Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung

Aktenzeichen  19 CE 16.2025

Datum:
15.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 4 Abs. 3 S. 3, § 42 Abs. 2 Nr. 5, § 60a Abs. 2 S. 3, S. 4, § 62 Abs. 3 S. 3
BeschV BeschV § 32

 

Leitsatz

1 Die Einleitung eines Verfahrens zur Beschaffung eines Passersatzpapiers steht als konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung der Erteilung einer Duldung zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG entgegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Voraussetzung, dass „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“ soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausnehmen, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 E 16.953 2016-09-26 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragssteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der Asylantrag des am 15. August 2012 ins Bundesgebiet eingereisten Antragstellers, der Identitätspapiere nicht vorlegte und angab, am 25. Januar 1991 geboren und pakistanischer Staatsangehöriger zu sein, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. August 2014 als offensichtlich unbegründet abgelehnt; der Bescheid ist seit 29. August 2014 bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 wies die Ausländerbehörde den Antragsteller auf seine Ausreisepflicht und Passpflicht sowie auf die in diesem Zusammenhang bestehenden Handlungspflichten hin; die Belehrung wurde am 5. Juli 2016 wiederholt. Ab dem 29. Dezember 2014 wurden dem Antragsteller Duldungen – mit dem Zusatz „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ – erteilt. Die angestrebte Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wurde nicht gestattet. Nach eigenen Angaben sprach der Antragsteller am 6. und am 16. Juni 2016 jeweils beim Konsulat seines Heimatlandes vor. Ein Nachweis über die Beantragung eines Passes liegt nicht vor.
Am 17. Juni 2016 beantragte der Antragsteller bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes A. die Erlaubnis zur Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe (ein schriftlicher Berufsausbildungsvertrag zur Fachkraft im Gastgewerbe mit Ausbildungsbeginn zum 1. September 2016 wurde im Juli 2016 geschlossen). Bei Gelegenheit seiner Vorsprache an diesem Tag wurden Unterlagen für die behördliche Passbeschaffung erstellt und von der Ausländerbehörde an die Zentrale Passbeschaffung Bayern bei der Regierung von O. weitergeleitet. Aus deren Verfahrens-Informationen zu Pakistan geht hervor, dass die Bearbeitung ohne Vorlage von Originaldokumenten 3 bis 8 Monate dauert und nach erfolgter Identifizierung die persönliche Vorstellung beim pakistanischen Generalkonsulat in Frankfurt notwendig ist.
Mit Bescheid vom 26. August 2016 lehnte die nunmehr zuständige zentrale Ausländerbehörde der Regierung von U. den Antrag ab und verwies im Rahmen ihrer Ermessensausübung auf die vollziehbare Ausreisepflicht und eine mangelnde Bleibeperspektive sowie das am 17. Juni 2016 eingeleitete Verfahren zur Beschaffung von Heimreisedokumenten. Der Aufforderung zur Passbeschaffung vom 18. Dezember 2014 sei der Antragsteller nicht nachgekommen. Wegen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehe dem Antragsteller auch keine Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu.
Durch Klage gegen den Bescheid verfolgte der Antragsteller sein Ziel weiter. Zusätzlich beantragte er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit dem Ziel einer vorläufigen Erlaubnis zur Aufnahme der Ausbildung. Dies lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. September 2016 ab. Der Antrag ziele auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ab und der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Gestattung der Ausbildung. Die Entscheidung liege vielmehr im Ermessen der Behörde. Ein Anspruch auf eine Ausbildungsduldung bestehe nicht, weil konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden hätten.
Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller geltend, sein Ausbildungsplatz gehe unwiederbringlich verloren, wenn er die Stelle nicht antrete und die Berufsschule nicht besuche. Er könne weder davon ausgehen, dass ihm der Ausbildungsplatz reserviert werde, noch davon, dass er einen anderen Ausbildungsplatz finden werde. Von einer rein zeitlichen Verzögerung der Ausbildung könne deshalb nicht gesprochen werden. Die Möglichkeit einer Rückführung nach Pakistan sei nicht absehbar. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf die Erlaubnis zur Ausbildung, der sich aus § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ergebe; der gesetzliche Ausschlussgrund, wenn konkrete Maßnahmen zu Aufenthaltsbeendigung bevorstehen, liege nicht vor.
Der Antragsteller beantragt,
unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung den Antragsgegner vorläufig zur Gestattung der Ausbildung des Antragsteller zur Fachkraft im Gastgewerbe zu verpflichten.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus seiner Sicht bedeute die begehrte vorläufige Gestattung eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache und eine Verfestigung des Aufenthalts. Die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers sei durch öffentliche Leistungen gesichert und die Ausbildung könne auch noch zu einem späteren Zeitpunkt begonnen werden. Die Ausländerbehörde habe über die Zulassung der Ausbildung ermessensfehlerfrei entschieden; eine Ausbildungsduldung könne der Antragsteller nicht beanspruchen, weil bereits konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden hätten.
II. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer vorläufigen Erlaubnis zur Aufnahme der Berufsausbildung und zum Berufsschulbesuch abgelehnt hat.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass sich die Gestattung einer Erwerbstätigkeit nicht – wie im angefochtenen Bescheid angenommen – nach § 61 Abs. 2 AsylG i. V. m. § 32 BeschV, sondern nach §§ 4 Abs. 3 Satz 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG i. V. m. §§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 32 BeschV richtet. Es ist deshalb zutreffend vom Vorliegen einer Ermessensentscheidung ausgegangen, aber auch davon, dass das einstweilige Rechtsschutzbegehren erfolglos bleibt, weil eine Ermessensreduzierung auf Null nicht zu erkennen ist; insoweit kann auf den angefochtenen Beschluss nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen werden.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu der Einschätzung gelangt, dass die Anwendung des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG hinsichtlich der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im vorliegenden Fall nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null führt.
