Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot für Kind einer georgischen Staatsangehörigen mit komplexem Fehlbildungssyndrom

Aktenzeichen  AN 4 K 16.31130

Datum:
25.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Eine von einer Erkrankung ausgehende “latente Gefahr” reicht nicht aus, ein Abschiebungsverbot iSv § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu begründen. Insoweit fehlt es bereits an der erheblichen und konkreten Gefahrensituation, deren Verwirklichung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Georgien ist die medizinische Versorgung durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung kostenlos gewährleistet. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässigen, insbesondere fristgerecht erhobenen Klagen sind unbegründet, weil die Kläger keinen Anspruch auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1
AufenthG haben. Auch die in Ziffer 5) und 6) getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 22. Juli 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Der schriftsätzlich gestellte und in der mündlichen Verhandlung wiederholte Klageantrag wird hinsichtlich seiner Zielsetzung im obigen Sinne ausgelegt. Es geht den Klägern – ausgehend von der missverständlichen Antragstellung unter Bezugnahme auf § 60 AufenthG – darum (§ 88 VwGO), neben der Asylanerkennung gemäß Art. 16a GG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. hilfsweise die Gewährung des subsidiären Schutzstatus sowie weiter hilfsweise die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu erreichen.
Inhaltlich wurde jedoch ausschließlich auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person des minderjährigen Klägers zu 2) eingegangen, weshalb an dieser Stelle unter Bezugnahme auf den Bundesamtsbescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen wird, was die ablehnenden Feststellungen zu Art. 16a GG, §§ 3,4 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG angeht.
Hinsichtlich des Verlaufs und Ergebnisses der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 2017 (§ 77 Abs. 1 AsylG) sei betreffend das Vorliegen eines in der Person des Klägers zu 2) begründeten Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG nur noch wie folgt ergänzt:
Das von den Klägern insoweit geltend gemachte (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass für den Ausländer im Abschiebezielstaat („dort“) eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.
Es muss sich um eine einzelfallbezogene („für den Ausländer“), erhebliche und konkrete Gefahrensituation handeln, deren Verwirklichung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, München 2016, Rn.123).
Bezogen auf die im vorliegenden Verfahren behauptete Gefahr der krankheitsbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers zu 2) bei Abschiebung nach Georgien sind zudem die gesetzlichen Vorgaben in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG zu beachten. Demnach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 2). Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3). Gemäß Satz 4 liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Der klägerische Vortrag begründet nach Auffassung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
Das Gericht bezieht sich dabei zunächst auf die Feststellungen von Frau Dr. med. …, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, vom 9. März 2016, wonach es sich beim Kläger zu 2) um ein Kind handele, welches in der 30. Schwangerschaftswoche mit einem unklaren Dysmorphiesyndrom und einem Herzfehler namens Fallot´scher Tetralogie zur Welt gekommen sei. Der Herzfehler sei durch zwei operative Eingriffe am 19. Mai und am 2. Juni 2015 in Deutschland erfolgreich korrigiert worden. Demnach habe der Kläger zu 2) keine kardialen Probleme und sei altersentsprechend belastbar. Es seien derzeit keine weiteren operativen Eingriffe oder Medikamente notwendig. Der Kläger zu 2) sei nicht gefährdeter als andere Kinder seines Alters. Auf Grund einer Fütterungs- und Schluckstörung unklarer Genese mit Neigung zu Erbrechen müsse der Kläger zu 2) über eine Magensonde ernährt werden. Die Schluckstörung sei wahrscheinlich durch das angeborene Syndrom bedingt. Dadurch gedeihe der Kläger zu 2) langsamer als andere Kinder seines Alters und erhalte Logopädie, um die Sondenernährung zu reduzieren und das Trinken der Flasche und das Füttern mit dem Löffel zu erlernen. Der Kläger zu 2) nehme jedoch zu, wenn er über die Magensonde ernährt werde. Er brauche eine hochkalorische Frühgeborenennahrung. Wenn es eine solche Nahrung und Magensonden im Herkunftsland gebe, sei er nicht gefährdet. Falls die Ernährung über die Magensonde schwierig werden solle, könne man ihm eine sogenannte PEG-Sonde direkt in den Magen legen. Dabei handele es sich um einen kleinen Eingriff unter Kurznarkose. Derzeit werde jedoch davon abgesehen, da er dann eventuell das Essen nicht mehr richtig erlernen würde. Auf Grund der Frühgeburtlichkeit des Klägers zu 2) und seines unklaren Syndroms zeige er eine Retardierung im Bereich der motorischen Entwicklung. Insoweit erhalte er zur Förderung Physiotherapie, diese Therapie sei jedoch nicht lebensnotwendig. Das einzige Medikament, das der Kläger zu 2) erhalte, sei täglich eine Tablette des Medikaments Zymafluor 500 IE.
