Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG

Aktenzeichen  19 CE 20.14

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6098
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25a

 

Leitsatz

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 25a AufenthG ist der Zeitpunkt der Erteilung, im gerichtlichen Verfahren mithin grundsätzlich der allgemein maßgebliche Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 E 19.1480 2019-12-12 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners werden die Nrn. 1 und 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. Dezember 2019 abgeändert. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein am 7. August 2003 geborener und am 3. August 2014 in das Bundesgebiet eingereister ukrainischer Staatsangehöriger, begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG eine Duldung zu erteilen. Mit Bescheid des Antragsgegners vom 17. April 2019 wurde der Antrag des Antragstellers vom 20. Februar 2019 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG (Gewährleistung der Integration) sowie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG (Passpflicht) und § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (Visumpflicht) nicht erfülle. Ein Absehen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen im Ermessenswege nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG komme nicht in Betracht, da bereits die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG nicht gegeben seien. Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller mit Schriftsatz vom 29. April 2019 Klage zum Verwaltungsgericht erheben (Az. W 7 K 19.494). Der nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags seit dem 7. Februar 2019 ausreisepflichtige Antragsteller erhielt bis zum 4. November 2019 Duldungen. Am 5. November 2019 legte er einen gültigen ukrainischen Reisepass vor. Mit Schriftsatz vom 7. November 2019 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung beantragen, den Antragsgegner zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht (Az.: W 7 K 19.494) von dem Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2019 wurde der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens W 7 K 19.494 eine Duldung zu erteilen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht unter anderem aus, dass bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis es grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz ankomme. Sofern diese Ansprüche an eine Altersgrenze geknüpft seien, sei für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Zwar sei der Antragsteller seit dem 5. November 2019 nicht mehr im Besitz einer Duldung. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genüge es jedoch, wenn der Antragsteller im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Besitz einer Duldung gewesen sei oder in seiner Person Duldungsgründe vorgelegen hätten. Hiergegen richtet sich die am 19. Dezember 2019 erhobene und mit am 9. Januar 2020 eingegangenem Schriftsatz begründete Beschwerde des Antragsgegners. Der Antragsgegner rügt vor allem, dass das Verwaltungsgericht angenommen habe, die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) stehe einem voraussichtlichen Erfolg in der Hauptsache nicht entgegen. Unstreitig lägen die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 3 und 5 AufenthG vor und auch die Auffassung des Erstgerichts, wonach von einer positiven Integrationsprognose des Antragstellers gemäß § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG auszugehen sei, werde vom Antragsgegner nicht (mehr) infrage gestellt. Mittlerweile erfülle der Antragsteller nach Vorlage seines ukrainischen Reisepasses am 5. November 2019 – anders als noch im Zeitpunkt des Bescheiderlasses – die Passpflicht gemäß § 3 AufenthG und damit auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2019, durch den der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, dem Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des (Hauptsache-)Verfahrens W 7 K 19.494 eine Duldung zu erteilen, ist abzuändern und der Antrag des Antragstellers abzulehnen. Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG zu.
Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise dann, wenn und soweit die angefochtene Entscheidung offensichtlich unzutreffend ist (BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 21 CS 18.72 – juris Rn. 17 m.w.N.; Kaufmann in BeckOK VwGO Stand:1.1.2020 § 146 VwGO Rn.17).
Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung von einem unzutreffenden Zeitpunkt für die Beurteilung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage ausgegangen. Das Verwaltungsgericht hat auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt und nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht habe, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Erfolg seiner Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG bestehe. Zwar komme es bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis „grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz an. Sofern diese Ansprüche an eine Altersgrenze geknüpft sind, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (BVerwG, U.v. 1.12.2009 – 1 C 32/08 – juris Rn.12; VG Augsburg, B.v.2.4.2019 – Au 6 E 19.389 – juris Rn. 50)“. Soweit das Verwaltungsgericht mit der Zitierung der angegebenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausdruck bringen wollte, dass im vorliegenden Fall insgesamt auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen sei, da § 25a AufenthG eine Altersgrenze enthält („der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird“, § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG), wäre die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zutreffend angewendet worden. Die zitierte Entscheidung betrifft – wie auch vom Verwaltungsgericht richtig wiedergegeben – ausschließlich das Tatbestandsmerkmal der Einhaltung der Altersgrenze. Nur in dem Fall – der vorliegend nicht gegeben ist -, dass lediglich zum Zeitpunkt der Antragstellung, aber nicht mehr zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz diese Altersgrenze eingehalten worden wäre, wäre die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einschlägig. Da die ebenfalls zitierte Entscheidung des VG Augsburg lediglich auf die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verweist, ergibt sich auch aus dieser Entscheidung ebenfalls nichts anderes.
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 25a AufenthG ist jedoch der Zeitpunkt der Erteilung, im gerichtlichen Verfahren mithin grundsätzlich der allgemein maßgebliche Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23 zu dem insoweit vergleichbaren § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Da diese Entscheidung des BVerwG erst nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts datiert, konnte sie bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch keine Berücksichtigung finden, ist aber jetzt bei der Entscheidung über die Beschwerde zu berücksichtigen.
Da aber sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts als auch jetzt der Antragsteller kein „geduldete Ausländer“ im Sinne von § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG war und ist und auch keine materiellen Duldungsgründe ersichtlich sind, scheidet eine Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens W 7 K 19.494 eine Duldung zu erteilen, aus. Die Frage, ob die allgemeine Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) erfüllt ist, kann daher dahinstehen.
Da sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht aus anderen, in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht angeführten Gründen als im Ergebnis richtig erweist, sind die Nrn. 1 und 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2019 abzuändern und ist der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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