls aus Art. 6 GG ergebendes Abschiebungshindernis wäre als inlandsbezogenes und nicht als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis anzusehen (vgl. BVerwG, U. v. 21.9.1999, 9 C 12.99, BVerwGE 109, 305 ff, BVerwG, B. v. 10.10.2012, 10 B 39/12 – juris) und kann damit im Rahmen der Asylentscheidung des BAMF, das nur für die Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zuständig ist, keine Berücksichtigung finden. Die Zuständigkeit für die Feststellung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen liegt allein bei der Ausländerbehörde.
Die Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft und der Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet, die Versagung von Abschiebungshindernissen und der Erlass der sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) begegnen somit keinen rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
Nachdem der Antrag aus den dargestellten Gründe abzulehnen ist, bleibt auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten für das Antragsverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO i. V. m. § 166 VwGO erfolglos. Zudem haben die Antragsteller die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bislang nicht vorgelegt.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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