Die von den Klägern nunmehr im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Atteste sind nicht geeignet, diese Feststellungen zu widerlegen und ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person des Klägers zu 2) zu begründen.
Denn aus dem in der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 2017 übergebenen Arztbericht des Universitätsklinikums …, Kinder- und Jugendklinik, Sozialpädiatrisches Zentrum, Professor … und Dr. med. …, vom 16. Mai 2017, ergibt sich – entsprechend der Fachrichtung „Sozialpädiatrie“ – lediglich, dass bei dem Kind ein „komplexes Fehlbildungssyndrom“ vorliege, welches sozialrechtlichen Beratungsbedarf bei der Klägerin zu 1) im Hinblick auf einen speziellen Kindergarten für den Kläger zu 2) ausgelöst habe und sinnesspezifische Fördermaßnahmen erfordere. Eine etwaige Lebensgefahr bei Rückkehr nach Georgien ist damit in keiner Weise dargelegt worden.
Auch das aktuellere Attest vom 6. Juli 2017 (von derselben Stelle) belegt nicht – hinreichend konkret und substantiiert – die für § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche Gesundheitsgefahr bei Abschiebung des Klägers zu 2) nach Georgien. Denn letztlich wird darin nur pauschal und im Widerspruch zu der ausführlichen und nachvollziehbaren Attestierung von Frau Dr. … behauptet, dass weitere Operationen am Herzen „unausweichlich“ seien. Eine regelmäßige kinderkardiologische Betreuung des Jungen sei „zwingend indiziert“. Auf welchen medizinischen Tatsachen diese Indikation beruht, wird nicht einmal ansatzweise dargelegt.
Zudem hat die Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass die behauptete angeborene Herzerkrankung in Deutschland operativ behandelt worden und daher derzeit nicht akut sei. Die von der Klägerin zu 1) beschriebene „latente Gefahr“, welche für den Kläger zu 2) aufgrund seiner Herzerkrankung bestehe, reicht jedoch nicht aus, ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Insoweit fehlt es bereits an der erheblichen und konkreten Gefahrensituation, deren Verwirklichung mit beachtlicherWahrscheinlichkeit zu erwarten ist (s.o.).
Die Einlassung der Klägerin zu 1), das vom Bundesamt ermittelte Krankenhaus in Tiflis, wo die von Frau Dr. … beschriebene Behandlung zur Ernährung des Klägers zu 2) erlangt werden könnte, habe keinen guten Ruf, vermag nicht zu überzeugen. Die Klägerin zu 1) hat insoweit selbst angegeben, zu dieser Einschätzung aufgrund von Interneteinträgen gelangt zu sein. Hinzu kommt, dass kein dem deutschen medizinischen Standard vergleichbarer Standard im Rahmen von § 60 Abs. 7 AufenthG verlangt werden kann, vgl. Satz 3.
Dass die Behandlung für die Klägerin zu 1) und den Vater des Klägers zu 2) etwa nicht finanzierbar wäre, erscheint nach Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft. Die Klägerin zu 1) ist gelernte Krankenschwester und hat in diesem Beruf bereits – zumindest im Rahmen von Praktika – gearbeitet. Die Behauptung, ohne entsprechende Beziehungen könne man in Georgien keine Arbeit finden, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, zumal die Klägerin zu 1) einen qualifizierten und nachgefragten Beruf erlernt hat. Darauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidungserheblich an.
Denn maßgeblich ist, dass nach dem aktuellen Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 10. November 2016 (Gz.: 508-9-516.80/3GEO), IV. 2., dem das Gericht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat, die medizinische Versorgung durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung kostenlos gewährleistet ist.
Nach alledem waren die Klagen daher abzuweisen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben