Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erlass von Maskenpflicht an Schulen

Aktenzeichen  M 26a E 20.5020

Datum:
22.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30679
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
7. BayIfSMV § 18 Abs. 2 S. 1, § 25a Abs. 1, Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5.000 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung einer generellen Maskenpflicht für Schulen während der Corona-Pandemie.
Mit am … Oktober 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangenen Schreiben beantragt die Antragstellerin,
den Freistaat Bayern zu verpflichten, während der Corona-Pandemie eine generelle Maskenpflicht an Schulen auch während des Unterrichts unabhängig von der 7-Tages-Inzidenz im jeweiligen Landkreis und unabhängig von der Schulart anzuordnen, sofern der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann.
Zur Begründung wird ausgeführt, die Aussetzung der Maskenpflicht während des Unterrichts in Landkreisen mit 7-Tage-Inzidenzen unter 35 ohne Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m verstoße gegen den jedermann zustehenden Anspruch auf gleichen Schutz der Gesundheit.
Grundschulen und weiterführende Schulen in Landkreisen mit einer 7-Tage-Inzidenz unter 35 seien die einzigen öffentlichen bzw. frequentierten Bereiche, in denen (während des Unterrichts) keine Maskenpflicht herrsche, obwohl in den allermeisten Fällen dort kein Mindestabstand eingehalten werden könne.
Beispielsweise sei es in dem Gymnasium, das ihre Tochter als Siebtklässlerin besuche, den Schülern und Schülerinnen mittlerweile freigestellt, während des Unterrichts eine Maske zu tragen. Dies trauten sich aufgrund der Gruppendynamik nur sehr wenige Schüler. Nur wenige Lehrer würden das Tragen von Masken anordnen. Es gebe auch keine Luftfilterungssysteme in den Klassenzimmern.
Die Schüler seien aufgrund der Schulpflicht gezwungen, sich schutzlos dem Infektionsrisiko auszusetzen und würden schlechter gestellt als die Besucher anderer Einrichtungen, in denen eine Maskenpflicht angeordnet sei. Die Sache sei eilbedürftig, weil die Schüler täglich in ihrer Gesundheit gefährdet würden.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2020,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antrag sei bereits unzulässig und darüber hinaus auch unbegründet. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 13. Oktober 2020 verwiesen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig, darüber hinaus auch unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Fall der sogenannten Sicherungsanordnung). Zur Regelung eines vorläufigen Zustands kann es eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Fall der sogenannten Regelungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch – also das Bestehen des zu sichernden Anspruches (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer gerichtlichen Eilentscheidung (Anordnungsgrund) – sind vom Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
1. Der Antrag ist schon unzulässig.
Das Begehren der Antragstellerin richtet sich der Sache nach auf die Ergänzung der 7. Bayerischen Infektionsschutzverordnung um eine generelle Maskenpflicht in bayerischen Schulen unabhängig von Inzidenzwerten. Damit wäre in der Hauptsache eine sog. „Normerlassklage“ zu erheben, die nach herrschender Meinung als Feststellungsklage, nach anderer Meinung als allgemeine Leistungsklage einzuordnen ist.
Der Antragstellerin fehlt die Prozessführungsbefugnis, welche eine Sachentscheidungsvoraussetzung ist. Als Mutter einer schulpflichtigen Tochter macht sie ihrem Vortag nach jedenfalls keine eigenen, sondern Rechte ihrer Tochter und aller anderen Schüler geltend. Damit geht es in der Sache um eine gesetzliche Prozessstandschaft, für die aber keine Rechtsgrundlage gegeben ist. Aus denselben Gründen fehlt es am Feststellungsinteresse (bei Annahme einer Feststellungsklage in der Hauptsache) der Antragstellerin bzw. an der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog (bei Annahme einer allgemeinen Leistungsklage in der Hauptsache), insofern von vornherein kein eigener Anspruch der Antragstellerin auf Normerlass geltend gemacht ist und ein solcher auch nicht ersichtlich ist.
2. Der Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, anzuordnen, dass während der Corona-Pandemie eine generelle Maskenpflicht an Schulen auch während des Unterrichts unabhängig von der 7-Tages-Inzidenz im jeweiligen Landkreis und unabhängig von der Schulart besteht, sofern der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann, ist darüber hinaus unbegründet.
2.1 Es fehlt schon an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds, der in der besonderen Eilbedürftigkeit der Sache liegt. Diesbezüglich bringt die Antragstellerin vor, dass die Schüler und Schülerinnen bei derzeit massiv steigenden Infektionszahlen ohne vorgeschriebenen Schutz täglich neu einem Infektionsrisiko ausgesetzt seien. Angesichts der Tatsache, dass der Verordnungsgeber in der 7. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. Oktober 2020, zuletzt geändert am 18. Oktober 2020, inzwischen in § 25a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ab einem 7-Tage-Inzidenzwert von 35 pro 100.000 Einwohnern eine Maskenpflicht auch am Sitzplatz in weiterführenden Schulen ab Jahrgangsstufe 5 und in § 25a Abs. 2 Satz 2 Nr.1 ab einem 7-Tage-Inzidenzwert von 50 pro 100.000 Einwohnern eine Maskenpflicht am Sitzplatz an Schulen aller Jahrgangsstufen eingeführt hat, und der Tatsache, dass, wie viele andere Landkreise auch, namentlich der Landkreis München, in dem die Antragstellerin wohnhaft ist und in dem ihre Tochter das Gymnasium besucht, den Signalwert von 35 überschritten hat (7-Tage-Inzidenz aktuell bei 47, 94) und damit automatisch Maskenpflicht insbesondere am Gymnasium der Tochter der Antragstellerin auch im Unterricht besteht, ist eine unmittelbare Gesundheitsgefährdung im Schulunterricht, die eine eilige Regelung allenfalls rechtfertigen könnte, zumindest derzeit nicht mehr geboten.
2.2 Die Antragstellerin hat jedenfalls auch keinen Anordnungsanspruch des beantragten Inhalts gegen den Antragsgegner.
Ein Anordnungsanspruch lässt sich weder aus spezialgesetzlichen Regelungen noch aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herleiten.
Zwar ist das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern umfasst auch die Pflicht des Staates, sich aktiv schützend und fördernd vor das Leben der Einzelnen zu stellen sowie vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit zu schützen (BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – juris Rn. 6 m.w.N.). Staatlichen Stellen kommt bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.2020 – 2 BvR 483/20 – juris Rn. 8 m.w.N.). Was konkret zu tun ist, um Grundrechtsschutz zu gewährleisten, hängt von vielen Faktoren ab, im Besonderen von der Eigenart des Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der hier betroffenen Rechtsgüter. Die Verletzung einer Schutzpflicht kann nur festgestellt werden, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (Untermaßverbot) (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund kann ein Anspruch eines Bürgers auf ein bestimmtes Einschreiten der Exekutive ausschließlich dann bestehen, wenn es sich hierbei um die einzige denkbare ermessensfehlerfreie Entscheidung handeln würde, mithin eine Situation einer Ermessensreduzierung auf Null gegeben wäre. Dem entspricht es, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ansprüche auf Erlass oder Änderung untergesetzlicher Rechtsnormen nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. Freiburg, B.v. 14.9.2020 – 2 K 2971/20 – juris Rn. 11 m.w.N.). Mit dem Ausnahmecharakter der Normerlassklage wird der im Gewaltenteilungsgrundsatz begründeten Trennung der rechtsetzenden und rechtsprechenden Organe Rechnung getragen.
Es kann zunächst keine Rede davon sein, dass die staatlichen Stellen Schutzvorkehrungen gegen das Risiko einer Coronavirus-Infektion von Schülerinnen und Schülern in Schulen in Bayern, insbesondere im Unterricht, überhaupt nicht getroffen haben. Der Antragsgegner hat in der Antragserwiderung (S. 6 f.) unter Hinweis auf die Regelungen des Rahmenhygieneplans Schulen (Stand 2. Oktober 2020) und auf die Regelungen der 7. BayIfSMV dargelegt, dass und welche umfassenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus der Antragsgegner im Bereich der Schulen vorgesehen hat (siehe die zahlreichen Hygienemaßnahmen in Nr.4 des Rahmenhygieneplans Schulen, die generell und immer in Schulen gelten, u.a. Persönliche Hygieneregeln, Raumhygiene, Reinigungsmaßnahmen, Lüften). Insbesondere ist auf die schon erwähnte Maskenpflicht auch am Sitzplatz in dem inzwischen eingeführten § 25a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der 7. BayIfSMV ab einem 7-Tage-Inzidenzwert von 35 pro 100.000 Einwohnern in weiterführenden Schulen ab Jahrgangsstufe 5 und ab einem 7-Tage-Inzidenzwert von 50 pro 100.000 Einwohnern an Schulen aller Jahrgangsstufen in § 25a Abs. 2 Satz 2 Nr.1 der 7. BayIfSMV zu verweisen.
Diese Regelungen und Maßnahmen sind offensichtlich nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich, das gebotene Schutzziel zu erreichen, und bleiben auch nicht erheblich dahinter zurück.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ergibt sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Schulpflicht kein Anspruch auf die Einführung einer generellen Maskenpflicht in Schulen. Der Aufenthalt in der Schule ist, anders als die Antragstellerin meint, mit dem Aufenthalt an anderen öffentlichen Orten, an denen strikte Maskenpflicht herrscht, nicht vergleichbar. Unterschiede mit Blick auf die Infektionsschutzrelevanz ergeben sich insbesondere daraus, dass sich in anderen öffentlichen Einrichtungen oder an Orten mit regem Publikumsverkehr wie z.B. in Geschäften des Einzelhandels eine im Vergleich zu Schulklassen deutlich höhere Zahl nicht näher bekannter Personen aufhält, so dass ein effektiver Schutz oder auch eine gegebenenfalls erforderliche Verfolgbarkeit des Infektionsgeschehens erschwert ist. Demgegenüber ist dies innerhalb der Schule angesichts fester Gruppen leichter möglich.
Die Entscheidung des Antragsgegners, bei Nichterreichen der maßgeblichen 7-Tage-Inzidenzen grundsätzlich im Klassenzimmer auf das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und die zwingende Einhaltung des Mindestabstands, abhängig vom Infektionsgeschehen, zu verzichten (Stufe 1, siehe Rahmenhygieneplan Schulen, Nr.1.4.1 und Nr. 1. 3 d), wobei aber in jedem Falle auf dem Schulgelände grundsätzlich Maskenpflicht besteht, § 18 Abs. 2 Satz 1 der 7 BayIfSMV, und insbesondere der Mindestabstand in den Klassenzimmern soweit wie möglich eingehalten werden soll (Nr. 6.2 des Rahmenhygieneplans) hält sich im Rahmen seines Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums, auf der einen Seite möglichst effektiv dem staatlichen Bildungsauftrag nachzukommen und auf der anderen Seite die staatlichen Schutzpflichten durchzusetzen. Die staatlichen Stellen haben insoweit zwischen der mit Verfassungsrang ausgestatteten Schutzpflichtenerfüllung und der Erfüllung des ebenfalls verfassungsrechtlich fundierten Bildungsauftrags einen Ausgleich zu finden. Dass sie diesen Ausgleich mit den genannten Regelungen offensichtlich verfehlt haben, kann nicht festgestellt werden.
Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Bedeckung im Klassenzimmer für Schülerinnen und Schüler zwingend ist, um der aus Art. 2 Absatz 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates Genüge zu tun, und dass die bisherigen Schutzvorkehrungen zum Schutz des Grundrechts völlig unzulänglich wären oder erheblich hinter dem Schutzziel zurückblieben 8so auch VGH Baden-Württemberg, B.v. 18.9.2020 – 1 S 2831/20 – juris).
Unabhängig davon bleibt es der Tochter der Antragstellerin wie jedem anderen Schüler unbenommen, in den Klassenzimmern eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (so ausdrücklich Nr. 6.4 des Rahmenhygieneplans). Im Übrigen können nach dem Rahmenhygieneplan (Nr. 13) Schülerinnen und Schüler mit Grunderkrankungen von der Teilnahme am Präsenzunterricht befreit werden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Aufgrund der faktischen Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens unterbleibt dabei eine Reduzierung des Streitwerts gegenüber dem Hauptsacheverfahren um die Hälfte.


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