Nach der Vorschrift ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
Die Voraussetzung, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen, ist jedoch beim Antragsteller nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmals auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung abgestellt und zutreffend festgestellt, dass das zuständige Landratsamt bereits am 17. Juni 2016 das Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers als konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet hat.
Auch ein Abstellen auf einen früheren Zeitpunkt (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 13.10.2016 – 11 S 1991/16) würde zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis führen. Bei dem Inkrafttreten der Neufassung des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG am 6. August 2016 (vgl. Art. 5 Nr. 8 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016, BGBl I S. 1939) war das Verfahren zur Beschaffung des Passersatzpapiers bereits eingeleitet. Im Zeitpunkt der Antragstellung beanspruchte die Einschränkung der Vorschrift über die Ausbildungsduldung auf Fälle, in denen konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen, noch keine Geltung, hatte aber die Ausländerbehörde durch wiederholte Belehrung über die Ausreisepflicht, die konsequente Ablehnung der vom Antragsteller angestrebten Erwerbstätigkeit in den Duldungsverfahren und letztlich durch die Einleitung des Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren hinreichend zum Ausdruck gebracht, die Ausreisepflicht des Antragstellers tatsächlich durchsetzen zu wollen. Nach dem rechtskräftigen Abschluss des erfolglosen Asylverfahrens (Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet) war dem Antragsteller bereits seit Dezember 2014 bewusst, dass er zur Ausreise verpflichtet ist und das Bundesgebiet wieder verlassen muss.
Die Voraussetzung, dass „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“ (eine inhaltsgleiche Formulierung findet sich in § 61 Abs. 1c Nr. 3 AufenthG) soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausnehmen, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird, wobei die Gesetzesbegründung die Beantragung eines Pass(ersatz)papiers, die Terminierung der Abschiebung oder den Lauf eines Verfahrens zur Dublin-Überstellung als Beispiele aufführt. Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren zur Ausstellung eines Passersatzpapiers am 17. Juni 2016 von der zuständigen Ausländerbehörde auf den Weg gebracht. Nachdem der Gesetzgeber in der Gesetzbegründung das Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers ausdrücklich als Beispiel für eine „bevorstehende Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung“ genannt hat (vgl. BT-Drs. 18/9090 S. 25), überzeugen die dagegen gerichteten Einwände des Antragstellers nicht. Die Gesetzformulierung „Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ ist bewusst weiter gefasst als die eigentliche Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung, die der Antragsteller im Blick hat; andernfalls hätte die Verwendung des Begriffs Aufenthaltsbeendigung als gemeinsamer Oberbegriff genügt. Im vorliegenden Fall besteht nicht nur die vollziehbare Ausreisepflicht; die Ausländerbehörde hat, nachdem der Antragsteller über einen längeren Zeitraum seiner gesetzlichen Passpflicht, über die er mehrmals schriftlich belehrt wurde, nicht genügt hat, mit dem Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers konkrete eigene Schritte zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet. Dass ein derartiges Verfahren eine gewisse Zeit (im vorliegenden Fall bis zu 8 Monate) in Anspruch nimmt, entwertet diese Schritte nicht, denn die Ausstellung entsprechender Unterlagen liegt in der Hoheit des jeweiligen Herkunftsstaates. Bereits vor diesem Hintergrund sind die Überlegungen des Antragstellers zur Anwendung der nur innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU geltenden „Dublin-III-Verordnung“ fernliegend.
Angesichts der beim Antragsgegner vorliegenden Informationen über das Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren für Pakistan ist dessen Verlauf sowohl in prozeduraler als auch in zeitlicher Hinsicht absehbar. Anhaltspunkte dafür, dass ein ernsthaft (ohne Signale für ein gegenteiliges Interesse) gestellter Antrag auf Erteilung eines Passersatzpapiers von den Behörden des Herkunftsstaates überhaupt nicht bearbeitet wird und eine Aufenthaltsbeendigung deshalb von vorneherein nicht in Betracht kommt, legt der Antragsteller nicht dar. Der vom Antragsteller geforderten Eingangsbestätigung für den Antrag durch die Behörden des Heimatstaates bedarf es nicht.
§ 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist als Maßstab zur Beurteilung der Absehbarkeit von konkreten Maßnahmen ungeeignet. Er dient, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat, der zeitlichen Begrenzung von Sicherungshaft, die einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darstellt, und ist deshalb untauglich, einen in jeder Hinsicht verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken zum Ausdruck zu bringen. Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/9090, S. 25) bietet für den Fall des Antragstellers bereits eine ausreichende Auslegungsgrundlage. In den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung absehbar ist, soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden. Eine Duldung zum Zweck der Berufsausbildung darf dann nicht erteilt werden. Dass der Antragsteller nicht aus einem Herkunftsstaat nach § 29a AsylG stammt, hat lediglich zur Folge, dass er als Geduldeter nicht von jeglicher Erwerbstätigkeit ausgeschlossen ist; es bedeutet jedoch nicht, dass ihm (im Umkehrschluss) generell ein Anspruch auf eine Ausbildungsduldung zustehen würde.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben