Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot wegen unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten von Roma in Serbien

Aktenzeichen  M 17 K 17.33822

Datum:
21.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 84 Abs. 1
AsylG AsylG § 71 Abs. 1 S. 1
VwVfG VwVfG § 51
ZPO ZPO § 580
AufenthG AufenthG § 59 Abs. 3 S. 1, § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1
GG GG Art. 6

 

Leitsatz

1 Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands, die zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot führen kann, ist nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW BeckRS 2005, 22579). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen aufgrund eines etwaigen Familienverbands (Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) ist kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot iSv § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, sondern ein von der örtlich zuständigen Ausländerbehörde im Rahmen von § 60a AufenthG zu prüfendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (NdsOVG BeckRS 2010, 50644; OVG Bln-Bbg BeckRS 2013, 50566). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet (s. Schreiben v. 25.02.2016).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrages nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
2. Hier hat die Beklagte zu Recht die erneute Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt, da die Kläger die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 AufenthG nicht glaubhaft machen konnten. Die Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes wird von den Klägern nicht begehrt.
Insoweit wird vollumfänglich auf die im Bescheid der Beklagten getätigten Ausführungen verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch im Gerichtsverfahren wurden gegenüber dem früheren Asylverfahren keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgetragen, die zu einem Wiederaufgreifen führen würden.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.1 Die psychische Erkrankung des Klägers zu 2. kann kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Abgesehen davon, dass keine aktuellen Atteste o.ä. vorgelegt wurden, ist die medizinische Versorgung in Serbien auch grundsätzlich gesichert. Insbesondere psychische Erkrankungen, wie z.B. Depressionen, Traumata, Schizophrenie und Posttraumatische Belastungsstörungen, sind dort behandelbar und Roma genießen dabei die gleichen Rechte wie die serbische Mehrheitsbevölkerung. Kinder sowie Angehörige der Volksgruppe der Roma, sofern sie wegen ihrer traditionellen Lebensweise keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt haben, werden dabei bei entsprechender Registrierung kostenfrei behandelt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 1.11.2016, S. 15 ff.).
2.2 Eine etwaige Geltendmachung der Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen aufgrund eines etwaigen Familienverbands (Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) wäre kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern ein im Rahmen von § 60a AufenthG zu prüfendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, für das sich die Kläger auf einen Antrag auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde verweisen lassen müssen (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 18.5.2010 – 11 LB 186/08 – juris Rn. 47; OVG Berlin-Bbg. B.v. 30.4.2013 – OVG 12 S. 25.13 – juris unter Hinweis auf § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 6/97 – juris).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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